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14. Neue Gefahren

Der Saum des Waldes und die Berghänge boten einen schwarzen, traurigen Anblick, als die drei Gefährten nach kurzem Ritt ins Freie gelangten. Ein widerlicher Brandgeruch erfüllte die Luft; das Laub der Bäume erschien welk, und die meisten Stämme waren hier, wo sie unmittelbar dem Feuer ausgesetzt gewesen waren, verkohlt, ohne daß sie deshalb ihre Lebenskraft eingebüßt hätten. Ein großer Teil der Ebene war mit Asche und Kohle bedeckt, so daß der Boden, der tags zuvor gelbbraun und struppig ausgesehen hatte, nunmehr öde und schwarz erschien. Rebellen und Regierungstruppen manövrierten da unten, aber die einen machten so wenig einen militärisch strammen Eindruck, wie die anderen; sie sahen schlappig und verkommen aus und erweckten nicht den Anschein, als wären sie zu kühnen Unternehmungen fähig.

Manuel riet, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, den Truppen möglichst aus dem Wege zu gehen und die verschiedenen Ortschaften, die meist militärisch besetzt waren, namentlich Nueva Valencia, zu umgehen. Dies wurde denn auch ausgeführt; aber die Bewegungen der Truppen waren der weisen Absicht Manuels hinderlich, und als die Reisenden in der Nähe des Granithügels Islote angelangt waren, sahen sie sich den Weg durch eine berittene Abteilung der Rebellen versperrt. Sie wären wohl dennoch weitergeritten, in der Hoffnung, daß man sie als harmlose Reisende unbehelligt lasse, aber da kamen in der Nähe drei Reiter vorbei, von denen der eine mit wildem Fluche auf sie wies und drohend sein Gewehr erhob.

Ulrichs scharfes Auge hatte sofort Don Jose de Alvarez erkannt, und da die Brüder wohl bemerkt hatten, wie der Mestize mit seinen beiden Genossen den Überfall auf dem Hafendamm geleitet hatte, versahen sie sich nichts Gutes von dem braunen Kleeblatt, wenn sie auch keine Ahnung hatten, weshalb die Mestizen ihnen so feindlich gesinnt waren. Rasch bogen sie daher um die Felsen herum und legten den Hügel zwischen sich und die Männer, die sich offenbar besannen, ob sie, drei gegen drei, einen Angriff wagen sollten.

Als unsere Freunde vorläufig geborgen waren, sagte Manuel: »Hütet euch vor diesem Alvarez, Sennores; ich kenne ihn von früher, er ist ein heimtückischer Mensch und hat viel auf dem Gewissen; auch die beiden anderen sind nicht viel mehr wert. Die drei sind es, wie ich in Puerto Cabello hörte, die das Volk gegen euch aufgehetzt haben, indem sie logen, ihr wäret die Söhne des ermordeten Sennor Schlüter und kämet, um Don Luis Felipe zu verderben.«

»Was sollen wir tun?« fragte Friedrich.

Ulrich schaute an dem steilen Islote empor und schlug vor: »Klettern wir da hinauf; der Hügel ist schwer zu erklimmen und der Gipfel ist wenig umfangreich, so daß er von drei Mann leicht gegen eine Übermacht verteidigt werden kann. Als gute Schützen können wir von da oben eine ganze Armee hindern, sich uns zu nahen.«

»Wenn sie uns nicht Herunterschießen wie Adler,« meinte Manuel ängstlich.

»Pah, wir werden uns eine gute Brustwehr bauen.«

Friedrich aber sagte: »Höre, Ulrich, auf Menschen schieße ich nicht; mir graust noch, wenn ich des sterbenden Affen gedenke, den Manuel gestern so grausam mordete. Versprich mir, daß auch du keinen Menschen verwunden willst.«

»Wie sollen wir uns denn anders verteidigen, wenn man uns angreift?« wandte Ulrich düster ein. »Ein Versprechen kann ich dir unmöglich geben. Daß ich nicht aus Übermut und ohne Not einen Menschen verletzen oder gar töten werde, das wirst du mir wohl zutrauen; wenn es uns aber an Freiheit und Leben geht, so erfordert die gerechte Notwehr rücksichtslose Selbstverteidigung: Krieg ist Krieg.«

»Ich wollte mich lieber wehrlos niederschießen lassen, als ein Menschenleben auf dem Gewissen zu haben oder meinen Todfeind auch nur zum Krüppel zu schießen,« erwiderte Friedrich. »Ich glaube nicht an das Recht der Notwehr, weil ich mein Leben in der Hand eines Gottes weiß, der geboten hat: Du sollst nicht töten!«

»Das ist beinahe türkischer Fatalismus!«

»Durchaus nicht! Das ist christliches Gottvertrauen: der Fatalismus hindert den Türken nicht an blutiger Selbstverteidigung; ich aber verwerfe die Notwehr nicht etwa, weil ich wähnte, der Erfolg bleibe derselbe, ob ich mich wehre oder nicht, sondern weil ich mein Vertrauen auf den setze, der seinen Jüngern das Waffentragen verbot, als er sie sandte wie Schafe mitten unter die Wölfe. Er gab ihnen den Trost, daß ohne Gottes Willen kein Haar von ihrem Haupte fallen könne, und daß die Menschen nicht zu fürchten seien, die nur den Leib töten können. Sagte er doch auch: ›Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren.‹ An Stelle des barbarischen Selbsterhaltungstriebes setzte der Stifter unserer Religion das Höchste und Edelste, das fröhliche Unrechtdulden in unbegrenztem Gottvertrauen. Ich glaube, die Notwehr überschätzt in unchristlicher Weise den Wert des eigenen Lebens und Wohlbefindens, wie auch die eigene Macht, während sie den göttlichen Schutz unterschätzt. Ja, ich bin überzeugt, die Notwehr kostet manchen das Leben, der gerettet worden wäre, wenn er sich nicht gewehrt hätte: eine Handlung wider Christi Gebot kann niemals wahrhaft gute Früchte tragen. Natürlich darf nicht Feigheit und Schwäche die Ursache sein, daß man sich nicht wehrt, sondern allein der gläubige Gehorsam, der lieber das Leben läßt, als daß er die Gebote des Christentums verletzte.«

»Du nimmst diese Gebote viel zu wörtlich und engherzig.«

»Ich glaube eben nicht, daß wir sie willkürlich auslegen und für unsere Leidenschaften zurechtstutzen dürfen, weil sie uns, so wie sie klar dastehen, nicht zusagen.«

»Praktisch läßt sich ein solch strenges Christentum einfach nicht durchführen, und Unmögliches konnte Jesus nicht von uns verlangen.«

»Warum sollte es sich nicht durchführen lassen? Die ersten Christen haben es doch auch durchgeführt und sich tatsächlich verhalten wie wehrlose Schlachtschafe! Und ist es nicht merkwürdig, daß eben diese Zeit des duldenden Christentums die Zeit seiner größten Siege, seines kräftigsten Emporblühens war? Das blutig kämpfende Heidentum wurde mit unwiderstehlicher Gewalt von diesen wehrlosen Christen besiegt: die Sanftmütigen sollen ja das Erdreich besitzen. Sobald aber die verweltlichte Kirche begann, die Waffengewalt für sich in Anspruch zu nehmen, fand ein Stillstand und Niedergang des reinen Christentums statt, und den Irrtümern war Tür und Tor geöffnet. Genau ebenso ging es der Reformation in Frankreich und Deutschland: sobald sie zur Notwehr griff und das Schwert statt des Wortes oder neben dem Wort als berechtigte Verteidigungswaffe anerkannte, geriet ihr gewaltiger Siegeszug ins Stocken, ja Rückschläge traten ein, die Gemüter verbitterten sich, und unter namenlosem Kriegselend entstand ein unheilbarer Riß, der auf Jahrhunderte hinaus den Fortschritt des Protestantismus lahmlegte.«

»Hör einmal, Friedrich, du bist doch ein sonderbarer Schwärmer; die Zeit des ewigen Friedens ist noch nicht da. Später mag es ja einmal so weit kommen, daß die Notwehr überflüssig wird; jetzt aber ist die Welt noch nicht reif für die Durchführung solcher Hirngespinste.«

»Wie soll es aber besser werden, wenn wir das Ziel für unerreichbar halten und unsere Pflicht, ihm näher zu kommen, leugnen, weil es unerreichbar sei? Ich meinesteils glaube, daß uns im Christentum eben unerreichbare, wenigstens vorerst unerreichbare Ziele gesteckt sind, damit wir unser ganzes Leben lang zu arbeiten und zu laufen haben und nie sagen können: Was ich nicht erreichen kann, darf mir auch nicht als erstrebenswertes Ideal vorgehalten werden. Hier aber handelt es sich um etwas, das für den einzelnen gut durchführbar ist, wenn wir auch vorerst noch nicht hoffen dürfen, daß es zu allgemeiner Anerkennung und Durchführung komme.«

»Nun, so jage meinetwegen deinem Ideal nach, ich halte mich inzwischen noch an die allgemein anerkannte Lebensweisheit, die uns auch als guten Christen die Notwehr gestattet. Das wird dir dein Gewissen jedenfalls nicht verbieten, aus den umherliegenden Steinen und Felsblöcken uns eine Schutzwehr aufrichten zu helfen.«

»Gewiß nicht!« erwiderte Friedrich, die Ironie in des Bruders Worten freundlich überhörend, und machte sich alsbald mit Ulrich und Manuel ans Werk, da sie unter den angeführten Gesprächen bereits die steile Höhe des Islote erklommen hatten.

Die Maultiere wurden in der Mitte des Gipfels in einer kleinen Mulde gelagert; die Arbeit des Schanzenbaus ging rasch voran, denn an Baustoff war kein Mangel, und nach kaum einer halben Stunde war eine kreisförmige Mauer errichtet, die, etwa einen Meter hoch, einen Raum von weniger als fünf Metern im Durchmesser umschloß. Durch die Lücken dieses einfachen Mauerwerks ließ sich die Ebene rings um den Hügel bequem überblicken; es war aber auch die höchste Zeit, daß die Bedrohten sich mit den Maultieren in ihre kleine Festung zurückzogen; denn schon sahen sie, daß eine ernstliche Gefahr ihnen nahte.


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