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17. In die Llanos

In Nueva Valencia wurden Ulrich und Friedrich als große Kriegshelden gefeiert, und ihre neue Rolle belustigte sie mehr, als daß sie stolz darauf gewesen wären; denn sie selbst waren sich keiner besonderen Heldentaten bewußt; das Schießen war schließlich alles, und das war eine Fertigkeit, die sie durch Übung und Sicherheit der Hand und des Auges, verbunden mit Kaltblütigkeit im Augenblicke des Ernstes, gewonnen hatten. Daß diese Venezolaner aus solcher Kleinigkeit so viel Wesens machten, bewies ihnen nur, daß sie einem leicht begeisterten Volksstamme angehörten und Talente, die ihnen selber – vielleicht nur aus Mangel an Ausbildung – abgingen, als etwas beinahe Übernatürliches anstaunten. Dennoch war es ganz angenehm, so umschmeichelt und geehrt zu werden von Offizieren und Generälen und einer staunenden Bevölkerung.

Doch alles ist nur ein Weilchen schön, und da die jungen Helden keine Lust hatten, trotz aller glänzenden Aussichten, die ihnen eröffnet wurden, venezolanische Kriegsdienste anzunehmen, verabschiedeten sie sich bereits am anderen Morgen von dem liebenswürdigen General zu dessen größter Betrübnis. Er bedauerte lebhaft, ihnen keine größeren Beweise seiner Dankbarkeit geben zu tonnen, als einige gute Gewehre, Jagdmesser und einige Vorräte an Lebensmitteln, meist aus besonderen Leckerbissen bestehend, die den Maultieren aufgepackt wurden.

Dann ging es weiter in den leuchtenden Morgen hinaus und an den Stätten ihrer gestrigen Großtaten vorbei den Bergen zu. Diese südlichen Berge bilden keine geschlossen zusammenhängende Kette; zwischen ihnen durch fließen an verschiedenen Stellen die Gewässer, die, südwestlich von Nueva Valencia entspringend, dem Rio Apure zueilen. Freilich ist dieses »Eilen« nicht wörtlich zu nehmen, denn in Wahrheit ist bei dem kaum merklichen Gefälle der Ebene ihr Lauf ein äußerst gemächlicher. Der Weg führte unsere Freunde über das Dörfchen Los Sitios nach Tocuyito und von da am Rio Tocuyito entlang nach Carabobo, wo die letzte Entscheidungschlacht gegen die Spanier am 24. Juni 1821 den Venezolanern die Unabhängigkeit verschaffte. In Carabobo wurde übernachtet.

Andern Tags ging es ins Gebirge, und zwar, da der hindurchführende Stromlauf wegen der Enge des Tales nicht verfolgt werden konnte, über die Galera del Pao, über Höhen und durch Täler, oft durch herrlichen Urwald, immerfort dem Süden zu. Auf der Höhe des Passes eröffnete sich eine prachtvolle Aussicht auf eine große Menge kahler Bergkuppen, die gleich Riesenzuckerhüten gen Himmel ragten. Hier befand sich eine Pulperia, d. h. eine Schenke am Wege, zugleich Zollhaus, und die Reisenden beschlossen, da der Tag sich neigte, in ihr zu rasten. Am folgenden Tag ging es vollends in die Ebene hinab durch Los Chaparros und von da an durch bebautes Land, hübsche Wäldchen, Platanen- und Yukka-Pflanzungen, El Pao zu.

San Juan del Pao, oder kurzweg El Pao, erwies sich als eine ziemlich öde, langweilige Stadt; zwischen dem Pflaster der breiten Straßen wuchs Gras, und alles sah schmutzig und verwahrlost aus. Die Stiche der hier sehr zahlreichen Moskitos ließen keinen rechten Schlaf aufkommen; doch ein erfrischendes Bad im Rio Pao ermöglichte es, am andern Morgen die Weiterreise ohne ein Gefühl der Übermüdung anzutreten. Der Weg führte durch ein Gebüsch von dürren Stachelpalmen und Mimosen nebst einigen Drachenblut- und Topfbäumen, von deren Früchten die goldgelb-scharlachroten »Guacamayos llaneros« naschten. Dies sind die Araras der Llanos, deren Name bei uns gewöhnlich in »Ara« verstümmelt wird. Diese prachtvollen buntschimmernden Vögel mit dem langen scharlachroten Schwanze erhoben sich bei der Annäherung der Reisenden mit heiserem Gekrächze hoch in die Lüfte.

Auf den Ästen der Bäume zeigten sich vielfach graugrüne, steifblätterige Orchideen, und das wunderliche Bartmoos hing gleich eisgrauen Urväterbärten von den Zweigen herab. Dann kamen dichte Gruppen von Agaven und hohem stachlichten Kaktus, deren Abzweigungen gleich Leuchterarmen starr emporragten oder wie Riesenschlangen in seltsamen Windungen aufstrebten. Wie eine Mauer zog sich eine Reihe großer schwarzer Felsblöcke durch den Busch, durch den nur ein schmaler Fußpfad führte, auf dem es oft schwer war, mit den Maultieren fortzukommen.

Endlich wurde wieder der Rio Pao erreicht, der hier durchwatet werden mußte; der Fußweg durch den Busch hatte eine weite Biegung des Flusses abgeschnitten. Auf dem linken Ufer war noch ein schönes Wäldchen zu durchqueren; dann aber öffnete sich den Reisenden der ungehemmte Blick in die eigentlichen Llanos von Caracas.

Die endlosen Steppen, die in Nordamerika »Savannah« oder »Prairie« genannt werden, sind von den Spaniern im Süden »Llanos« oder »Pampa« getauft worden. Es sind durchaus keine Wüsten, wenn auch in der Zeit der Dürre der Anblick öde ist. Zugleich aber macht die seltsame Öde einen großartigen und überwältigenden Eindruck auf die Beschauer; man vermeint, den unendlichen Ozean zu schauen, über dem die glühende Luft zittert und flimmert. Nur selten erheben sich kleine Wälder, Inseln gleich, da und dort aus der einförmigen Ebene, und meist schweift der Blick ungehindert bis zum verdämmernden bläulichen Horizont.

Lange Zeit hielten unsere Freunde am Saume der Heide, gebannt von dem nie gesehenen Schauspiel. Bald aber kam Leben in die tote Landschaft. Hunderte von Rindern bewegten sich dem Flusse zu, und hinter ihnen kam ihr Hüter, der Llanero auf flüchtigem Rosse, seine furchtbare Lanze in den Lüften schwingend. Von Mai bis November wogt sonst das grüne Gras hoch über dem Kopf eines solchen Reiters; diesmal aber fingen die verdorrten Stengel bereits an, in Staub zu verfallen, da die übermäßige Dürre sie vorzeitig ausgetrocknet hatte; in nächster Nähe der zahlreichen Bäche und Flüsse jedoch findet das Vieh auch im Hochsommer jener Gegenden, d. h. eben in der Zeit unseres nordischen Winters, saftige Weide.

Von einem Wege war in den Llanos nicht die Rede, wohl aber von Tausenden sich kreuzender Pfade, die durch die Rinder getreten waren.

»Wahrhaftig!« bemerkte Ulrich, »hier hätten wir wochenlang umherirren können, wenn uns ein kundiger Führer gefehlt hätte.«

»Es wird fraglich sein, ob Manuel selbst sich in einem solchen Gewirre noch auskennt,« entgegnete der Bruder. »Übrigens brauchten wir nur dem Flusse zu folgen, um nicht zu verirren.«

»Aber wer weiß, welche Umwege solch ein Fluß in der Ebene beschreibt!«

Inzwischen waren sie weiter geritten; auf Manuels Rat hatten sie Chaparroblätter auf ihren Hüten befestigt, um sich gegen die glühenden Sonnenstrahlen besser zu schützen. Viele Schlangen kreuzten ihren Weg, und oft mußte Manuel einige totschlagen, weil die Maultiere sonst durchaus nicht zu bewegen waren, weiterzugehen.

Gegen Mittag wurde ein Wald von Palmen der Art de Cobija oder de Sombrero erreicht. Diese Fächerpalmen, die nur in den Llanos nördlich des Orinoko vorkommen, standen zu Tausenden beieinander. Ihre dünnen, grauen, etwa fünfzehn Meter hohen Stämme glichen einem seltsamen Säulenwalde, der einen eigentümlich märchenhaften Anblick bot, da infolge der weitverzweigten, nicht tiefgehenden Wurzeln keine andere Pflanze im Schatten dieser Palmen gedeiht. Nur der Matapalo oder Würgebaum, dieser tödliche Schmarotzer, klettert hie und da an ihnen empor, und sein merkwürdig verzweigter Stamm, wie aus lauter Wurzeln geflochten, umhüllt die schlanken Säulen ringsum mit seinem weitmaschigen Netze, um über oder unter der zierlichen Fächerkrone sein dickblätteriges Dach auszubreiten. Das eisenharte Holz der Cobija leistet aber dem Parasiten erfolgreichen Widerstand, so daß diese Palme nicht, wie andre Arten, unter ihm leidet und zugrunde geht.

Mit größtem Erstaunen betrachteten Ulrich und Friedrich diese neuen Wunder der Tropen. Besonders reizend fanden sie es, wenn an dem Stamme der Palmen aus herabgefallenen Samenkörnern entsproßte Miniaturpalmen nach allen Seiten hervorlugten.

Bei der schwülen Witterung machte es sich doppelt geltend, daß die letzte Nacht infolge der Stiche der Zancudo beinahe schlaflos verbracht worden war; daher wurde beschlossen, hier die Hängematten an den Palmenstämmen zu befestigen. Manuel entzündete ein Feuer, um Kaffee zu kochen; die Maultiere wurden entlastet und mit zusammengekoppelten Vorderfüßen, damit sie sich nicht zu weit entfernten, freigelassen, um sich das spärliche Grün in der dürren Steppe herauszusuchen.

Nach einer einfachen Mahlzeit zündeten sich alle drei ihre Pfeifen an und legten sich in ihre Hängematten, wo sie noch eine Weile plauderten, bis bleierner Schlaf sich auf ihre Augenlider senkte.


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