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71. Der Stein der Weisen

Der Inka war zu Ende und verließ das Gemach, während sein Sohn stillschweigend verweilte.

»Das alles ist ja Mumpitz!« rief Schulze aus. »Ich wollte ja schließlich noch glauben, daß der Alte seine dreihundert Jährchen auf dem Rücken hat, meinetwegen auch vierhundert; ist doch solche Langlebigkeit als wunderbare Ausnahme zu gut bezeugt, als daß sie sich einfach leugnen ließe: Thomas Parre starb im Alter von einhundertzweiundfünfzig Jahren und wäre vielleicht noch viel älter geworden, hätte er seine einfache Lebensweise beibehalten; Joseph Surrington wurde einhundertsechzig Jahre alt, und ein Indier soll gar ein Alter von dreihundertfünfunddreißig Jahren überschritten und in dieser Zeit sich öfters verjüngt haben. So unleugbar die beiden ersten Fälle sind, so glaube ich doch nicht an den dritten; und ebensowenig kann ich glauben, daß dieser junge Mann hier mehr als drei Jahrhunderte gelebt haben soll!«

»Herr Professor, denken Sie an das Fabeltier!« mahnte Friedrich.

»So ihr meinem Vater nicht wolltet glauben,« ergriff nun Tupak Amaru das Wort, »wollt' ich euch leicht Ding' erzählen, daraus ihr solltet erkennen, daß ich Francisco Pizarro noch habe mit Augen geschaut.«

»Woher verstehst du denn Deutsch?« forschte nun Friedrich.

»Hab's gelernet von einem edlen teutschen Mann, Hutten mit Namen, so von den Hispaniern Urre genennet worden; ist aber gar lange her, doch dieweil mir sein' Sprach' gefallen, hab' ich mir die Wort' wohl gemerket dreihundert Jahr' her.«

»Ein merkwürdiger Fall,« murmelte Schulze, »da hört sich ja alle Wissenschaft auf! Und was mir besonders verdächtig erscheint,« fügte er laut hinzu, »dieser alte Inka Manko, wie er sich nennt, redet ja nur gelegentlich in der bilderreichen Sprache der Indianer; seine geschichtlichen Berichte aber verrieten ein so modernes, gebildetes Spanisch, daß er mir gar nicht wie ein echter Indianer vorkommt.«

Tupak Amaru lachte.

»Gar viel mag ein Menschenkind lernen, so die Zeit ihm nicht mangelt!«

Dies konnte der Professor nicht bestreiten. Freilich, welch umfangreiches Wissen kann sich ein gescheiter Mensch schon bei der kurzen Lebensdauer, die uns beschieden ist aneignen! Wieviel mehr, wenn er einige Jahrhunderte hindurch in ungeschwächter Geistes- und Körperkraft Wissen auf Wissen häuft!

Schulze sollte aber noch andere Wunder kennen lernen.

Der junge Inka machte sich eine Freude daraus, seinen Freunden alle Merkwürdigkeiten Manoas zu zeigen. Besonders staunten sie auch über die reichen Gold- und Silberminen und die unerschöpflichen Edelsteingruben, die in der Umgegend überall zutage traten, anscheinend aber gar nicht ausgebeutet wurden. Im Verkehr mit dem Inka, wie überhaupt mit den Roten, bedienten sich unsere Freunde der spanischen Sprache, soweit Tupak Amaru nicht selber mit seinem mittelalterlichen Deutsch begann.

»Ich hätte gedacht,« bemerkte Ulrich, »daß hier Tag und Nacht mit Bienenfleiß gearbeitet werden müsse, um die vielen Schätze zu sammeln, die du tagtäglich dem See opferst.«

Der Inka lachte. »Das bißchen Goldstaub, mit dem ich meinen Leib vor den feierlichen Abendfahrten bedecke, ist bald beschafft; aber die vielen Edelsteine wären gar nicht zu haben, so reich diese Bergwerke sind, wenn wir sie nicht selber mit leichter Mühe herstellten; in wenig Jahren wäre der Berg erschöpft, wollten wir ihm täglich ganze Körbe voll Juwelen entnehmen, Gold und Silber verstehen wir ebenfalls künstlich zu erzeugen; doch hat diese Kunst für uns wenig Wert, da hier das Edelmetall so reichlich zutage liegt!«

»Das wäre ja der Stein der Weisen,« rief Schulze aus, »und der Stein der Weisen ist ein wissenschaftliches Unding! Wie wolltet ihr auch gefunden haben, wonach bei uns das ganze Mittelalter in unwissenschaftlicher Verblendung vergebens suchte?!«

»Herr Professor, Herr Professor – das Fabeltier!« mahnte Friedrich wieder.

»Nun ja!« sagte Schulze ärgerlich. »Das Tier habe ich gesehen; aber der Stein der Weisen – nee! Alles lasse ich mir nun doch nicht aufbinden!«

»Es ist aber nach dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens gar nicht mehr so undenkbar, was Tupak Amaru behauptet«, entgegnete Friedrich. »Das hochmütige Auslachen der Alchimisten war von der Wissenschaft sehr verfrüht und etwas kindisch. Erst neuerdings gelang es ja Professor Fittica in Marburg, Phosphor in Arsen umzuwandeln. Damit ist nachgewiesen, daß die Unwandelbarkeit der Elemente, die bisher als ein wissenschaftlicher Grundpfeiler der Chemie galt, in der Tat kein Naturgesetz ist, und es hat nichts Unglaubliches mehr, wenn einer behauptet, Wasser in Wein verwandeln zu können, eine Arbeit, die der Weinstock im Sommer stündlich leistet, wie ja jede Pflanze fortwährend, und zwar in Zeit weniger Minuten, die vom Boden aufgenommenen Stoffe in die ihr eigenen Säfte umsetzt. Sobald sich nun die Elemente als zusammengesetzt und wandelbar erweisen, ist auch die Herstellung von Gold oder Silber aus Blei und andern unedlen Metallen keine Unmöglichkeit mehr.

»Die Chemie verdankt ihren Ursprung lediglich der Alchimie. Nun hatte bald die junge Wissenschaft in überlegener, altkluger Weise nur noch Spott und Verachtung für ihre altehrwürdige Mutter übrig, wie ja das Ei oft klüger sein will als die Henne. Schön war das keinesfalls und wissenschaftlich auch nicht. Es ist der übergescheiten Tochter zu gönnen, wenn ihre Übereilung eine gründliche Beschämung für sie wird!«

Der junge Inka ließ die beiden streiten und lud sie nur ein, mit Ulrich heute abend nach seiner Doradofahrt in sein eigenes Arbeitszimmer zu kommen.

Voller Neugier und Spannung folgten die drei der Einladung.

Das Laboratorium machte den richtigen Eindruck einer Alchimistenhöhle, nur daß es wie ein Palast an den Wänden mit Gold- und Silberzieraten ausgestattet war.

In einigen Tiegeln brachte Tupak Amaru Blei, Zinn und Kupfer zum Schmelzen; dann nahm er verschiedene metallglänzende Pulver zur Hand, für jedes Metall ein besonderes, und in kürzester Frist hatte er reines Gold und Silber aus den unedlen Metallen hergestellt. Daran konnte selbst Schulze nicht mehr zweifeln, denn er hatte den augenfälligen Beweis dafür.

»Wie aber seid ihr denn nur auf diese Zauberei verfallen?« rief er, außer sich vor Staunen.

Der junge Inka erwiderte in dem ihm geläufigen Spanisch: »Wißt ihr nichts vom Wachsen des Goldes?«

»Doch,« sagte Schulze. »Es ist die merkwürdige Tatsache, daß an Orten, wo nachweislich zuvor kein Gold war, namentlich an völlig ausgebeuteten Stellen in Goldbergwerken, später Gold gefunden wird.«

»Und ihr seid dieser Erscheinung nie auf den Grund gegangen?«

»Nein! Sie ist wissenschaftlich noch nicht erklärt.«

»Ihr seid merkwürdige Leute! Suchen Jahrhunderte hindurch Gold zu machen und beobachten nicht, wie die Natur zu Werke geht. Freilich, euer Leben ist auch gar zu kurz; kaum habt ihr angefangen, etwas zu lernen, steht ihr bereits am Rande des Grabes, und eure Nachfolger müssen erst mühsam wieder den Grund ihres Wissens bei sich selber legen und werden dabei durch die Irrtümer ihrer Vorarbeiter getäuscht und behindert. Nun, wir haben beobachtet, in welcher Weise und unter welchen Bedingungen die Natur bei Erzeugung der Metalle zu Werke geht, und welche Stoffe sie dabei verwendet. Genau so lernten wir die Edelsteine herstellen; es ist gar nicht so schwierig: die Natur arbeitet mit sehr einfachen Mitteln und unter so natürlichen Bedingungen, daß sie jederzeit künstlich geschaffen werden können, sobald man weiß, auf was es ankommt.«

»Aber die Natur,« wandte Schulze ein, »braucht doch Jahrtausende, um Metalle und Edelsteine zu erzeugen?«

»O nein! Freilich, je nachdem die Stoffe und Bedingungen in schwächerem oder reicherem Maße vorhanden sind, braucht sie längere oder kürzere Zeit; der Mensch aber hat es in der Hand, alles nach Belieben zu steigern, und kann demnach die Umwandlungen in kürzester Frist vollziehen.«

»In der Tat,« bemerkte Friedrich, »hat man doch früher erklärt, das Entstehen der Steinkohle erfordere Millionen von Jahren; jetzt hat man in Nordamerika versumpfte Waldungen entdeckt, in denen die Umwandlung sich unter den Augen des lebenden Geschlechts innerhalb weniger Jahre vollzieht. Oben sind die Bäume noch Holz, unten im Wasser schon echte Steinkohle.«

Und Ulrich fügte bei: »Soviel ich gelesen habe, ist man auch darauf gekommen, kleine Diamanten durch eine Explosion, also innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde, zu erzeugen: die Hauptsache scheint, wie Tupak Amaru sagt, nur die Kenntnis der nötigen Stoffe und der Bedingungen zu sein, unter denen sie vereint werden müssen – natürlich im richtigen Verhältnis.«

Schulze bat nun den Inka dringend, ihnen das Geheimnis zu enthüllen. Dieser aber verwies sie auf spätere Zeit; dagegen schenkte er Friedrich von all seinen Pulvern eine ziemliche Menge, damit er selber damit Versuche anstellen könne; auch Schulze bekam ein Pulver, das Quecksilber in Gold verwandelte.

»Diese Pulver sind an unserer Entdeckung die eigentliche Erfindung,« sagte er dabei. »Sie enthalten alles, was zur Umwandlung der einzelnen Metalle nötig ist, und erzeugen selbsttätig die notwendigen natürlichen Bedingungen des Vorgangs. Für jedes Metall aber bedarf es eines besonderen Pulvers: das gleiche Pulver vermag nicht Kupfer und Blei in Gold zu verwandeln, sondern für Kupfer das eine, für Blei ein anderes; ebenso muß wieder für jede Metallart ein besonderes Pulver hergestellt werden, wenn man Silber erzielen will.«

»Ich erinnere mich,« sagte Friedrich, »daß mein Vater erzählte, der niederländische Gelehrte van Helmont habe im siebzehnten Jahrhundert von einem Unbekannten ein Pulver erhalten, mit dem er aus Quecksilber reines Gold darzustellen vermochte: das war wohl das gleiche Pulver, das Herr Professor Schulze soeben erhielt?«

»Gewiß!« erwiderte Tupak Amaru. »Wir gaben hier und da etwas von unsern Pulvern an Europäer ab, denen wir gewogen waren. Das Geheimnis aber haben wir bewahrt: denn einmal macht Gold die meisten Menschen elend statt glücklich, und sodann würde es alsbald allen Wert verlieren, wenn seine künstliche Herstellung in größerem Maßstabe betrieben würde, wie es ja auch bei uns, die wir es im Überflusse haben, gar keinen Verkehrswert besitzt.«

Auf Wunsch unserer Freunde führte der Inka sie auch noch in die Hütten, wo die Edelsteine bereitet wurden, und sie sahen unter ihren Augen Tausende der herrlichsten, und zwar tadellos echter Edelsteine aller Arten und Farben entstehen; ja durch besondere Mischungsverhältnisse schuf man Arten, wie sie bis jetzt noch nicht in der Natur entdeckt wurden. Es gelang auch mit Leichtigkeit, Steine von Apfelgröße und darüber zu erzielen und ihnen gleich bei der Entstehung beliebige Formen zu geben.

Die von all dem Glanze geblendeten Deutschen kamen nicht aus dem Staunen heraus.


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