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60. Neue Hoffnung

Die Halle, in der Friedrich gespeist hatte, wurde ihm von dem alten Inka zum Wohngemach überlassen; einen zweiten, dahinter befindlichen Raum durfte er sich als Schlafzimmer einrichten: dazu schien er auch bestimmt; denn er enthielt eine Art Bettlade aus einer Gesteinsart, die als schlechte Wärmeleiterin dem Holz nichts nachgab; auch floß eine Quelle durch die Halle, sowohl Wasch- als Trinkwasser liefernd. Ein breiter Gumpen, aus dem sie unterirdisch abfloß, bot eine herrliche Badegelegenheit. Die notwendigsten Ausstattungsstücke verschaffte der Inka seinem Schützling – oder Gefangenen – ohne daß dieser die Leute zu Gesicht bekam, die sie dem Greise überbrachten.

Von Friedrichs Schlafhalle aus führte ein Gang in den Berg hinein, und der alte Inka gestattete dem Jüngling ausdrücklich, darin zu wandern, so weit er nur wolle. Er wußte wohl, daß die einzigen Wege zum Tageslicht nach zwei verschiedenen Seiten nur durch den großen Saal führten, in dem er sich selber aufhielt; und beide Ausgänge, sowohl die Höhle, in die Friedrich durch den Mestizen eingeschlossen worden war, als einen andern Weg, von dem der Jüngling noch nichts wußte, ließ er mit Wachtposten beständig besetzen, seit sich ein Fremder hier unten befand.

»Du wirst der Wunder genug schauen,« sagte der Inka zu Friedrich, »wenn du die Gänge durchwandelst, die von deinen Hallen aus in den Berg führen, und gerade das wirst du erblicken, was euch Weißen am schönsten und begehrenswertesten erscheint, und wofür ihr Ströme Bluts vergießet und unsäglichen Jammer über andere und über euch selber heraufbeschwört: Gold und Silber in zahllosen Adern. Nirgends wohl finden sich beide Metalle so nahe beieinander wie in diesen uralten Bergwerken. Als wir sie vor langer, langer Zeit verließen, waren sie ausgebeutet; aber seit wohl dreihundert Jahren hat sie kaum eines Menschen Fuß mehr betreten; ich selber bin nie mehr hineingekommen, denn mich verlangt nicht, zu sehen, was mich und meine Brüder vor Zeiten ins Unglück brachte. Wenn wir übrigens solche Schätze brauchten, so hat der Berg der Adern noch genug, die kaum angegriffen sind. Weil aber die Edelmetalle da, wo die Natur sie bildet, mit der Zeit immer wieder von neuem erstehen, so werden auch dort unten in dem ausgebeuteten Bergwerk die Metalle seit dreihundert Jahren in solcher Fülle wieder angewachsen sein, daß sie dein Auge blenden und dein Herz erfreuen werden, wenn es auch, wie ich dir ansehe, die Gier nicht kennt, die so viele deiner Brüder vertiert.«

Da sich der Inka im übrigen wenig mitteilsam zeigte und Friedrich sich selbst überließ, so begann dieser alsbald mit der Besichtigung der Stollen. Zur Beleuchtung diente ihm ein sonnenhell strahlender Stein, der nach der Aussage des Greises aus dem Stoff bestand, der am dauerndsten und vollkommensten das Tageslicht aufspeichere, und der nur Licht und keine Wärme abgebe.

Um nicht geblendet zu werden, mußte der Jüngling den Stein auf seinem breiten Hute befestigen. So machte er zuerst kurze Ausflüge in die Bergwerke, dann immer ausgedehntere, wobei er sich seinen Weg genau merkte. Dieser bot übrigens gar keine große Gefahr des Verirrens, da die weitverzweigten Seitenhöhlen immer schmäler waren als die Hauptgänge und alle von einem besonders geräumigen Stollen abzweigten. Bei seiner Rückkehr von solchen Ausflügen fand Friedrich jedesmal Speise und Trank in Menge für sich bereitgestellt.

Die Bergwerke, die er zu seiner Unterhaltung durchwanderte, boten ihm einen feenhaften Anblick. Auf der einen Seite, bergauf zu, funkelte alles von lauterem Gold, wobei eine Abwechslung fast nur durch die Form der Gänge und die größeren und kleineren Hallen, von denen sie unterbrochen wurden, geboten ward. Da und dort trat aber auch dunkel das nackte Gestein zutage und erhöhte durch den Gegensatz die Herrlichkeit des Goldglanzes.

Auf seinen Entdeckungsfahrten durch dieses wahre Dorado gelangte Friedrich immer höher hinauf, oft führten Hunderte von Stufen aus einer Schicht in eine höher gelegene. Zuletzt gelangte er in einen schmalen Kanal, in dem das Metall ganz verschwand und die nackte Erde die Wände bildete, so daß es schien, als habe ein großes Tier sich hier eine Höhle gegraben. Diese Vermutung wurde Friedrich zur Gewißheit, als er eine weitere Aushöhlung erreichte, in der ganze Haufen abgenagter Knochen lagerten, und als er zuletzt über sich eine Öffnung gewahr wurde, die offenbar ans Tageslicht führte.

Leider konnte er sie nicht erreichen, da der Aufstieg zu glatt und steil war. »Wenn ich nur jemand hätte, auf dessen Schultern ich klettern könnte,« dachte er, »so käme ich gewiß da hinaus und auf den Gipfel der großen Hochebene, die von außen unersteiglich schien; und wer weiß? Wenn etwas Wahres daran sein sollte, daß mein lieber Vater von den Napo in diesen Höhlen gefangen gehalten wurde – dort oben könnte ich ihn vielleicht finden!«

Er nahm sich vor, irgendein Werkzeug zu suchen, und wenn es nur ein geeigneter Stein gewesen wäre, mit dem er sich die wenigen Stufen graben konnte, die erforderlich schienen, um dort hinauf zu gelangen.

Er war sich wohl bewußt, daß dies gegen den Willen des alten Inka war, aber er war dem Greise gegenüber keinerlei Verpflichtung eingegangen. Welches Recht hatte denn der Alte, ihn gefangen zu halten und ihm zu verwehren, nach dem Vater zu suchen?

Dieser Weg zum Gipfel des Berges war jedenfalls dem Inka völlig unbekannt; er hing nicht ursprünglich mit dem Bergwerk zusammen, sondern war das Werk eines Tieres und offenbar erst viel später angelegt, nachdem das Bergwerk längst aufgegeben worden war. Und da nach der Aussage des Greises seit dreihundert Jahren kein Mensch sich mehr um die verlassenen Stollen bekümmerte, konnte auch keiner um diesen eigentümlichen Zufall wissen, der die Verbindung eines alten Schachtes mit der Oberwelt hergestellt hatte.

Ehe Friedrich jedoch seinen Plan ausführte, wünschte er auch die unteren Teile des Bergwerks zu durchforschen; er hatte eine Hoffnung, die er sich kaum eingestand, so verwegen schien sie ihm selber. Konnte nicht auch dort irgendwo der Zufall einen Ausgang geschaffen haben, den er als erster entdecken sollte? In solch einem Falle hätte er vor allen weiteren Schritten zunächst Schulze und Tompaipo aufsuchen können, um zu erforschen, ob sich inzwischen sein Bruder wieder eingefunden habe, oder ob etwas über dessen Schicksal in Erfahrung gebracht worden sei.

Jedenfalls verschlug es nichts, wenn er das untere Bergwerk vor allem andern genau untersuchte: an Zeit fehlte es ihm ja hier am allerwenigsten. Wenn er aber den beabsichtigten Aufstieg bewerkstelligte, so wußte er nicht, was ihn dort oben erwartete, und ob er überhaupt wieder zurückkehren werde. Darum schien es ihm am geratensten, die Ausführung dieser Absicht noch zu verschieben. Bot das untere Bergwerk keinen Ausgang, so war ihm sein Weg von selbst vorgezeichnet.


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