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24. Trennung

Mehrere Stunden dauerte es, namentlich bei Manuel, bis die Folgen des schlimmen Abenteuers im Oritucu so weit überwunden waren, daß an die Weiterreise gedacht werden konnte. Erst um die Mittagszeit erfolgte der Aufbruch; von einem Besteigen der Maultiere war keine Rede, und Manuels schwerverwundetes Tier durfte auch nicht mit Gepäck belastet werden.

»Es ist nur gut,« meinte Manuel im Weitermarsch, »daß nicht auch noch der Stachelrochen an uns geraten ist; mit seinem skorpionartigen Schwanz, der mit Widerhaken versehen ist, bringt er einen äußerst schmerzhafte und gefährliche Wunden bei, und man muß froh sein, wenn man mit einem giftigen Geschwür, das sehr schwer heilbar ist, und mit einigen Krampfanfällen davonkommt; denn es ist keine Seltenheit, daß man einer solchen Wunde erliegt.«

Bald hörte der Urwald auf, und die Llanos begannen sich wieder in unendlicher Öde auszudehnen, hier und da unterbrochen von größeren Wäldern der Cobijapalme.

Meist ging der Weg am Rio Guarico hinab, der vielfach von lustig sich tummelnden Süßwasserdelphinen belebt war; aber auch zahlreiche Krokodile hausten an seinen Ufern. In der Steppe fanden sich oft in der Nähe der Waldungen ganze Kolonien seltsam geformter Termitenhügel; die einen glichen plumpen Kegeln, die anderen unregelmäßigen Halbkugeln, wieder andere zeigten die Form ungeschlachter Riesenpilze. Manuel schoß eine Kugel in einen solchen Termitenbau, um seinen jungen Herren einen Beweis von der Festigkeit der Lehmwandungen zu geben. Wirklich blieb die Kugel im Lehme stecken, ohne auch nur bis in einen der zahlreichen Gänge im Innern eindringen zu können.

Da die Reise, um die langsam sich erholenden Maultiere zu schonen, in sehr gemütlichen Tagemärschen vollführt wurde, brauchten unsere Freunde volle fünf Tage, um San Fernando de Apure zu erreichen, während sie unter gewöhnlichen Verhältnissen von Los Tamarindos aus in drei Tagen hätten hingelangen können.

Am Vormittag des 26. Oktobers trafen sie endlich dort ein.

San Fernando ist eine kleine, aber bedeutende Handelstadt und vermittelt die gesamte Ein- und Ausfuhr ausgedehnter Länderstrecken. Von hier aus nimmt auch der berühmte Varinasknaster seinen Weg nach Europa. Bis hierher hatte Manuel unsere Freunde zu begleiten; es wurde ihm freilich der Abschied sehr schwer; anderseits hätte er doch auch die Weiterreise durch die ihm völlig unbekannten Urwälder des Orinoko gescheut.

Über den Sonntag wollten Ulrich und Friedrich hier verweilen, und so lange beschloß auch Manuel zu rasten.

Sehr merkwürdig erschien es unseren Freunden, in den Hühnerhöfen die Zamurosgeier zu beobachten. Diese tranken und fraßen friedlich mit den Hühnern und waren dabei so frech, daß sie nicht zu verscheuchen waren, wenn man auch mit Steinen nach ihnen warf; kaum daß sie ein wenig aufflatterten, um nicht unmittelbar getroffen zu werden. Anderseits waren die Raubvögel wiederum so feige, daß sie vor den Schnabelhieben der Hühner zurückwichen, obgleich ein einziger von ihnen den ganzen Hühnerbestand hätte morden können.

In der Posada riet Manuel, das Gepäck wegen der Termiten auf Holzstücke zu stellen. In der Nacht erwachte Friedrich an einem Geräusch. Als er Licht machte, sah er wohl an die zwanzig Ratten, die in aller Ruhe die Ballen anzunagen begannen. Friedrich weckte alsbald seinen Bruder und Manuel, und nun begann eine Jagd, die aufregend genug war; denn die großen Ratten wichen durchaus nicht, griffen vielmehr ihre Feinde an, wobei sie Sätze machten, daß sie manchmal beinahe die eine oder andere Nasenspitze erreichten. Einige schmerzhafte Bisse in Beine und Hände bekam jeder der drei Rattenfänger ab, bis endlich alle Störenfriede erlegt waren; dann erst konnte wieder ans Schlafen gedacht werden.

Der Sonntagmorgen brachte die unangenehme Überraschung, daß Manuels Vorsicht das Gepäck durchaus nicht vor den Termiten bewahrt hatte; diese hatten über Nacht tiefe, mit Lehm ausgekleidete Gänge mitten in die Ballen geführt und bereits einen großen Teil der Vorräte und die Holzstiele einzelner Werkzeuge teils entführt, teils ausgehöhlt. Ganze Häuser fallen diesen unheimlichen Gästen in kurzer Frist zum Opfer: sie höhlen Balken, Bretter und Möbel aus, ohne daß man äußerlich etwas davon merkt, bis alles in sich zusammenfällt. Merkwürdigerweise sind die Ameisen die schlimmsten Feinde der Termiten und vertilgen diese zu Tausenden.

Die Vorräte und Werkzeuge, die von den Termiten gestohlen oder zerstört worden waren, ließen sich zum Glück durch Neuankäufe ersetzen. Manuel wurde von den dankbaren Knaben reichlich mit allerlei Dingen, die ihm Freude machten, beschenkt, da sein Herr ihm strengstens verboten hatte, Geld von ihnen anzunehmen.

Ulrich und Friedrich wollten sich zu Schiff bis in den Orinoko begeben und von da zu Lande durch den Urwald stromaufwärts dringen. Die drei Maultiere erklärte Manuel im Auftrag des Herrn Lehmann für ihr bleibendes Eigentum. Zwei davon sollten sie als Reittiere benutzen und eines als Lasttier, da es notwendig sei, sich auf den zum Teil ziemlich weit voneinander entfernten bewohnten Plätzen stets reichlich mit Lebensmitteln und Munition zu versehen. Ferner erklärte er es für unumgänglich, daß sie sich mindestens zwei zuverlässige Indianer als Diener mieteten, ehe sie den äußerst gefährlichen Ritt durch den Urwald anträten.

Die Jünglinge widersprachen ihm nicht, um ihn nicht zu beunruhigen; im stillen aber dachten sie, dieser immerhin bedenklichen Begleitung entraten zu können; kühn genug waren sie, ein Unternehmen zu wagen, das bisher unerhört war.

Am Montag, den 28. Oktober, verabschiedeten sie sich in aller Frühe von Manuel, dem sie noch viele Grüße und den Ausdruck ihres wärmsten Dankes an Herrn Lehmann auftrugen; dann bestiegen sie ein Segelschiff, das den Apure hinabfuhr.

Manuel winkte ihnen tränenden Auges nach, solange das Schiff noch zu sehen war.


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