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2. Kommerzienrats

Eine helle Frauenstimme rief zum Nachtessen, und alsbald begab sich Kommerzienrat Friedung mit seinen Söhnen durch das erleuchtete Treppenhaus in den unteren Stock, wo sich das Eßzimmer befand. Auch hier zeigten die Möbel und die Eßgeschirre nichts, was auf mehr als gut bürgerliche Verhältnisse hinwies, ja, die Einfachheit des Mahles, das nur aus Suppe, Reis und Kartoffeln bestand, ohne irgend welche Getränke, hätte manchem verwöhnten Gaumen aus dem Bürgerstande durchaus nicht genügt. Dennoch war Kommerzienrat Friedung reich, sogar sehr reich. Er hatte sich aber aus mehr als bescheidenen Verhältnissen emporgearbeitet und hatte die Strenge gegen sich selbst, der er ganz besonders seine Erfolge verdankte, stets beibehalten. Das war jedoch keine bloße Gewohnheit, sondern ein wohlüberlegter Grundsatz bei ihm.

Oft hörten seine Söhne von ihm Äußerungen, wie die folgende: »Die Genüsse, die man sich durch Geld verschaffen kann, machen den Menschen nicht glücklich: im Gegenteil, wer sich nichts versagt, für den verliert alles an Wert, und nichts mehr macht ihm wahre Freude. Wohl aber kann man sich an die Üppigkeit derart gewöhnen, daß sie einem geradezu unentbehrlich erscheint. Da jedoch Reichtum ein unsicherer Besitz ist, so ist es die größte Torheit, sich ihn zum Lebensbedürfnis zu machen. Wer das tut, ist einem Morphiumsüchtigen zu vergleichen: der Genuß des Giftes macht ihn nicht glücklich, meist sogar sehr unglücklich, und doch kann er eher das Leben als das Morphium lassen. So sieht man viele Reiche, die durch ihr üppiges Leben nichts weniger als befriedigt wurden, sich dennoch das Leben nehmen, wenn sie plötzlich verarmen. Laßt uns leben, als ob wir arm wären und jeden Augenblick genötigt sein könnten, unser Brot durch Handarbeit zu verdienen, dann sind wir auch einem Glückswechsel gewachsen, ja, werden ihn nicht einmal als etwas Schweres empfinden.«

Das waren nun nicht bloß moralische Redensarten, sondern Friedung lebte nach seinen Grundsätzen und erzog seine Söhne darnach. Hierin wurde er durch seine vortreffliche Gattin aufs beste unterstützt. Sie war, als Tochter eines Landgeistlichen, ebenfalls aus einfachen Verhältnissen hervorgegangen. Ihr Gatte war kaum wohlhabend zu nennen, als sie ihm die Hand fürs Leben reichte. Als aber sein Bankgeschäft immer mehr aufblühte, als sein Ansehen ihm Zutritt in die vornehmste Gesellschaft verschaffte, glaubte die nunmehrige Frau Kommerzienrat durchaus nicht, in äußerlichem Aufwand mit ihren Bekannten wetteifern zu müssen: sie blieb sowohl in ihrer häuslichen Einrichtung als in ihrer Kleidung so einfach wie zuvor und war viel zu gescheit, als daß sie sich durch gelegentliche Sticheleien und verächtliche Mienen zu mehr als einem feinen Lächeln hätte bewegen lassen.

Natürlich war es vielen Damen der Gesellschaft unbegreiflich, daß hier eine solche Gleichgültigkeit gegen den Luxus herrschte, in dessen Entfaltung sie ihren höchsten Lebenszweck sahen; manche gingen so weit, diesen Umstand auf Geiz oder Mangel an Bildung zurückzuführen. Aber beide Vorwürfe waren unhaltbar; denn an Bildung waren Friedungs der ganzen Geldaristokratie der Stadt sichtlich überlegen, und ihre Wohltätigkeit, so sehr sie bemüht waren, sie im geheimen zu üben, ging so weit, daß es unmöglich war, sie zu verkennen oder gar zu leugnen.

So gingen Friedungs ihre eigenen Wege, und ein stilles, aber sonniges häusliches Glück belohnte ihre Pflichttreue.

Ulrich und Friedrich hatten ganz besonders die Früchte einer trefflichen Erziehung zu genießen. Nicht nur mußten sie sich in allen leiblichen Fertigkeiten üben, wobei der Vater stets mittat, was sie mächtig anspornte, sondern sogar an allerlei Entbehrungen, Strapazen und freiwillige Opfer wurden sie gewöhnt, und auch hierin leuchtete ihnen das väterliche Vorbild ermunternd voran.

Da konnte man den Kommerzienrat mit seinen Söhnen Holz spalten und Bäume ausputzen sehen; sie gruben die Erde um, legten neue Wege im Parke an, mauerten eine kleine Teichanlage eigenhändig aus, stellten Springbrunnen, Grotten und Wasserfälle her; sie zimmerten wirklich künstlerische Gartenhäuschen und Gartenmöbel; kurzum, sie verrichteten sowohl grobe Tagelöhnersgeschäfte als feine Handwerkerarbeiten. Und bei all diesen Betätigungen genossen Vater und Söhne die Freuden des Erfolges: Friedung war glücklich, wenn seine Buben alles so fröhlich und eifrig anfaßten und sich durch sein Beispiel so ermuntert fühlten; Ulrich und Friedrich aber empfanden fast die gleiche Befriedigung, wenn etwa die Beige der Holzscheite abnahm und der Haufe des gespaltenen Holzes wuchs, wie wenn eine kunstvolle Anlage in der Vollendung das Auge ihrer Schöpfer entzückte und ihr Herz erfreute.

Schon durch diese und ähnliche Übungen eigneten sich die Knaben nach dem Vorbild ihres Vaters eine ungewöhnliche Geschicklichkeit und umfassende praktische und technische Fertigkeiten an: sie waren Schreiner, Drechsler, Flaschner, Schlosser, Mechaniker, Uhrenmacher, Buchbinder, Elektrotechniker, Architekten und wer weiß was alles!

Oft machte Kommerzienrat Friedung mit seinen Söhnen größere Fußreisen bis nach Tirol und Italien, nach Frankreich, Holland und Dänemark. Sogar seine Gattin beteiligte sich an manchen dieser Wanderungen. Da wurden denn alle Beförderungsmittel als nicht vorhanden angesehen, außer Schuhmachers Rappen. Brunnen und Quellen boten meist den einzigen Trunk, Brot und Käse genügten oft zum Mittagsmahl. Um das Wetter bekümmerte man sich wenig. Man lief auch bei strömendem Regen frisch und munter voran. O wie herrlich, wie reich an erhebenden und heiteren Erinnerungen waren diese freien Ausflüge, bei denen namentlich das deutsche Vaterland nach allen Richtungen durchquert wurde, das all seine Schönheiten den empfänglichen Bewunderern offenbarte.

Daß die Knaben auch vorzügliche Turner, Reiter und Schützen waren, versteht sich von selber.

Über alledem wurde aber die Bildung von Geist und Seele nicht versäumt, vielmehr war die Erziehungsarbeit in dieser Richtung dem Vater die Hauptsache.

In allen körperlichen und praktischen Übungen war der ältere und kräftigere Ulrich dem jüngeren Bruder um etwas voraus, ausgenommen in der Treffsicherheit beim Schießen; wo es sich dagegen um Entwürfe, Pläne und scharfsinnige Beobachtungen handelte, war es Friedrich, der das Übergewicht hatte; besonders auch die reine Geistesarbeit des schulmäßigen Lernens ging ihm viel leichter als Ulrich, und er war Feuer und Flamme für die Wissenschaft.

Umfassende Kenntnisse der neueren Sprachen verdankten die Brüder ihrem Vater, der in seiner Jugend in Frankreich, Spanien, Portugal und England in Stellung gewesen war und die Sprachen dieser Länder nebst dem Italienischen so vollkommen beherrschte wie das Deutsche.

Es darf uns daher nicht wundernehmen, wenn der Kommerzienrat nach dem Nachtessen aus seinem Prachtwerk über Brasilien einiges in portugiesischer Sprache vorlas. Auch seine Gattin, die Englisch und Französisch schon als Mädchen sprach, hatte gelegentlich genügend von dem Sprachunterricht, den Friedung seinen Söhnen erteilte, aufgegriffen, um das Gelesene verstehen und mit lebhaftem Interesse verfolgen zu können.

Die Schilderungen waren aber auch dazu angetan, die Zuhörer mächtig zu fesseln. Besonders Friedrich lauschte wie gebannt, als die Rede von den ausgedehnten, noch fast unerforschten Gebieten im Westen des großen Reiches war, von den Wundern der Urwälder, von den Geheimnissen der Indianer und von den rätselhaften Spuren fabelhafter Tiere, die unzweifelhaft beobachtet wurden, so daß sich nicht länger leugnen ließ, daß an den unglaublichen Berichten der Eingeborenen über diese Ungetüme etwas Wahres sein mußte.

Kommerzienrat Friedung legte viel mehr Gewicht auf die Nachrichten über den außerordentlichen Reichtum des Bodens, der der Kultur noch nicht erschlossen war. »Wenn ich einmal nicht mehr wüßte, was anfangen, um mein Leben zu fristen,« äußerte er, »dorthin möchte ich wohl auswandern, dort muß noch viel zu machen sein; und wenn es auch keine Reichtümer zu erwerben gäbe, – es ist etwas Schönes und Erhabenes, als erster Vorkämpfer der Kultur neue Gebiete zu eröffnen.«

»O Papa! Da reisen wir einmal hin!« rief Friedrich begeistert aus.

Friedung lächelte; er ahnte nicht, wie bald sich der abenteuerliche Wunsch seines Sohnes erfüllen sollte.


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