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62. Wiedergefunden

Als Unkas Ulrich glücklich aus dem Lager geführt hatte, in dem dieser gefangen gehalten worden war, riet er ihm zu sofortiger Flucht.

Ulrich aber wollte von einer Flucht ohne seinen Bruder nichts wissen. Da erzählte ihm Unkas dessen trauriges Schicksal und sprach die Vermutung aus, daß der Unglückliche wohl schon dem Hunger erlegen sein müsse.

Ulrich erklärte sofort, sich in die Höhle begeben zu wollen, um nach dem Bruder zu suchen; da er sich dies nicht ausreden ließ, begleitete ihn Unkas, mit einer Fackel versehen, dorthin. Bei den Orgelsteinen vermied es Ulrich wohlweislich, auf die Platte zu treten, die ihn das erste Mal zu Falle gebracht hatte. Bald war auch die Stelle erreicht, wo nach Unkas Aussage Friedrich von Moiatu eingeschlossen worden war. Aber auch Ulrich vermochte, trotz aller Bemühungen und allen Kopfzerbrechens, nicht herauszufinden, wie die Eröffnung dieses Sesams zu bewerkstelligen sei. Er verzweifelte schließlich am Erfolg, und es war nur ein Ausruf des Verzagens, als er mit schmerzlicher Stimme rief: »Friedrich!« Ach! der Bruder konnte ihn durch den dicken Stein hindurch nicht hören, auch wenn er noch am Leben war!

Aber da erscholl die Antwort: »Hier bin ich!« und zwar vom Eingang des Ganges her. Ulrich war es, als höre er eine Geisterstimme; doch schwellte eine freudige Ahnung seine Brust; er wandte sich um und sah in der Nähe der Orgelsteine einen hellen Lichtglanz aus dem Boden hervorbrechen.

»Dort, dort!« rief Unkas, als ob Ulrich nicht auch so viel sähe wie er.

Beide eilten außer sich vor Freude auf die Stelle zu und hoben rasch die Platte auf, deren schwankende Lage ihnen ja schon früher aufgefallen war, ohne daß sie etwas Besonderes darunter vermutet hatten; nun sahen sie im ausgewaschenen Boden ein Loch, das zuvor völlig von der Platte verdeckt gewesen war, und das auch nur infolge des einsickernden Wassers, vielleicht erst seit kurzem, durchgebrochen sein konnte.

Der Lichtschein, der hier heraufleuchtete, blendete sie zuerst vollständig; dann aber sahen sie Friedrichs Kopf auftauchen, und im nächsten Augenblick war der Wiedergefundene mit ihrer Hilfe dem Boden entstiegen und lag in Ulrichs Armen.

Unkas tanzte vor Entzücken einen wilden Indianertanz um die beiden herum, so daß er beinahe in das Loch gefallen wäre.

Nachdem der erste Freudenrausch vorüber war, erzählten die Brüder einander ihre Schicksale. Ulrich besonders war höchlich erstaunt, wie er von den Geheimnissen und Wundern der Inkahöhle und den Gold- und Silberminen hörte; als Friedrich ihm seinen Entschluß mitteilte, auf dem Gipfel des Gebirges nach dem Vater zu forschen, machte er zwar zuerst Einwendungen, da er neue Gefahren für den Bruder befürchtete; mußte jedoch einsehen, daß Friedrich von seinem Vorhaben nicht abzubringen war. Das Unternehmen lockte übrigens Ulrich selber, und so erklärte er ihm, ihn sofort begleiten zu wollen.

»Moiatu,« sagte er, »hat zwar schändlich an uns gehandelt und uns stark belogen; aber etwas Wahrheit war jedesmal in seine Lügen gemischt; so machen es ja die echten Ränkeschmiede, sie benutzen die Grundlage der Wahrheit, um ihr Lügengebäude darauf zu errichten, weil es dann viel eher Bestand hat und ihre Opfer täuscht. Darum halte ich es für gar nicht unwahrscheinlich, daß auch etwas Wahres an dem sein kann, was er von der Gefangenhaltung unseres Vaters in dieser Gegend sagte.«

»Ein Umstand besonders macht mir dies sehr einleuchtend,« meinte Friedrich, »nämlich der, daß Moiatu, der uns doch zuvor gar nicht kannte, überhaupt von unserem Vater etwas wußte und sogar seinen Namen nannte, wie er auch über die Schicksale seines Rancho Nueva Esperanza genau unterrichtet war; dazu kommt noch, daß der alte Miguel uns so bestimmt in diese Gegend wies.« Wie konnte er ahnen, daß der vermeintliche Indianer ein Spießgeselle des schurkischen Alvarez und Miguel durch die Mestizen bestochen worden war.

So wurde denn die Entdeckungsreise beschlossen und Unkas angewiesen, die Platte wieder an ihre alte Stelle zu rücken, wenn die Brüder hinabgestiegen seien. Zu zweit konnten sie ja diese jederzeit wieder emporheben, wenn einer am andern emporkletterte. Dann sollte Unkas die nächsten acht Tage die Lama und alles zur Flucht bereit halten und täglich zweimal unauffällig an einen bestimmten Platz in der Nähe der Schlucht kommen, die zur Guacharohöhle führte. Seien die Brüder nach acht Tagen dort noch nicht erschienen, dann würden sie wohl nicht so bald wiederkehren. Unkas wollte sich durchaus nicht von ihnen trennen, sondern alle Gefahren mit ihnen teilen; allein die Brüder hielten ihm seine Pflichten gegen Schulze vor, dem er auch Kunde von ihnen bringen sollte. Er könne ihnen auf diese Weise viel mehr nützen, während seine Begleitung bei ihrem jetzigen Unternehmen keinen großen Wert für sie haben könnte.

So schied denn Unkas traurigen Herzens von ihnen und verschloß die Öffnung, durch die sich seine weißen Freunde hinabbegeben hatten.

Friedrich wies dem Bruder in den Silberbergwerken ein bequemes Plätzchen an, da Ulrich des Schlafes zunächst am meisten bedürftig war; dann zog er sich in seine unterirdischen Gemächer zurück, sowohl um Vorräte für sich und den Bruder zu holen, als auch um nicht durch sein langes Ausbleiben des geheimnisvollen Greises Verdacht zu erwecken.

Die Umstände sollten sich für seine Pläne so günstig als nur möglich gestalten; denn kaum war er in seine Wohnhalle getreten, als der ehrwürdige Inka eintrat und ihn folgendermaßen anredete: »Dein Vater muß über einen Mondwechsel diese Stätte verlassen; doch hat er dafür gesorgt, daß es seinem Sohne an nichts mangeln wird. Hat aber mein Sohn so viel Gefallen an den Gold- und Silberhöhlen, daß er sich bei ihrer Erforschung länger aufhalten will, so rate ich ihm, sich mit genügendem Mundvorrat zu versehen; das wird ihm auch zustatten kommen, wenn er sich einmal verirren sollte, was ja auch vorkommen kann; doch wird er sich schließlich immer zurückfinden, da die Gänge, so zahlreich sie sind, nicht verworren, sondern sehr regelmäßig angelegt wurden, wie in allen Bergwerken der Inka.«

Damit entfernte sich der Greis. Friedrich aber belud sich mit Eßwaren und suchte den Bruder wieder auf, den er in tiefem Schlafe fand. An seiner Seite gönnte er sich nun auch einige Stunden Ruhe, und als sie beide fast zu gleicher Zeit erwachten, war es etwa um die Mittagszeit des l2. März.

Nun stärkten sie sich durch Speise und Trank, nahmen für alle Fälle noch etwas Vorrat mit, und traten alsdann ihre Entdeckungsreise an.


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