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75. Die Flucht

Bei all ihren Wanderungen, die sie meist ohne Begleitung unternahmen, beredeten sich unsere Freunde über ihre beabsichtigte Flucht. Der alte Inka hatte sich wieder ganz in seine Höhle zurückgezogen; Unkas fühlte sich so wohl in Manoa, daß er an den Ausflügen nur noch selten teilnahm. Tupak Amaru entfernte sich nie weit von der Hauptstadt, weil er alle Tage sein Opfer dem See darbrachte und nur ungern einen Stellvertreter hierfür ernannte, wenn er eine Besichtigungsreise durch das Reich machte.

Der junge Inka merkte wohl, daß alles Glück und alle Pracht hier oben Friedrichs Sehnsucht nach seinem Vater nicht aus dessen Herzen tilgten. Er mußte seinen jungen Freund wegen seiner Kindestreue nur umso höher schätzen; doch betrübte ihn Friedrichs Kummer, und so sprach er eines Tages zu ihm: »Ich durchschaue deine Seele, du sehnst dich hinaus. Wir dürfen es nicht gestatten, und wenn mein Vater es für möglich hielte, daß euch eine Flucht gelänge, er würde euch keine freie Wanderung mehr erlauben. Aber wie solltet ihr entkommen ohne unsern Willen? Ich kann es mir nicht denken, und doch bedrückt eine dunkle Ahnung mein Herz, als möchte die Trennungstunde schlagen, dann würdest du meine Seele mit fortnehmen, denn sie hat dich lieb. Ich weiß wohl, Patschakamak selber steht dir bei, und er, der dir den Sieg über den Wurm gab, den noch kein Sterblicher erlegt hatte, er kann seinen Liebling auf Flügeln von hier hinabtragen, um sein Gebet zu erfüllen. Wie sollten wir hindern, was Illja Tekze, der ewige Gott, beschlossen hat? Solltest du je durch ein Wunder diese Stätte verlassen, so wird dir mein Ring jedes Indianerherz geneigt machen, wenn du nur meinen Namen nennst. Daß du das Geheimnis unserer Zuflucht nie verraten wirst, dessen bin ich gewiß. Und wenn du einst wiederkehren solltest, so wirst du willkommen sein mit allen, die du mitbringen willst, so ihr ganz bei uns bleiben wollt. Wollte Gott, die Zeit wäre bald da, wo wir das Inkareich wieder aufrichten; mein Vater zögert gar zu lange; ich glaube, wir könnten es heute schon tun, doch er fürchtet, es möchte jetzt noch zu viel Blut kosten: das Geschwür der Welt ist noch nicht reif, um unblutig geschnitten werden zu können. Aber kommen wird die Zeit! Und dann soll mein Freund mir zur Seite stehen und mit mir herrschen, ich über die roten, er über die weißen Brüder. Allein ich hoffe, daß auch meine jetzige Ahnung mich trügt, daß ihr bei uns bleibet in Glück und Frieden. Bitte doch nicht Patschakamak um die Trennung von deinem Bruder! Höre meinen Rat; ihr habt den Felsenwall im Süden umgangen, machet jetzt eine Reise nach Norden an ihm hin; sie wird dreimal so lange währen, aber ihr werdet noch Schöneres und Wunderbareres schauen als bisher, und ich hoffe, das alles wird eure Seele immer mehr an dieses Land ketten, daß ihr seine Herrlichkeit und Seligkeit nicht mehr missen möget. Und deinen Vater werde ich suchen lassen, er soll auch zu uns kommen!«

Friedrich standen die Tränen in den Augen, er leugnete seine Sehnsucht nicht, und das Herz war ihm schwer bei dem Gedanken an die heimliche Trennung von dem geliebten Freunde; er erwiderte aber nur: »Überlasse es Illja Tekze, was er über uns beschlossen hat; seinem Willen werden auch wir uns fügen!«

Inzwischen war der Juni gekommen und die Aufforderung Tupak Amarus zu der langwierigen Reise in das nördliche Gebiet des Landes bot eine günstige Gelegenheit zu unbemerktem Entweichen. Unkas bat seine Herren, ihn hier oben zu lassen, wo er sich glücklich fühlte unter glücklichen Brüdern, und versprach, über die Flucht der Weißen kein Wort verlauten zu lassen. Sein Wunsch wurde ihm gewährt. Er begleitete noch unsere Freunde bis zu dem Baume, unter dessen Wurzeln der geheime Eingang in die Bergwerke mündete, dann nahm er in großer Bewegung Abschied von ihnen.

Allen, besonders aber Friedrich, tat es leid, daß sie sich von Tupak Amaru und Manko nicht verabschieden konnten; das aber ging ja nicht an, wenn sie fortkommen wollten. So stiegen sie denn hinab in den Schoß des Berges und durcheilten raschen Schrittes die funkelnden Erzgänge, als ob sie fürchteten, man verfolge sie schon.

Der leuchtende Stein, den Friedrich seinerzeit unter den Wurzeln des Riesenbaumes verborgen hatte, als er dort mit Ulrich das Tageslicht erreichte, diente ihnen wieder als Fackel, und bald hatten sie den Kamin unter den Orgelsteinen erreicht und entfernten mit vereinten Kräften die Platte, die ihn verschloß.

Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß sie auch in der Guacharohöhle allein und unbelauscht waren, setzten sie die Platte an ihren alten Ort zurück und begaben sich an den Ausgang der Höhle, wo sie den Eintritt der Dunkelheit abwarteten, um ihren Weg weiter fortzusetzen. Lange brauchten sie nicht zu verweilen, da sie eben in Rücksicht darauf, daß sie nur bei Nacht die Höhle verlassen durften, erst am Nachmittage von Manoa aufgebrochen waren. Friedrich verbarg den Leuchtstein in seiner Tasche, damit das Licht sie nicht verrate; erst im dichtesten Walde befestigte er ihn wieder an seinem Hute.

Da zu vermuten war, daß sich Ulrich infolge seiner Flucht aus Narakatangetus Zelt und vielleicht auch sein Bruder nicht ungefährdet unter die Indianer wagen konnten, begab sich Schulze allein in das Lager und ließ sich sofort zu Tompaipo führen, den er bat, ihm zu folgen. Blitzhand war höchlichst überrascht, als er seine jungen Freunde traf, und der strahlende Stein auf Friedrichs Hut entlockte ihm einen Ausruf des Staunens.

»Zum Kuckuck, wie kommt ihr daher?« rief er aus. »Ich glaubte euch über alle Berge, und es tat mir nur leid, daß ihr französischen Abschied genommen hättet und eure Lama zurückließet. Aber freilich, ihr hattet Eile! Und wo steckte denn Friedrich die Zeit über? Nun, das nenne ich eine Überraschung! Aber an eurer Stelle wäre ich nicht zurückgekehrt. Narakatangetu kennt keinen Spaß und würde jetzt kurzen Prozeß mit euch machen nach dem, was er mit den Mestizen erleben mußte!«

»Wo wir gewesen sind, ist ein tiefes Geheimnis,« sagte Friedrich. »Nun aber müssen wir uns eiligst aus dem Staube machen, nur wären wir dem großen Häuptling der Napo dankbar, wenn er uns die Lama zusenden wollte.«

»Genehmigt!« erwiderte Tompaipo. »Aber von dem ›großen Häuptling‹ und der ›Dankbarkeit‹ will ich nichts wissen. Doch erlaubt, Herr Friedrich! Schon früher fiel mir ein Ring an Ihrer Hand auf, allein ich konnte ihn nie recht erkennen: dürfte ich ihn nicht genau betrachten? Er blitzt so eigentümlich an Ihrem Finger.«

Friedrich reichte ihm die Hand; kaum hatte Tompaipo auf der nach innen gekehrten Seite den funkelnden Kopf der Schlange erblickt, als er ganz außer sich vor Verwunderung ausrief: »Die glänzende Schlange! Dachte ich mir's doch! Aber ich konnte es nicht glauben! Wie kommen Sie zu diesem unschätzbaren Kleinod? So etwas findet man nicht auf der Straße!«

»Tupak Amaru!« sagte Friedrich einfach.

Tompaipo sah den Jüngling mit wahrer Ehrfurcht an. »Wer seid ihr, der ihr den Geheimnissen der Omagua näher steht als ein Napohäuptling und höherer Ehre gewürdigt wurdet als je ein Sterblicher vor euch? So seid ihr freilich gefeit, und Narakatangetu selber würde sich vor euch in den Staub werfen, wenn er das Kleinod erblickte, und euch kein Haar zu krümmen wagen, vielmehr in allen Dingen euch zu Diensten sein!«

»Mehr darf ich leider nicht verraten,« erwiderte Friedrich, selber erstaunt. »Den Ring habe ich von einem mächtigen Freunde, das möge genügen.«

»Wahrhaftig! Einen solchen Freund haben, das erhebt über andere Sterbliche! Doch Blitzhand weiß ein Geheimnis zu ehren, sonst wäre er kein Häuptling der Napo. Nur rate ich Ihnen, drehen Sie den Kopf der Schlange nach außen, daß jedermann ihn sehen kann, so werden Sie nicht bloß unbehelligt die Lager der wildesten Indianer durchziehen können, sondern von allen Rothäuten wie ein himmlisches Wesen verehrt werden.«

Friedrich befolgte den Rat, und darauf nahmen alle gerührten Abschied von Tompaipo; denn obgleich dieser versicherte, unter dem Schutze des Ringes hätten sie nichts mehr zu befürchten, beharrten sie darauf, noch in der Nacht weiterzureisen.

Etwa eine Stunde nach Blitzhands Entfernung erschienen zwei Indianer mit den hochbepackten Lama, auf deren Rücken auch die drei Affen saßen, und erklärten, die Weißen auf Tompaipos Befehl als Diener zu begleiten, solange sie ihrer bedürften. Der Häuptling hatte Lebensmittel und Geschenke in Menge den Lama aufbürden lassen, ein letztes Zeichen, wie lieb er seine Freunde gewonnen hatte.

Die Indianer aber bezeugten Friedrich eine Verehrung wie keinem ihrer Häuptlinge, sobald sie mit hohem Staunen den Schlangenring an seiner Hand erkannt hatten.


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