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76. Ein schreckliches Ende

Wir haben gehört, daß Narakatangetu sofort nach Ulrichs Flucht und Diegos Tod die beiden überlebenden Mestizen, Alvarez und Lopez, gefangennahm. Er gedachte auch nicht lange mit ihrer Hinrichtung zu zögern und wollte ihnen nur vorher ein Geständnis erpressen, um zu erfahren, wieviel sie vom Geheimnis der Omagua wüßten, und welche Mitwisser sie etwa noch hätten.

Doch hatte er zu wenig mit der Geriebenheit seiner Gefangenen gerechnet. Diese hatten an den Fall ihrer Gefangennahme gedacht und beizeiten eine List vorbereitet, die ihnen möglicherweise zur Freiheit verhelfen sollte. Sie versicherten Narakatangetu, sie wüßten weit mehr, als er ahne, und sie könnten ihm die Männer angeben, die das Geheimnis verraten hätten, versprachen auch alles freiwillig zu gestehen, nur möchte er ihnen erlauben, zuvor den bösen Dämon zu beschwören, von dem die Enthüllung ursprünglich herstamme, und der seine Wohnung im Tale aufgeschlagen habe, an dessen Eingang sich das Lager befinde. Er müsse dann dem Dämon das Versprechen abnehmen, das Geheimnis nicht weiter auszuplaudern, sonst sei er vor Verrat zu keiner Zeit sicher.

Obgleich Narakatangetu als Heide an Dämonen glaubte, ahnte er doch hinter dieser Zumutung irgend eine List; er gab daher nur unter der Bedingung nach, daß seine Gefangenen während der Beschwörung gefesselt bleiben sollten.

Sie erklärten, daß dies wohl sein könne, da er selber nach ihrer Anweisung imstande sei, die notwendigen Handlungen vorzunehmen; er dürfe jedoch nicht mehr als drei Mann mitnehmen, und sonst solle es niemand gestattet sein, sich in der Nähe des Taleinganges aufzuhalten. Narakatangetu, entschlossen, alle Vorsicht zu gebrauchen, ging auf diese Bedingungen ein.

Am Eingang der Schlucht fand er ein kleines Häuflein dürrer Blätter und Zweige; Alvarez gab an, der Häuptling und seine drei Begleiter müßten um diesen Haufen herumstehen und ihn anzünden, dann werde der Dämon auf die Beschwörungsworte des Mestizen hin im Rauche erscheinen und ihnen in allem zu Willen sein.

Das sah aus wie eine Geisterbeschwörung nach der Art, wie sie auch sonst vorgenommen wird; dennoch wandte Narakatangetu argwöhnisch ein: »Und wenn die Napo in das Feuer schauen, entweichen ihre listigen Gefangenen.«

»Wie könnten sie fliehen, da sie an Händen und Füßen gebunden sind? Aber, daß ihr sicher seid, stellt uns zwanzig Schritte weiter hinein ins Tal, so steht ihr zwischen uns und der freien Ebene; da die Schlucht nur den einen Ausgang hat, müßten wir gebunden durch das Feuer hindurch und über euch hinweg, wenn wir entkommen wollten.«

Der Häuptling glaubte aus Vorsicht folgen zu sollen, und nun schien eine Flucht der Mestizen ein Ding der Unmöglichkeit. Alsbald stellten sich die Indianer um den Blätterhaufen und zündeten ihn an, es mußte sich ja gleich offenbaren, ob die Mestizen wahr gesprochen hatten; warum sie in dieser Sache gelogen haben sollten, konnte Narakatangetu trotz seines Mißtrauens sich nicht denken, auch schien es ihm sehr einleuchtend, daß bei dem Verrat eines durch Jahrhunderte so sorgfältig gehüteten Geheimnisses, das hier unten ihm allein bekannt war, ein böser Geist im Spiel sein müsse.

Alvarez rief mit lauter Stimme seine Beschwörungsformeln, da erfolgte ein dumpfer Knall, die Erde unter den Füßen der Indianer wurde emporgeschleudert, und eine Feuersäule schoß empor. Zwei der Indianer waren buchstäblich zerrissen, einer an den Felsen zerschmettert, der Häuptling war einige Schritte gegen den Ausgang der Schlucht geschleudert wurden, wo er anscheinend leblos liegen blieb.

Trotz ihres entfernten Standpunktes, den die Mestizen, unmerklich rückwärts rückend, möglichst weit weg vom Feuer zu verlegen gesucht hatten, warf auch sie der Luftdruck zu Boden.

»Die haben ihr Teil!« sagte Alvarez, sich aufraffend. »Es war ein guter Gedanke von dir mit der Mine, Freund Lopez!«

»Nun aber zum Messer!« sagte dieser, sich ebenfalls emporrichtend.

Mühsam kamen die beiden auf die Füße und begaben sich an eine Stelle, wo sie ein Messer mit dem Griff fest in einen Felsenspalt eingerammt hatten. Lopez rieb die Bande seiner auf den Rücken gefesselten Arme an der vorstehenden Schneide, bis sie durchschnitten waren, dann löste er das Messer aus dem Spalt und durchschnitt seine Fußfesseln, um dann auch Alvarez zu befreien.

Hierauf eilten sie über Narakatangetus Körper hinweg ins Freie. Don Jose versetzte dem Häuptling einen Fußtritt; hätte er geahnt, daß der regungslos Daliegende nur betäubt war, gewiß hätte er ihm zuvor den Dolch ins Herz gestoßen. Aber die beiden hatten Eile, wenn sie auch hoffen durften, daß Narakatangetus Verbot, sich der Schlucht zu nähern, trotz der weithin donnernden Sprengung von den Indianern nicht übertreten werde.

Mit aller Vorsicht begaben sich die Flüchtlinge außer Bereich des Indianerlagers, dann rannten sie, so schnell ihre Füße sie trugen, dem Rio Miguel und von dort dem Rio Aguarico zu. Sie kamen auch glücklich nach Quito, wo sie sich mit ihrem Geld, das ihnen von den Indianern nicht abgenommen worden war, neu ausstatteten. Zehn Wochen warteten sie hier, gegen Ende Mai aber zogen sie wieder vorsichtig gegen den Rio Miguel, um auszuforschen, wann die Indianer wieder ostwärts zögen, damit sie alsdann ohne Gefahr ihre Entdeckungen weiter verfolgen könnten.

Ihre in Quito angeworbenen spanischen Diener mußten die Gegend auskundschaften und berichteten bald, daß die Indianer noch immer zwischen dem Rio San Miguel und dem Putumayo lagerten; die Mestizen zogen sich daher wieder in die Berge zurück, von wo aus sie von Zeit zu Zeit die Diener auf Kundschaft aussandten.

Alvarez hatte sich in Quito mit einem guten Fernrohr versehen, mit dem er oft von den Höhen aus die Ebene gegen den San Miguel hin musterte; denn die Napo kamen hier und da nach Quito, wohin sie in hohlen Bambusstäben Goldstaub brachten, um dafür Waren einzutauschen, die sie brauchten.

Eines Tages beobachtete Don Jose wieder die Straße, die an den Anden heraufführte, als plötzlich ein Fluch seinen Lippen entfuhr.

»Carajo! Wenn mich nicht alles trügt, so sind es diese deutschen Hunde, die hier heraufkommen! Wahrhaftig, sie sind's! Und der gelehrte Esel mit zwei indianischen Spitzbuben ist bei ihnen. Weiß der Kuckuck, wie sie uns wieder in den Weg laufen! Aber diesmal hat ihre letzte Stunde geschlagen!«

Schnell berieten die Mestizen, wie sie am besten ihre Rache ausführen könnten. Der Weg führte stellenweise an schauerlichen Abgründen vorbei; nichts war leichter, als sich hinter Felsen zu verbergen und im Augenblick, wo die Reisenden vorbeikamen, jäh hervorzubrechen und sie in die Tiefe zu stürzen.

Ein günstiger Platz zur Ausführung dieses verbrecherischen Vorhabens war bald gefunden; nur ein Umstand machte den Mestizen Sorge: sie waren mit ihren Dienern nur zu viert; die Ankömmlinge aber zu fünft; doch hatten sie ja ihre Waffen, und wenn erst vier hinabgestürzt waren, konnten sich alle gegen den fünften wenden. Schließlich hatten sie es auch bloß auf die Weißen abgesehen, und die Indianer, von denen einer vorausging, der andere den Zug abschloß, würden nicht so töricht sein, ihr Leben für ihre Herren aufs Spiel zu setzen.

Den scharfen Augen des vorausschreitenden Indianers, die eines Fernrohrs nicht bedurften, waren jedoch die vier Gestalten am Wege nicht entgangen; ja, er glaubte in zweien von ihnen bestimmt die entflohenen Mestizen aus Narakatangetus Lager zu erkennen. Als er sah, wie sie sich hinter den Felsen verbargen, witterte er gleich Unrat und teilte seine Beobachtung seinen Begleitern mit.

Schulze schlug alsbald vor, umzukehren und einen andern Weg über das Gebirge zu wählen; Ulrich aber meinte, wegen dieser Spitzbuben wolle er keinen Umweg machen, zumal er keine Angst vor ihnen empfinde.

Der Napo, der die Feinde entdeckt hatte, entwickelte einen anderen Plan: sie sollten einander in großen Abständen folgen, vor dem Vorübergehen am Hinterhalt befestige er seinen Lasso an einem Felsen und wickle ihn im Weiterschreiten ab, so daß die etwa Hervorstürzenden, die das Manöver kaum bemerken konnten, darüber zu Fall kämen. Gegen eine Kugel decke er sich durch den Leib des Lamas, und so sollten es die andern auch machen. Dadurch, daß sie großen Abstand hielten, könnten sich die Feinde höchstens auf einen von ihnen stürzen, dem dann die andern mit ihren Feuerrohren Hilfe leisten könnten; der Angegriffene aber solle sich sofort zu Boden werfen und sich am Lasso festhalten.

Schulze war schwer zu bewegen, sich vorwärts zu wagen, der Plan schien ihm schwach und die Sachlage ungemütlich. Schließlich aber wollte er nicht feige erscheinen und gab nach. Es sollte aber gar nicht so weit kommen. Ehe die Gefährdeten noch den Hinterhalt erreicht hatten, kam von oben her auf dem gewundenen Felsenpfad eine Indianerkarawane herab, etwa zehn Mann mit ebensoviel Lama.

Der Napo gab den Leuten ein Zeichen, daß Gefahr lauere; aber schon sprang Alvarez' Diener, der mehr Mut als Verstand besaß, aus seinem Versteck hervor und umfaßte den nächsten Indianer, um ihn hinabzustürzen: er glaubte, das seien die Leute, denen die Mestizen Verderben zugedacht hatten, und wollte sich die große Belohnung verdienen, die Don Jose für einen kühnen, erfolgreichen Angriff versprochen hatte. Er war aber bei dem Indianer an den Unrechten gekommen. Obgleich er mit solcher Wucht hervorgebrochen war, daß er den Roten hart an den Rand des Abgrundes stieß, wahrte dieser doch sein Gleichgewicht und faßte den Spanier am Kopf. Es entspann sich ein gräßliches Ringen, dessen Ende abzusehen war und auch alsbald erfolgte: die beiden festumschlungenen Männer verloren den Halt unter den Füßen und stürzten mit einem gellen Aufschrei in die Tiefe, wo sie, auf den Felsen aufschlagend, zerschellten.

Wie die Katzen waren die übrigen Indianer an der rauhen Felswand emporgeklettert und drangen nun wütend in die Schlupfwinkel ein. Bald waren Lopez und der andere Diener erfaßt und trotz ihrer verzweifelten Gegenwehr gefesselt. Mit wildem Triumphgeheul stürzten die Indianer die Unglücklichen dann in den Abgrund.

Alvarez hatte sich vorgesehen und war entkommen. Er jagte den Felspfad hinab, vorbei an denen, die er hatte verderben wollen, und die ihn, eng an die Felsen gedrückt, unbehelligt vorüber ließen. Der vorderste Indianer tat dies nur auf Friedrichs strengen Befehl. Der andere Napo aber, der den Zug beschloß, hatte nicht verständigt werden können, denn alles spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab. Zwar mußte auch er den Mestizen vorbeilassen, weil dieser wie der Sturmwind daherraste; aber er hatte seinen Lasso bereitgehalten, der alsbald über den Kopf des Flüchtigen sauste, und ihn im nächsten Augenblick mit gewaltigem Ruck zu Boden ritz. Der Sturz war so heftig, daß Alvarez' Körper dem Abgrunde zurollte und über den Wegrand hinabkollerte; doch hatte der Mestize Geistesgegenwart genug, seine Hände in den Felsen zu krallen, so daß er über der Leere schweben blieb.

Schon wollte der Napo ihn vollends hinabstürzen, als Friedrich ihm zurief, das Leben des Elenden zu schonen. In diesem Augenblick aber durchbohrten zwei Pfeile, von den entgegenkommenden Indianern gesandt, die krampfhaft sich festklammernden Hände des Mestizen, die sich alsbald lösten. Der Napo mußte den Lasso loslassen, um nicht mit ins Verderben gerissen zu werden; Don Jose de Alvarez aber folgte mit einem gräßlichen Fluch seinen Gefährten in die Tiefe, wo der zerschmetterte Leichnam gleich den ihren eine Beute der Zamuro wurde.

Tief erschüttert über diese Szenen des Entsetzens setzten unsere Freunde ihren Weg fort; der Napo aber, der sie zuerst gewarnt hatte, sagte ernst: »Sie haben, was sie verdienten: Cachimana hat ihnen das Schicksal bereitet, das sie uns zudachten, und Jolokiamo wird ihre Seelen in Empfang nehmen!«


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