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28. Im Kampf mit den Krokodilen

Am Sonntagnachmittag begaben sich die drei Deutschen an das Ufer des Stromes, um ein Bad zu nehmen, was, wie man sie versichert hatte, an einer bestimmten Stelle ganz gefahrlos geschehen könne.

Dumpfe Schwüle brütete über dem Urwald. Schwermütig klang das Zirpen Tausender von Zikaden vom Flußufer herüber, sonst war es beinahe still; selten nur ließ sich ein Papagei vernehmen und in der Ferne ein Trupp Affen: es war, als ob auch die Natur durch besonders feierliche Ruhe ihren Sabbat feiern wollte.

Prächtige Schmetterlinge von leuchtenden bunten Farben und merkwürdigen Zeichnungen, oft mit wunderlich geformten Flügeln, entzückten das Auge. Von dem Glanz und der Glut dieser flatternden Blüten hätten sich unsere Freunde keine Vorstellung machen können, ehe sie in den Llanos und namentlich im Urwald ihre ganze Herrlichkeit zu sehen bekamen.

Einzelne Arten waren ziemlich einfarbig, andere wiesen die buntesten Farbenzusammenstellungen auf; aber jeder dieser zum Teil ganz riesenhaften Falter hatte seine eigenartige überraschende Schönheit. Ganz besonders merkwürdig erschienen die grünen und goldenen Farbflecke auf den Flügeln einzelner Schmetterlinge, Farben, die kein europäischer Schmetterling aufweist.

Auf dem Boden und an den Baumstämmen krabbelten die verschiedenartigsten Käfer umher, namentlich der große braune Bockkäfer und der gehörnte Herkules, der eine Länge von fünfzehn Zentimetern erreicht und olivenfarbige Flügeldecken trägt. Auch viele andere seltsam geformte und mit bunten Arabesken sonderbar gezierte Käfer erregten Schulzes größte Aufmerksamkeit und die freudige Bewunderung seiner jungen Begleiter. Namentlich staunten sie über die Farbenpracht und den leuchtenden Metallglanz vieler Wanzenarten, deren größte, die Edessa, sich in fünf Zentimeter langen Exemplaren vorfand.

Als die Reisenden ans Ufer gelangten, trat eine Schar Wasserhühner aus dem Gebüsch; kaum hatte diese sich entfernt, so machte ein Geräusch in den Zweigen eines überhängenden Baumes unsere Freunde aufmerksam. Emporblickend sahen sie einen Wickelbären, ein etwa einen halben Meter langes Tier mit glänzend hellbraunem Pelz und kurzem, dickem Kopf. An seinem langen Ringelschwanz ließ er sich von einem Ast herab und erfaßte, sich fallen lassend, den nächsten mit den scharfen, eingebogenen Krallen. Auf diese Weise erreichte er behende den Boden, griff ins Gebüsch hinein und holte ein Ei heraus; dann setzte er sich auf die Hinterbeine und schliff mit den scharfen Zähnen eine Öffnung in die Schale, dabei hielt er das Ei so vorsichtig zwischen den Vorderpfoten, daß es nicht zerdrückt wurde. Als es geöffnet war, legte er den Kopf zurück und schlürfte das Ei aus, genau wie ein durstiger Zecher seinen Humpen leert. Dieser Anblick war so reizend, daß sowohl Schulze wie die Jünglinge stehen blieben, bis der Wickelbär sämtliche Eier verzehrt hatte, die er im Gebüsch vorfand, wobei ihn die Anwesenheit der ihn beobachtenden Menschen in keiner Weise störte.

Da der Wickelbär am oberen Orinoko eine Seltenheit ist und für gewöhnlich erst nachts auf Beute geht, war das beschriebene Schauspiel ein wirkliches Ereignis.

Dann aber ging's ins Wasser. Das Bad war erfrischend trotz der ziemlich hohen Wärme des Flusses, doch sollte es nur zu bald durch einen schrecklichen Vorfall gestört werden. Sei es, daß die Gefahrlosigkeit nicht so groß war, wie man die Badelustigen versichert hatte, sei es, daß sie die richtige Stelle verfehlt hatten – kurz, ein ungeheures Krokodil tauchte plötzlich auf und faßte mit weit aufgesperrtem Rachen Friedrich, der arglos im Wasser umherschwamm, mitten um den Leib.

Ulrich und Schulze stießen entsetzte Schreie aus; letzterer gewann rasch das Ufer, um nach seinem Gewehr zu springen. Allein abgesehen davon, daß er ein schlechter Schütze war, wäre seine Hilfe viel zu spät gekommen. Ulrich dagegen stürzte sich sofort auf das Ungetüm zu, obgleich es Wahnsinn schien, an eine Rettung des Bruders zu denken. Er hatte von Manuel gehört, daß man ein Krokodil nur zu streicheln und zu kratzen brauche, so lasse es alles mit sich anfangen. Zwar hatte er diese ganz richtige Bemerkung für eine Fabel gehalten, jetzt aber in der Todesangst um den Bruder wollte er doch einen Versuch damit wagen.

Obgleich nun Ulrich, ohne sich mit längeren Überlegungen aufzuhalten, das Krokodil kühn anfaßte, sobald er sich vom ersten lähmenden Entsetzen erholt hatte, wäre Friedrich doch kaum gerettet worden, wenn er nicht selber sich auch eines Mittels erinnert hätte, das Manuel ihnen seinerzeit angab. Kaum fühlte er sich von den scharfen Zähnen erfaßt, so griff er auch mit bewundernswerter Geistesgegenwart der Riesenechse in beide Augen, was den augenblicklichen Erfolg hatte, daß das Krokodil ihn laut aufbrüllend ins Wasser fallen ließ.

Das fürchterliche Gebiß des Tieres hatte Friedrichs Körper glücklicherweise nur ganz leicht gepackt; so trug er die zwar blutenden, aber nicht tiefgehenden Spuren der scharfen Zähne, hatte jedoch noch so viel Kraft, dem Ufer zustreben zu können.

Inzwischen war ein zweites Krokodil angekommen, das schon nach Ulrich schnappte, der hinter dem Bruder hereilte. Schulze stand nun zwar mit angelegtem Gewehr am Ufer, wagte aber keinen Schuß, aus Furcht, einen der beiden Knaben zu treffen. Da stellte sich ein unerwarteter Lebensretter in Gestalt eines Schwertfisches ein.

Dieser gewaltige, im Orinoko häufig vorkommende Fisch stieß seine scharfe Waffe, mit der er hier und da ein Boot durchbohrt, dem Krokodil in den Hals, als es im Begriff war, Ulrich zu erfassen. Das verwundete Tier krümmte sich mit dumpfem Gebrüll und wandte sich seinem Angreifer zu. Dieser aber entschlüpfte dem tödlichen Biß mit großer Gewandtheit und brachte dem blutenden Feinde noch mehrere Wunden bei, die bald dessen Tod zur Folge hatten.

Unsere Freunde sahen dem merkwürdigen und grausigen Kampfe wie gebannt zu; erst als er zu Ende war, dachte Friedrich daran, seine Wunden zu pflegen. Schulze führte stets Pflaster und Verbandzeug bei sich und nahm den Verwundeten in Behandlung. Er staunte, zwar zahlreiche, aber nur oberflächliche Wunden vorzufinden, die leichten Eindrücke der scharfen Zähne des Krokodils. »Na!« sagte er, »Sie sehen aus, als hätten Sie sich in einem Dornbusch gewälzt! Aber Sie dürfen froh sein, so glimpflich davongekommen zu sein, sah es doch aus, als wollte das Untier Sie mitten entzwei beißen, und nun haben Sie nichts als eine Sammlung von Nadelstichen im Leib. Geistesgegenwart haben Sie bewiesen, das muß ich sagen!«

»Ich weiß selber nicht, wie es kam,« meinte Friedrich. »In solch kitzlicher Lage denkt man nicht mehr nach, man handelt mehr unbewußt; es ging ja alles wie der Blitz. Gefühlt habe ich nicht viel: es war mir, als habe mich das Tier so gelinde gefaßt wie etwa ein Hund, der im Spiel die Hand seines Herrn packt. Freilich waren die Zähne so scharf, daß sie dennoch blutige Spuren zurückließen.«

»Stimmt, stimmt!« bestätigte Schulze. »Es paßt ganz zu den Berichten der Reisenden, namentlich auch Humboldts. Im Schwimmen schließt das Krokodil die Kinnladen nicht fest, und wenn es einen Menschen um den Leib faßt, so ist dieser erste Biß meist ungefährlich. Es gibt viele Beispiele von Rettungen aus dem Rachen eines Alligators, die ebenso glücklich verliefen. Es kommt freilich auch vor, daß so ein Tier mit einem Schnapper einen Arm oder ein Bein abbeißt wie ein Haifisch. Das ist aber so wenig die Regel, daß Doktor Junker zum Beispiel gar nicht daran glauben wollte, bis ihm einmal ein Negerjunge vorgeführt wurde, dem ein Krokodil den Unterarm glatt abgebissen hatte.«

»Ein Glück, daß der Räuber nicht mit dir unter Wasser tauchte,« schaltete Ulrich ein.

»Ja, da hätte er Sie wohl ersäuft!« nahm Schulze wieder das Wort. »Aber gewöhnlich schleppt das Krokodil sein Opfer eine Zeitlang über Wasser fort, ehe es untertaucht. Auch dies bestätigen mehrere Berichte, nach denen viele Augenzeugen den Kampf von Menschen mit den widerlichen Schuppentieren bis zu Ende mitansehen konnten.«

Ulrich wandte sich nun an Schulze mit der Frage: »Glauben Sie, daß solch ein Ungeheuer sich wirklich durch Kitzeln von seiner Mordlust abbringen läßt? Ich habe von diesem Mittel gehört und wollte es, so unglaublich es mir schien, versuchen.«

»Die Tatsache kann allerdings nicht geleugnet werden,« erwiderte Schulze. »Paez und Emerson Tennent wissen von solchen Vorkommnissen zu berichten, und Sachs hat den gleichen Fall erlebt: ein Krokodil hatte sich in dem Netze verfangen, mit dem er Gymnoten fischen wollte. Ein Eingeborener tauchte unbedenklich unter Wasser und löste das Tier aus den Maschen, indem er es durch Kitzeln an den Weichteilen besänftigte. Das beweist zugleich, daß selbst unter Wasser der Kampf mit dem Kaiman aufgenommen werden kann. Das Mittel jedoch, das Friedrich anwendete, dem Ungeheuer in die Augen zu greifen, scheint das sicherste zu sein. Es ist in Südamerika allgemein bekannt, und auch die Neger Afrikas wenden es an. Der Diener Mungo Parks rettete sich zweimal auf diese Weise. Humboldt erzählt ferner von einem Mädchen aus Uritucu, das sich dadurch half. Auch Sachs bezeugt es: solchen gewichtigen Zeugnissen gegenüber kann der eingefleischteste Zweifler nicht mehr die Tatsache leugnen. Freilich hilft das Mittel nicht jedesmal. So erzählt Humboldt von einem Guayqueriindianer, der, von einem Krokodil am Beine gepackt, zunächst vergeblich nach einem Messer in seiner Tasche suchte, dann den Kopf des Tieres packte und ihm die Finger in beide Augen stieß. Statt aber, wie es sonst geschah, mit Gebrüll seine Beute fahren zu lassen, tauchte in diesem Fall das Krokodil unter und ertränkte den Unseligen. Jedenfalls soll uns das heutige Abenteuer zur Warnung dienen: fortan wird nur noch in solchen Gewässern gebadet, die durchaus frei von derartigen Gefahren sind!«


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