Poggio Fiorentino
Die Facezien des Poggio Fiorentino
Poggio Fiorentino

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Einleitung des Übersetzers.

I.
Das Leben Poggios.Benutzte Literatur: M. W. SHEPHERD: Vie de POGGIO BRACCIOLINI, 1819; aus dem Englischen. – BURCKHARDT: Die Cultur der Renaissance in Italien. 2. Aufl. (1869). – HAGEN: Die Chronik seiner Vaterstadt vom Florentiner GHIBERTI; 1833. – REPETTI: Dizionario geografico fisico storico della Toscana. Firenze 1833–1845. ROSCOE: Vita e Pontificato di LEONE X. Milano 1816– 1817; aus dem Englischen. – Noten zu: Les Facéties de POGGE, Édition Liseux, Paris 1878. – Noten von PIERRE DES BRANDES zu seiner Ausgabe der Facezien (Les Facéties de POGGE Florentin; Paris s.d.). – W. BODE: Die italienische Plastik, Berlin 1893. – Facezie di POGGIO Fiorentino, Roma 1889. – Nouvelle Biographie générale, Paris 1842; tom 40.

Eine Lebensgeschichte Poggios schreiben heißt eine der schicksalvollsten und wichtigsten Epochen der Geschichte Italiens, eine komplizierte Zeit der vollsten Gärung aufrollen, so sehr steht der Mann im Zentrum der Ereignisse auf politischem wie literarischem Gebiete und so sehr weist er, nach dem man sogar zuweilen die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts das Zeitalter Poggios genannt hat, die typischen Züge seiner Zeit auf. VI Für eine solche Aufgabe ist jedoch im Rahmen einer Einleitung zu einem Buche bescheidenen Umfangs kein Platz. Ich muß mich daher mit kurzen Daten begnügen und kann nur hier und da ein volleres Licht auf die Lebensumstände des hervorragenden Florentiners und die Verhältnisse seiner Zeit zu werfen versuchen, darf aber hoffen, daß der Leser der Facezien in ihnen selbst Material zum Ausbau und zur Belebung dieser Skizze finde.

Poggio Bracciolini (di ser Guccio di Poggio di Guccio) wurde 1380 in Terranuova auf Florentiner Gebiet unweit Arezzo, nach anderen in Lanciolina, einem Gebirgsnest oberhalb von Loro im oberen Arnotal, als Sohn eines Notars geboren. Schon früh genoß er in Florenz den Unterricht des Giovanni (Malpaghino) da Ravenna, eines langjährigen Freundes Petrarcas, in der lateinischen und des Immanuel Chrysoloras, des Abgesandten von Manuel Palaeologus, Kaisers von Konstantinopel, in der griechischen Sprache. Nicht viel mehr als zwanzig Jahre alt, begab er sich nach Rom, wo ihm sein literarischer Ruf um 1403 das Amt eines apostolischen Sekretärs in der Kanzlei Bonifaz' IX. (Tomacelli) verschaffte. Dieses Amt, aus dem er später in das eines päpstlichen Geheimschreibers aufrückte, hatte er während der Regierungszeit VII von acht Päpsten inne und zog sich erst 1453 davon zurück. Welche Wichtigkeit sich diese päpstlichen Sekretäre beimaßen, »jener Verein von Dichtern und Rednern, die der Kurie ebensoviel Glanz verliehen, als sie von ihr empfingen«, zu denen in der Tat die größten Männer der Wissenschaft im XV. Jahrhundert gehörten, geht aus dem Plaidoyer des Jacobus Volterranus hervor: »Die apostolischen Schreiber,« sagt dieser, »haben die ersten Geschäfte der Welt in Händen, denn wer anders als sie schreibt und verfügt in Sachen des katholischen Glaubens, der Bekämpfung der Ketzerei, der Herstellung des Friedens, der Vermittelung zwischen den größten Monarchen? Wer als sie liefert die statistischen Übersichten der ganzen Christenheit? Sie sind es, die Könige, Fürsten und Völker in Bewunderung versetzen durch das, was von den Päpsten ausgeht; sie verfassen die Befehle und Instruktionen für die Legaten; ihre Befehle empfangen sie aber nur vom Papst, und sind derselben zu jeder Stunde des Tages und der Nacht gewärtig.« (Burckhardt, S. 179.) Die unsicheren politischen Verhältnisse, namentlich die durch das Schisma des Okzidents (1378–1417) angerichtete Verwirrung, brachten es mit sich, daß Poggio einen großen Teil seines an Wechselfällen reichen Lebens auf Reisen war. Einmal flieht VIII er mit Innozenz VII. (Meliorati) nach Viterbo (6. August 1405), nach dessen Tode (6. September 1406), finden wir ihn, während ihn das Konzil zu Pisa seines neuen Herrn, Gregors XII. (Corraro), beraubt (1409), in Florenz. Dann dient er unter Alexander V. (Filardo), und nachdem dieser im achten Monat seiner Regierung gestorben war (1410), unter Johann XXIII. (Baldassare Cossa). Dieser muß vor König Ladislaus von Neapel nach Florenz, Bologna und Mantua fliehen; Poggio begleitet ihn und geht schließlich als sein Geheimschreiber mit nach Konstanz, wohin der Papst auf dringenden Wunsch Kaiser Sigismunds 1414 das Konzil berief. Als Johann XXIII. 1415 abgesetzt wird, beschäftigt sich Poggio in Konstanz eine Zeitlang mit dem Studium des Hebräischen und nimmt dann im Frühjahr 1516 einen kurzen Badeaufenthalt in Baden bei Zürich, dessen Annehmlichkeiten er in einem lebendigen und interessanten Briefe an Niccolò Niccoli beschreibt. Hierauf kehrt er wieder nach Konstanz zurück und sieht dort, nachdem er schon im Sommer 1415 Huss hatte den Scheiterhaufen besteigen sehen, den edlen Hieronymus von Prag unter für die Mitglieder des Konzils schmachvollsten Umständen zum Tode verurteilen und darauf verbrennen. Seinen Empfindungen für diesen IX prächtigen Menschen gibt er in einem Briefe an Leonardo (Bruni) Aretino, seinen Freund und Kollegen, Ausdruck, einem Briefe, der ihn auf einem bemerkenswert hohen Niveau zeigt gegenüber der im Sinne höheren Menschentums – mit Ausnahme des Kardinals Zabarella von Florenz und dreier anderer Kardinale– durchaus minderwertigen Horde der geistlichen Konzilsteilnehmer, die sich – wer lacht da nicht? – eine »heilige« Synode nannten. Mit ihnen verglichen steht Poggio als ein Heiliger da, und ein lustiger Zufall hat später denn auch seine Statue einer Gruppe ehrwürdiger Heiliger beigesellt. Begeistert ist seine Schilderung der Selbstverteidigung des der Ketzerei Angeklagten, die in die Worte ausklingt: »Stabat impavidus, intrepidus, mortem non contemnens solum, sed appetens, ut alterum Catonem dixisses. O virum dignum memoria hominum sempiterna!« Erschütternd geradezu ist der Schluß des Briefes, der die Verbrennung des Verurteilten schildert. Von Abscheu erfüllt, verläßt Poggio diese Atmosphäre von Wortbruch, Verleumdung und Gemeinheit, verläßt er Konstanz, um Deutschland und die Schweiz auf der Suche nach lateinischen Manuskripten, die er später publiziert, zu bereisen. Lorenzo Ghiberti läßt ihn in seiner Florentiner Chronik darüber folgendes sagen: »Die letzte Reise X führte mich nach Konstanz, wohin ich als päpstlicher Sekretär mich begab. Das Konzil dauerte vier Jahre. Während dieser Zeit machte ich Ausflüge hier- und dorthin, nicht der rauhen Witterung, nicht des schlechten Weges achtend. Unter anderem kam ich nach dem Domstift St. Gallen, wo ich in der Bücherei nicht eben viel Erhebliches fand. Allein eine Ahnung, nicht umsonst die Reise gemacht zu haben, ließ mich nicht ruhen, und in allen Winkeln des Klosters spähte ich umher. Sieh – da geriet ich in einen dumpfen dunkeln Kerkerturm; so arg und scheußlich waren nicht die Löcher, in denen man in Konstanz die ehrenwerten Ketzer Hus und Hieronymus von Prag einsperrte. Ich tappte umher, und auf dem Boden unter Wust und Kehricht finde ich ein Buch. Als wenn ich auf dem Meeresgrunde eine kostbare Perle gefunden, arbeite ich mich durch das Grauen herauf zum Tageslichte. O, wer beschreibt meine Freude, als ich den Fund betrachte und des Valerius Flaccus Argonauten entdecke! Im nämlichen Kloster fand ich auch die sämtlichen Bücher von Quinctilian in Staub und Moder. Erzählen muß ich noch, wie ich Catulls Gesänge auf einem Speicher fand. . . .« usw. – Dann begleitet er 1418 Martin V. (Colonna), durch dessen Erwählung das Schisma XI ein Ende fand, von Konstanz, wohin er wieder zurückgekehrt war, nach Mantua, fällt dort, wie es scheint, in Ungnade und flieht nach England, wohin ihn der Kardinal Heinrich von Beaufort, Bischof von Winchester (nachmals bekannt als Leiter eines verunglückten Kreuzzuges gegen die Hussiten und durch seine Eigenschaft als Mitglied des Gerichts, das die Jungfrau von Orleans zum Tode verurteilte, bekannt namentlich aus Shakespeares König Heinrich VI.), eingeladen hatte. Die Zeit seines Aufenthaltes jenseits des Kanals scheint für ihn jedoch eine Kette von Enttäuschungen gewesen zu sein. Während er über sein kurzes Verweilen in Baden so viel zu berichten weiß, schweigt er sich über die Jahre in England und über die lange Reise aus. Anfang 1421 wahrscheinlich sehen wir ihn dann wieder in Rom als Sekretär Martins V. Während der nun folgenden langen politischen Ruhe schrieb Poggio unter anderem seinen Dialog über die Habgier, den er 1429 dem Kardinal Prosper Colonna, dem Neffen des Papstes, widmete. Hier läßt er seiner Verachtung und seinem Haß gegen die Mönche, der in einer ganzen Reihe seiner Schriften, wie z. B. in dem ca. 1454 veröffentlichten Dialog über die elende Beschaffenheit des menschlichen Lebens und nicht zuletzt in XII den Facezien zutage tritt, freien Lauf. Unter dem ebenso habgierigen und grausamen wie frommen Eugen IV. (Condolmieri) neues Mißgeschick: der Papst muß 1434, von Fortebraccio bedroht, aus Rom fliehen und entkommt mit knapper Not über Ostia und Livorno nach Florenz, Poggio dagegen fällt in die Hände der Feinde und muß ein für seine bescheidenen Verhältnisse hohes Lösegeld zahlen, worauf er sich ebenfalls nach Florenz begibt. Hier verheiratet er sich im Dezember 1435 mit der kaum achtzehnjährigen Vaggia, Tochter von Ghino Manente de' Buondelmonti, die ihm im Laufe der Jahre fünf Söhne und eine Tochter schenkte. Bis dahin hatte er mit einer Konkubine gelebt, durch die er Vater von vierzehn Kindern geworden war. Vier davon waren zur Zeit seiner Eheschließung noch am Leben. In diese Zeit muß die Episode in der alten Sakristei von San Lorenzo fallen, von der Ghiberti spricht: »Wohl nur der Inschrift (an Donatellos Sarkophag der Eltern Cosimos de' Medici) wegen kamen die drei tiefgelehrten Herren Guarino aus Verona, Poggio aus Florenz und Lionardo Bruni aus Arezzo in die Kirche. Guarino führte die beiden letzteren hierher, um ihnen des Lebens Zoll abzufordern; denn sie liebten es, sich mit Schmeichelreden zu vergnügen, solange sie unschädlich XIII nebeneinander standen, und sich zu Räubern und Verruchten durch schmachvolle Beschuldigungen herabzuwürdigen, sobald der eine durch die Bemühungen des anderen seinen Ruhm um ein Haar breit verkürzt sah. Aus Liebe zur Gelehrsamkeit waren sie der Menschheit halb abgestorben – ein Wunder, daß sie neben dem Griechischen nicht die Muttersprache verlernt hatten. Aus Verehrung für das klassische Heidentum waren sie zu Heiden geworden. Obgleich Poggio lange Geistlicher gewesen, tauchte er gleichgültig die Finger in den Weihkessel, den Donatellos Kunst erschaffen. Ja, wäre es das Gefäß, das das Blut aus Senecas geöffneten Adern auffing, er würde es mit heiliger Ehrfurcht betrachtet haben . . . .« und weiter: »Jetzt verweilten sie in andächtiger Verehrung vor einem Grabstein, der den Namen Immanuel Chrysoloras zeigte, ihres allverehrten Lehrers.« Die Inschrift auf dem Stein stammte von Poggio. Dann unterhalten sie sich über die Bedeutung des Mediceerwappens, ohne sich um die Bildhauerarbeit Donatellos zu kümmern. Sie werden von Brunellesco unterbrochen, der sie fragt, ob Phidias oder Praxiteles etwas Derartiges geschaffen. »Mit übermütiger Miene sah ihn Poggio an und strich sich seinen braunen Bart«, darauf sagt er, auf das Grabmal blickend: »Nein, so haben XIV Phidias und Praxiteles nicht gearbeitet. Ich sehe hier nur Figuren, wie sie die geistesarmen Künstler der Römer erfunden, nicht Griechen, die Schöpfer der Idealwelt. Was ist diese züchtig bekleidete Figur anders als eine Pudicitia, diese mit dem Füllhorn anders als eine Abundantia, diese endlich mit den Flügeln anders als eine Viktoria? Was ist aber eine Viktoria gegen die windschnelle Iris, was die Abundantia gegen die weinbekränzte Ariadne, was die Pudicitia gegen die verschleierte Here? Ich bin ein großer Liebhaber griechischer Bildwerke, und mich bewegt des Künstlers Geschick, wenn ich die Kräfte der Natur selbst dem Marmor aufgeprägt sehe. Ich kranke an mancherlei Schwächen, aber vornehmlich an dieser. Mich zwingt zur Anbetung die Kunst dessen, der in der stummen toten Masse Leben ausdrückt, so daß ihr oft nichts anderes als der Atem zu fehlen scheint«, und schließlich: »So habe ich einen Siegelstein mit dem Kopfe des Vaters Homer, eine Marmorbüste von Maro. Wollt Ihr die Unerreichbarkeit des griechischen Meißels wahrnehmen, so kommt zu mir und schaut meinen Athena-, Hera- und Dionysoskopf.« Um diese Zeit hatte sich Poggio nämlich ein Landhaus im Valdarno gekauft, in dem er nicht nur eine kostbare Bibliothek, sondern auch eine XV Sammlung von Gemmen und Medaillen, sowie römische und griechische Skulpturen vereinigt hatte. Unter letzteren befanden sich die genannten drei Köpfe, dem Polyklet und Praxiteles zugeschrieben, die ihm ein Rhodier, namens Sufretus, berühmt durch seine selten schöne Sammlung von Antiken, nebst einer zwei Ellen hohen Statue gesandt hatte (vergl. Poggio, Opera, Ed. Basil, pag. 329). Letztere wurde von einem Francesco da Pistoja, den Poggio mit dem Transport der Kunstwerke beauftragt hatte, unterschlagen und gelangte wahrscheinlich – mit einigen anderen für Poggio bestimmten Dingen – in die Sammlung Cosimos de' Medicis. Bei dieser Gelegenheit mag bemerkt werden, daß Poggio der erste Sammler von Inschriften war, denen er durch alles Gestrüpp hindurch nachging, und daß er im ersten Buche seines Dialogs über die Wechselfälle des Glücks eine detaillierte, aber im einzelnen wenig eingehende Liste der Ruinen Roms gegeben hat. Er war Zeuge aller wichtigen Ausgrabungen, die zu seiner Zeit auf dem Boden Roms vorgenommen wurden, und hat noch das Grabmal der Cäcilia Metella und die Säulenfront eines der Tempel am Abhang des Kapitols zuerst vollständig und dann später bereits halbzerstört wiedergesehen. (Burckhardt, S. 193.)

XVI Um den Mißdeutungen, denen seine, des Fünfundfünfzigjährigen, Verheiratung mit einem jungen Mädchen ausgesetzt war, entgegenzutreten, schrieb Poggio den Dialog: An seni sit uxor ducenda und widmete ihn Cosimo de' Medicis. Diese Schrift ist erst 1807 von Shepherd publiziert worden. Von Florenz folgt er am 18. April 1436 Eugen IV. nach Bologna, um bald darauf wieder in sein Tuskulum zurückzukehren. Hier schreibt er zu Beginn des Jahres 1440 seinen Dialog über den Adel. Der letzte Papst, dem er diente, Nikolaus V., war sein Freund von früher her: Tommaso Parentucelli da Sarazana, dem er den Dialog über das Unglück der Fürsten gewidmet hatte, und nach seiner Erwählung zum Haupt der Kirche den schon erwähnten, aus vier Büchern bestehenden interessanten Dialog über die Wechselfälle des Glücks zueignete. Bald darauf schrieb er den Dialog über die Heuchelei, eine bittere, hauptsächlich auf die Bettelmönche gemünzte Satire, die ihm unter Eugen IV. († 23. Februar 1447) das Leben gekostet hätte, und die kein Herausgeber seiner Werke aufzunehmen wagte. (Publiziert von Orthuinus Grotius von Deventer, Köln 1535, und von Edward Brown, London 1689 im Supplement der romfeindlichen Sammlung: Fasciculus Rerum expetendarum et fugiendarum.) XVII Hierauf publizierte Poggio das Geschichtswerk des Diodorus Siculus in lateinischer Sprache, das er dem Papste widmete, und darauf die Kyropädie des Xenophon, die er dem großen Alphons von Aragonien dedizierte, welcher ihm dafür später die enorme Summe von 500 Goldstücken gab. Es folgt das Jubeljahr 1450, und ein ungeheurer Strom von Pilgern ergießt sich nach Rom, wo sich infolge der gewaltigen Menschenansammlung ein Pestherd bildet. Der Papst verläßt infolgedessen Rom, um die heißen Tage in Fabriano zu verbringen, und Poggio benutzt die Gelegenheit, um Florenz und seinen Landsitz aufzusuchen. Hier bereitet er die Publikation des Buches der Facezien vor, die im Laufe des Jahres 1552 erfolgt sein muß, wie aus dem Vergleich der in Nr. 240 und 249 der Facezien gegebenen Daten und Laurentius Vallas 1452 publizierter Revancheschrift gegen Poggio hervorgeht, in der jener die Veröffentlichung der Schwänke scharf kritisiert. Vorher – 1451 – veröffentlichte Poggio noch seine Historia convivalis, die er dem Kardinal Prosper Colonna widmete. Nachdem die Signorie von Florenz Poggio schon 1435 dadurch geehrt hatte, daß sie ihn und seine Kinder von allen Steuern und anderen öffentlichen Taxen befreite, berufen ihn im April 1453 die Florentiner als Kanzler ihrer Republik, und später wird er XVIII Prior der Zünfte. Die Zeit, die ihm sein Amt läßt, widmet er in ungeschwächtem Eifer seinen Studien und schriftstellerischen Arbeiten. Er verfaßt den obenerwähnten Dialog über die elende Beschaffenheit des menschlichen Lebens, den er dem Gismondo Malatesta widmet, veröffentlicht eine kritische Übersetzung des Esels des Lucian, den er als Prototyp des goldenen Esels des Apulejus erklärt, und widmet sie dem Cosimo de' Medicis und schreibt endlich seine Geschichte von Florenz, die 1476 von seinem Sohne Jacopo in italienischer Übersetzung herausgegeben wird. Bevor er jedoch die letzte Hand an dieses sein letztes Werk legen konnte, starb er. Am 2. November 1459, dem dritten Tage nach seinem Tode, wurde seine Leiche unter großem Gepränge in Sta. Croce beigesetzt. Seine Kinder erhielten von den Signorie die Erlaubnis, sein von Antonio Pollaiuolo gemaltes Bildnis in dem il proconsolo genannten Gebäude (Bargello) anzubringen, und seine Mitbürger errichteten ihm eine Statue an der Fassade des Doms. Als später der Großherzog von Toscana einige Änderungen am Portal der Kirche, das sie schmückte, vornehmen ließ, transportierte man sie in einen anderen Teil des Gebäudes, und sie geriet in eine Gruppe der zwölf Apostel. Jene Statue von Donatello im linken Seitenschiff des XIX Doms, die als Poggio Bracciolini bezeichnet wird, hat aber nichts mit ihm zu tun. Sie ist schon 1412 entstanden und stellt Josua dar. Außer den bereits genannten Werken hat Poggio auch eine Anzahl Invektiven geschrieben, so gegen Laurentius Valla, den Philologen und Mediceerfeind Francesco Filelfo und den Gegenpapst Felix, geistreiche Kampfschriften von zum Teil unglaublicher Heftigkeit und Schonungslosigkeit, denen die von der Gegenseite lancierten nur in der Ingeniosität der Beschimpfungen etwas nachgaben. Was die lateinische Sprache an Injuriengeschütz bietet, wird aufgefahren und gegen den Gegner gerichtet, wobei es nicht zum wenigsten auf eine geistreiche und elegante Handhabung der Sprachwaffe ankommt. Eine Reihe von Leichenreden und Briefen schließen das schriftstellerische Lebenswerk. Poggios Verdienste als Auffinder alter Handschriften und Herausgeber, sowie Übersetzer antiker Autoren sind bereits angedeutet worden. Ich lasse es dabei bewenden: die ausführliche Liste würde ebenso lang wie trocken werden.

Poggio war eine Kampfnatur, ein unabhängiger Charakter, der aussprach, was er dachte. Ein gründlicher Gelehrter und geistreicher Schriftsteller war er daneben ein glühender Verehrer des Altertums und wohl hauptsächlich dadurch XX in puncto Christentum völlig indifferent. Die Sittenlosigkeit eines Teiles seines Lebens und die Unanständigkeiten einiger seiner Schriften sind, wie Shepherd bemerkt, mehr auf Rechnung seiner Zeit als auf die eines moralischen Defekts zu setzen. Ein Beweis dafür sind seine Stellung bei acht Päpsten und die Ehren, deren ihn Florenz für würdig erachtete. Er war eben ein Renaissancemensch vom reinsten Wasser.

Die Facezien.

Über die Entstehung der Facezien gibt Poggio selbst im Schlußwort dieser Sammlung von Späßen, Schwänken, Witzen, Anekdoten und Wunderberichten Aufschluß, und über ihre Publikation ist oben schon das Nötige gesagt worden. Die pikanten Geschichten nehmen bei weitem den Hauptraum ein. Wenn man auch gestehen muß, daß es manchmal eine recht starke Kost ist, die einem da vorgesetzt wird, so ist anderseits hervorzuheben, daß nirgends darin ein ungesundes Moment hervortritt, wie das bei manchen Schriften derselben Epoche oder der Folgezeit der Fall ist. Kindern oder unreifen Menschen wird man sie nicht in die Hand geben, für alle andern aber sind die Worte Macaulays geschrieben: »Es fällt mir schwer, zu glauben, daß in einer Welt, so voll von XXI Versuchungen, wie die unsere, ein Mensch, der tugendhaft gewesen ist, solange er nicht Aristophanes und Juvenal gelesen, lasterhaft werden sollte, weil er sie gelesen. Einer, der allen Strömungen eines Gesellschaftszustandes wie der unsere ausgesetzt ist und Furcht hat, sich den Einflüssen einiger griechischer oder lateinischer Verse auszusetzen, handelt meiner Ansicht nach wie der Dieb, der von den Sheriffs verlangte, sie sollten ihm vom Tor von Newgate an bis zum Galgen einen Regenschirm über den Kopf halten lassen, weil der Morgen regnerisch war und er sich zu erkälten fürchtete.«

Zuerst auf dem Wege der handschriftlichen Vervielfältigung in lateinischer Sprache publiziert, erlebten die Facezien in den letzten dreißig Jahren des 15. Jahrhunderts dank der Erfindung der Buchdruckerkunst ca. 15 mehr oder minder vollständige gedruckte Ausgaben, deren erste um 1469 zu Rom ediert wurde. Eine noch größere Anzahl, allerdings meist gekürzter Ausgaben, brachte die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts, bis das Tridentiner Konzil das Buch auf den Index setzte. Fast hundert Jahre hatte es also gedauert, bis die gleichsam unter den Augen des Papstes veröffentlichten Facezien als gefährlich für das Ansehen der Kirche erkannt worden waren. Und gefährlich XXII waren sie in der Tat; denn sie gehören, wie Roscoe sagt, »zu den Werken, die dadurch, daß sie die Fundamente der Macht Roms erschüttern und den Einfluß und die Autorität des heiligen Stuhls beim Volke schwächen halfen, sehr zur Befreiung der Geister beigetragen haben«; verspottet doch ein großer Teil von ihnen die Kleriker, deren Sittenlosigkeit, Habgier und Unwissenheit die ganze Institution in den Augen aller Besserdenkenden zu diskreditieren begannen. Wie groß allein die Summe der handschriftlichen Exemplare gewesen sein muß, erhellt aus Poggios eigenen Worten in seiner zweiten Invektive gegen Laurentius Valla, wo er von den Facezien sagt: »Sie sind ausgegossen über ganz Italien und zu den Franzosen, Spaniern, Deutschen, Engländern und den übrigen Nationen, die lateinisch sprechen können, gewandert.« Diese Sammlung, die die scharfe Verurteilung vieler Rom nahestehender Schriftsteller gefunden hat, von dem Eremiten Giacomo Filippo da Bergamo aber, trotzdem dieser dem geistlichen Stande angehörte, ein »allerschönstes Buch« (pulcherrimus liber) genannt wurde, scheint seit dem Konzilsbeschluß in Italien außer in neuerer Zeit nicht mehr aufgelegt worden zu sein, während sie in Frankreich, Holland und England von Zeit zu Zeit wieder gedruckt wurde. Eine ganze Reihe der XXIII Facezien haben auch in andern Sammlungen, wie bei Giucciardini, Celio Malespini, Henricus Bebelius, Pauli, Geiler von Keisersberg, Jakob Frey, im Rollwagenbüchlein, den Cent Nouvelles Nouvelles etc. Aufnahme gefunden und sind von verschiedenen Schriftstellern, wie Fortini, Ariost, Rabelais, La Fontaine u. a. verarbeitet worden. Heutzutage sind sie jedoch, wenigstens in Deutschland, so gut wie unbekannt. Sie unterscheiden sich von allen deutschen Imitationen vorteilhaft durch ihre Klarheit, Einfachheit und Knappheit, Eigenschaften, die eine möglichst wörtliche Übersetzung als die wünschenswerteste erscheinen ließen.

Eine deutsche Übersetzung war vor Fertigstellung meines Manuskripts, d. h. vor ca. zwei Jahren, noch nicht erschienen; wie ich in elfter Stunde erfahre, ist eine solche jedoch im vergangenen Jahre von Semerau in der Sammlung »Romanische Meistererzähler« veröffentlicht worden. Wenn ich infolgedessen auch den Anspruch aufgeben muß, die erste deutsche Übersetzung der Facezien geliefert zu haben, so freut es mich doch, zu sehen, daß ich nicht allein eine Verdeutschung dieses kulturhistorisch interessanten Buches für wünschenswert gehalten habe und hoffe zugleich, dem primären Übersetzer nicht allzusehr ins Gehege gekommen zu sein.

Hanns Floerke.

 


 

Die Facezien

des

Poggio Fiorentino

 

Vorrede
des
hochberühmten Redners und Apostolischen Sekretärs Poggio aus Florenz zum Buche der Facezien.

Mögen meine Neider die Sammlung der Facezien nicht wegen der Dürftigkeit des Stils verurteilen!

Ich glaube, daß es viele geben wird, welche die vorliegenden Plaudereien teils als leichtfertiges und eines ernsten Mannes unwürdiges Zeug verdammen, teils an ihnen die Feinheit der Ausdrucksweise und die Schönheit des Stils vermissen werden. Aber wenn ich ihnen antworte, daß ich gelesen habe, unsere Vorfahren, sehr kluge und sehr gelehrte Männer, die an witzigen Anekdoten, scherzhaften Einfällen und Fabeln Vergnügen fanden, hätten dafür keinen Tadel, sondern Lob verdient, glaube ich genug getan zu haben, um mir ihre Anerkennung zu sichern. Denn wer könnte es mir zur Schande anrechnen, daß ich mich hierin – da ich es ja in anderer Hinsicht nicht kann – nach unseren Vätern richte und 2 dieselbe Zeit, welche sich die anderen mit Unterhaltung in ihren Zirkeln und Gesellschaften vertreiben, mit Schreiben hinbringe, zumal meine Arbeit nicht wertlos ist und den Lesern einiges Vergnügen zu bereiten vermag. Ist es doch etwas Gutes, fast möchte ich sagen Notwendiges – es entspricht ja auch den Anschauungen der Philosophen –, unserem von verschiedensten Gedanken und beständigen Sorgen bedrückten Geiste von Zeit zu Zeit Erholung zu gönnen und ihn durch allerlei Scherzhaftes heiter zu stimmen und zu zerstreuen. Hohen Stil in Kleinigkeiten suchen zu wollen, bei denen es sich um witzige Wortspiele handelt, oder darum, Äußerungen anderer wortgetreu wiederzugeben, hieße allzu viel Wert darauf legen. Es finden sich darunter Sachen, die es nicht vertragen, stilistisch ausgeschmückt zu werden, da man sie wiedergeben muß, wie sie jene zum besten gaben, die darin als Erzählende angeführt sind.

Manche werden vielleicht glauben, es sei Mangel an Geist, der mich veranlaßt, mich auf diese Weise zu entschuldigen – ich stimme ihnen sogar bei: nur fordere ich sie auf, dieselben Geschichten selber vorzunehmen und sie auszuschmücken und zu verfeinern, sie werden dadurch die lateinische Sprache unseres Zeitalters auch in leichter geschürzten Sachen bereichern. 3 Denn die Übung, in dieser Art zu schreiben, wird zur Erlernung eines beredten Stils von Nutzen sein. Was mich betrifft, so habe ich den Versuch machen wollen, ob man vieles, was lateinisch auszudrücken für schwierig gilt, wiedergeben kann, ohne absurd zu werden. Da es nicht möglich ist, hierbei eine glänzende Fülle der Worte spielen zu lassen, werde ich zufrieden sein, wenn man den Eindruck gewinnt, daß ich nicht ganz ungeschickt zu Werke gegangen bin.

Im übrigen mögen sich die allzu strengen Zensoren und scharfen Kritiker der Lektüre dieser Plaudereien (denn so möchte ich sie nennen) enthalten. Mein Wunsch ist, von geistreichen und gemütvollen Menschen gelesen zu werden (wie einst Lucilius von den Cosentinern und Tarentinern). Wenn meine Leser zu ungebildet sind, um an dem Folgenden Geschmack zu finden, habe ich nichts dagegen, daß sie darüber denken, was sie wollen, nur mögen sie den Herausgeber nicht verdammen, der es zu seinem Vergnügen und zur Übung für den Geist geschrieben hat. 4

 


 


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