Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

56. Lebendig begraben

Die Mestizen glaubten ihre Pläne geglückt; sie waren zwar in der Nacht, da sich die Knaben in die Höhle begeben sollten, im Lager verblieben, um ja kein Aufsehen zu erregen; doch war es Diego gelungen, Narakatangetus Entfernung zu beobachten, und nun zweifelte keiner mehr daran, daß Friedrich und Ulrich von dem schlauen Häuptling in der Höhle überrascht und aus einem Hinterhalte getötet würden; sie dachten eben nicht anders, als der Häuptling werde handeln, wie sie es an seiner Stelle getan hätten.

Daß Narakatangetu in der Nacht den gefesselten Ulrich in sein Zelt verbrachte, wußte kein Mensch im Lager; denn der Häuptling hatte seine Vorkehrungen derart getroffen, daß er unbemerkt hinweg und wieder zurückgelangen konnte; und nur die Mißachtung seiner Befehle hatte es Diego ermöglicht, sein Weggehen auszuspionieren.

Nun aber verbreitete sich alsbald am andern Tage im ganzen Lager die Kunde von Friedrichs unerhörtem Kampfe mit dem Drachen und seinem wunderbaren Sieg. Dadurch erfuhren die Mestizen, daß Friedrich nicht in die Höhle gegangen war, und alsbald begab sich Alvarez zum Häuptling Tompaipo und bat ihn um eine Unterredung unter vier Augen. Tompaipo bestellte den Mestizen auf den Platz am Fuße jenes Hügels, von dem aus Schulze und Friedrich die beiden belauschten.

Ehe er sich jedoch zu dem Stelldichein begab, war der Napohäuptling zu Narakatangetu gegangen, um zu erfragen, ob ihm etwas über Ulrichs Verbleib bekannt sei. Der große Morekuat teilte ihm denn mit, daß er auf Diegos Anzeige hin den Jüngling in der verbotenen Höhle überrascht und sein Leben bisher nur deshalb geschont habe, weil die Äußerungen des Gefangenen den Verdacht in ihm erweckt hätten, die Mestizen trieben ein falsches Spiel und hätten sogar selber schon die Höhle ausgekundschaftet; dem wolle er noch auf den Grund kommen; dann werde ihm aber doch nichts übrig bleiben, als Ulrich aus dem Leben zu schaffen, da er unmöglich dulden könne, daß ein Weißer Mitwisser des heiligen Geheimnisses der Omagua sei, wenn auch nur eines geringen Teiles desselben. Ulrich habe geschworen, daß sein Bruder von der Höhle noch nichts wisse, sonst hätte er auch diesen dingfest machen müssen, was ihm leid getan hätte.

Tompaipo ließ sich von Narakatangetu das Versprechen geben, daß er Ulrich kein Leid antue, ohne zuvor mit ihm noch einmal über den Fall zu reden, er hoffe, einen Ausweg zu finden. Der Morekuat erwiderte, es wäre ihm selber die größte Freude, wenn es sich ermöglichen ließe, den tapfern Jüngling zu retten, aber eine solche Möglichkeit sei undenkbar.

Hierauf begab sich Tompaipo an den Ort, an den er auf den Nachmittag Don Jose de Alvarez bestellt hatte.

Dieser erzählte ihm ziemlich das gleiche, was er auch Narakatangetu vorgespiegelt hatte, und verlangte, er solle Friedrich, der wie sein Bruder nur als Spion in die Gegend gekommen sei, unschädlich machen.

Durch wenige schlaue, anscheinend harmlose Zwischenbemerkungen brachte Tompaipo den Mestizen unmerklich so weit, daß er etwas mehr von seinem Anteil an Ulrichs verhängnisvollem Schritte verriet, als klug war. Aber Blitzhand wußte durch lobende Ausrufe den Spitzbuben zu der Meinung zu bringen, eben dadurch setze er sich dem Napohäuptling gegenüber in ein günstiges Licht. Daher kam ihm denn der Hagel von Ohrfeigen zum Schlusse so völlig unerwartet, daß ihm lange die nötige Besinnung fehlte, um sich dem Gewitter aus heiterem Himmel zu entziehen.

Dann aber eilte er schäumend vor Wut zu den Gefährten zurück, um sofort mit ihnen zu beraten, was nun zu geschehen habe. Sollte Friedrich nicht gewarnt werden und ihrer Rache entrinnen, vielleicht gar selber zum Rächer seines Bruders werden, so galt es rasch zu handeln, ehe er von ihrem Anteil an Ulrichs Tod Wind bekam.

Moiatu, der falsche Indianer, nahm daher noch am gleichen Abend an dem Festgelage in Tompaipos Lager teil. Weder Friedrich noch der Häuptling ahnten, daß er ein Genosse Don Joses war, obgleich Tompaipo gegen den verkappten Mestizen bereits Verdacht geschöpft hatte.

Das Fest dauerte bis in die tiefe Nacht hinein; der Häuptling zog sich gegen Mitternacht zurück. Friedrich, der sich schon lange nach Ruhe sehnte, aber die begeisterten Rothäute nicht durch eine vorzeitige Entfernung vor den Kopf stoßen mochte, folgte nun seinem Beispiel.

Schulze und Unkas, die sich den Palmwein redlich hatten schmecken lassen, lagen bereits in der Hütte im tiefsten Schlafe.

Sobald Friedrich sich entfernt hatte, schlich Diego ihm nach bis in die Hütte; hier eröffnete er dem erstaunten Jüngling, nachdem er sich von dem festen Schlafe der beiden andern Hütteninsassen überzeugt zu haben glaubte, er habe ihm wichtige Mitteilungen über den Aufenthalt seines Bruders zu machen.

Er erzählte nun dem hoch aufhorchenden Knaben, daß die Napo Don Friedung in einer Höhle gefangen hielten, und daß Ulrich gestern zur Befreiung seines Vaters dorthin gegangen, wahrscheinlich aber entdeckt und gefangen genommen worden sei. Jedenfalls befinde er sich noch mit dem Vater in der Höhle.

Moiatu erbot sich nun, Friedrich persönlich dorthin zu begleiten. Dies konnte vom Lager Tompaipos aus unbemerkt geschehen, so daß der Mestize für sich keine große Gefahr befürchtete.

Der falsche Indianer versicherte noch, sie würden die beiden gefesselt, aber unbewacht vorfinden. Bei einiger Vorsicht wäre übrigens auch eine Wache leicht zu überrumpeln.

Friedrich, so überraschend ihm all diese Mitteilungen kamen, glaubte doch keine Ursache zu haben, ihre Richtigkeit in Zweifel zu ziehen, hatte sich doch der Indianer, der sie ihm machte, stets besonders zutunlich zu ihm und Ulrich gezeigt.

So folgte er denn alsbald dem Betrüger. Dieser führte ihn in die Guacharahöhle. An der Stelle, wo die Steinmusik erzeugt wurde, machte Moiatu den Gefährten auf die schwankende Platte aufmerksam, damit er nicht zu Fall komme. Einen Augenblick stand Friedrich still, um den Klängen der Steinorgel zu lauschen. Es waren vier deutlich unterscheidbare Töne, die immer in derselben Reihenfolge wiederkehrten. Man meint, es wolle einer die Melodie »Gott erhalte Franz den Kaiser« oder »Deutschland, Deutschland über alles« spielen, dachte er bei sich, breche aber immer nach den vier ersten Tönen ab, um wieder von vorn anzufangen! – Er ahnte nicht, welche wichtigen Folgen diese Beobachtung später für ihn haben sollte.

Dann aber folgte er dem Beispiel Moiatus, der mit einem Satz über die gefährliche Platte wegsprang. Noch einige Schritte ging es in dem schmalen Gange weiter, dann blieb »Die große Schlange« stehen und untersuchte eingehend die feuchten Wände der Höhle, sie mit einer Fackel scharf beleuchtend.

»Hier ist es!« murmelte der verkappte Mestize, dann bat er: »Möge mein weißer Bruder die Leuchte halten und zurückschauen, ob niemand uns folgt.«

Diese Vorsicht gebrauchte Diego nur, damit Friedrich den Kunstgriff nicht sehen sollte, den er jetzt anwendete.

An der Wand der Höhle war nämlich hier ein Gesteinsauswuchs, der für den Uneingeweihten nichts Auffälliges hatte, weil ähnliche Gebilde überall wiederkehrten; doch hatte dieser kaum fingerbreit hervorstehende Vorsprung die Form einer plumpen Säule, kaum mannshoch und ziemlich breit.

Mit einer raschen Bewegung drückte Moiatu an einer bestimmten durch ein kleines Loch bezeichneten Stelle auf die Säule, in dem Augenblick, als Friedrich seiner Weisung zufolge zurücksah.

»Es folgt uns keine Seele!« sagte Friedrich.

»So möge mein Bruder mir voranleuchten,« bat Moiatu, indem er auf eine Öffnung wies, die genau die Größe der Säule hatte, durch die sie zuvor verschlossen gewesen war.

Höchlichst erstaunt, aber arglos, schritt Friedrich voran; da traf ihn ein gewaltiger Faustschlag in den Rücken, er fiel hin und die Fackel erlosch. Dies eben hatte der Mestize beabsichtigt, da er fürchtete, Friedrich könnte, wenn er Licht bei sich habe, am Ende doch das Geheimnis des Ausgangs entdecken. Dann verschloß der Schurke die Wand wieder mit einem ähnlichen Handgriffe, wie er sie geöffnet hatte. Es gelang ihm dies trotz der ihn umgebenden dichten Finsternis, da er vorsorglich, solange es noch hell war, die Linke auf die Stelle gelegt hatte, von der aus die Säule wieder in ihre alte Lage gebracht werden konnte.

Höhnisch auflachend entzündete Diego eine zweite Fackel, die er bei sich trug; er wußte, daß sich Friedrich nun in einem nicht sehr ausgedehnten Höhlenraum befand, dessen einzigen Ausgang er in der Dunkelheit kaum mehr finden würde und dann jedenfalls nicht zu öffnen verstünde; denn die Stelle, an der das seltsame Tor dem Drucke nachgab, war weniger als handbreit, und es war kaum denkbar, daß einer sie entdecken könne, der das Geheimnis nicht kannte, selbst wenn er nicht in Finsternis begraben wäre.

Friedrich war daher dem Hungertode preisgegeben.

Auf dem Rückweg wunderte sich Diego, daß Ulrichs Leiche nirgends zu sehen war; doch nahm er an, Narakatangetu werde sie entfernt haben.


 << zurück weiter >>