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33. Neue Reisegefährten

Otomak ließ seine Gäste am anderen Morgen nur schweren Herzens scheiden; gar zu gerne hätte er ihnen ein Geschenk gemacht; doch außer einigen Lebensmitteln wußte er nicht, was er ihnen geben könnte.

Da fiel sein Auge auf den kleinen Brüllaffen Salvado. »Wie kommen meine Brüder zu dem Tier?« fragte er verwundert. »Die Araguato sind nicht leicht lebendig zu fangen.«

Friedrich erzählte das Abenteuer in den Llanos, dem sie den Besitz des munteren Geschöpfes verdankten.

»Und die weißen Jäger haben eine Freude an dem Äffchen?«

»Wir möchten es um keinen Preis mehr hergeben!«

»So mögen meine Brüder noch eine Weile verziehen.«

Otomak entfernte sich, kam aber bald wieder mit zwei zahmen Äffchen, die den Araguato an Schönheit bedeutend übertrafen und ganz eigenartig aussahen.

»Das hier ist ein Macahavu,« sagte der Häuptling, auf das eine Äffchen weisend, das einen glänzenden, schönen schwarzen Pelz besaß. Über das Gesicht ging ein weißer, ins Bläuliche spielender Fleck, der nicht anders als eine Larve aussah – eine venezianische Seidenhalbmaske, die Augen, Nase und Mund bedeckte. Die Ohren mit umgebogenem Rand waren kahl und klein.

»Viudita!« rief Matatoa beim Anblick dieses merkwürdigen Geschöpfes aus.

» Simia lugens!« sagte seinerseits Schulze lakonisch.

Dieser lateinische Name in Verbindung mit dem spanischen fiel Friedrich auf. »Viudita,« sagte er, »viudita – lugens? Warum nennt ihr das hübsche Tier eine trauernde Witwe?«

»Da seht doch,« erwiderte Matatoa, »über das Gesicht trägt der Macahavu einen Schleier, vorn am Halse ein weißes Halsband, und die Vorderhände sind am Rücken weiß, während sie an der Innenfläche glänzend schwarz sind wie die Hinterhände auf beiden Seiten. Also! Schleier, weiße Halsbinde, weiße Handschuhe – genau wie eine trauernde Witwe!«

Das sanfte, schüchterne Aussehen des Tieres, das übrigens sehr lebhaft sein kann und den Vögeln mit katzenartiger Wut nachstellt, gewann ihm alsbald die Herzen der Deutschen.

Nun wies Otomak auf den zweiten Affen: »Bititeni!« sagte er.

»Titi,« echote Unkas.

» Simia sciurea,« erläuterte der Mann der Wissenschaft.

Dieses Äffchen mit dem weißen Gesicht und einem blauschwarzen Fleck über Mund und Nase war äußerst zierlich gebaut und hatte einen prächtigen goldgelben Pelz. Es gefiel noch mehr als der Macahavu; denn sein Gesicht glich auffallend dem Antlitz eines Kindes mit dem Ausdruck der Unschuld und einem schalkhaften Lächeln.

Otomak sah mit Vergnügen, welche Freude besonders Ulrich und Friedrich an den reizenden Tieren hatten. »Mögen meine Brüder sie annehmen als ein Andenken an Otomak, dessen Seele sie auf ihrer Reise begleitet. Der Macahavu meidet sonst die Gesellschaft anderer Affen und flieht namentlich vor dem Bititeni; dieser ist aber so zahm, daß er ganz vergnügt mit dem Kameraden, mit dem er gleichzeitig aufgezogen wurde, umhertrollt, und ihr werdet sehen, er wird sich auch mit eurem Araguato gut vertragen.«

Mit dieser Voraussage hatte Otomak vollkommen recht; denn noch im Laufe des Tages schlossen die drei so verschiedenen Affen die innigste Freundschaft.

Nun verabschiedeten sich die Reisenden mit lebhaftem Dank und Versicherungen eines guten Andenkens von Otomak und den übrigen Guahibo, die ihnen noch halfen den Suapure übersetzen.

Die Brandwunden an ihren Füßen schmerzten sie, dank den ausgezeichneten Heilkräutern, kaum mehr; dennoch waren sie froh, daß sie nicht zu Fuß gehen mußten, sondern gute Reittiere besaßen.

Unkas erzählte unterwegs, wie sich die Indianer in den Besitz der jungen Affen setzen, die sie zum Verkauf zähmen. Es geschieht dies auf grausame Weise. Die Saïmiri, wie die Titi vom Orinoko auch genannt werden, sind äußerst empfindlich gegen Nässe und Kälte. Sobald es regnet, verschränken sie Arme und Beine und legen den langen Schwanz um den Hals, wobei sie sich eng aneinanderpressen, um sich gegenseitig zu erwärmen. Die Indianer schießen nun ihre giftigen Pfeile in einen solchen Knäuel; alsbald fallen die verwundeten Tiere herab, wobei sich die Jungen fest an die Mutter klammern. Da die Kleinen auch von der sterbenden und toten Mutter nicht weichen, sind sie leicht zu fangen.

Aus ziemlicher Höhe sah man nun in das Bett des Orinoko hinab, das mit glatten, schwarzen, meist rundlichen Granitblöcken erfüllt war. Brausend zischte der Strom hinauf und vorbei an diesen größeren und kleineren Hindernissen, die wie geglättete Lava oder schwarzer Marmor aussahen. Der weiße Gischt bildete einen malerischen Gegensatz zu den kohlschwarzen Klippen. Man nennt diese Stromschnellen, die Tausende von kleinen Wasserfällen bilden, »Los Remolinos«.

Noch wilder und großartiger sah der Raudal de Marimara aus: hier laufen die Blöcke wie die Pfeiler einer Riesenbrücke fast über die ganze Breite des Stromes weg, und eine Granitsäule von hundert Metern im Umfang ragt vierundzwanzig Meter hoch empor; dies ist die Piedra de Marimara, unter der das Wasser wie siedend heraufschießt.

Infolge dieser Einengungen tritt der Fluß oft tief ins Land hinein über die Ufer und bildet weite Buchten in den Felsen.

Neben der Großartigkeit dieser Landschaftsbilder, die durch das donnernde Getöse des Stromes noch erhöht wurde, waren es die neuen Reisegefährten, die hübschen Affen, die unseren Freunden unaufhörlich Unterhaltung boten. Die »Witwe in Trauer«, der Friedrich wegen ihrer venezianischen Maske den prunkvollen Namen »Dogaressa« beilegte, konnte stundenlang regungslos dasitzen, als ob sie schliefe; ihre lebhaften Augen verrieten jedoch, mit welcher Aufmerksamkeit sie alle Vorgänge um sich her verfolgte. Einigemal, wenn sie einen kleinen Vogel erblickte, erhaschte sie blitzschnell einen überhängenden Zweig und kletterte mit unglaublicher Behendigkeit empor. Meist wurde dann auch der arme Sänger ihre Beute, die sie kalten Herzens erwürgte. Diese Mordtaten trugen aber der Dogaressa stets eine tüchtige Tracht Prügel von Ulrichs erbarmungsloser Hand ein, so daß das gescheite Tier bald von seiner üblen Gewohnheit abließ.

Der Titi, den Friedrich wegen seiner Ähnlichkeit mit einem Kinde »Bambino« nannte, zeigte ein äußerst zartes Gemüt; wie ein Kind konnte er in einem Augenblick von der größten Lustigkeit zur tiefsten Niedergeschlagenheit übergehen, und umgekehrt. Und was das rührendste war, sobald ihn etwas in Angst oder Betrübnis versetzte, füllten sich seine großen Augen mit echten Tränen!

Er erwies sich bald als das klügste der drei Tiere. Insekten, besonders Spinnen, waren seine Lieblingsspeise, und dank seiner Findigkeit im Aufspüren solchen Ungeziefers in all seinen Schlupfwinkeln wurden die Reisenden nie mehr von Skorpionen oder Tausendfüßlern überrascht.

Heute legten sie nur eine kurze Strecke Weges zurück, da sie erst spät am Tage das Indianerlager verlassen hatten. Es dämmerte schon, als sie den Hafen von Carichana erreichten, eine wildromantische Gegend; das hohe Felsenufer warf seine Schatten über den Orinoko, dessen Gewässer tiefschwarz erschienen.

Carichana selber, wiederum eine verlassene Mission, war, der Überschwemmungen wegen, ziemlich weit vom Ufer weg angelegt worden. Das Tal von Carichana ist von ausnehmender Naturschönheit. Schon einigemal waren die Reisenden durch grasbewachsene Ebenen geritten, die sich streifenförmig zwischen die Bergketten einschieben, die von Encaramada bis Maypures senkrecht gegen den Strom auslaufen. Immer waren ihnen diese urwaldumsäumten Wiesentäler nach der Großartigkeit des Urwalds oder der Felsenlandschaften besonders lieblich erschienen.

Die Ebene von Carichana aber wies eine Eigentümlichkeit auf, die sonst nur in der Mongolei zu finden ist: in der weiten Wiesenfläche zeigten sich gewaltige Felsplatten oder -bänke, die oft an die dreihundert Meter im Umkreis messen mochten und sich nur wenig über die umgebende Grasflur erhoben. In der Dämmerung konnte man diese kahlen Tafeln für Seen halten.

Ulrich und Friedrich machten sich das Vergnügen, auf einer dieser schönen Reitbahnen umherzutraben. Die Gefährten folgten ihnen.

»Da würde ich ein Idealdorf hinbauen!« rief Friedrich lustig aus. »Alle Häuser aus Felsen gegründet und die Straßen von Natur gepflastert, wie asphaltiert, so glatt, und ohne Unterhaltungskosten auf Jahrhunderte hinaus stets im besten Stand!«

Wirklich anheimelnd erschien diese liebliche Gegend. In weiter Ferne waren die dämmernden Wiesen vom Urwald umsäumt, und der Horizont war auf allen Seiten von Gebirgszügen umgrenzt, die, teils bewaldet, einen düsteren Anblick boten, teils kahle Felsengipfel aufwiesen, die noch im Goldglanz der untergegangenen Sonne rosig erglühten.

Nirgends hatten unsere Freunde bis jetzt einen Fleck Erde gefunden, der sie so zum Verweilen und zum Gründen einer Niederlassung gelockt hätte wie dieser; doch die zunehmende Dunkelheit mahnte sie, ans Nachtlager zu denken. Sie begnügten sich mit kalter Küche zum Abendessen, da sie kein Holz zur Feuerung fanden. Gefahren drohten ihnen hier auch kaum, weshalb sie sich ohne den Schutz eines Feuers am Boden die Schlafstätten bereiteten.


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