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78. Eine deutsche Farm

Auch in San Francisco hielten sich die Brüder nicht auf. Sie begaben sich sofort mit der Bahn nach Idaho, und da sie keinen anderen Anhaltspunkt hatten, als daß sich Webers Farm in der Nähe des Yellowstoneparks befinde, an der Grenze des Staates Montana, beschlossen sie, in Camas die Bahn zu verlassen und ihre Pferde wieder zu besteigen, die sie auch auf der Bahn mitgenommen hatten.

Sie ritten auf den Henryfluß zu und dann an diesem hinauf in den berühmten Park, und hatten sie nach dem, was sie in Venezuela, Brasilien und Colombia geschaut hatten, gemeint, es gäbe keine Naturwunder mehr, die ihnen Überraschung zu bieten vermöchten, so enttäuschte sie der mehrere Tage dauernde Ritt durch den einzigartigen Nationalpark aufs angenehmste; denn hier schien die Natur alles vereinigt zu haben, was sie an Lieblichem, Großartigem und Sonderbarem überhaupt aufzuweisen hat.

Die erfreulichste Überraschung aber sollte ihnen am letzten Tage ihrer Reise durch den Park zuteil werden.

In einem blühenden Wiesengrunde sahen sie an diesem Tage zwei Reiter und zwei Reiterinnen vor sich her traben.

Als sie näher kamen, hörten sie, daß diese sich in deutscher Sprache unterhielten.

»Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende, Prinzeß!« sagte einer der Herren.

»Oho, Ernst!« erwiderte die Angeredete mit etwas englischem Klang. »So schön die Tage in meinem geliebten Parke waren, so sehne ich mich ordentlich nach unserer Farm und vor allem nach unsern Kindern zurück: dort fühle ich mich als Königin, wenn ich hier nur Prinzeß bin.«

»Johanne hat recht,« begann die andere Dame, die offenbar eine echte Deutsche war. »Mir geht es ebenso wie ihr.«

»Dann machst auch du Anspruch darauf, Königin zu sein, verehrte Herrin?« sagte der zweite Reiter mit lustigem Lachen.

»Warum nicht?« antwortete Johanne für sie. »Martha ist Königin in ihrem Reiche wie ich in dem meinen; ich glaube gar, sie versteht das Herrschen noch besser als ich. Übrigens kann es für die Herren der Schöpfung nur schmeichelhaft sein, wenn sich ihre Gattinnen als Königinnen fühlen, denn sie selber besitzen demnach die Königswürde!«

»Wenn sie nicht bloß Prinzregenten sind!« meinte Marthas Gatte heiter.

Erst jetzt bemerkten die lebhaft Plaudernden die nahenden jungen Reiter, da auf dem weichen Rasenboden der Hufschlag der Pferde wenig vernehmbar war.

»Heda! Zwei echte sonnengebräunte Cowboys!« rief der als »Ernst« bezeichnete Herr. »Kommt ihr aus der Steppe, oder von den Bergen, oder hat das Lagerfeuer der Indianer eure Gesichter so verbrannt?«

Obgleich er selber die Fremden deutsch angeredet hatte, war der Sprecher doch sichtlich verblüfft, als seine Worte nicht bloß verstanden, sondern auch in tadellosem Deutsch erwidert wurden.

»Die Sonne des Äquators hat den Bleichgesichtern die Farbe der Napo verliehen,« rief nämlich Friedrich, auf den heitern Ton eingehend.

»Beim großen Geist aller Rothäute, da habt ihr einen weiten Ritt hinter euch,« lachte der andre der Herren, der diese Behauptung für einen Scherz hielt. »Und die drei hübschen Affen habt ihr wohl im Kampfe besiegt und führt sie nun in die Sklaverei? Aber mit Verlaub, wenn wir den gleichen Weg haben, dürften wir uns kennen lernen. Wie heißen unsere Brüder von jenseits des Panamakanals?«

»Ulrich Friedung – Friedrich Friedung,« erscholl es von den jugendlichen Lippen.

Erstaunt sahen die andern einander an. Dann ergriff einer der Herren das Wort.

»Ich heiße Karl Weber, dies ist mein Bruder Ernst, hier meine Frau Martha, und dort meine Schwägerin Johanne.«

»Weber?!« riefen beide Jünglinge gleichzeitig. »Sagen Sie uns bloß, kennen Sie unsern Vater? Lebt er noch? Wie geht es ihm?«

»Mein Freund Friedung wohnt in unserer Nähe,« erwiderte Ernst Weber, »es geht ihm gut; aber euer Vater kann er nicht wohl sein, denn seine beiden einzigen Söhne, die allerdings merkwürdigerweise Ulrich und Friedrich hießen wie ihr, fielen einem Schiffbruch zum Opfer.«

»Ach, wir sind ja gerettet! Unsere arme Mutter freilich ist in den Wellen umgekommen!«

Wieder sahen sich die beiden Ehepaare an, und Karl flüsterte seinem Bruder etwas zu, der es dann an die Frauen weiter gab.

»Wenn Friedung also euer Vater ist und ihr seine totgeglaubten Söhne,« nahm Ernst wieder das Wort, »dann segne Gott diesen Tag. Niemals, seit meine Johanne mir im Urwald ihr Jawort gab, erlebte ich eine solche Freude. Mein Gott, welche Wonne, wenn ich dem armen Freunde dieses Glück verkünden darf, oder wenn ihr gleich selbst kommt und wieder Sonnenschein auf sein Antlitz zaubert! Und solche stattlichen, wackeren Söhne! Laßt euch umarmen, Burschen!« Und er umarmte sie stürmisch, und sein Bruder folgte seinem Beispiel.

»Aber wie kommt ihr in den Nationalpark, wenn ihr euren Vater sucht?« forschte Karl Weber.

»Ach! wir vernahmen nur durch einen französischen Professor Lemaistre in Ecuador, daß unser geliebter Vater, den er in Caracas traf, der Einladung seines Freundes Weber nach Montana gefolgt sei, und daß die Farm dieses Weber in der Nähe des Yellowstoneparkes liege; so ritten wir denn durch den Park nach Montana.«

»Da hättet ihr noch lange suchen können, wenn des Schicksals Fügung euch nicht in unsere Arme geführt hätte. Unsere Farmen sind von hier noch weit entfernt, und niemand hätte euch in der Umgegend Auskunft geben können, wo die entlegenen Hütten zu finden seien!«

»Ach, nun ist ja alles gut!« sagte Friedrich.

Unsere Freunde mußten nun auch den neuen Bekannten einen Abriß ihrer Erlebnisse mitteilen, während die weite Strecke bis Bozeman zurückgelegt wurde. Von dort ging es mit der Bahn nach Jocko Agency und dann wieder zu Pferd gegen den Flatheadsee, in dessen Nähe sich die benachbarten Farmen der Brüder Weber befanden. An Unterhaltung fehlte es unterwegs nicht; die Damen besonders hatten auch an den reizenden Äffchen ihre helle Freude.

Die ganze Reise nahm mehrere Tage in Anspruch; und da Ernst Webers Farm erst spät abends erreicht wurde, mußten die Jünglinge das Anerbieten annehmen, dort zu übernachten. Sie konnten zwar ihre Ungeduld kaum mehr zügeln; aber der Weg zu Friedungs Niederlassung betrug noch etwa vier Stunden, und sie hätten ihn allein nicht finden können, mochten auch nicht mitten in der Nacht ihren Vater überraschen.

Karl und Martha hatten noch eine kleine Strecke zu reiten, bis sie ihr Wohnhaus erreichten. Sie versprachen, morgen in aller Frühe mit den Kindern herüberzukommen, und verabschiedeten sich für heute.

Es war ein stattliches Blockhaus, vor dem Ernst Weber seine jungen Freunde einlud, abzusteigen. Johanne war bereits aus dem Sattel gehüpft und eilte ihren Kindern entgegen, die zu zweit unter die Türe gerannt kamen: ein etwa sechsjähriges Mädchen und ein vierjähriger Knabe, beide mit hellbraunen Lockenköpfchen, das Mädchen mit blauen, der Knabe mit treuherzigen braunen Augen. Nachdem die lieblichen Kinder auch den Vater umarmt hatten, reichten sie auch den Jünglingen aus eigenem Antriebe die Händchen. Sie schauten wohl verwundert in die fremden Gesichter, aber ohne die Scheu, die man bei solchen in der Wildnis aufgewachsenen Kleinen wohl hätte erwarten dürfen.

Kaum hatte Johanne ihr Reitkleid gegen einen bequemen Hausrock vertauscht, so zeigte sie sich als emsig besorgte Hauswirtin, die es verstand, ohne viel Umherlaufen und Aufregung ihrem Manne und ihren Gästen die gemütlichste Behaglichkeit zu verschaffen, so daß sich die Jünglinge wirklich wie zu Hause fühlten.

Es war aber auch reizend, dieses Familienleben, das sich in seiner liebewarmen Natürlichkeit durch die Anwesenheit willkommener Gäste in nichts behindern ließ. Die Kinder lachten und plauderten und spielten jauchzend mit den kleinen zahmen Affen; die Hausherrin ging ab und zu, um nach der mehrwöchigen Abwesenheit überall nach dem Rechten zu sehen, das Mahl zu bereiten, sowie die Schlafstätte der Gäste instand zu setzen. Dazwischen fand sie jedoch immer Zeit, ihr Interesse an den geführten Gesprächen zu betätigen. Der Hausvater aber widmete sich mit aller Wärme seinen Gästen, ohne jedoch seine wohlerzogenen Sprößlinge zurückzuweisen, wenn sie zwischenhinein mit einer Frage oder einem kleinen Anliegen kamen.

Mit den fremden Herren hatten die Kinder, Karl und Johanna, bald Freundschaft geschlossen; denn die verstanden es prächtig mit ihnen, und bald wiegte jeder von ihnen eines auf seinen Knien, und Friedrich erzählte den hoch auflauschenden Kleinen die »Märchen« vom Smaragdberg und vom Sonnenvogel Quezal, vom vergoldeten König und dem wunderbaren Schlangenring.

Die Abendmahlzeit war einfach, aber sie mundete köstlich; dann wurden die Kinder zu Bett gebracht, während die Eltern noch bei einer Tasse Tee mit den lieben Gästen plauderten, wobei die Herren aus kostbar geschnitzten Indianerpfeifen in einem Maße qualmten, daß Frau Johanne sagte, sie sei nur froh, daß es in ihrem »rohen« Blockhause keine Gardinen gebe.

Mit der »Roheit« des Hauses war es übrigens nicht weit her; denn Decke und Wände waren reichlich mit wertvollen Waffen und Pfeifen, grimmigen Tierköpfen, ausgestopften Vögeln, Hörnern und Geweihen geschmückt, wiesen auch hier und da kunstvolle Schnitzereien auf – so daß man wenig von den nackten Balken zu sehen bekam.

Am andern Morgen standen unsere Freunde in aller Frühe auf, noch ehe die Sonne die Wipfel des nahen Urwaldes vergoldete. Aber schon kamen Karl und Martha über den mit Pfahlwerk umzäunten Hof; voran sprangen zwei goldlockige, wunderliebliche Kinder, ein Knabe von vier und ein Mädchen von etwa zwei Jahren, Ernst und Martha genannt.

Hintendrein schritt rüstig, wenn auch gemessener, ein alter Herr mit stattlichem, weißen Schnurrbart. Diesem hochgewachsenen Greise sah man den Major oder General im Ruhestand von weitem an, ja, man hätte ihn für den alten Blücher halten können, so ähnlich sah er den Bildern des berühmten Feldmarschalls.

Martha stellte den Jünglingen ihre Kinder und ihren Vater, Major von Seldau, vor; dann drehte sich das Gespräch nur noch um Friedung, den allseits geliebten Nachbarn; jedoch kam es sowohl Friedrich als Ulrich vor, als werde ihnen irgend etwas verschwiegen: manchmal stockte das Gespräch plötzlich, während ein geheimnisvolles Lächeln über die Gesichter huschte.

Allein sie waren viel zu aufgeregt in der freudigen Erwartung, ihren Vater heute wiederzusehen, als daß sie daran gedacht hätten, sich über solche Anzeichen den Kopf zu zerbrechen.

Kaum daß sie noch ein kleines Frühstück genossen hatten, dann baten sie, man möchte ihnen den Weg zu des Vaters Farm weisen.

»Ich begleite Sie natürlich!« sagte Ernst Weber.

»Oh,« seufzte Johanne, »könnte ich nur dieses Wiedersehen belauschen! Aber in den nächsten Tagen kommen wir alle auf Besuch zu Ihnen, und dann muß sich ein lebhafter Verkehr zwischen unseren Farmen entspinnen; bisher hatten wir gar zu wenig von Herrn Friedung. Sein Schmerz machte ihm die Einsamkeit angenehmer, als uns lieb war.«

Noch ein letztes Winken, und die Reiter verschwanden im Urwald.


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