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40. Am Atabapo

Am Nachmittag des 14. Novembers langten die Reisenden in San Fernando de Atabapo an, wo der Orinoko in nahezu rechtem Winkel stromaufwärts nach Osten abbiegt, um vor Esmeralda den Cassiquiare in südwestlicher Richtung dem Rio Negro zuzusenden.

Hier mußten sie den Lauf des gewaltigen Stromes verlassen, wenn sie nicht einen großen Umweg machen wollten: ihr Weg führte südwärts den Atabapo entlang zum Rio Negro. Die vielen Windungen des Atabapo konnten sie hierbei, da sie nicht zu Wasser reisten, vermeiden und so den Weg bedeutend abkürzen.

In San Fernando, das am Zusammenfluß dreier großer Flüsse, des Orinoko, des Guaviare und des Atabapo liegt, hielten sie sich den Rest des Tages auf, sowohl um neue Kräfte zu sammeln, als auch um ihre Vorräte an Lebensmitteln und Munition für die nun folgende beschwerliche Reise durch wenig bewohnte Landstriche zu erneuern.

Die Mission von Atabapo machte einen sehr freundlichen Eindruck; an den Häusern rankten häufig Schlingpflanzen hinauf, und viele der Gebäude waren von prächtigen Gärten umgeben, deren Hauptzierde die Pihiguaho- oder Pirijaopalme bildete. Der mit Stacheln bedeckte Stamm dieser Palme erreichte eine Höhe von über zwanzig Metern, und die Krone mit ihren sehr schmalen, gefiederten und an den Spitzen wellenförmig gekräuselten Blättern hob sich anmutig vom Himmel ab. Die merkwürdigen Früchte dieses wertvollen Baumes bestanden aus zwei bis drei Trauben, deren jede fünfzig bis achtzig apfelgelbe große Früchte trug. Diese röten sich in der Reife und enthalten einen mehligen, eigelben, sehr nahrhaften Stoff, der die Hauptnahrung der Bewohner dieses Landes bildet. Die Frucht wird meist gesotten oder in Asche gebraten wie die Banane und die Kartoffel.

Von diesen Früchten, die ihnen ganz neu waren, aber herrlich mundeten, hatten unsere Freunde ihren Maultieren einen großen Vorrat aufgeladen, als sie in der Frühe des 16. Novembers die Stadt verließen und den Rio Atabapo entlang südwärts zogen.

Der Fluß gehört zu den »schwarzen« Gewässern, er hat eine bräunliche Farbe, ist aber so klar, daß man bis auf den Grund sehen und die Fische darin zählen kann. Die üppige saftiggrüne Pflanzenwelt des Ufers spiegelte sich in dem schönen Wasser so deutlich, daß die Farben im Spiegelbild an Leuchtkraft der Natur gleichkamen. Das Wasser war nicht bloß reiner, sondern auch ziemlich kühler als das Wasser des Orinoko und seiner bisherigen Zuflüsse, daher es ein angenehmes, erfrischendes Getränk bot. Der Palmenreichtum bildete den größten Reiz des Landschaftsbildes.

Ein eigentliches Ufer sah man bei diesem Flusse gar nicht; denn seine Wellen umspülten zu beiden Seiten die Stämme und Wurzeln von Palmen und kleinen Bäumen, so daß es aussah, als sei der Fluß über die Ufer ausgetreten. Von Krokodilen sah man keine Spur, keine Seekühe, keine Wasserschweine belebten die Fluten, in denen sich nur die Süßwasserdelphine in größeren Herden tummelten.

Im Walde vernahm man nicht mehr das Lärmen der Brüllaffen, die Zamuro waren hier fremd. Hier und da ließ sich ein Jaguar von außerordentlicher Größe blicken, aber er zeigte sich stets scheu und wagte sich auch bei Nacht nicht in die Nähe der Menschen, selbst wenn kein Feuer ihn schreckte.

Die größte Gefahr dieser Wälder bildeten die riesenhaften Wassernattern, deren zahlreiches Auftreten das Baden im Flusse verbot; dagegen empfanden es die Reisenden als außerordentliche Wohltat, daß die Moskito und Zancudo hier nicht mehr mit ihren schmerzhaften Stichen Menschen und Reittiere plagten.

Der Waldboden war häufig sumpfig, so daß die Maultiere stellenweise tief einsanken und nur schwer vorwärts kamen; hier und da ragten vereinzelte Felsen wie feste Schlösser aus dem Walde empor; am Fuße eines solchen zwanzig Meter hohen Felsens, der Piedra del Tigre, wurde die Nacht zugebracht.

Andern Tags ging es wieder weiter durch den Urwaldstrich, der, sich zwischen Savannen hinziehend, den Atabapo säumt. Nur in der Nähe des Flusses bestand die Waldung aus dünnstämmigen Bäumen, die von ferne wie junge Kirschenbäume aussahen und eine ganz angenehme Abwechslung dem Auge boten, das bisher die Riesenverhältnisse der Urwälder am Orinoko gewohnt war: man glaubte sich hier oft nach Europa versetzt.

Wo aber der Grund trockener war, zeigten sich auch wieder die Riesen der Tropen; so fanden unsere Freunde einen etwa fünfzig Meter hohen Käsebaum, der sechs Meter Durchmesser hatte.

Mitten im Walde lagen die spärlichen Trümmer der seit hundert Jahren verlassenen Mission Mendaxari.

Es war schon Nacht, als sich endlich die Mission San Baltasar zeigte, mit ihrem vollen Namen »la divina Pastora de Baltasar de Atabapo«.

In diesem von schönen Gärten und gutgepflegten Pflanzungen umgebenen Dorfe, in dem man den europäischen Feigen- und Zitronenbaum findet, blieben die Reisenden über den 17. November, der ein Sonntag war.


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