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46. Der Smaragdberg

Auch am folgenden Tage stellte der weglose Urwald dem Vordringen noch die größten Hindernisse entgegen. Erst am 11. Dezember ging der Marsch etwas leichter vonstatten; es machte da und dort den Eindruck, als seien von Menschenhand Pfade durch den Wald gebahnt.

Auf einmal blieb Ulrich, der voranschritt, stehen, bückte sich und hob einen Gegenstand von der Erde auf, den er lange betrachtete. »Sollte das ein Smaragd sein?« fragte er, indem er einen apfelgroßen grünen Stein von herrlichem Schimmer, an den Rändern durchscheinend, dem Professor hinüberreichte.

»Holla!« sagte dieser. »Smaragd ist es gerade nicht, aber ein echter Amazonenstein; es ist der seltene Saussurit, der eigentliche Nephritstein, von dem gefabelt wird, er sei nur im Lande der Amazonen zu finden. Der Aberglaube schreibt diesen Steinen merkwürdige Schutz- und Heilkräfte zu, weshalb sie zu Amuletten viel begehrt und mit hohen Preisen bezahlt werden. Man trägt sie dann am Hals zum Schutze gegen Nervenleiden, Fieber und die Wirkungen giftiger Schlangenbisse.«

»Wenn ein solcher Handel damit getrieben wird, so muß es doch noch andere Fundorte dieser Steine geben außer dem Amazonenlande?« meinte Friedrich neugierig.

»Das ist eben das Merkwürdige,« erwiderte Schulze. »Kein Mensch hat bisher solche Steine in der Natur gefunden; sie gehen von Hand zu Hand, und man erhandelt sie von Eingeborenen, ohne je ihre Fundorte entdeckt zu haben. Die Indianer, in deren Besitz man sie vorfindet, behaupten aber samt und sonders, die Steine kämen aus dem Lande der Aikeambenano, das heißt der Weiber ohne Männer oder Amazonen, so zäh hängen diese Wilden an ihren Volkssagen!«

»Das ist freilich sonderbar,« sagte Ulrich kopfschüttelnd. »So wären also wir die ersten, die einen solchen Stein in der Natur gefunden haben? Vielleicht sind wir nahe daran, ihre natürlichen Lagerplätze zu entdecken.«

»Die ersten Europäer sind wir freilich, die einen echten Amazonenstein vom Boden auflasen; dieses immerhin bedeutungsvollen Umstandes dürfen wir uns freuen, aber ich zweifle sehr daran, ob wir deren noch mehr finden werden, ich glaube eher, daß dieser Prachtkerl von seinem Besitzer hier verloren wurde.«

»In dieser Wildnis?!« ließ sich Friedrich vernehmen.

»Seltsam ist der Fund, das gebe ich zu!« fuhr der Professor achselzuckend fort. »Aber es hatte bisher den Anschein, als würden überhaupt diese Steine heutzutage nicht mehr gefunden, sondern stammten alle aus alten Zeiten; sie sind nämlich meistens so kunstvoll zu allerlei Figuren von Tieren und Früchten geschnitten, daß sie auf eine hochentwickelte Kulturzeit hinweisen; denn der Saussurit ist hart und sehr schwer zu bearbeiten: heute würde es niemand, auch einem Europäer nicht, gelingen, derartige feingemeißelte Kunstwerke daraus zu schaffen.«

»Nun! Irgendwo müssen doch auch jene alten Kulturvölker den Stein gefunden haben, und warum sollten die Fundstätten heutzutage spurlos verschwunden sein? Bei der Tierwelt, ja, bei der Pflanzenwelt ist die Ausrottung oder das Aussterben einzelner Arten möglich und nachweisbar, aber bei den reinen Naturerzeugnissen des Mineralreiches habe ich nie gehört, daß eine Art je ganz erschöpft worden wäre, vielmehr entdeckt man immer noch neue!«

Auf diese Bemerkungen Friedrichs erwiderte der Gelehrte etwas ratlos: »Na! ich will es gestehen, mir selber ist die Geschichte mit diesen Amazonensteinen etwas rätselhaft. He! Unkas, du Sohn der Wildnis, was sagst denn du dazu?«

Unkas, der schon lange den Stein mit scheuen Augen betrachtet hatte, streckte die Hand danach aus. Schulze aber ließ ihn los, ehe der Indianer fest zugegriffen hatte; so rollte der rätselhafte Stein zur Erde.

Alle stutzten, denn beim Fallen gab er einen hellen, melodischen Klang von sich.

»Das stimmt!« sagte der Professor. »Der äußerst zähe Amazonenstein kann zu sehr dünnen Platten geschliffen werden, die dann je nach ihrer Größe und Dicke verschiedene, sehr klangvolle Töne von sich geben; ähnlich stellen ja die Chinesen aus Steinplättchen, den sogenannten ›klingenden Steinen‹ ihr beliebtes Musikinstrument King her. Eines aber stimmt wiederum nicht: der Stein, den Herr Ulrich fand, war dick wie eine Kartoffel und konnte daher unmöglich so hell klingen.«

»Da haben wir schon die Lösung dieses Rätsels!« rief Friedrich der sich nach dem Steine gebückt hatte, fröhlich aus. »Hier!« Triumphierend hielt er eine dünne in der Mitte durchbohrte Scheibe der gleichen grünen Gesteinsart empor.

Dieses runde Plättchen, auf das der Saussurit im Fallen aufgeschlagen war, hatte offenbar den schönen Ton von sich gegeben; es war glänzend poliert und schimmerte prächtig in völlig durchsichtigem Smaragdglanz.

»Also! jetzt stimmt's wieder,« lachte Schulze, »und meine Vermutung von vorhin bestätigt sich: diese Scheibe ist von Menschenhand bearbeitet, also handelt es sich hier um keine natürliche Fundstätte, sondern um einen Zufall. Nun, roter Sohn der Natur, jetzt gib endlich Antwort: was sagen deine weisheittriefenden Lippen zu der Sache?«

»Vater der vier Augen und des durchdringenden Verstandes, dein Sohn glaubt, wir sind nicht ferne von dem gefürchteten Lande der Aikeambenano.«

»Da haben wir's!« lachte Schulze. »Auf solch eine Antwort war ich gefaßt; jeder Zufall muß diesen Naturkindern zur Bestätigung ihrer naiven Märchen herhalten! Aber wissenschaftlich, mein Sohn, ja, wissenschaftlich würde man deine gediegene Antwort einen Blödsinn erster Klasse heißen.«

»Herr ...« stammelte Unkas, sichtlich wenig geschmeichelt.

»Na!« sagte Schulze beschwichtigend. »Sagen wir zweiter Klasse; also einen Blödsinn zweiter Klasse, es gibt ja doch noch höheren Blödsinn; aber wissenschaftlich läßt sich mit deiner Ansicht nichts anfangen.«

»Das ist aber wirklich ein merkwürdiger Zufall!« sagte Ulrich ziemlich spöttisch. »Da liegt ja schon wieder so eine Scheibe!«

»Und dort noch eine und noch eine!« rief Friedrich.

Die unbehauenen Amazonensteine bis zu starker Faustgröße und dazwischen die polierten Scheiben in allen Größen zeigten sich immer zahlreicher, und bald hatte Friedrich, der die Töne ausprobierte, zwei ganze Tonleitern mit allen Zwischentönen beieinander. Er zog nun durch die Plättchen eine Schnur von Palmbast und hielt dabei die einzelnen in einiger Entfernung voneinander fest, indem er vor und nach jedem Plättchen einen dicken Knoten in die Schnur schlang, über den die Scheibe mit ihrem engen Loche nicht hinausgleiten konnte.

Als sie kurz darauf Mittagsrast hielten, spannte er sein aus dem Stegreif geschaffenes Instrument zwischen zwei Baumstämmchen aus und konnte nun mittels eines länglichen Steines die Töne beliebig anschlagen.

Eine Weise um die andere zauberte er auf diese Art hervor, und der ungemein liebliche, melodische Klang nahm Ohren und Seelen der Zuhörer gefangen.

»Das nenne ich einen Genuß!« sagte Schulze gerührt, als Friedrich innehielt. »Ach, wie lange haben meine Ohren all die lieben, schönen deutschen Melodien entbehren müssen, und nie hätte ich mir träumen lassen, im tropischen Urwald in solch einem Kunstgenuß schwelgen zu dürfen!«

»Wir sind eigentlich rechte Toren, daß wir nie an einen frisch-fröhlichen Gesang dachten,« warf Ulrich ein. »Wozu haben wir denn unsere Stimmen?«

Diese richtige Bemerkung schlug ein, und nun wurde reichlich nachgeholt, was versäumt worden war. Als erster Ausdruck der ›frischen Fröhlichkeit‹ erklang allerdings merkwürdigerweise die Loreley. Aber was tat's? Friedrich begleitete den Gesang kunstvoll auf den Amazonensteinen, und nie hatte dieser Urwald in den Jahrtausenden seines Bestehens ein solches Konzert vernommen. Unkas machte ein bedenkliches Gesicht, ihm war beinahe bange um den Verstand seiner weißen Herren. Als er aber späterhin noch manches fröhliche deutsche Lied in den Urwäldern vernahm, gewann er selber Geschmack an diesen schönen Gesängen.

Nun mahnte der vorrückende Nachmittag zum Aufbruch.

Keine Viertelstunde waren die Wanderer wieder unterwegs, als plötzlich ihr Pfad im spitzen Winkel in einen etwa ein Meter breiten Fußweg mündete, der vollständig mit den herrlichen grünen Steinen gepflastert war; das war aber noch lange nicht das Merkwürdigste: am Rande des Weges zeigten sich in unregelmäßigen Zwischenräumen allerlei Tiergebilde; da glotzte ein Frosch, hier züngelte eine halbaufgerichtete Schlange, dort lugte eine Eidechse vor, oder eine Schildkröte blickte verwundert zu den Reisenden auf, dann konnte man wieder ein kleines Krokodil gewahren, auch Spinnen, Falter, Skorpionen und Tausendfüßler – und all diese zierlichen Nippsachen waren aus Nephritgestein hergestellt.

»Da hört sich alle Wissenschaft auf!« rief Schulze ein Mal über das andere. »Da sollten wir Professor Haeckel aus Jena bei uns haben, der allein könnte uns hier eine natürliche Erklärung dieser unglaublichen Tatsachen aus dem Ärmel schütteln. Ich glaube aber, er würde sie für Sinnestäuschungen erklären und kaltlächelnd behaupten, er selber, als aufgeklärter Mann, sehe keinen Schimmer davon.«

»Herr Professor,« sagte Friedrich ernst, »ich glaube, Unkas hat recht gehabt mit seiner unwissenschaftlichen Bemerkung: wir befinden uns im Lande der Amazonen.«

»Papperlapapp!« erwiderte Schulze ärgerlich. »Ich sage Ihnen, der ganze Amazonenschwindel rührt von mythologischen Erinnerungen her, die die ersten Erforscher Südamerikas mit ihrer fabelhaften Phantasie in diese Länder verlegten, in denen, wie sie glaubten, alles Wunderbare liegen müsse, was je ein Phantast ausgebrütet hat.«

»Aber Humboldt selber,« warf Friedrich wieder ein, »leugnet doch das Vorhandensein der Amazonen keineswegs. Er nimmt an, daß es Weiber seien, die ihren Männern entflohen und sich zusammentaten wie die flüchtigen Neger in Palenque, weil sie sich vom harten Männerjoch befreien wollten. Er denkt auch an die religiösen Jungfrauenvereine nach der strengen Regel Quezalcoatls, des mexikanischen Buddha, die freilich überhaupt nie Männer unter sich duldeten. An der Tatsache selber wagt er aber doch nicht zu zweifeln, weil sie gar zu allgemein bezeugt ist. Namentlich stützt er sich auf die glaubwürdigen Berichte eines Quaquaindianers.«

»Ach was!« meinte Schulze eigensinnig. »Dieser Quaquaindianer hat dem guten Humboldt etwas vorgequackt als echter Quacksalber. Emanzipierte Frauenzimmer in diesen Wildnissen! Unsinn! Glaube ich einfach nicht!«

Der Streit nahm ein jähes Ende, weil ein heller grüner Glanz von solcher Leuchtkraft zwischen den Waldbäumen hindurchblitzte, daß aller Aufmerksamkeit davon gefesselt wurde.

Mit fieberhafter Eile drangen sie vor, um das neue Wunder zu ergründen, und siehe da! der Wald hörte auf – und vor sich sahen sie in einer waldumsäumten Ebene einen vereinzelten Felsen emporragen, der völlig aus grünem Nephritgestein bestand.

»Der Smaragdberg!« rief Friedrich überwältigt und triumphierend aus.

»Nur daß es kein Smaragd ist, sondern Saussurit,« warf Schulze alsbald wieder kampflustig ein.

Aber keiner dachte mehr daran, den Streit weiter zu spinnen: der Anblick des Berges war allzu märchenhaft.

Der Felsen stieg kegelförmig empor bis zu einer Höhe von etwa zweihundert Metern; an seinem Fuße mochte er etwa einen Kilometer im Umfang haben, auf seinem Gipfel kaum noch fünfzig Meter. Im übrigen war er durchaus nicht regelmäßig geformt, vielmehr wild zerklüftet und reich an merkwürdigen Gebilden; gegen Westen fiel er steil ab, dort zeigten sich senkrechte, glatte, zum Teil überhängende Wände; die Vorderseite wies Schluchten und Höhlen und viel Geröll auf, gegen Osten sah man sanfter geneigte Hänge, dazwischen aber auch scharfe Kämme mit dolomitenartigen Säulen, die zum Teil künstlich in Statuen und Statuetten umgewandelt waren, meist weibliche Gestalten darstellend. Aber auch eine Menge Tierbilder, teils naturgetreu, teils phantastische Fabelwesen von ungeheuren Größenverhältnissen, waren aus dem Stein herausgearbeitet und bewachten drohend die Hänge, an denen sie hinauf- und hinabzukriechen schienen.

Auf dem Gipfel des Berges ragte eine seltsam geformte Burg mit Erkern und Türmen empor; ein Wachtturm besonders erhob sich um volle zehn Meter über die höchsten Zinnen des übrigen Gebäudes. Auch dieses ganze Schloß war sichtlich aus dem Naturfelsen ausgehauen, und einen wahrhaft entzückenden Anblick gewährte es, wie es in den Strahlen der Tropensonne glitzerte und blitzte im herrlichsten Grün. Ja, als unsere Freunde, nachdem sie den Berg von dieser Seite zur Genüge bewundert hatten, im Osten um ihn herumschwenkten, so daß die Nephritburg zwischen ihnen und der Sonne stand, bemerkten sie, daß das Mauerwerk so dünn war, daß die Sonne durch den Hauptturm hindurchschimmerte, der nun ziemlich durchsichtig erschien, und da machten sie eine Entdeckung, die Schulze einen lauten Ausruf des Staunens und zugleich des Schreckens entlockte.


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