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32. Die blutige Mission

Nach beendigtem Festmahl setzte der Häuptling seine Pfeife in Brand und ließ jedem seiner Gäste eine solche reichen. Als der friedliche Qualm ringsum aufwirbelte, begann Otomak folgendermaßen:

»Die Palmen waren noch jung, die über unseren Lagerfeuern ihre Wipfel schütteln, wenn der Hauch der Nacht durch sie hingeht, als der weiße Mann mit den Feuerrohren die Wälder unserer Vorfahren betrat. Er suchte Gold, und aus Goldgier hat er die Länder der Inka und Azteken mit Blut überströmt, aber die unermeßlichen Schätze sind zum größten Teil seiner Habsucht entgangen.

»Als die Eroberer vergeblich die Wildnis durchzogen hatten, um die Sonnenstadt zu finden, die abseits liegt vom Laufe der großen Ströme, dem sie beständig folgten, gaben sie ihre Hoffnungen auf und ließen sich nieder an den Meeresküsten und an den Ufern der großen Wasserläufe. Auch hier am Orinoko setzten sie sich fest und gründeten Missionen, um den Roten ihre Religion beizubringen; und ihre Religion ist gut, weil sie sagt: ›Liebet eure Feinde und tut wohl denen, die euch hassen‹, sie lehrt den Frieden und die Geduld und verbietet Gewalttaten und Blutvergießen. Aber sie handelten selber nicht nach den schönen Geboten ihres Glaubens; denn sie haßten ihre Freunde und verfolgten diejenigen, die ihnen wohltaten! Unsere Väter waren geneigt, die gute Religion der Weißen anzunehmen; aber die Missionare waren ungeduldig, die Seelen zu retten, und vergaßen darüber die Gesetze ihres Gottes: mit Gewalt wollten sie die Söhne der Wälder zu Christen machen, und dann nahmen sie ihnen ihre Freiheit und hielten sie in ihren Niederlassungen zurück.

»Sehet, auf jenem Hügel hatten sie Mauern errichtet und Feuerschlangen aufgepflanzt, um die Väter zu verhindern, ihre Söhne und Töchter, die Brüder, ihre Brüder und Schwestern zurückzuholen in die Freiheit der Wälder; die Weißen zogen mit ihren Feuerrohren aus und zündeten unsere Dörfer an; sie schossen alle nieder, die sich wehrten; die Greise, die Weiber und die Kinder aber schleppten sie in ihre Missionen, um sie zu Christen zu machen.

»Ach! mit Liebe und Güte hätten sie es viel eher erreicht! Aber sie waren voll glühenden Eifers für ihren Gott, der doch ein Gott des Friedens ist. Otomak ist auch in dieser Mission gewesen und im Glauben der Weißen unterrichtet und erzogen worden. Er war ein Knabe von sechs Jahren, als sie seinen Vater durch den Kopf schossen und seine verzweifelnde Mutter in den Flammen ihrer Hütte erstickten. Otomak hat es oft gehört aus dem Munde des Mönches: ›Nur das Knallen des Pulvers kann die Indios dazu bewegen, auf die Stimme des Evangeliums zu hören.‹ Otomak hat die sanften Lehren des Evangeliums vernommen, aber die Peitsche aus Seekuhleder zerfleischte seinen Rücken, wenn er versuchte, aus der Mission zu entfliehen in die Freiheit der Wälder. Er vernahm wohl die schönen Worte, aber er sah auch die blutigen Werke, und das hinderte ihn, den Weißen zu trauen.

»Sie sagten, sie wollten nur unsere Seele retten; aber ihre Gefangenen, Weiber und Greise, Mädchen und Knaben, mußten harte Arbeit verrichten und das Feld bebauen, nicht für sich, sondern für den Unterhalt ihrer weißen Herren, und immer sauste ihnen die furchtbare Peitsche um Brust und Rücken, ihre blutigen Striemen ziehend.

»Alle Farben vermögen an Otomaks Leib nicht die Narben zu bedecken der vielen Wunden, die er als Knabe auf der Mission erhalten hat. Aber die Missionen sind fast alle wieder verschwunden, und die Gefangenen kehrten zurück in die Lager ihrer Stämme, und auch Otomak ist zurückgekehrt und hat seinen alten Namen wieder angenommen; denn in der Mission hatten sie ihn Juanito getauft.

»Er war ein Jüngling, als er die Freiheit wieder gewann; nun ist er ein Greis. Noch immer lebt der Glaube an den guten Geist in seiner Seele, der den Menschen ein Vater ist; aber einen Schwur hat er getan, und den wird er halten, und diesen Schwur haben alle Häuptlinge geschworen, und jeder junge Krieger muß ihn ablegen, ehe er eine Waffe tragen darf. Und dieser Schwur lautet: Wenn wieder weiße Männer dem roten Sohne der Freiheit Gewalt antun wollen, dann werden die Stämme vom Magdalena bis zum Marannon zusammenstehen, und ihre Pfeile werden fliegen wie die Zancudo, daß keiner der blassen Feinde aus ihren Wäldern zurückkehrt.

»Wir wollen Frieden halten mit den weißen Brüdern, aber unsere Herren sollen sie nicht wieder werden.«

»Der große Häuptling hat recht!« sagte Schulze, als Otomak geendigt hatte.

»Wahrhaftig,« bestätigte Friedrich, »die Freiheit eines tapferen Volkes muß man achten; aber ich glaube, die Zeiten sind vorüber, wo unseren roten Brüdern blutige Unterdrückung drohte; die Menschenrechte werden in unseren Tagen auch von den Weißen heiliger geachtet als vor Zeiten.«

»Und wenn sie euch wieder an die Freiheit wollten,« fügte Ulrich hinzu, »so wird euer einmütiger Widerstand ein Fels sein, an dem die Wogen zerschellen!«

»Ja!« sagte Otomak begeistert. »Wie die schwarzen Felsen in den Stromschnellen die Wellen des Orinoko teilen und ihnen trotzen seit Jahrhunderten! – Meine Brüder sind die Freunde meiner Seele, ich höre, daß sie denken wie Otomak. Auch in den Missionen gab es Männer, die also sprachen, aber die Macht war nicht in ihren Händen.«

Nach einer Pause hub der Häuptling wieder an: »Ja, unsere weißen Brüder konnten die roten Söhne des großen Geistes glücklich machen mit der sanften Lehre ihres Gottes; aber statt der Liebe wohnte in ihren Seelen Durst nach Gold und Macht und Ehren, und so brachten sie Tränen und Jammer und Blut über das Land. Darum prüfen die Roten das Bleichgesicht, ehe sie ihm trauen. Gestern kamen drei Schurken in das Lager der Guahibo, die Mestizen, von denen meine weißen Freunde so grausam gemartert wurden. Otomak traute ihnen nicht, wenn sich auch indianisches Blut in ihren Adern mit weißem mischt, sie haben böse Blicke und glaubten schlau zu sein und von Otomak Geheimnisse erforschen zu können; aber der alte Häuptling sah ihre lauernden Gedanken und hat ihnen nichts offenbart.

»Darum konnte er auch euch nicht trauen, ehe er nicht eure Gedanken gesehen hat; nun aber ist er euer Freund. Hätten nur solche Weiße, wie ihr seid, unsere Jagdgefilde betreten, die Weißen und die Roten hätten gute Brüder werden können, die einander glücklich gemacht hätten; jetzt müssen sie ihre eigenen Wege gehen, jeder den seinen.«

Otomaks weiße Gäste mußten sich bei diesen Worten ihrer Rasse schämen, die so namenloses Elend über die glücklichen und harmlosen Kinder der Wildnis gebracht und selbst unter dem Deckmantel des Christentums in blutiger Weise gegen sie gewütet hatte. Wann würden einmal in diese Wälder echte, treue Boten des Evangeliums dringen, von denen es heißen könnte: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen?

Da es inzwischen spät geworden war, suchten unsere Freunde ihr Lager auf und vergaßen im tiefen Schlummer der Erschöpfung die Schrecken dieses Abends und die Schmerzen, die ihnen noch immer durch die Brandwunden und verzerrten Muskeln verursacht wurden.


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