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8. Der Mestize

Zum Nachtessen begaben sich unsere Freunde in den Treppenflur der Posada, wie man in Venezuela die besseren Gasthöfe nennt, während die geringeren Schenken »Pulperia« geheißen werden. Der Flur war, wie gewöhnlich hierzulande, gleich einer Veranda der Straße zu offen. Ein buntes Treiben herrschte da draußen in der Dämmerung; die Menschen selber, die da teils zu Fuß, teils auf Pferden, Eseln oder Maultieren vorüberzogen, wiesen alle nur möglichen Schattierungen der Hautfarbe auf, da die Bewohner Venezuelas in der überwiegenden Mehrzahl Mischlinge sind, nämlich Mulatten, die von Weißen und Negern, und Mestizen, die von Indianern und Weißen abstammen. Dazwischen waren aber auch die rein weißen, schwarzen und braunen Rassen vertreten. Ohne lautes Schreien, Kreischen und Lachen geht es bei den Venezolanern nicht ab, und so herrschte ein fast betäubender Lärm. Die Knaben unterhielten sich daher notgedrungen mit lebhafter Stimme. Ihr Gespräch drehte sich natürlich vorzüglich um die bevorstehende Reise und ihren Vater.

An einem kleineren Marmortisch ganz in ihrer Nähe saß ein tiefbrauner Mestize mit breitrandigem Hut und grellfarbiger Kleidung. Seine schwarzen Augen hatten einen stechenden, unsteten Blick. Er schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, zeigte aber von Zeit zu Zeit eine lauernde Unruhe und blickte scharf nach dem Eingänge der Veranda, als ob er jemand erwarte. Plötzlich flog der Ausdruck staunenden Interesses über sein Antlitz. Er hatte den Namen von Friedungs Farm von den jungen Deutschen aussprechen hören. Von diesem Augenblick an betrachtete er seine Nachbarn mit größter Aufmerksamkeit, wobei seine Augen in unheimlichem Glanze leuchteten. So scharf er aber auch hinhorchte, so verstand er doch nichts von dem Gespräche, da es in deutscher Sprache geführt wurde.

Eine Zeitlang schien der Mestize mit sich zu kämpfen, dann stand er rasch entschlossen auf und näherte sich unseren Freunden. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, daß seine nagelneuen Stiefel vorn ausgeschnitten waren und die großen Zehen durchblicken ließen. Der Venezolaner liebt es, bequem in den Stiefeln zu stecken, und da das Schuhwerk durchweg Fabrikware ist und nie nach Maß angefertigt wird, schämt sich auch der Vornehmste nicht, durch einen kühnen Messerschnitt seine zu engen Stiefel zu erweitern. Der Mestize schien das Erstaunen der Jünglinge nicht zu bemerken, die bei seiner sonst eleganten Erscheinung die ihrer Ansicht nach mangelhafte Fußbekleidung auffällig fanden. Er stellte sich mit einer Verbeugung vor als Don Jose de Alvarez und fragte, ob die Herren nicht Spanisch verstünden. Friedrich beeilte sich, zu bejahen.

»Ich hörte Sie den Namen Nueva Esperanza aussprechen; das interessiert mich, denn ich kenne eine Farm dieses Namens in der Nähe von San Paulo de Olivença am oberen Amazonas. Die Farm ist vor wenigen Monaten von einem Deutschen namens Friedung gegründet worden.«

»O! welch ein Glücksfall!« rief Friedrich lebhaft aus. »Können Sie uns Nachricht geben von unserem Vater? Kennen Sie ihn?«

Don Joses Gesicht verfinsterte sich. »Ist Don Friedung Ihr Vater?«

»Gewiß! Wie geht es ihm?«

»Ich bedaure, den Herren keine guten Nachrichten geben zu können: kurz ehe ich vom Süden aufbrach, wurde seine Farm von den wilden Napoindianern vollständig verwüstet.«

»Und er selbst?« rief nun Ulrich atemlos.

Don Alvarez zuckte die Achseln: »Was den Mann betrifft, so kann ich Ihnen über sein Schicksal keine weitere Auskunft geben. Er wurde weder tot noch lebendig gefunden.«

»Ihr zerreißt unser Herz!« rief Friedrich schmerzlich. »Erst unsere Mutter verloren und nun das Unglück des Vaters vernehmen! Um so mehr werden wir eilen müssen mit unserer Reise, um ihn zu suchen, und so Gott will, gesund zu finden!«

Alvarez sah die Knaben erstaunt an: »Ihr wollt die Reise nach dem Amazonas unternehmen?« sagte er mit spöttischem Lächeln. »Da besinnen sich Männer, und ihr seid, mit Verlaub, noch halbe Knaben.«

»Dennoch unternehmen wir sie, und zwar morgen schon, und keine Rast werden wir uns gönnen, ehe wir nicht das Geschick des geliebten Vaters kennen.«

»Das Land ist voller Krieg und Aufruhr, der Weg führt durch die Urwälder des Orinoko. Ihr kennt die Gefahren nicht, denen ihr unfehlbar zum Opfer fallen würdet.«

»Wir kennen sie und scheuen sie nicht,« sagte Friedrich stolz.

Don Jose murmelte einen Fluch und begab sich an seinen Tisch zurück.

Unseren Freunden wurde nun das Nachtessen aufgetragen. Zuerst die Sancoche, das unvermeidliche Landesgericht, eine sehr kräftige Suppe, die aus Fleisch, Yams, Yukka, Bataten, Bananen, Ocumo, Auyama, Apio, Kohl und andern Einlagen zusammengekocht wird; dann folgten verschiedene Braten, Gemüse, Fische und köstliche Früchte aller Art. Als Getränk ließen sie sich den ihnen schon von Herrn Lehmanns Landhaus her bekannten Guarapo schmecken, einen vorzüglichen, erfrischenden, gegorenen Saft aus Zuckerrohr.

Sie hatten die Mahlzeit noch nicht beendet, als ein Bote von Herrn Lehmann ihnen ein Brieflein überbrachte. Ihr väterlicher Freund bat sie, noch den kommenden Tag in Puerto Cabello zu verweilen, da soeben einer seiner Diener von einer Geschäftsreise zurückgekehrt sei, der ihnen als Führer bis San Fernando de Apure dienen könne. Lehmann hatte sie ungern ohne Führer reisen lassen wollen, aber Manuel war der einzige unter seinen Leuten, der den Weg bis San Fernando kannte und völlig zuverlässig war. Er war nun bälder als erwartet wiedergekommen und wollte gerne die Führung der jungen Leute übernehmen.

Obgleich die Verzögerung, namentlich nach den neuesten aufregenden Nachrichten, unseren Freunden nichts weniger als angenehm war, sagten sie sich doch, daß die Begleitung eines wegekundigen Führers ihnen ein um so rascheres Vorwärtskommen ermöglichen werde, und so gaben sie zusagende Antwort, zumal der folgende Tag ein Sonntag war, und sie Sonntags nicht ohne Not reisen wollten.

Der Mestize Don Jose de Alvarez hatte sich von diesen Vorgängen nicht das geringste entgehen lassen: er horchte und beobachtete immerfort.

Als nun die Knaben gingen, ihre Ruhestätten aufzusuchen, bemerkte Ulrich zu Friedrich: »Hör einmal, der Kerl mit den zerrissenen Stiefeln gefällt mir ganz und gar nicht: er hat etwas Falsches und Stechendes im Blick; du hättest ihm nicht so vertrauensselig über alle unsere Pläne und Umstände Auskunft geben sollen!«

»Ach was!« erwiderte Friedrich sorglos. »Was sollte der Mann uns anhaben wollen? Und wenn auch: übermorgen entfernen wir uns aus seinem Bereiche. Übrigens konnte ich nicht wohl anders, als ihn über unsere Verhältnisse aufklären, da er doch Vater kennt und uns Mitteilungen über ihn machen konnte, wenn auch höchst betrübende.«


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