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67. Der Ursprung der Inka

Am andern Morgen empfing der alte Inka unsere Freunde, und nachdem er sich erkundigt hatte, wie sie geruht hätten, hielt er ihnen folgende Ansprache:

»Meine Söhne sind Freunde meines Sohnes, und ihr Leben ist sicherer hier oben als es je dort unten sein kann. Aber sie kennen nun das heilige Geheimnis der Omagua, das dort unten nur einer wissen darf von den Lebenden, und das dort keiner weiß außer dem großen Morekuat der Napo, Narakatangetu. Die andern Häuptlinge der Napo wissen nur, daß Manoa hier oben verborgen liegt, sie kennen aber nicht die Geheimnisse seines Zugangs.

»Meine Söhne dürfen nun nicht mehr hinab, sie müssen hier oben bleiben; aber Patschakamak hat ihnen einen klaren Verstand gegeben, daß sie die Unmöglichkeit einsehen, den Weg wieder zurückzugehen, den sie gekommen sind, denn er ist nun so stark bewacht, daß ein ganzes Heer seine Zugänge nicht erzwingen könnte. Meine Söhne werden jedoch schauen, wie herrlich unser Reich hier oben ist, sie werden sein Glück und seinen Frieden genießen und nicht mehr zurückbegehren in die Täler des Elends, der Leidenschaften und des Blutvergießens, und ihr greiser Vater wird ihnen das Geheimnis des Lebens und das Geheimnis des Glücks offenbaren.«

Als der Greis sie hierauf verließ, sagte Friedrich: »Der Alte befindet sich in einem Irrtum; er meint nicht anders, als es sei uns gelungen, durch sein unterirdisches Schloß auf dem einzigen Wege, den er kennt, einzudringen. Ob er nun glaubt, ich habe mich hinausgeschlichen und euch geholt oder ihr habet gleich mir den Zugang genügend gekannt, um zu mir zu gelangen und dann mit mir emporzusteigen, das weiß ich nicht; jedenfalls denkt er so wenig an eine andere Möglichkeit, daß er es nicht einmal der Mühe wert findet, uns zu befragen. Wie sollte er auch ahnen, daß zwei so merkwürdige Zufälle durch die verlassenen Bergwerke, einen Weg gebahnt haben, die er selber nie besucht hat, und deren einzigen Zugang er zu kennen glaubt, nämlich den, der von seinem unterirdischen Palast aus durch die Hallen führt, die er mir zur Wohnung anwies?«

»Wir dürfen ihn ja nicht über seinen Irrtum aufklären,« sagte Ulrich, »sonst berauben wir uns jeder Möglichkeit, wieder von hier zu entkommen.«

»Aber wir wollen doch nicht so gleich wieder fort?« schaltete Schulze etwas besorgt ein. »Dieses Land scheint mir wie kein anderes wert, durchforscht zu werden; wir könnten da Dinge zu sehen bekommen, die wir nie mehr im Leben schauen werden.«

»Sie haben recht,« erwiderte Ulrich. »Aber vor allem handelt es sich auch darum, unsere Flucht so lange hinauszuschieben, bis wir vor jeder Überraschung sicher sind. Bleiben wir einige Wochen in aller Ruhe da, so wird man uns nicht mehr besonders beachten, man wird meinen, wir haben uns in unser Schicksal ergeben, wir wollten gar nicht mehr fort. Wir werden ohne Aufsicht im Lande umherstreifen können, da man ein Entweichen für ausgeschlossen hält; und wenn sie einmal gewohnt sind, daß wir oft mehrere Tage auf unsern Ausflügen fortbleiben, so wird unsere Flucht, wenn wir sie einmal bewerkstelligen, lange Zeit gar nicht bemerkt werden, und so sind wir vor einer wirksamen Verfolgung sicher.«

Dies wurde allgemein anerkannt, und alle, Unkas mit eingeschlossen, gelobten, strengstes Stillschweigen über ihr kostbares Geheimnis zu bewahren.

In den ersten Tagen ihrer Anwesenheit in Manoa leistete ihnen der alte Inka häufig Gesellschaft und erzählte ihnen auf ihre Fragen hin gar manches aus alter Zeit. Wie lebte er auf, wenn er vom Glanze des Inkareiches berichtete, wie verfinsterten sich seine schmerzlich bewegten Züge, wenn er auf die spanische Eroberung und die Grausamkeit und Zerstörungswut der Konquistadoren zu sprechen kam.

»Man sagt,« hub Friedrich eines Tages an, »die Völker von Peru seien ursprünglich wild und barbarisch gewesen, und erst die Ankunft der Inka habe Gesittung, Kultur und Glück dem Lande gebracht. Woher kamen denn diese Inka?«

»Mein Sohn fragt Großes,« sagte der Alte. »Wer weiß die Ereignisse vergangener Tage? Es wird viel davon erzählt, doch nicht immer stimmen die Kunden überein, und manches bleibt dunkel.

»Nachdem das große Wasser alle Lande bedeckt hatte und sich wieder verlief, bevölkerten sich die verödeten Länder von neuem, und Ophir, der Urenkel des Mannes, den ihr Noah nennt, zog ein in Tahuantinsuju, und seine Nachkommen lebten daselbst wohl ein halbes Jahrtausend in Glück und Frieden und großer Einigkeit, den Weltenschöpfer anbetend.

»Sechshundert Jahre nach der Flut aber brachen fremde Völker ein und verheerten das Land, das bald von einem wilden ungesitteten Menschenschlage bewohnt war. Daß dies früher anders gewesen war, beweisen die vielen wunderbaren Überreste aus einer Zeit, lange ehe die Inka hierherkamen. Wer die Ruinen von Tiahuanako gesehen hat, wird es erkennen; dort findet man viele kunstvolle Steinbilder, gewaltige Mauern, große Tore, dreißig Fuß breit, fünfzehn Fuß tief und sechs Fuß hoch, aus einem einzigen Blocke gehauen, daneben zahlreiche Höhlen und Grotten – unterirdische Wohnungen. Kein Mensch weiß, mit welchen Kräften diese Steine in eine Gegend gebracht wurden, in der weit und breit weder Felsen noch Steinbrüche zu finden sind. Aber das Geschlecht, das diese Wunderbauten schuf, war verschwunden, und Elend und Blutvergießen bedrückten die unglücklichen Nachkommen eines glücklichen Volkes.

»Da hatte der Sonnengott Mitleiden mit diesen blinden Menschenkindern und sandte ihnen seine eigenen Söhne, um sie zu beglücken. Nach Mexiko kam der milde Gott Quezalcoatl selber in einer Riesenmuschel gefahren, nach Tahuantinsuyu aber, das ihr Peru nennt, kam Intiptschurin, der Sohn der Sonne, mit den Seinigen. Einige sagen, diese Sonnenkinder seien von der glücklichen Insel Atlantis gekommen, um Licht zu bringen in die Finsternis der Völker.

»Die Eingeborenen aber erkannten sie als Göttersöhne und unterwarfen sich ihnen. Und die Sonnenkinder gründeten die Königsstadt Kuzko. Dort herrschten die großen Könige Manko Kapak, Tupak Kapak, Inti Kapak Pirua Amaru, Kapak Sayhua Kapak, Kapak Tinia Jupanki, Ayar Tacko, der Besieger der Riesen, Huaskar Titu, Kispi Titu, Titu Jupanki Patschakutek, Titu Kapak, Paullu Tikak Pirua, Lloke Tesag Amanta, Cayo Manko Amauta und achtzig weitere Könige, die ihr Volk beglückten und das Reich an Glanz und Umfang mehrten.

»Auf diese Könige folgten die großen Inka, von deren Regierung und Heldentaten viel zu erzählen wäre. Wenn es euch lüstet, Wunder zu vernehmen, so mangelt es uns ja nicht an Zeit; wir werden noch manchen Tag finden, da ich euch alte Geschichten berichten kann. Der letzte Inka, der vor der Ankunft der Spanier starb, Huayna Kapak, war ein so gewaltiger Held und von seinem Volke so geliebt, daß die Weißen niemals das Land gewonnen hätten, wäre er noch am Leben gewesen.

»Doch lasset euch erzählen von dem Glanz und dem Glücke des Inkareiches.«


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