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41. Die Guahibomutter

Kurz vor dem Einfluß des Rio Temi in den Atabapo sieht man am westlichen Ufer des Flusses eine Granitkuppe, die die Spanier Piedra de la Madre oder den Felsen der Guahiboindianerin heißen, wörtlich: »Stein der Mutter.«

Am Abend des 16. Novembers lagerten am Fuße dieses Felsens drei Männer in spanischer Tracht und zwei Indianer, die sie offenbar als Diener begleiteten.

Die Indianer hockten schweigend an einem Feuer, über dem sie ein Stück Wild am Spieße brieten; ihre Herren ruhten in bequemen Stellungen an einem zweiten Feuer und schienen sich ihren Gedanken hinzugeben.

»Was hat es eigentlich für eine Bewandtnis mit diesem Felsen, Alvarez?« Mit dieser Frage unterbrach einer der drei das Schweigen, ein schlanker Mann mit hagerem lederfarbenem Gesicht und spitzem Schnurr- und Kinnbart.

»Das ist eine lustige Geschichte,« erwiderte der Angeredete mit widerlichem Lachen, indem er sich über das glatte rotbraune Gesicht strich. »Der Padre von San Baltasar hat sie mir schon früher des langen und breiten erzählt, als er mich bei meiner ersten Reise in diesen Wäldern bis nach Maroa begleitete. Der gute Padre! Er schien die Sache so rührend zu finden!«

»Eine rührende Geschichte?« rief der dritte des Kleeblatts boshaft auflachend aus. »Das ist ja reizend! Nur heraus damit. Es fängt schon lange an recht langweilig zu werden – immer nur El Dorado und wieder El Dorado! Aber die Reise! Mich reut bereits, euch in diese Wildnisse gefolgt zu sein.«

»Ach was, Diego! Wenn du einmal die Goldstadt erblickst, wirst du anders sprechen, da denkst du der Strapazen nicht mehr!«

»Ja! wenn – wenn! Nun, ich will nicht wieder anfangen, aber laß einmal deine Geschichte hören: also, warum nennen sie diesen Felsen ›Piedra de la Madre‹?«

»Nun denn! Ihr wißt, daß die Spanier an allen Flußläufen eine Unzahl Missionen errichtet haben, um die armen Seelen der roten Heiden zu retten und den Glanz der Kirche zu mehren. Na, durch solche guten Werke erlangt man Ablaß für Sünden und Verbrechen, und das hatten sie so nötig wie wir.

»Aber die Indianer kamen nicht, und wer kam, entlief, sobald er den Segen der Mission auf seinem blutrünstigen Rücken zu peinlich empfand. Ha, ha! Sie wußten nicht, daß es für sie eine große Ehre war, von edlen Spaniern mit der Seekuhpeitsche bekehrt zu werden. Für die Weißen arbeiten mochten sie auch nicht, da sie ihre wilde Freiheit der Sklaverei vorzogen, als ob sie zu etwas Besserem geschaffen wären!«

»Dumm und faul, wie heute!« murmelte Diego. »Nicht wahr, Lopez?«

»Ich habe weniger indianisches Blut in den Adern als du!« erwiderte Lopez finster, da er aus der Frage des Gefährten einen leisen Spott herauszuhören glaubte: die beiden stritten sich immer, wer von ihnen ein echterer Spanier sei, obgleich sie wiederum die Vollblutspanier haßten und verachteten.

»Streitet nicht wieder!« nahm Alvarez das Wort. »Darin sind wir jedenfalls einig, daß dem Indianer die Peitsche gehört, und daß es eine Schande ist, wenn man ganze Völker von ihnen noch in Unabhängigkeit herumstreifen läßt. – Aber zu meiner Geschichte: also! der Missionar von San Fernando sah, daß es mit dem Seelenfang nicht vorwärts gehen wollte, so griff er denn zu dem ebenso einfachen wie beliebten Mittel der Menschenjagd.«

»Dieses Mittel ist aber sowohl durch die Religion wie durch die spanischen Gesetze verboten,« schaltete Diego ein.

»Pah! Was der Kirche nützte, tat sie stets, unbekümmert um religiöse Engherzigkeit und unpraktische Staatsgesetze. Der Missionar zog mit bewaffneter Macht an den Guaviare, ließ einige Dörfer niederbrennen und jeden, der Widerstand leistete, niedermachen, denn es war ihm hauptsächlich um die Kinder zu tun; die Erwachsenen sind starrköpfig und schwer zu bekehren und bilden oft eine Gefahr für die Missionen. Es ist daher besser, sie gleich zur Hölle zu senden, der sie doch verfallen sind, ehe sie weiteren Schaden anrichten.«

Ein widerliches Gelächter bekundete den Beifall, den die Zuhörer dieser Bemerkung spendeten.

Alvarez fuhr fort: »Nun fand man in einer Hütte ein Guahiboweib mit drei Kindern, von denen zwei noch nicht erwachsen waren. Sie waren damit beschäftigt, Maniokmehl zu bereiten, während der Vater auf den Fischfang ausgegangen war. Mutter und Kinder wurden gefesselt und in der Pirogue nach San Fernando gebracht.

»Niemand dachte daran, daß sich die Guahiba zu Lande durch den pfadlosen Urwald je wieder in ihre abgelegene Heimat zurückfinden könne, wagt sich doch nicht einmal der Indianer in eine ihm unbekannte Wildnis. Überdies sind da die Schlangen und der Jaguar, die ein Indianerweib so gut wie eine zarte Donna von Caracas fürchtet.

»Allein die Mutter versuchte mehrmals, mit ihren Kindern zu entfliehen; weit kam sie nicht. Es war eine lustige Hetzjagd, das schwache Wild mit den zitternden Kleinen wieder einzufangen, und dann wurde jedesmal ihr vom Gestrüpp zerrissener Leib mit der Peitsche noch etwas gründlicher zerfleischt und so rot gefärbt, wie es sich mit dem Onoto nicht machen läßt.«

»Ja! Und die schönen Zeichnungen, die der Riemen hinterläßt!« spottete Lopez. »Es ist eine Freude: kein Regenguß wäscht sie so bald ab!«

»Bei dem Teufelsweib half aber das alles nicht,« fuhr Don Jose de Alvarez unentwegt fort. »Als der Padre sah, daß seine väterliche Güte hier nichts ausrichtete, beschloß er, sie von ihren Kindern zu trennen, da sie deren Seelenheil hinderte. Als man sie jedoch den Atabapo hinaufführte, um sie in den Missionen des Rio Negro zu begraben, gelang es ihr, ihre Fesseln zu lösen und ans Ufer zu schwimmen. An eben der Stelle, wo wir jetzt lagern, kletterte sie empor, aber die Jäger waren schneller als das Wild; sie legten sie auf den Felsen und ließen die Peitsche so lustig auf ihr herumtanzen, daß der von ihrem Blute überströmte Fels eine Taufe empfing, von der er seither seinen Namen hat. Nach dieser kleinen Operation schien es nicht mehr nötig, das Weib zu binden: man hätte glauben sollen, es könne keinen Schritt mehr machen. Aber die Sorge um eine verlorene Seele macht vorsichtig, und so wurde die Guahiba besser gefesselt als zuvor und in die Mission Javita gebracht. Dort sperrte man sie ein.

»Was tat das verrückte Weib? Es zernagte seine Bande und entwich aus der Hütte, in der man es nur nachlässig bewachte, da man es halb tot wähnte, und durch eine Wildnis, die noch keines Menschen Fuß betreten hatte, fand es sich nach tagelangem Wandern, von Ameisen sich nährend, zurück nach San Fernando. Aber die Guahiba war toll, wenn sie glaubte, sie werde ihre Kinder wiedersehen. Über solchem Eigensinn und Trotz verlor der Missionar alle Geduld und ließ sie so weit fortbringen und so gut verwahren, daß ihre Rückkehr nicht mehr zu fürchten war. Sie nahm aber keine Speise mehr zu sich und starb: so konnten ihrer Kinder Seelen gerettet werden.«

Diego und Lopez schwiegen. Es mochte sie doch etwas an dieser großen Mutterliebe und der schändlichen Grausamkeit, mit der sie erstickt werden sollte, bewegt haben, denn die Lust zu spötteln war ihnen vergangen.

Zwei Tage darauf langten auch unsere Freunde am Fels der Guahiba an, sie hielten sich aber auf dem anderen Ufer des Atabapo und ahnten nicht, daß ihnen feindlich gesinnte Menschen so kurz zuvor an dieser Stelle gerastet hatten.


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