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61. Die Orgelsteine

Mit diesem Entschluß kehrte Friedrich in seine Wohnräume zurück, um sich durch einen Imbiß und einige Stunden Schlaf zu seiner neuen Entdeckungsreise zu stärken.

Der Jüngling hatte bereits alle Zeitrechnung verloren. Eine Uhr hatte er wohl bei sich, aber sie war stehen geblieben, und hier unten konnte er nicht einmal wissen, ob es Tag oder Nacht sei.

Wie lange er damals in der engen Höhle eingeschlossen war, ahnte er nicht, und welche Zeit seither vergangen war, noch weniger. Wie es jedem geht, der in kurzer Zeit viel erlebt und viel Neues sieht, war er geneigt, die verflossene Zeit für weit größer zu halten, als sie in Wirklichkeit war; es schien ihm manchmal, als befinde er sich schon seit Wochen hier unten! Daß dies nicht in Wirklichkeit der Fall sei, konnte er wohl ausrechnen, wenn er nur zählte, wie oft er in der Unterwelt geschlafen hatte; dennoch glaubte er, es möchten immerhin etwa sechs Tage sein, seit er Moiatu in die Höhle gefolgt war. In Wahrheit war es aber nicht einmal so lange.

In der Nacht vom 7. auf den 8. März hatte Moiatu seinen Schurkenstreich an ihm verübt; kaum zwanzig Stunden später war Friedrich in den Saal des Inka gelangt. Am 9. und 10. März machte er seine ersten kurzen Entdeckungsreisen in das Bergwerk, stets mehrere an einem Tag – oder in einer Nacht. Am Vormittag des 11. März entdeckte er den Gang, der ihm Aussicht bot, ins Freie auf den Berggipfel zu gelangen. Nun war es am gleichen Tage, etwa abends 8 Uhr, als er sich wieder auf den Weg machte; er nahm vorsorglich einige Mundvorräte mit, um auch bei einer großen Ausdehnung der Bergwerke nach nördlicher Richtung ihre Endpunkte erreichen zu können, ohne durch Hunger zur Umkehr genötigt zu werden; schlafen konnte er ja überall.

Es war eben die Nacht, in der Ulrich durch Unkas befreit wurde.

Der untere Teil des Bergwerks, den Friedrich nun durchwanderte, zeigte keine Spur von Gold; dagegen flimmerte alles um ihn her von klarstem Silber, und er war fast geneigt, diesen Anblick für weit herrlicher zu halten als den des roten Goldes, weil er seinen Blick für das Schöne nicht durch den Gedanken an den Geldwert beeinflussen und trüben ließ.

Unterwegs überlegte Friedrich, daß es eigentlich eine tolle Hoffnung von ihm sei, es möchte sich ein merkwürdiger Zufall in ähnlicher Weise zweimal an gleicher Stelle wiederholen; überdies, gewann er viel durch eine Rückkehr ins Lager der Napo? Er wollte ja doch unter allen Umständen, ob er nun Ulrich fand oder nicht, seiner ersten Entdeckung späterhin nachgehen, und zwar ehe der Inka sein Entweichen ahnen konnte. Endlich, war es überhaupt denkbar, daß Ulrich wiedergefunden worden sei? War es nicht viel wahrscheinlicher, daß er in ähnlicher Weise wie er selbst in die Höhle eingeschlossen wurde und vielleicht auf andern Wegen zu den Höhen gelangt war, wo Friedrich den Vater suchen wollte? Es konnte doch etwas Wahres an der Erzählung des falschen Moiatu gewesen sein; immerhin schien es nicht ausgeschlossen, daß der Weg von den Goldminen aus zur Oberwelt auch zu einer Wiedervereinigung mit Ulrich führen konnte.

Doch was Friedrich einmal begonnen hatte, führte er auch durch; und so durchforschte er vorerst jeden Seitengang der Silberminen bis auf die geringsten Abzweigungen. Er fand bald heraus, daß diese Silberbergwerke gar nicht tief hinabführten; einige Schächte, die senkrecht in die Tiefe zu gehen schienen, waren allerdings völlig verschüttet. Immerhin waren die Stollen so vielverzweigt, daß der Jüngling schon über fünf Stunden gewandert war, als er endlich an einer Stelle, wo der Haupttunnel jäh aufhörte, den letzten Seitengang erreichte.

Auch dieser bot nichts, was Friedrichs Hoffnung hätte Nahrung geben können, und schon wollte der Enttäuschte umkehren, da er das Ende des Stollens vor sich sah – als er im Hintergrunde einen dunklen Punkt bemerkte; dieser erwies sich bei näherem Zusehen als ein Erdloch, durch das der Jüngling sich mühevoll hindurchzwängte. Er sah aber bald, daß er nichts gewonnen hatte; es handelte sich nur um eine größere Auswaschung des Erdbodens, die das spärlich von oben herabsickernde Wasser nach und nach gebildet haben mochte. Unten verschwanden die dünnen Wasserfäden in unscheinbaren Spalten, die vielleicht in die verschütteten unteren Teile des Bergwerkes führten.

Friedrich war im Begriff, sich wieder durch das enge Loch in die Silberminen zurückzubegeben, da – horch! Was war das? »Deutschland, Deutschland – Deutschland, Deutschland« ... Das war ja deutlich die Melodie der Orgelsteine, die ihm in der Guacharohöhle aufgefallen war; kein Zweifel, die Orgelsteine befanden sich unmittelbar zu seinen Häupten, über sie tropfte das Wasser hier herab, sich mit andern Tropfen zu dünnen Fäden vereinigend, und vielleicht war die Decke, die sich über seinem Kopfe schloß, lange nicht so undurchdringlich, wie sie aussah.

Der durch diese Entdeckungen und Vermutungen ebenso überraschte wie erregte Jüngling, der in dem niedern Raume nur gebückt stehen konnte, stemmte sich nun mit aller Kraft gegen den Stein, der den vom Wasser ausgehöhlten Kamin nach oben zu verschloß, und siehe da! es war nur eine dünne Platte, die sofort nachgab. Dennoch stand Friedrich nicht hoch genug, um sie völlig hinwegheben zu können; da vernahm er einen Ruf von oben: »Friedrich!« – »Hier bin ich!« antwortete er, und wenige Sekunden darauf wurde die Platte von oben her abgehoben.


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