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58. Der alte Barbarossa

Als Friedrich sich in dem feuchten, dunklen unterirdischen Raume durch die Tücke eines Verräters eingeschlossen sah, tat er, was wohl jeder an seiner Stelle getan haben würde: er tastete an den Wänden hin, ob er nicht irgendwo einen Ausweg finden oder die Art entdecken könne, wie er den von Moiatu verschlossenen Eingang wieder öffnen könne.

Nichts aber verriet ihm dessen genaue Lage, und so tastete er sich mehrere Stunden lang an den feuchten Wandungen hin und wußte nicht, ob er sich in einem unendlich langen Gange oder in einem kleineren Raume befinde, in dem er sich immerfort im Kreise bewege.

Es läßt sich kaum etwas Grauenhafteres denken als das Gefühl, lebendig begraben zu sein. So mutig Friedrich sonst war, so kühn er selbst einer so entsetzlichen Gefahr getrotzt hatte, wie der Kampf gegen den gräßlichen Wurm sie mit sich gebracht hatte – hier in der beklemmenden Einsamkeit, in der undurchdringlichen Finsternis und im Angesichte eines schauerlichen Todes packte ihn ein nie empfundenes Grauen, und die Sehnsucht nach Licht und Leben regte sich ungestüm in seiner Seele.

Es ist kein Wunder, daß er in der ängstlichen Hast, einen Ausweg zu finden, gar nicht daran dachte, daß er doch ein Feuerzeug bei sich hatte. Erst als er, vom langen Umherirren ermüdet und bereits von quälendem Hunger geschwächt, sich auf dem schlüpfrigen Boden niederließ, fiel ihm das ein.

Man sagt vom Ertrinkenden, daß er sich an einen Strohhalm klammere. Friedrich empfand in der Tat eine Freude und neue Hoffnung bei dem Gedanken an sein Feuerzeug, das ihm doch nur wenig nützen konnte; es war ihm, als hätte er schon einen Ausweg aus seinem unterirdischen Grabe gefunden. Mit zitternden Händen suchte er die Streichhölzer hervor, und welche Wonne, als das kleine Licht des ersten Hölzchens die grauenvolle Nacht erhellte!

Er sah bei dem Schein, daß er sich allerdings in einem gewölbeartigen Raum befand, der nur von geringem Umfange war, ein Umstand, der seine rasch aufflackernde Hoffnung ebenso rasch wieder dämpfte.

Dann gedachte er der erloschenen Fackel, entzündete ein zweites Holz und fand sie auf dem Boden liegend. Alsbald eilte er sie aufzuheben und steckte sie mit einem dritten Zündholz an.

Nun waren Hunger und Müdigkeit vergessen, und ein neues Suchen begann: jeder Zoll der Wände, der Decke und des Bodens wurde sorgfältig abgeleuchtet, aber nirgends war etwas zu sehen, das auf eine verborgene Öffnung hingewiesen hätte, und als die Fackel heruntergebrannt war und erlosch, war Friedrich wieder so weit, daß er alle Hoffnung aufgab.

Die Erschöpfung ließ ihn in einen ohnmachtähnlichen Schlaf verfallen, in dem liebliche Träume ihn umgaukelten.

Als er erwachte, dauerte es eine geraume Weile, bis er wieder voll zum Bewußtsein seiner trostlosen Lage gelangte; der rasende Hunger mahnte ihn zuerst daran. Er ergab sich nun in sein Schicksal und bereitete sich auf einen langsamen, aber sicheren Tod vor. Seine Seele dem barmherzigen Gott empfehlend fand er im Gebet einen Trost, der ihm alle Angst vor dem Sterben nahm.

Als er diese Ruhe des Gemüts wiedergewonnen hatte, raffte er sich erst wieder aus seiner anfänglichen Gleichgültigkeit der Verzweiflung auf und achtete es für seine Pflicht, noch einen Versuch zu machen, ob er keinen rettenden Ausweg zu finden vermöchte. Freilich, Hoffnung hatte er keine! Was er beim Scheine der Fackel nicht fand, wie sollte er es in der völligen Dunkelheit finden? Seine wenigen Zündhölzer konnten ihm nichts weiter nützen, auch wollte er sie vorerst noch sparen.

Aber eben die Dunkelheit, die seine Lage so zu verschlimmern schien, sollte sich ihm als Retterin erweisen. Als er nämlich wieder tastend dicht an den Wänden hinschritt, glaubte er plötzlich, einen hellen Funken zu gewahren, nicht größer als einen Stecknadelknopf. Hätte er Licht besessen, so hätte dieser schwache Schimmer niemals sein Auge getroffen. Anfänglich glaubte er an ein Trugbild der überreizten Sehnerven unter dem Einfluß der Einbildung, die einem wohl etwas von dem vortäuschen kann, was man mit Anspannung aller Gedanken und Sinne sucht. Aber das Lichtpünktchen leuchtete fort und fort, stets an der gleichen Stelle, und Friedrich hatte bald festgestellt, daß es durch eine kaum merkliche Ritze fiel.

Wenn es noch eine Hoffnung gab, so war sie an diese Stelle gebannt. Friedrich blieb also hier stehen und untersuchte den Felsen rings um den winzigen Hoffnungsstern herum. Er fand nichts, aber er probierte und probierte, ob nicht durch irgend einen Druck oder Handgriff ein Nachgeben eines Teiles der Wand zu erzielen sei.

Er glaubte, sich an eben der Stelle zu befinden, durch die Moiatu ihn hier hineingestoßen hatte, und der Lichtschimmer schien darauf hinzuweisen, daß sich in der Guacharohöhle Menschen befanden. Friedrich fiel es nicht ein, zu überlegen, ob es freundlich oder feindlich gesinnte Leute sein mochten. Lieber Feinden in die Hände fallen, als in diesem schauerlichen Grabe noch länger zu verweilen.

Er rief auch aus Leibeskräften und stieß mit dem Flintenkolben gegen die Wand, ja, er gab einen Schuß ab, um sich vernehmlich zu machen; aber alles schien nur im Gewölbe unheimlich widerzuhallen und darinnen begraben zu ersterben, ohne daß die Schallwellen es vermochten, die dicken Steinmauern zu durchbrechen.

Friedrichs größte Sorge war jetzt, daß der schwache Lichtschein, dieses kaum sichtbare Pünktchen, erlöschen möchte und er dann vollends gar keinen Zusammenhang mit der Außenwelt, keinen noch so geringen Anhaltspunkt für seine Befreiungsversuche mehr besäße.

Da, auf einmal glitt einer seiner tastenden Finger in eine Vertiefung, und als hätte er auf einen elektrischen Knopf gedrückt, zeigte sich eine augenblickliche, wenn auch langsame Wirkung: ein Teil der Wand wich unter seinen Händen und drehte sich wie in Angeln nach innen; das Lichtpünktchen ward zum Streifen, der Streifen zum Band, und zuletzt zeigte sich eine breite Öffnung, durch die das Licht hereinflutete.

Friedrich befand sich vor einigen in den Felsen gehauenen Stufen, die er gleich einem freigelassenen Vogel emporflog; auf der obersten aber blieb er wie gebannt stehen.

Er stand unter einem hohen, verhältnismäßig schmalen Torbogen, der frei in einen großen Saal führte. Dieser Saal, dessen Decke aus einer Anordnung von Wölbungen bestand, die auf zahlreichen wundervoll gearbeiteten Säulen ruhten, war ganz in den nackten Stein gehauen. Da der Stein aber Bergkristall war, der hier ohne deckende Kruste zutage trat, so glitzerte und flimmerte alles in tausend Lichtern. Die Quelle der Beleuchtung war unsichtbar, es schien aber, als ob das ungeschwächte Sonnenlicht überall eindringe; denn keine künstliche Lichtquelle konnte wohl solche Tageshelligkeit verbreiten.

Die Wände und die Säulen waren nicht glatt, sondern mit zahllosen, wie zufälligen Unebenheiten bedeckt, die den Anschein erwecken konnten und wohl auch sollten, als handle es sich um Gebilde der Natur und nicht um ein Werk von Menschenhand; und alles – Wände, Säulen und Decke – wimmelte von Tiergebilden aus durchsichtigem Edelgestein: da hockten gelbe Kröten, da krochen grüne Leguane, da wanden sich rote Korallenschlangen an den Säulen empor; braune Skorpione und graue Spinnen schienen am Gewölbe zu hängen – und das alles blitzte und funkelte in buntem Glanz.

Aber nicht dieses märchenhafte Schauspiel war es, das Friedrichs Augen gebannt hielt: nicht ferne von dem Eingang, unter dem er sich befand, saß an einem rohen Steintisch ein Greis von hünenhafter Gestalt, umwallt von einem langen Mantel, der ganz aus leuchtenden, bunten Federn zusammengesetzt war; sein Haupt hielt er in die Hand gestützt; er schien zu schlummern. Lang wallten seine weißen Locken, und sein Bart flutete herab auf den Tisch und von diesem hernieder bis zum Boden, als sei er durch die Steinplatte gewachsen. Dieser herrliche Bart war ebenfalls schneeweiß; aber der Widerschein einiger rubinroter Schlangen an den nächststehenden Säulen verlieh ihm einen roten Schimmer.

»Der alte Barbarossa, Der Kaiser Friederich, Im unterird'schen Schlosse Hält er verzaubert sich,« murmelte Friedrich vor sich hin. Es war ihm wie ein Traum, als befände er sich im fernen deutschen Vaterland und sei in die Höhle des Kyffhäuser geraten. Ja, so deutlich verwirklicht sah er vor sich die Barbarossasage, daß er sich nicht denken konnte, er befinde sich in Columbia, fast durch die ganze Erdkugel von Deutschland getrennt. Und hier unter der Erde hörten auch die Unterschiede von Natur und Klima auf: nur die fremdartigen Tiergebilde der Tropen, die den Raum zierten, erinnerten daran, daß an diesem Orte keine germanische Sagengestalt hausen könne, wenn sie auch an und für sich getreulich das Bild ins Leben umsetzte, das Friedrichs Einbildung sich seit frühen Kinderjahren von dem verzauberten Hohenstaufenkaiser im Kyffhäuser ausgemalt hatte.


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