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70. Die Rache der Sonnenkinder

Nach einer Pause fuhr der Greis wieder fort: »Ein Sohn Mankos, Xairi Tupak Yupanki, ließ sich von den Weißen durch friedliche Versprechungen locken, sich unter sie zu begeben; kurze Zeit darauf gaben sie ihm Gift. Auch sein Bruder Kusi Titu Kispe Yupanki wurde von einem christlichen Priester, den er freundlich aufgenommen, und von dem er sich sogar mit seiner Gemahlin hatte taufen lassen, später vergiftet.

»Der spanische Vizekönig Francisco de Toledo beschloß, um das Volk, das voller Verehrung an den Inka hing, ganz unter das spanische Joch zu bringen, die Nachkommen der Inka sämtlich auszurotten; er verbannte sie in die schlimmste Fiebergegend, wo innerhalb eines Jahres achtunddreißig starben von neununddreißig, die seinem Befehle Folge geleistet hatten.

»Noch lebte aber der jüngste Sohn des Inkas Manko, Tupak Amaru, das heißt ›die glänzende Schlange‹. Dieser entkam der Verfolgung des Vizekönigs und gelangte zu seinem Vater, der sich zu den Omagua zurückgezogen hatte. An seiner Statt wurde sein Vetter gleichen Namens, der ihm sehr ähnlich sah, von den Spaniern ergriffen und nach ungerechtem Richterspruch auf dem Haukaypataplatz in Kuzko hingerichtet. Nun glaubten die Spanier, die Inka vernichtet zu haben.

»Seht, weiße Männer! In Tahuantinsuyu lebte ein glückliches Volk sorglos und zufrieden, reich an Gütern des Erdenlebens, an Schätzen des Wissens und an allen Tugenden: die Tücke der Weißen, die freundliches Entgegenkommen mit blutiger Grausamkeit lohnten, hat sein Glück vernichtet! Wo die Eroberer durchzogen, wurden blühende Dörfer wie durch Feuerbrand verheert, fruchtreiche Gelände wurden zur Wüste, die reichen Herden fielen der Vernichtung anheim; Gesetz und Ordnung, Wohlstand und Kultur, Güter, die in Jahrhunderten angesammelt und zur höchsten Blüte gebracht worden waren, in wenig Jahren wurden sie zertrümmert! Kein größerer Eroberungszug wurde von den Spaniern unternommen, der nicht mindestens zehntausend begleitenden Indianern das Leben kostete; Dörfer, die bei der Ankunft der Spanier vierzig- bis fünfzigtausend Einwohner zählten, hatten deren nach wenigen Jahren kaum noch ein paar Hundert! Das Volk war bereit, die Fremden gastlich auszunehmen und alles willig von ihnen zu lernen und anzunehmen, was diese vor ihm voraushatten; aber die herzlosen Barbaren kamen nur, um zu zertrümmern und zu rauben: vergangen ist all das Große, Schöne und Gute und nie durch nur annähernd so Herrliches ersetzt worden; Elend und Mühsal wurden meinem Volke zuteil, das heute noch unter Seufzern und Klagen singt und sagt von der entschwundenen Herrlichkeit des großen Inkareiches.

»Die einzige Rache, die es an den Feinden nahm, war, daß es deren Goldgier betrog; die Schätze der Kaiserstadt Kuzko sind, wie zuvor die Schätze der Azteken, in den See Manoa versenkt worden; die unerschöpflichen Gold- und Silberminen wurden verschüttet und verborgen, so daß kaum die Eingeweihten sie noch zu finden vermöchten; die reichen Edelsteinlager wurden verheimlicht, und die Goldfahrer, die Manoa suchten, wurden getäuscht und irregeführt.

»Hier herauf hat sich der Rest unseres Glückes geflüchtet, wir haben das Felsengebirge auf allen Seiten unzugänglich gemacht, das sanftansteigende Tal, das früher heraufführte, vermauert, daß eine natürliche Felswand es abzusperren scheint; einen einzigen Zugang haben wir übrig gelassen im Innern der Erde, wohlverborgen und gut bewacht; und das Geheimnis dieser Stätte, wie auch die andern Geheimnisse, die ich genannt habe, werden seit Jahrhunderten gehütet in unverbrüchlichem Schweigen.

»Wären die Weißen als Freunde gekommen, sie hätten bis auf den heutigen Tag von uns Gold und Silber und Edelsteine freiwillig erhalten können, millionenmal mehr, als sie je mit Gewalt dem Lande raubten; denn uns diente es nur zu Schmuck und Augenweide, ihnen ist es ihr ein und alles; aber unsere Reichtümer kosteten uns unser Blut und unser sonniges Glück; darum haben wir sie verborgen und verschlossen vor der Gier der Christen: das war die Rache der Sonnenkinder. Aber die Zeit wird auch noch kommen, wo das weiße Elend ein Ende nimmt und das rote Glück wieder emporblüht!«

»Du sprachst davon, daß sich Manko und Tupak Amaru bei den Omagua aufhielten,« begann Friedrich mit gespannter Aufmerksamkeit, als der Greis innehielt, »was ist aus ihnen geworden?«

Der Greis richtete sich hoch auf, seine Augen blitzten und seine Wangen färbten sich mit jugendlichem Feuer, als er antwortete: »Inka Manko ist es, der zu seinen weißen Brüdern geredet hat, und der hier eintritt, ist sein tapferer Sohn, der Inka Tupak Amaru, ›die glänzende Schlange‹!«

Verwirrt blickten unsere Freunde von einem zum andern. Der junge Inka lächelte, als er ihre Verblüffung sah.

»Dreihundertundfünfzig Jahre sind verflossen seit den Tagen jener Inka ...« stammelte Ulrich.

»So ist es! Aber Manko hat das Geheimnis des Lebens und der Jugend entdeckt: er ist ein Greis von mehr als vierhundert; sein Sohn ist um wenige Jahrzehnte jünger; aber Tupak Amaru bleibt wie ein Jüngling, bis es ihm selber gefällt, alt zu werden.«

Nun erst erschienen einige frühere unverständliche Äußerungen des Alten unseren Freunden in ganz neuem Licht; aber was er sagte, war doch zu wunderbar, als daß sie ihm hätten ohne weiteres Glauben schenken können. Unkas allein schien trotz seines Staunens keinen Zweifel zu hegen; Friedrich war auch nicht abgeneigt, dem Inka zu vertrauen; Schulze aber lächelte spöttisch, und Ulrich wußte nicht, was er sagen sollte.

Manko beobachtete diese Wirkungen seiner Worte mit sichtlichem Behagen: er las den Anwesenden alle ihre Gedanken vom Antlitz. »Später,« sagte er, »sollt ihr hierüber mehr erfahren, an geeigneterem Orte; nun höret noch von unseren Plänen und Hoffnungen.

»Als ich das Geheimnis des Lebens gefunden hatte, sammelte ich um mich die Tapfersten der Omagua und siedelte sie an den Ufern des Sees Manoa an; den Tüchtigsten erhielt ich Jugend- und Lebenskraft durch Jahrhunderte, ebenso den Besten derer, die schon diese Stätten bewohnten; nach und nach zog ich auch andere der kriegerischsten und edelsten Stämme in dieses Paradies; so die Tayronen und die Reste der Aturen: hier leben alle die Stämme, von den man dort unten glaubt, sie seien vom Erdboden verschwunden. Von denen, die drunten sind, weiß nur immer der Oberhäuptling der Napo unser ganzes Geheimnis; die andern Häuptlinge wissen wenig davon, und ihre roten Krieger wisse nur so viel, daß der Inka Manko irgendwo verborgen lebt, und daß er einst mit großer Macht wiederkommen wird, den Roten das Reich zurückzuerstatten.

»Die Weißen verderben sich selber und zerrütten ihre Kraft durch Leidenschaften und Feindseligkeiten untereinander; hier oben aber sammelt sich ein stets sich mehrendes jugendstarkes Volk an, reich an Weisheit und Tugenden und unüberwindlich, sobald es sich wider die Feinde erheben wird. Ist die Zeit gekommen, so bedarf es nur eines Winkes von mir oder meinem Sohne, und alle freien Indianer werden sich zusammenscharen und die Städte und Länder der Weißen von einem Meer zum andern einnehmen. Nur soweit es nötig erscheint, werden sie Blut vergießen; denn keine grausame Rache begehren wir, sondern allein die Wiederherstellung des alten Reiches, die Zurückführung der goldenen Zeiten soll es gelten.

»Sollte der Widerstand der Weißen zu stark sein – so würden die Krieger von Manoa den roten Brüdern zu Hilfe erscheinen und dann sind die Weißen verloren; denn gegen die Vernichtungskräfte, deren Kenntnis wir haben, sind auch die Schießwaffen der Christen nichts wert.

»Und wenn die Arbeit geschehen ist, wenn Tupak Amaru das Reich seiner Väter und viele andere dazu in Besitz genommen hat, dann werden wir das Land überfluten wie ein Meer und das alte Inkareich wieder in neuer Herrlichkeit aufbauen; besser und segensreicher noch als zuvor werden seine Gesetze und Einrichtungen sein, und wer eine Zuflucht sucht vor Unfrieden und Elend, vor Sorgen und Not, vor Haß und Verfolgung, vor Krankheit und Alter, der wird hereinkommen in unser Friedensreich und wird freundliche Aufnahme finden; und Glück und Liebe, Gerechtigkeit und Menschlichkeit werden von selber alle unsere Untertanen zu treuen Gliedern des blühenden Staates machen; dann wird die Sehnsucht der roten Söhne dieses Landes erfüllt sein, dann werden die Edelsten unter den Weißen sich mit ihnen verbrüdern: das ist die Hoffnung der Sonnenkinder!«


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