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64. Manoa

Unter diesen Gesprächen waren die Brüder im Walde vorgedrungen bis zu einer Hecke von dichtem Buschwerk, die ihn zu umsäumen schien. Nicht ohne Schwierigkeit gelang es ihnen, das Gestrüpp zu durchbrechen; kaum aber öffnete sich ihnen der Blick ins Freie, als sie wie angewurzelt stehen blieben.

Der Anblick, der sich ihnen hier bot, übertraf aber auch alles, was sie bisher je geschaut hatten, oder was sich ihre Phantasie, von goldenen Sagen angeregt, je hatte ausmalen können.

Vor ihnen dehnte sich ein weiter blauer See, wahrhaftig ein Himmelsauge in seiner Lieblichkeit und seinem stillen Frieden. Seine grünen Ufer mit ihren goldenen Fluren und Büscheln mächtiger Urwälder gleich ragenden Inseln dazwischen lachten die verzückten Beschauer an. Sanfte Hügel und reizende Täler zeigten sich im Hintergründe, und in weiter Ferne schloß eine hohe Felsenmauer mit wildgezackten Zinnen das Ganze ab; an den Ufern des Sees aber, auf den Hügeln und am Eingang der Täler zeigten sich eine Unzahl freundlicher Dörfer und herrlicher Städte mit buntbemalten Steinhäusern, das märchenschöne Landschaftsbild mit ihren leuchtenden Farben belebend. Silberne Bäche und schäumende Wasserfälle vereinigten sich zu schimmernden Flüssen, die in malerischen Schlangenwindungen dem See zueilten, in den sie sich ergossen. Alles machte einen solchen Eindruck der Frische, des Friedens und des Glückes, als sei hier ein Paradies in völliger Unberührtheit zu schauen, wie es rein und vollkommen soeben aus des Schöpfers Händen hervorgegangen war.

Aber alles wurde überstrahlt von einer Riesenstadt, die sich in nächster Nähe unserer Freunde an die südlichste Ausbuchtung des Sees schmiegte, ihn gleichsam umarmend, da sie sich noch eine Strecke auf dem westlichen und östlichen Ufer hinzog.

Und diese Stadt blitzte und flimmerte so feurig im Sonnenschein, daß nur so kerngesunde Augen wie diejenigen Ulrichs und Friedrichs ihren Glanz überhaupt zu ertragen vermochten. Alle Häuser schienen aus Gold erbaut oder doch vollständig übergoldet zu sein. Aus gediegenen goldenen Platten bestanden die Dächer, die meist flach waren, zum Teil aber auch giebelförmig. Mächtige goldene Kuppeln ragten aus dem Häusermeer empor, prächtige Paläste mit hohen Türmen und zierlichen Türmchen erhoben sich über die niederen Häuser.

Und wie kunstvoll waren diese Bauten ausgeführt! Trotz all des Goldglanzes keine Einförmigkeit: hier zeigten sich schön geschwungene Bogen, auf wuchtigen Pfeilern ruhend, dort trugen schlanke Säulen die einzelnen Stockwerke. Die Fenster glitzerten von Kristall, Verzierungen aus Silber und Edelsteinen schmückten die Außenwände; goldene und silberne, smaragdgrüne und rubinrote Bilder von Menschen und Tieren belebten die weiten, mit Gold- und Silberplatten mosaikartig gepflasterten breiten Straßen und weiten Plätze.

Friedrich fand zuerst die Sprache wieder. »Wir schauen das Goldland der Omagua,« sagte er ergriffen, »den See und die Stadt Manoa, die sagenhaften Stätten, die wie eine lockende, trügerische Luftspiegelung so vielen Helden und Abenteurern Jahrhunderte hindurch vorschwebten und stets wie ein Nebelbild vor ihren sehnsüchtigen Blicken entschwanden.«

»So wäre denn Wirklichkeit, was man längst für Phantasie und Fabeln erklärte?« erwiderte Ulrich. »Was sage ich?! Es ist Wirklichkeit, daran ist nicht zu zweifeln; wir sehen es ja mit eigenen Augen. Aber wahrhaftig, es ist mir selber, als schaute ich eine ferne Luftspiegelung oder befände mich in einem Traum befangen und alles müßte binnen kurzem in Nebel zerrinnen. – Aber, sieh doch! Was ist das?«


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