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52. Schwarze Pläne

Etwa zwei Stunden von Tompaipos Lager entfernt befand sich ein zweites Indianerlager am Eingang einer wilden Felsenschlucht. Es war ebenfalls eine Horde der Napoindianer, die sich zeitweilig hier niedergelassen hatte, und zwar befand sich in ihrer Mitte Narakatangetu, »der Rote Papagei«, der Morekuat oder Häuptling der ganzen großen Familie der Napo, die der Nation der Omagua angehört. Die Napo selber zerfallen in mehrere einzelne Stämme, deren einer von Tompaipo beherrscht wurde. Narakatangetu aber war das anerkannte Oberhaupt sämtlicher Napostämme, und auch Blitzhand stand unter seiner Oberhoheit. Freilich hatte der Rote Papagei selten Gelegenheit, seine Macht zu betätigen, denn die Napo sind Nomaden, und ihre einzelnen Stämme ziehen meist weit voneinander getrennt in den Savannen und Wäldern ihrer ausgedehnten Gebiete umher, und da ist denn jeder kleinere Häuptling Selbstherrscher. Wenn es aber einmal Gelegenheit gab, daß Narakatangetu einen Befehl an einen Unterhäuptling erteilen konnte, wurde unweigerlich Gehorsam geleistet. Tompaipo war der einzige, der zuweilen wagte, seinem Vorgesetzten Vorstellungen zu machen, weil Narakatangetu Blitzhands Weisheit hoch achtete.

In der Felsenschlucht, an deren Ausgang sich das Lager befand, finden wir an einem einsamen Plätzchen drei bekannte Gestalten wieder: Don Jose de Alvarez, Diego und Lopez, die drei Mestizen, die ausgezogen waren, El Dorado zu entdecken.

»Wißt ihr das Neueste?« begann Diego, der soeben vom Indianerlager hergekommen war und sich neben den Genossen niederließ.

»Und was wäre das?« forschte Lopez.

»Die sauberen Söhnchen Don Friedungs sind seit zwei Tagen drüben in Tompaipos Lager.«

»Carajo!« rief Alvarez aus, und seine Augen funkelten tückisch. »Diesmal sollen sie uns nicht mehr entkommen! Aber wahrhaftig, der schlaue Miguel hat seine Sache gut gemacht! Ich habe es ihm auch gehörig eingeschärft, daß er die Bübchen, wenn sie nach Nueva Esperanza kämen, hierher weisen solle, wohin wir den Napo folgten; ich versprach ihm eine glänzende Belohnung. Felipe in San Joaquim hat scheint's nichts ausgerichtet. Gut, daß wir unsere Maßregeln so reichlich getroffen haben!«

»Die Hauptsache ist, daß sie da sind,« fuhr Diego fort. »Nun müssen wir überlegen, wie wir sie ins Verderben stürzen wollen. Sie haben noch den deutschen Professor bei sich und einen der Indianer.«

»Das wäre meine geringste Sorge,« lachte Don Jose. »Aber Tompaipo gefällt mir nicht: mir wäre es lieber, sie wären in unser Lager geraten.«

»Je nun! Wir werden doch irgend eine List ausfindig machen, um sie den Indianern ebenso verdächtig zu machen wie weiland ihren Vater,« meinte Lopez.

»Daran soll's nicht fehlen,« beteuerte Alvarez, »und mir dämmert schon ein ausgezeichneter Plan. Ihr wißt, daß ich nicht umsonst Narakatangetus Vertrauen erschlichen habe; was ich von ihm nicht erfahren konnte, habe ich erlauscht, und was ich nicht erlauschte, habe ich durch Nachsinnen vollends herausgebracht. So kam ich zur Entdeckung der geheimnisvollen Höhle.«

»Ach! Was du immer mit deiner Höhle willst: wir waren ja letzthin alle drei darinnen, aber außer den gespenstischen Guacharo ist nichts von Wichtigkeit dort zu finden,« äußerte Diego ärgerlich.

»Caramba! Daß ihr so schwerfällig denkt! Ist es nicht offenbar, daß mit dieser Höhle ein großes Geheimnis zusammenhängt, jedenfalls das Geheimnis, dessen Entdeckung wir uns zum Ziele gesetzt haben? Denkt nur, wie sorgfältig der Eingang der Schlucht versteckt ist: das ist nicht alles Natur, da haben die Menschen nachgeholfen. Noch schwieriger ist es, in der Schlucht selber den Eingang der Höhle zu finden, und dann in der Höhle erst die bewegliche Säule! Na! ich sage euch, die Schlucht und die Höhle hätte ich nie gefunden, wenn ich nicht Narakatangetu heimlich nachgeschlichen wäre, und das Geheimnis der Säule entdeckte ich nur durch einen Zufall.«

»Und was weiter? Wir sahen ja selber, daß nichts dahinter steckt.«

»Narr! Wir haben eben nicht alles gesehen; was hätte denn Narakatangetu dort zu suchen, wenn kein Geheimnis dahinter verborgen wäre? Warum würde er so strenge Befehle geben, daß bei Todesstrafe niemand das Lager verlassen dürfe, wenn er sich dorthin begeben will? Und der junge Indianer, den er letzthin hinrichten ließ?«

»Nun? Was ist's mit dem?«

»Ich habe gelauscht: der junge Mann kam zum Häuptling und berichtete ihm, wie er durch Zufall den Eingang einer verborgenen Schlucht entdeckt habe. Der Morekuat fragte nur, ob er schon jemand anders Mitteilung von seiner Entdeckung gemacht habe; das verneinte der Jüngling. Hierauf ließ Narakatangetu den Armen binden und hinrichten – ohne alles weitere. Ihr seht, daß ein großes und wichtiges Geheimnis mit der Schlucht und Höhle verbunden sein muß, wenn der große Häuptling, der sonst nicht grausam ist, einen Menschen töten läßt, nur weil dieser zufällig Mitwisser eines Teiles dieses Geheimnisses werden konnte. Ich hätte mich daher nie mit euch in die Höhle gewagt, wenn Narakatangetu nicht auf einem Jagdzuge abwesend gewesen wäre.«

»Aber, was soll denn das große Geheimnis sein?«

»Geschwätz! Wenn ich's wüßte, wäre es kein großes Geheimnis mehr. Aber ich vermute, ja, ich bin dessen beinahe gewiß, es handelt sich um nichts anderes als El Dorado.«

»Wie kommst du zu dieser Vermutung?«

»Ganz einfach: hat Narakatangetu nicht ohne alle Umstände Friedung überfallen und seine Farm verwüstet, als ich ihm vorlog, der Deutsche wolle El Dorado ausspionieren? Nie hätte er das getan, wenn er von dem Dorado nichts wüßte und ihm nicht alles daran läge, es geheimzuhalten? Sodann habe ich schon in früheren Jahren dieses ungeheure Felsengebirge von allen Seiten umgangen: ich brauchte vier Wochen dazu – und nirgends sind die steilen Wände zugänglich; der einzige Aufgang muß durch die verborgene Höhle führen.«

»Und wenn wir nun auf die Felsen gelangten?«

»Dann wären wir in El Dorado; ihr seht ja selbst, dort oben hat es Platz genug für Dörfer und Städte, Wälder und Weiden und Seen. Ich sage euch, dort droben ist El Dorado!«

Der Mestize, dem die Ursprünge der Doradosage wenig bekannt waren, verstand unter El Dorado das vielgesuchte Goldland der Omagua und wußte nicht, daß der Name eigentlich den vergoldeten Kaziken von Manoa bedeutete. Diese Unwissenheit teilte er übrigens mit den meisten seiner venezolanischen Landsleute; die Bedeutung der Sagen verändert sich oft im Laufe der Zeiten, und falsche Begriffe schleichen sich unvermerkt ein.

»Nehmen wir an, du habest mit deinen kühnen Behauptungen recht,« nahm Lopez das Wort. »Was hat das alles mit unsern Racheplänen zu tun?«

»Wir spiegeln den jungen Deutschen vor, ihr Vater werde in der Höhle gefangen gehalten oder dergleichen; wir beschreiben ihnen die Eingänge von Schlucht und Höhle, unzweifelhaft begeben sie sich dorthin. Inzwischen erwecke ich Narakatangetus Verdacht, er entdeckt die Missetäter aus den verbotenen Wegen, und wir brauchen keinen Finger weiter zu rühren, ihr Tod ist gewiß.«

»Wohl, wohl!« nickte Diego beifällig. »Aber sie kennen uns und werden uns kein Wort glauben; einen andern aber können wir ohne eigene Lebensgefahr unmöglich ins Vertrauen ziehen.«

»Habe ich auch schon überlegt,« erwiderte Alvarez. »Einer von uns muß sich als Indianer verkleiden oder vielmehr entkleiden, ha, ha, ha! und das Vertrauen der Knaben erschleichen. Mich, der ich vorher bartlos bin, könnten sie leicht erkennen, aber einer von euch, wenn er sich rasiert und bemalt, wird unmöglich zu erkennen sein, zumal euch die Knaben auch noch nie so in der Nähe sahen wie mich.«

Lopez strich seine drei Bartspitzen und weigerte sich entschieden, seinen Stolz zu opfern. Diego zeigte sich zugänglicher und versprach, die Sache auf sich zu nehmen.

In den nächsten Tagen kam oft ein Indianer, der sich Moiatu, das ist »Die große Schlange«, nannte, in das Lager Tompaipos herüber; nach und nach schloß er Freundschaft mit den jungen Deutschen, und bald fing er an, ihnen geheimnisvolle Andeutungen zu machen, er könnte ihnen wohl Auskunft geben über den Verbleib Don Friedungs. Er verkehrte hauptsächlich viel mit Ulrich und bat ihn eines Tages, an einem entlegenen Orte wie zufällig mit ihm zusammenzutreffen und ja alles Aufsehen zu vermeiden. »Ich will meinem Bruder wichtige Enthüllungen machen,« sagte er; »aber kein Roter darf wissen, daß Moiatu dir das Geheimnis vertraut hat. Aus Liebe zu seinen weißen Freunden und aus Mitleid mit ihnen setzt sich Moiatu der größten Gefahr aus; denn er wäre des Todes, wenn es herauskäme, daß er ein Wort von den heimlichen Dingen geredet hat.«


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