Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

31. In der Gewalt der Guahibo

Das Bett des Orinoko wurde immer breiter, und große Inseln teilten den Strom in mehrere Arme; der Charakter des Urwalds veränderte sich nun insofern, als seit langer Zeit zum ersten Male die Palme wieder auftrat, die von unseren Freunden als langvermißte Bekannte freudig begrüßt wurde.

Der Weg führte durch die verlassene Jesuitenmission Pararuma, an der Insel Javanavo vorbei und über die Mündung des Canno Aujacoa. Hier erblickten die Reisenden den Mogote de Cocuyza, wohl die merkwürdigste Felsbildung, die sich überhaupt denken läßt; wie bei dem Tepupano de los Tamanacos bei Encaramada kann man sich des Gedankens nicht erwehren, man habe hier das gewaltige von Menschenhänden aufgetürmte Denkmal eines untergegangenen Riesengeschlechtes vor sich. Hoch über die höchsten Wipfel der Urwaldriesen steigt ein vereinzelter, dreieckig gestalteter Granitfelsen mitten aus einem Palmenwalde empor, seine über sechzig Meter hohen Wände sind schroff und kahl. So bildet er eine gleichmäßig geformte Riesensäule. Und oben auf dem Fries dieser natürlichen Säule liegt eine große, flache Felsplatte wagrecht auf. Was aber das merkwürdigste ist und dem unvergleichlich malerischen Anblick etwas ganz Märchenhaftes verleiht, ist der Umstand, daß auf jener Felsplatte wiederum Bäume stehen: in einer Höhe von sechzig Metern wächst ein Wald hoch über dem Urwald, frei, wie auf einem Präsentierteller! Diese wunderbare Steinsäule mitsamt ihrem merkwürdigen Walde hob sich scharf gegen den klaren Abendhimmel ab.

Schulze war außer sich vor Erstaunen, und während die andern, von dem Anblick überwältigt, schwiegen, mußte er, wie immer, seinen Gedanken und Gefühlen Worte verleihen: »Wenn einer das malen wollte, ja wenn er es photographierte – niemand würde es glauben! Das ist die Unwahrscheinlichkeit, ja, die Unmöglichkeit selber; das soll nun die Natur so zusammengekleistert haben? Ne! Wenn ich nicht meine sechs gesunden Sinne und meine vier Augen bei mir hätte, ich würde es jetzt noch nicht glauben. Aber nun glaube ich einfach alles: ich glaube an den Kristallberg, an den Magnetberg, an die goldene Stadt Manoa und meinetwegen auch an das Vorhandensein des Fabeltiers, dessen Nichtvorhandensein ich nachzuweisen gedenke.«

Ulrich lachte. »Ihre vier Augen sind Ihnen ja nicht abzustreiten, Herr Professor; aber sechs Sinne? Stimmt das auch?«

»Warum nicht? Sie meinen wohl, weil die meisten Menschen nur vier Sinne haben?«

»Vier?« fragte nun Friedrich verwundert.

»Na ja, junger Freund, es ist doch nicht zu leugnen – man braucht nur an die Mode zu denken – daß es den meisten Menschen völlig am Geschmacke fehlt, leider! Ich aber rühme mich meiner sechs Sinne, denn als Gelehrter habe ich deren naturgemäß mindestens sechs; und der sechste, für einen Professor der unentbehrlichste, ist der Scharfsinn: Sie meinen doch nicht etwa Blödsinn?! Natürlich, wenn Sie mich so nach meinem Gerede beurteilen – aber ich sage Ihnen, wenn ich erst ans wissenschaftliche Auseinandersetzen und Beweisen gehe, da dampft mir der Scharfsinn aus allen Poren.«

»Und der gute Humor bewahrt seine Schärfe vor dem Schartigwerden, das ist noch das Beste dabei! Hören Sie, Herr Professor, jeden Tag werde ich dankbarer, daß wir einen ebenso gelehrten wie muntern Reisegefährten in Ihnen gefunden haben. Mir graut ordentlich beim Gedanken, wir hätten die weite Reise ohne Sie machen müssen! Da uns der Himmel solch ein Glück zuteil werden ließ, bin ich auch mehr denn je voller freudiger Zuversicht, daß er auch das Endziel unserer Fahrt krönen will und uns unseren Vater gesund und fröhlich wiederfinden lassen wird.«

Schulze erwiderte ganz beschämt: »Lassen Sie man, junger Freund! Ich sage Ihnen, der Vorteil bei diesem gemeinsamen Reisen ist völlig auf meiner Seite. Ganz abgesehen von dem Vergnügen, das mir Ihre Gesellschaft tagtäglich gewährt, und von dem Gefühl der Sicherheit, das ich so mutigen und schießkundigen Jägern in diesen Wildnissen verdanke, lerne ich auch von Ihnen allerlei Nützliches. Es ist ja gewiß etwas Schönes um die Wissenschaft; doch mit ihr allein kommt man hierzulande nicht weit. Mit all meinen zoologischen Kenntnissen kann ich mir weder einen Braten erobern noch ein Raubtier vom Halse schaffen. Na, da ist mir's doch lieber, ich habe zwei solche Helden und praktische Lehrmeister zur Seite, als wenn ein ganzes Dutzend weltberühmter Kollegen mit Köpfen voll herrlicher Weisheiten mir das ehrenvolle Geleite gäbe.«

Es begann nun rasch zu dunkeln. Das Bett des Orinoko verengte sich wieder; auf dem linken Ufer drängte sich ein flachgipfeliger Berg wie ein Vorgebirge in den Strom, die Fortaleza de San Francisco Xavier oder die »Jesuitenschanze«, ein Berg, der auf alten spanischen Karten auch den Namen »Trinchero del despotismo monacal« führt, das heißt »Schanze der mönchischen Willkür«. Warum er diesen bezeichnenden Namen erhielt, werden wir bald erfahren.

Auf diesem Berge, der die Umgegend beherrschte und eine weite Aussicht gewährte, standen zwei hagere, dunkelfarbige Männer und spähten scharf aus nach den Reitern, die ihrerseits von den Beobachtern nichts sehen konnten; denn diese waren fast bis auf die Augen durch die Mauerruinen der alten Missionsfestung gedeckt.

»Es war doch ein guter Gedanke von mir, den Berg zu ersteigen,« hub der eine an. »Ich dachte mir's wohl, daß die Halunken uns auf den Fersen seien: aber sie sind entdeckt und ahnen unsere Nähe nicht; das bedeutet schon halb unseren Erfolg und ihr Verderben! Was meinst du, Alvarez?«

»Mag sein, Diego, aber auch bloß halb; wir haben sie noch nicht, und sie sind nun zu fünft, wie ich sehe.«

»Pah! Wenn wir die Guahibo auf sie hetzen ...«

»Wird schwer halten! Du weißt, die Roten setzen ihr Leben so ungern aufs Spiel wie wir, und wenn sie einmal merken, wie sicher die Kugeln dieser Kunstschützen treffen, werden sie den Kampf bald aufgeben: wir müssen eine List ersinnen.«

»Also! Sinne nur zu; das ist dein Fall!« lachte Diego. Und nachdem die Späher beobachtet hatten, wo die Reiter ihr Lager aufschlugen, eilten sie den Hügel hinab und fuhren auf einer bereitstehenden Pirogue über den Fluß, an dessen jenseitigem Ufer sie landeten, das heißt eben an demjenigen, wo unsere Freunde lagerten.

Am Waldsaume hatte eine Indianerbande vom Stamme der Guahibo ihr Lager aufgeschlagen. Die Weiber waren emsig mit allerlei Zubereitungen beschäftigt, während die Männer um die eben entzündeten Feuer herum hockten, trinkend und rauchend, aber selten ein Wort sprechend.

An einem dieser Feuer saß lebhaft redend und gestikulierend ein Mestize; der Häuptling jedoch, den er mit seinem Wortschwall überflutete, gab ihm nur spärliche Antwort.

Da kamen Alvarez und Diego im Lager an und berichteten dem Häuptling ihre Beobachtungen. »Die Weißen,« sagte Alvarez, »kennen wir gut: sie sind ausgezogen, um geeignete Stätten zur Niederlassung für europäische Auswanderer zu suchen und zugleich nach einer goldenen Stadt des Omaguastammes zu forschen, von der sie fabeln, daß sie im Lande der Napoindianer zu finden sei.«

Diese Worte brachten Leben in den Häuptling; er sprang auf und rief: »Die Omagua sind freie Krieger! Gottlob, daß die Missionen nicht mehr da sind! Die Napo und Guahibo werden nicht dulden, daß die Weißen wiederum ihre Steinzelte in den freien Jagdgründen der Sonnenkinder aufrichten; wo sind die Kundschafter? Meriyoko wird ihnen die Lust austreiben, in den Wäldern und Llanos der Omagua und Guahibo zu lagern.«

»Die Guahibo müssen die Spione mit List überwältigen; denn sie haben Feuerrohre, die nie fehlen.«

Sonnenauge, das bedeutet nämlich der Name des Häuptlings Meripoko, ließ sich gern dazu überreden, die vermeintlichen Feinde zu überlisten; denn die Indianer Südamerikas zeichnen sich, wie wir bereits wissen, im allgemeinen nicht durch kriegerischen Mut aus, obgleich es auch einzelne Stämme gegeben hat, die Wunder der Tapferkeit verrichteten, wie zum Beispiel die Tayronen: das waren aber Ausnahmen.

Friedrich und Schulze waren ausgezogen, um an den Ufern des Paruasi dem Wild aufzulauern, als plötzlich aus dem Gebüsch zwei Indianer auf sie zu traten.

Diese unerwartete Erscheinung erschreckte sie nicht wenig; namentlich Schulze versah sich des Schlimmsten und legte schon auf einen der Ankömmlinge an; aber Friedrich rief ihm zu, keine Torheit zu begehen, da die Wilden unbewaffnet seien und durch Reden und Gebärden ihre freundschaftlichen Absichten kundtäten. Sie sprachen ein gebrochenes, aber immerhin verständliches Spanisch, und bald waren sie in lebhaftester Unterhaltung mit den weißen Jägern. Namentlich bezeugten sie die größte Neugier, die Einrichtung der Magazingewehre näher kennen zu lernen. Friedrich erklärte ihnen alles mit Freuden, und jeder der Indianer nahm eines der Gewehre zur Hand und betrachtete es mit solch ungekünstelter Neugier, daß selbst Schulze, völlig beruhigt, über die kindliche Harmlosigkeit dieser Naturkinder lächelte.

Aber, was war das? Plötzlich machten diese harmlosen Naturkinder kehrt und waren mitsamt den Gewehren im dämmernden Walde verschwunden. Nach dem ersten Augenblicke der Verblüffung setzten die beraubten Jäger den Flüchtlingen nach. Allein im Dickicht standen mehrere Guahibo verborgen, diese umzingelten im Nu unsere Freunde und hatten sie trotz der heftigsten Gegenwehr bald gefesselt.

Inzwischen hatten zwei andere den Versuch gemacht, Ulrich in der gleichen Weise zu überlisten. Da waren sie aber an den Unrechten gekommen, der Jüngling gab sein Gewehr nicht aus der Hand und schärfte Unkas und Matatoa größte Wachsamkeit ein.

Die Guahibo entschlossen sich daher zu einem Massenangriff, und da es ihnen leicht war, die Gegner von allen Seiten zu umzingeln, so gelang ihnen auch deren Überwältigung, freilich nicht, ohne daß mehrere der Angreifer durch Ulrichs Kugeln schwer verwundet worden wären.

Hätte Ulrich an Unkas und Matatoa ebenbürtige Helfer gehabt, so wären die Guahibo gewiß unverrichteter Sache gewichen; so aber, auf ebenem Grunde, ohne gute Deckung, im unsicheren Dämmerlicht und von allen Seiten umzingelt, konnte selbst ein Schütze wie Ulrich nicht lange Widerstand leisten; er wurde mitsamt den roten Dienern gefesselt und in das Guahibolager geschleppt, in dem sich Friedrich und Schulze bereits in gleich betrübtem Zustande befanden.

Das war ein trauriges Wiedersehen, da beiden Teilen die Hoffnung auf Befreiung durch die Gefährten geraubt wurde, als sie sahen, daß es den anderen nicht besser gegangen war als ihnen selbst.

Die Indianer beratschlagten nun, was mit den Gefangenen anzufangen sei. Meriyoko erklärte, die Entscheidung habe Otomak, der Oberhäuptling, zu treffen; er werde ja bald von seinem Jagdzug zurückkehren.

Die Mestizen wollten davon nichts wissen, denn sie kannten Otomaks bedächtiges Wesen nur zu gut; er würde den Gefangenen kein Leid zufügen, ehe er nicht vollkommen von ihrer Schuld überzeugt war; überdies mißtraute dieser den Mestizen in einem solchen Maße, daß sie bereits entschlossen waren, ihren Aufenthalt im Indianerlager kurz abzubrechen.

Meriyoko hingegen war den drei Schurken sehr gewogen; denn die schlauen Gesellen hatten des Unterhäuptlings Schwächen erkannt und ihn durch plumpe Schmeicheleien ganz für sich gewonnen.

Auch jetzt redeten sie ihm ein, er sei weiser und entschlossener, mutiger und tatkräftiger als Otomak, in dessen Abwesenheit er überhaupt als alleiniger Oberhäuptling zu handeln habe: »Mein Bruder,« sagte Lopez, »wird den Guahibo und allen Sonnenkindern zeigen, daß er ihr wahrer Schutz und ihre Rettung ist, so wird sein Ansehen und seine Macht unter ihnen wachsen wie der zunehmende Mond; denn Meriyoko ist mehr als zehn Otomake.«

Solche Schmeichelreden bestimmten den schwachen Unterhäuptling, rasch zu handeln, einige Pfeilschüsse sollten dem Leben der unglücklichen Gefangenen ein schnelles Ende bereiten.

Don Jose aber war von solch grausamer Rachgier erfüllt, daß er seinen Feinden keinen leichten Tod gönnte; langsam sollten sie hingemordet werden, und er wollte sich an ihren Qualen weiden und in giftiger Verhöhnung seiner Opfer schwelgen. Was Schulze und die beiden Indianer betraf, so hieß es für den Mestizen: »Mitgefangen, mitgehangen!« Die grausamen Triebe des Spaniers, die sich in der spanischen Inquisition so deutlich zeigten und heute noch bei den blutigen Stierkämpfen zutage treten, waren in diesem herzlosen Mestizen ganz besonders lebendig; keine größere Wollust kannte er als den Anblick unmenschlicher Qualen, die solche Leute erdulden mußten, die er nicht leiden konnte.

Bisher hatte er noch keine Gelegenheit gefunden, dieser Lust so recht zu frönen; diesmal aber sollte sie ihm nicht entgehen. Seine Gefährten stimmten hierin ganz mit ihm überein.

»Ich will euch lehren, wie man solche Schurken straft,« sagte Alvarez zu Meriyoko. »Eure roten Brüder gegen Mitternacht sind darin viel geübter als ihr; lasset nur mich machen.«

»Die Gefangenen gehören meinem Bruder,« erwiderte Meriyoko, neugierig auf des Mestizen Verfahren, »er hat sie entdeckt und die List erdacht, durch die wir sie überwältigten; er befehle, was mit ihnen geschehen soll.«

»So entkleidet die Elenden und hängt sie mit den Händen in einer Reihe an diesen Baumast, daß sie frei schweben und in der Luft zappeln und tanzen können, während ihre Arme sich hübsch ausdehnen!«

Der Befehl wurde ausgeführt, und bald schwebten die Leiber der Unglücklichen in der Luft, mit dem ganzen Gewicht an den Handgelenken hängend. Schon dies allein wurde binnen weniger Minuten zur unerträglichen Qual, da die Gelenke und Muskeln in schrecklicher Weise auseinandergezerrt wurden.

Nun aber gebot der teuflische Mestize, Laub und dürre Zweige unter den Füßen seiner Opfer anzuhäufen und in Brand zu stecken: »Solch ein Schauspiel werdet ihr noch nie genossen haben, rote Brüder,« rief Alvarez. »Da sollt ihr einen Tanz sehen! Gebt acht, wie sie die Füße hinaufziehen und zappeln, wenn es unter ihnen heiß wird!«

In der Tat war es eine furchtbare Qual, als die Flammen gegen die Fußsohlen der Unglücklichen emporzüngelten, und Schulze versuchte auch durch krampfhafte Bewegungen seine Beine zeitweise aus dem Bereiche der Glut zu bringen. Ulrich und Friedrich hingegen gönnten ihren Henkern ein solches Schauspiel so wenig wie Unkas und Matatoa; denn einmal waren sie stolz genug, um eine solch übermenschliche Standhaftigkeit zu zeigen, sodann sagten sie sich, daß sie mit allem Gezappel ihre Qualen nur verlängern konnten, ohne dem Tode des langsamen Verbrennens zu entgehen.

Die Mestizen, besonders Alvarez, suchten durch allerlei höhnische Reden die Ärmsten zu reizen; es gelang ihnen aber nicht; nur kalte Verachtung war in den regungslosen Gesichtern der jungen Deutschen zu lesen, und die Guahibo begannen hohe Bewunderung für diese Helden zu empfinden.

Schon waren die Füße der Gemarterten mit Brandblasen bedeckt, als plötzlich eine scharfe Stimme erscholl: »Seit wann üben die Krieger Otomaks die barbarischen Gebräuche der spanischen Eroberer vor dreihundert Jahren? Wer hat diese Schändlichkeit angeordnet?«

Aufs heftigste erschrocken wandte sich Sonnenauge um; er beeilte sich, den erzürnten Oberhäuptling zu versichern, daß dies alles auf Anordnung der Mestizen geschehe.

»Seit wann haben Fremdlinge im Lager Otomaks zu gebieten? Löschet das Feuer, ihr Krieger, und jaget die frechen Mestizen mit der Seekuhpeitsche hinaus! Und mit Meriyoko wird Otomak später die Sprache der Gerechtigkeit reden.«

Die Mestizen warteten nicht auf die Seekuhpeitsche, im Nu hatten sie ihre Maultiere erreicht, die außerhalb des Lagers weideten, und da niemand sie verfolgte, konnten sie die Reittiere satteln und die Lasttiere mit dem Gepäck beladen, um dann in höchster Eile ihre Flucht durch den Urwald zu bewerkstelligen.

Unsere Freunde wurden unterdessen aus ihrer qualvollen Lage befreit, ihre Füße mit zerquetschten Heilkräutern verbunden und ihre Kleider und Waffen ihnen wieder zugestellt. Ihr mutiges Verhalten hatte bereits des Indianerhäuptlings Herz für sie eingenommen; dennoch ließ sich ein leises Mißtrauen in den Blicken entdecken, die er ihnen von Zeit zu Zeit zuwarf, während er sie an ein Feuer inmitten des Lagers bringen ließ.

Hier streckten sich die Erschöpften, denen jeder Schritt unsägliche Qualen bereitete, auf dem Moosteppich nieder; Otomak aber entfernte sich, um an Meriyoko eine gebührende Strafe vollziehen zu lassen. Inzwischen konnten die Ruhenden das Treiben im Lager beobachten.

Zum ersten Male sahen unsere Freunde ein Lager freier Indianer; es bot aber nicht gerade einen begeisternden Anblick. Stumpfsinnig saßen die Männer um ihre Feuer und stierten schweigsam in das Getränke, das sie sich brauten; andere waren damit beschäftigt, ihr furchtbares Pfeilgift, das Curare, herzustellen, wobei sie die größte Vorsicht gebrauchen mußten, um sich nicht selbst durch eine geringe Verletzung den Tod zuzuziehen.

Die Weiber bereiteten abseits den roten Farbstoff, Onoto, indem sie das Wasser peitschten, worein sie den Samen der Bixa orellana geworfen hatten.

An der Bemalung des Leibes konnte man hier reich und arm, vornehm und gering unterscheiden. Da die Farben größtenteils nicht dauerhaft sind, sondern in Regen und Schweiß rasch verwischen, muß die umständliche Bemalung immer wieder erneuert werden. Die rote Farbe ist die geschätzteste und kostspieligste. So erkannte man sofort die Wohlhabendsten daran, daß ihr ganzer Körper rot bemalt war; andere wiesen nur mehr oder weniger zahlreiche rote Striche auf und begnügten sich im übrigen mit gelber Bemalung. Die Ärmsten färbten nur einen Teil des Körpers oder mußten sich gar mit ihrer natürlichen roten Hautfarbe zufrieden geben.

Auch die kunstvolle Art der Muster, mit denen der Leib bedeckt war, wies auf Unterschiede des Ranges oder des Vermögens hin; der Häuptling war leicht daran kenntlich, daß er besonders kunstvolle Zeichnungen an Gesicht, Brust, Rücken, Armen und Beinen auswies; in die roten Arabesken und Gitter schlangen sich bei ihm schwarze Linien, die mit dem ätzenden Farbstoff des Caruto hervorgebracht waren, der viel dauerhafter ist als alle anderen Farben.

Überdies trug er einen bunten Hauptschmuck und ebensolchen Lendenschurz, aus den prächtigsten Federn der Arara und Kolibri zusammengestellt. Diese besondere Zierde, die übrigens bei den Indianern sehr selten zu finden ist, verlieh ihm ein äußerst malerisches und ehrfurchtgebietendes Aussehen. Er war überhaupt ein schöner, hochgewachsener Mann, dessen lebhafte Augen und kluge Gesichtszüge wohltuend gegen die dummen Gesichter um ihn her abstachen.

Nicht lange konnten die Ankömmlinge ihre stummen Betrachtungen anstellen; denn Otomak kehrte nach kurzer Zeit zurück und ließ sich würdevoll an ihrer Seite nieder. Bald darauf führten einige Indianer die Maultiere mit dem Gepäck der Weißen herbei.

Eine Zeitlang verharrte Otomak schweigend und entlockte seiner Pfeife kräftige Wolken; er schien in tiefes Nachsinnen versunken. In der Tat besann er sich, wie er es am besten angreifen sollte, den Gästen eine nähere Erklärung über den Zweck ihrer Reise zu entlocken. Es lag ihm viel daran, hierüber Gewißheit zu erlangen; denn die Guahibo wollten um jeden Preis verhindern, daß sich die Weißen wieder in ihren freien Jagdgründen niederließen, und jeder weiße Reisende erweckte zunächst in ihnen den Verdacht, er wolle nach günstigen Plätzen für neue Niederlassungen suchen.

Eine unmittelbare Frage aber hätte sich Otomak nie erlaubt, denn der Indianer hält Neugier für eine weibische Untugend und vermeidet es ängstlich, in deren Verdacht zu kommen! Darum schlägt er lieber die größten Umwege ein, um durch anscheinend gleichgültige Bemerkungen nach und nach zu erfahren, was er zu wissen wünscht.

So begann denn auch Otomak endlich mit geheuchelter Harmlosigkeit: »Es ist lange her, daß die Guahibo weiße Gesichter in ihren Wäldern gesehen haben; seit die roten Söhne der Wildnis wie vor Zeiten wieder allein ihre Jagdgründe beherrschen, nahen sich keine fremden Jäger ihren Lagerfeuern.«

»Ja, diese Gegenden werden so gut wie gar nicht mehr bereist,« stimmte Ulrich bei.

Schulze, der sich am besten auf die »bilderreiche Sprache« der Indianer zu verstehen glaubte, konnte nun auch nicht länger schweigen. »Mein Auge sieht viele edle Krieger um die Lagerfeuer; die Guahibo bedecken die Erde wie die Grashalme der Llanos.«

»Otomak hat viele tapfere Krieger, und der Tod wohnt in der Spitze ihrer scharfen Pfeile; aber nur wenige sind mit ihm hierhergezogen, und die Lager der Guahibo sind noch zahlreich zwischen dem Meta und dem Sinaruco.«

»Otomak ist ein gewaltiger Häuptling der Guahibo, und seine Macht erfüllt uns mit Bewunderung,« erwiderte Schulze im Brustton der Überzeugung.

Der Häuptling lächelte kaum merklich. »Die Guahibo sind zahlreich wie die Arahu im Orinoko; Otomak gebietet nur über eine geringe Zahl; aber in der Stunde der Gefahr stehen die Häuptlinge zusammen, und dann erfüllen ihre roten Krieger den Urwald wie die roten Ameisen, und nichts vermag ihnen zu widerstehen. Vorzeiten standen viele von ihnen im Dienste der Weißen; denn der Geist der Zwietracht hatte ihre Kraft gebrochen; aber die weißen Männer sind wieder in ihre Lager zurückgekehrt, und die roten Söhne der Wildnis freuen sich ihrer Freiheit und werden sie nicht mehr preisgeben!«

»Will man euch eure Freiheit wieder rauben?« fragte Friedrich.

»Wenn die Weißen kommen, die alten Stätten ihrer Niederlassungen zu schauen, ist es nicht ihre Absicht, auszukundschaften, wo sich neuer Raum finde für ihre Hütten?«

»Ich glaube nicht,« sagte Ulrich, »daß diese Urwälder so bald wieder besiedelt werden; seit Jahrzehnten denkt ja kein Weißer mehr daran, hier neue Niederlassungen zu gründen, wurden doch viele der alten verlassen; auf unserer Reise sahen wir viele Trümmer, die Zeugen waren von der Verödung blühender Stätten.«

»Suchen nicht meine weißen Freunde Raum unter den Guahibo? Unermeßlich sind unsere Jagdgründe, und sie werden finden, was sie begehren; aber die Guahibo werden die Herren ihres Landes bleiben, und die Weißen sollen ihnen als Gäste und Freunde willkommen sein; doch ihre Gesetze und Ordnungen sollen nur für sie selber gelten, der rote Krieger will nach den Satzungen seiner Väter leben.«

»Daran tut ihr recht!« bemerkte nun Ulrich. »Wir aber wollen uns nicht hier niederlassen: wir reisen nach dem Amazonas, um unseren Vater zu suchen, und dieser hier will nur Tiere und Pflanzen studieren.«

Otomaks Gesicht hellte sich sichtlich auf. »Otomak weiß, daß die Weißen solche Dinge gerne schauen und ihre Namen und Bilder in Bücher schreiben; und das ist sicher große Weisheit, obgleich sie keinen Wert hat; aber auch unsere Kinder spielen gerne mit den Eiern der Arahuschildkröte und freuen sich ihrer Gewandtheit im Ballspiel; jedem sein Vergnügen, wenn es dem anderen nicht Schaden bringt – das ist Otomaks Meinung.«

»Du scheinst nicht allen Weißen zu trauen?« gab Ulrich forschend zurück.

»Wenn die Nacht nicht so dunkel wäre,« sagte der Häuptling düster, »so würdet ihr dort drüben einen Berg schauen, den eure Brüder heute noch El Castillo nennen; er hat Mißtrauen in die Seele des roten Mannes gesät.«

»Wir sahen den Berg, als die Dämmerung nahte,« nahm Schulze wieder das Wort.

»Wohl, von diesem Berge kann euch Otomak blutige Dinge erzählen; doch zuvor nehmet das Mahl ein, das meine Krieger euch bereitet haben.«

Die hungrigen Gäste griffen denn herzhaft zu und ließen sich die ohne Schüsseln und Teller aufgetragenen Gerichte trefflich munden. Die Mahlzeit bestand vornehmlich aus Krokodilbraten und Jarumakuchen.

Wenn freilich unsere Freunde bei der Zubereitung dieser leckeren Kuchen zugegen gewesen wären, so wäre es mehr als zweifelhaft, ob sie trotz ihres großen Hungers so lebhaft zugegriffen hätten; denn der Jaruma besteht aus dem geriebenen Marke der Morichepalme, das mit dem Fette dicker Käferlarven reichlich untermengt worden ist.

Prosit Mahlzeit! Aber – was man nicht weiß, macht einem nicht heiß; und so wurden die Kuchen von den harmlosen Weißen ebenso behaglich verzehrt wie von den weniger bedenklichen Söhnen der Wildnis.


 << zurück weiter >>