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42. Eine Wasserfahrt

Am 18. November erreichten die Reisenden San Antonio de Javita am Temi, einem Nebenflusse des Atabapo. Hier heilte ein Indianer ihre Hände, die ein mikroskopisches Insekt, der Arador, das heißt »Ackerer«, nach allen Richtungen mit schmerzhaften weißlichen Furchen durchpflügt hatte. Der bläuliche, schaumige kalte Aufguß, den der Indianer aus der Rinde des Uzaostrauches bereitete, nahm sofort alle Schmerzen, und unsere Freunde versahen sich mit einigen Uzaozweigen, um dem peinlichen Übel auch fernerhin begegnen zu können. Den ganzen Tag waren sie im heftig strömenden Regen dahingeritten, und auch am folgenden Tage, an dem sie noch vormittags den Rio Guainia oder Rio Negro bei Maroa erreichten, regnete es in einem fort. Man versicherte sie, hier regne es beinahe das ganze Jahr und oft monatelang ohne Unterbrechung.

Als Abwechslung war ihnen der Regen anfangs willkommen gewesen, sie bekamen ihn aber doch bald satt.

Die Mission Maroa bestand aus einem sauberen und wohlhabenden Dorfe, meist von christlichen Indianern bewohnt. Das Wasser des Rio Negro war in der Durchsicht klar, in der Aufsicht aber kaffeebraun.

In Maroa lernten die Deutschen das Mani kennen, eine Harzmischung, mit der man die Piroguen teert, ebenso verschiedene Kautschukarten, von denen ihnen besonders eine weiße Milch gefiel, mittels der Geräte wasserdicht und glänzend weiß gefirnißt werden. Auch die Seide- und Wachspalmen sahen sie hier angepflanzt, Bäume, die Erzeugnisse liefern, die man lange Zeit für ausschließlich tierische Stoffe hielt.

Als sie im Rio Negro eine schöne Pirogue schaukeln sahen, fragte Schulze, wohin diese bestimmt sei; und als es hieß, sie werde mit Waren den Amazonas hinabfahren, sagte er zu den Reisegefährten: »Ich möchte den Vorschlag machen, wir fahren mit diesem Schiffe bis San Joaquim. Da der Rio Negro beinahe in gerader Linie bis dorthin fließt, kann der Landweg kaum um wenige Kilometer kürzer sein. Wer weiß aber, welche Hindernisse er bietet? Stromaufwärts kamen wir freilich mit den Maultieren rascher voran, als es auf dem Flusse möglich gewesen wäre; nun aber geht es talab, und wir werden mindestens drei bis vier Tagereisen ersparen, wenn wir das Schiff benutzen; da es die Fahrt sowieso macht, werden wir auch um ein Billiges befördert werden.«

Letztere Vermutung erwies sich als richtig, und da Ulrich und Friedrich den Vorschlag sehr vernünftig fanden, war der Vertrag mit dem Besitzer der großen Pirogue bald abgeschlossen, und so kam es, daß die ganze Gesellschaft mit Sack und Pack nebst Maultieren und Affen in der Morgenfrühe des 20. Novembers den Rio Negro zu Schiff hinabfuhr.

Die Fahrt dauerte bei starker Strömung vier Tage. Das Wetter hatte sich prächtig aufgeklärt. Am ersten Tage fuhr das Boot am Einfluß des Aquio und Tomo, beide auf dem rechten Ufer des Guainia, vorbei. Am Tomo wohnen die Cheruvichahenaindianer; auch eine kleine Mission »Tomo« befindet sich an seiner Mündung. Dann öffnete sich links der Itinivini, ein Arm des Cassiquiare, der auch Rio Me genannt wird und unter dem Namen Conorichite in den Rio Negro mündet.

»Hier,« rief Schulze beim Anblick dieser Wasserstraße aus, »hier haben wir ein wahres geographisches Wunder, das so manchem Gelehrten zum Fallstrick geworden ist. Es ist einmal so, der Verstandesmensch, namentlich wenn sein Verstand nicht allzuweit her ist, glaubt alles leugnen zu müssen, was im Verzeichnis seines Wissens nicht vorkommt. Daß nun zwei so mächtige Ströme wie der Amazonas und der Orinoko durch einen natürlichen Kanal miteinander in Verbindung stünden, das war so ohne jedes Beispiel in der Geographie der Alten Welt, daß man es für eine reine Unmöglichkeit hielt und selbst dann, als es gut bezeugt war, noch als Unsinn bestreiten zu müssen glaubte. Humboldts berühmte Reise verdanken wir eigentlich nur diesen Zweifeln gelehrter Pedanten, die nun einmal nicht zugeben mögen, es sei etwas möglich, das sonst nie vorkommt. Wie die Angabe der Nilquellen bei den großen afrikanischen Seen, die wir noch in mittelalterlichen Kartenwerken vorfinden, verschwand, weil die höhere Weisheit unserer Gelehrten sie für Schwindel hielt, so wurde auch die Verbindung zwischen Orinoko und Amazonas, die nach Acunnas Berichten in die alten Karten aufgenommen worden war, später wieder ausgemerzt. Pater Roman traf 1744, den Orinoko hinauffahrend, mit einer Pirogue portugiesischer Sklavenhändler zusammen, die vom Rio Negro kam. Seitdem war die Gabelteilung nicht bloß erwiesen, sondern wurde auch vielfach benutzt. Sollte man es glauben? Trotz dieser Tatsachen wurde die Sache nach wie vor wissenschaftlich bezweifelt, und der berühmte Geograph Buache nannte sie ›eine geographische Ungeheuerlichkeit, die Olmedillas Karte ohne allen Grund in der Welt verbreitet habe‹. Er behauptete, eine große Bergkette, deren Richtung noch zu ermitteln sei, bilde die Wasserscheide zwischen dem Amazonenstrom und dem Orinoko.«

»Ich begreife gar nicht,« schaltete Friedrich ein, »weshalb diese Stromverbindung so wunderbar sein sollte! Allerdings wunderte ich mich immer, daß in der Vorhalle des Stuttgarter Bahnhofes auf einer der riesigen Eisenbahnkarten an den Wänden eine Verbindung zwischen Orinoko und dem Amazonenstrom nicht eingetragen ist, obgleich Humboldt diese im Cassiquiare nachwies, lange ehe der Stuttgarter Bahnhof erbaut wurde.«

»So gibt es eben Köpfe,« lachte der Professor, »alles, was ihnen neu ist, will ihnen nicht ein, und dann behaupten sie frischweg: Das gibt es nicht! Acunna hat recht, wenn er sagt: ›Das Neue und seine Anzweiflung sind eine Zwillingsgeburt bei allen großartigen Erscheinungen.‹«

»Das sieht man auch an dem so viel bezweifelten Fabeltier,« bemerkte Ulrich schalkhaft.

»Ja, das ist wieder etwas ganz anderes!« erwiderte Schulze mit dem Brustton der Überzeugung. »Die Naturwissenschaft, insbesondere die Zoologie, hat eine so sichere Unterlage, daß von ihr aus ganz unfehlbare Schlüsse gezogen werden können. Da stehen wir doch anders da als jene zweifelsüchtigen Geographen, denen Humboldt ordentlich die Meinung gesagt hat: ›Es ist nicht das erstemal,‹ schreibt er, ›daß etwas für fabelhaft gegolten hat, was doch vollkommen richtig war, daß man die Kritik zu weit trieb, und daß diese Verbindung von Leuten für chimärisch erklärt wurde, die am besten davon hätten wissen sollen.‹«

Unterhalb des natürlichen Kanals, über den dieses Gespräch geführt wurde, sahen die Reisenden die Mission San Miguel de Davipe; hierauf ging es an der malerisch inmitten des Stromes gelegenen Insel Dapa vorbei. Dann wurde es bald Nacht, und die Pirogue trieb bei Fackelbeleuchtung langsam weiter.

In der Morgendämmerung des 21. Novembers erreichte sie die Mündung des Cassiquiare, während rechts die kleine Insel Cumarai auftauchte. In San Carlos de Rio Negro wurde angelegt. An dieser Stelle befinden sich drei langgestreckte, dichtbewachsene Inseln, die eine Zierde des Landschaftsbildes sind.

Schulze interessierte sich vor allem für die majestätischen Juviabäume, die er hier zum ersten Male sah. Diese Bäume tragen dreieckige Mandeln und werden in acht Jahren zehn Meter hoch.

Die Mission San Carlos ist durch ein Fort geschützt.

Von da ging es weiter den Rio Negro hinab; rechts ließ man den Canno Maliapo, links die beiden Canno Dariba und Eny. Dann kam die Insel San Jose. Unterhalb derselben wurde bei sinkender Nacht gelandet, um diesmal die Nacht am Ufer zu verbringen. Das Lager wurde in einem Haine von verwilderten Orangenbäumen aufgeschlagen, am Fuße eines siebzig Meter hohen Felsens mit einer Höhle, Cocuys Glorieta genannt. Hier hielt vor hundert Jahren der berüchtigte Cocuy seinen Harem, aus dem dieser Kannibale nach und nach seine Weiber verzehrte. Dies nannten die Missionare »eine üble Angewohnheit dieser Völker, die sonst so sanft und gutmütig sind«.

Am 22. November wurde die brasilianische Grenze überquert; man ließ das Fort San Jose de Maravitanos rechts liegen und wandte sich mit dem Strome in spitzem Winkel geradeswegs nach Westen bis zum Einfluß des Guaixia oder Uexie am rechten Ufer. Hier lagen die Dörfer Joam Baptista de Mabbe und San Marcellino.

Obgleich das Land durchaus nicht fruchtbarer war als am Orinoko, so waren doch hier die altportugiesischen Niederlassungen viel zahlreicher. Auf einer großen Flußinsel bei Mabi wurde wieder genächtigt.

Am 23. November endlich fuhr die Pirogue vorbei an Nossa Senhora da Guya, an Boavista am Einfluß des Rio Içanna auf dem rechten Ufer; ferner an San Felipe rechts und an Santa Anna links, bis am Nachmittage San Joaquim de Coanne oder de Omagua am Einfluß des Rio Guape oder Waupes erreicht wurde.

Hier verließen unsere Freunde das Schiff und suchten sich eine Lagerstätte, um auch den folgenden Sonntag in San Joaquim zu verbringen.

Am Landungsplatz trat ihnen ein Indianer entgegen, fragend, ob die Herren einen Führer durch die Stadt und Umgegend brauchten. Diese Frage wurde zwar verneint, aber der Rote ließ sich nicht so leicht abweisen. »Felipe kennt die Pfade bis zum Orinoko und bis zum Amazonas; kein anderer wird die Sennores so gut und so billig führen!«

»Nanu, der Mensch könnte uns von Nutzen sein!« meinte Schulze auf deutsch.

»Er macht mir keinen günstigen Eindruck!« erwiderte Ulrich und wandte sich in spanischer Sprache an den Indianer: »Der Weg zum Amazonas am Rio Negro hinab und nach San Paulo am Strome hinauf ist nicht zu verfehlen!«

»O Sennores!« sagte der Indianer grinsend, »ihr werdet vier Monate brauchen zu einer Reise, die ihr in drei Wochen machen könntet, wenn ihr in gerader Linie durch die wildreichen Wälder über den Rio Japura und den Rio Iça wolltet. Doch der Pfad ist wenig bekannt; Felipe wird ihn euch führen.«

Schulze zog seine Karte zu Rat und fand, daß der Reiseweg hierdurch allerdings von 2500 auf 500 Kilometer verringert würde.

Die Aussicht auf eine so bedeutende Abkürzung der Reise brachte unsere Freunde zu dem Entschluß, sich dem Führer anzuvertrauen, zumal sie begierig waren, eine Gegend zu durchwandern, die noch keines Weißen Fuß betreten hatte. Sie sagten daher dem Indianer zu und ließen sich von ihm einen Gasthof weisen. Er versprach, am Montag in aller Frühe dorthin zu kommen.

Sie ahnten nicht, daß der schurkische Indianer von den Mestizen gedungen war; diese waren schon mehrere Tage zuvor in San Joaquim eingetroffen. Felipe, ein schlauer Spitzbube und guter Freund Don Joses, war von ihnen bestochen worden, die Reisenden bei ihrer Ankunft zu stellen und sich ihnen als Führer anzubieten. Er sollte sie in die gefährlichen Wildnisse zwischen dem Rio Negro und Rio Japura führen und sie dort dem Hungertode preisgeben, indem er sich heimlich mit den Maultieren und Mundvorräten entfernte, womöglich auch Unkas und Matatoa überreden, mit ihm durchzugehen.


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