Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

48. Die belagerten Jäger

Nachdem den so verheißungsvoll Verabschiedeten noch ein reichlicher Morgenimbiß vorgesetzt worden war, brachen sie mit den zehn Lama unter Führung der zwei Amazonen auf. Ein letztes Mal sahen sie den Palast der Königin im Strahle der aufgehenden Sonne erschimmern, und es war ihnen, als blicke Yutaténeru ihnen durch die durchsichtigen Wände ihres Schlosses nach.

Hoch über den Wald funkelte und blitzte in grünem Feuer der Smaragdberg aus der Ferne herüber, und die seltsamen Formen der ihn krönenden Burg versetzten unsere Freunde nochmals in die lebhafteste Bewunderung. Dann aber rissen sie sich los von dem unvergleichlichen Schauspiel, und der Urwald mit seinen glitzernden Nephritpfaden nahm sie wieder auf.

Sie wanderten den ganzen Tag fort und nach kurzer Nachtruhe noch den folgenden Morgen, ehe sie die Grenzen des Amazonenreiches erreichten, wo ihre Führerinnen sich von ihnen trennten. Von da ab ging es wieder langsam und mühsam durch fast undurchdringlichen, pfadlosen Urwald, bis sie endlich am Abend des 21. Dezembers die Ufer des Japura erreichten.

Hier fanden sie einen herrlichen Lagerplatz auf dem rechten Ufer des Flusses, den sie durch eine Furt durchschritten. Fruchttragende Bäume waren in Menge vorhanden, und zahlreiche Spuren wiesen auf großen Wildreichtum hin. Obgleich die Wanderer noch Lebensmittel auf mehrere Tage besaßen, waren sie doch an diesen Entdeckungen froh; denn sie wollten ihre Vorräte möglichst sparen, bei Gelegenheit auch vermehren; wußten sie doch nicht, was für Gegenden sie noch zu durchziehen hatten; möglicherweise konnten sie noch tagelang auf ihren Vorrat angewiesen sein.

Da der 22. Dezember ein Sonntag war, verbrachten sie auch diesen folgenden Tag am Ufer des Flusses. Nachmittags sollte auf die Jagd gegangen werden.

Schulze, der gewaltige Nimrod, konnte seine Jagdlust am wenigsten zügeln, und während die andern der Ruhe pflegten, schlich er sich heimlich fort, um auf eigene Faust sein Glück zu versuchen. Er hatte sich in der letzten Zeit viel im Schießen geübt und glaubte nun so weit zu sein, einmal seinen jungen Freunden seine Kunst beweisen zu können; er träumte von Bisonen und Edelhirschen und anderem Getier, das es in diesen Jagdgründen gar nicht geben konnte; er sah sich in Gedanken gar als Sieger über einen Grislybären, den er in Nordamerika hätte suchen müssen. Das focht ihn wenig an, denn er war in diesem Augenblick ganz Jäger und schwelgte als solcher in kühnen Jagdphantasien und -träumen, ohne den nüchternen Gelehrten in sich zum Worte kommen zu lassen.

Im voraus arbeitete er seine Pläne aus, wie er sich solchem Großwild gegenüber verhalten wolle, um es sicher zur Strecke zu bringen. Ha! dann sollten die Gefährten staunen, namentlich der rauhe Sohn der Wildnis, welche Heldentaten ein Professor der Zoologie zu vollbringen vermochte!

Lange streifte er vergebens umher: es zeigte sich nur einiges Wild kleinerer Gattungen, das sein Weidmannsherz verschmähte – weil es zu schnell davonjagte, als daß er hätte zielen können. Er setzte zwar oft den Flintenkolben an die Wange, aber bis er so ein Geschöpf richtig aufs Korn genommen hatte, war es schon wieder verschwunden, und der Fleck, auf den er die Mündung seiner nie fehlenden Büchse gerichtet hielt, war leer. Da konnte doch der beste Jäger nicht zum Schuß kommen!

Plötzlich horchte Schulze hoch auf. Was war das? Ein Stampfen und Krachen erhob sich in der Ferne und kam immer näher. Vorsichtig verschanzte er sich hinter einen Baumstamm und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Und sie kamen! Eine Herde von Pekari, mindestens hundert Stück auf einmal.

Na! das waren freilich keine Bisone, dafür aber war es schwer, einen Fehlschuß zu tun; es bedurfte keines Zielens, Schulze brauchte nur in die dichte Masse zu pfeffern, und jeder Schuß mußte treffen; wenn er sich beeilte, konnte er hoffen, vier bis fünf Stück zu erlegen, ehe die Tiere, so ungestüm sie einherstürmten, außer Schußweite waren.

Unkas' Warnung bei der früheren Begegnung mit solchen Wildschweinen hatte er vergessen oder verachtete sie in seinem kühnen Jägermute. Diese kleinen Pekari, so wild sie sich gebärdeten, konnten doch unmöglich gefährlich werden! Und so gab er denn Feuer, zwei Schüsse hintereinander, und hoch klopfte sein Herz vor Freude, als richtig zwei der Tiere zusammenbrachen.

Allein, zu einem dritten Schuß blieb ihm keine Zeit, denn die freche Horde, von der er nichts anderes erwartet hatte, als daß sie in jähem Schrecken vor ihrem furchtbaren Feinde fliehen werde, stürzte wütend geradeswegs auf ihn los. Bald war er eng bedrängt, und die Vordersten der Unholde sprangen an ihm empor und schnappten nach ihm. Zwar wehrte er sich ritterlich mit dem Flintenkolben, aber die rücksichtslosen Geschöpfe begannen ihm mir nichts, dir nichts die Beinkleider zu zerfetzen, und bald spürte er einen scharfen Biß in den Waden.

»Mein Gott!« dachte der beklagenswerte Nimrod, »die Teufelsbiester sind imstande, mich bei lebendigem Leibe zu zerfleischen!«

Er begann, gellende Hilferufe auszustoßen; da kam ihm ein rettender Gedanke: er blickte an dem Baum hinauf, neben dem er stand, und sah, daß der Stamm in nicht allzu großer Höhe einige Äste ausstreckte, die Schulze, obgleich im Turnen schwach, mit Hilfe der zahlreichen emporrankenden Lianen zu erreichen hoffte.

Rasch warf er die Flinte über und mühte sich weidlich ab, bis er den untersten Ast erfassen konnte. Nun schwang er sich schwerfällig hinauf, und aufatmend machte er sich's auf dem breiten Aste so bequem wie möglich.

Aber was nun? Die Pekari dachten nicht daran, zu weichen: sie umzingelten den Stamm, an dem sie grunzend emporsprangen, ja, einige suchten den Baum zu unterwühlen; dazu hätten sie aber ein paar Tage gebraucht. Eine unmittelbare Gefahr war also nicht vorhanden.

»Ewig werden sie auch nicht dableiben,« dachte der Professor beruhigt, »und schließlich werden meine Gefährten nach mir suchen und meiner Belagerung ein Ende machen.« Damit holte er philosophisch seine Pfeife hervor, stopfte sie würdevoll und begann zu qualmen.

Nachdem er so eine Weile in stoischer Gelassenheit verharrt hatte, kam ihm der kluge Gedanke, noch möglichst viele seiner Feinde zu erlegen; zuletzt würde sie wohl doch das bleiche Entsetzen packen, und sie würden sich aus dem Bereich seiner nie fehlenden Büchse begeben.

Er begann sofort, seinen Plan auszuführen, und da er gemächlich zielen konnte, auch die Pekari Rücken an Rücken gedrängt standen, gelang es ihm nur selten, ganz daneben zu schießen, was eine große Kunst war.

Dazwischen stieß er von Zeit zu Zeit ein lautes »Hallo! hierher!« aus, um seine Freunde auf die richtige Fährte zu bringen, wenn sie sich nähern sollten.

Richtig! Da erschien Friedrich. Dieser mußte lachen, als er den guten Professor mit seinen zerfetzten Hosen auf dem Baume hocken sah; doch gab er sich nicht lange der Heiterkeit hin, wohl sehend, daß die Sachlage des Ernstes nicht entbehrte; und so begann er alsbald seinerseits, unter Schulzes Belagerern aufzuräumen.

Allein, schon der erste Schuß hatte zur Folge, daß sich eine ziemliche Anzahl der gereizten Tiere ihm zuwandte. Sofort begriff Friedrich, daß es ihm nicht anders gehen werde als dem unglücklichen Zoologen. Unverzüglich sah er sich nach einem geeigneten Baume um und erkletterte ihn wie eine Katze, ehe er noch etwas von seiner Bekleidung eingebüßt hatte.

»Ha, ha!« lachte nun Schulze seinerseits. »Da sehen Sie selber, wie wenig Eindruck die vorzüglichste Schießkunst auf diese tollen Bestien macht. Habe ich nicht höchsteigenhändig bereits acht Stück davon erlegt? Aber sie lassen sich nicht einschüchtern – im Gegenteil!«

Friedrich war nun ebenso belagert wie sein Leidensgenosse und wußte auch nichts Besseres zu tun, als ein Stück um das andere wegzuschießen; doch hatte er weitaus nicht genügend Schießvorrat bei sich, um daran denken zu können, alle Tiere zu erlegen, die den Stamm des Baumes umkreisten, auf den er sich geflüchtet hatte.

Nun hörte man aber Ulrichs rufende Stimme. »Hierher!« rief Friedrich, und bald darauf erschien der Bruder auf der Bildfläche. Rasch hatte er den Stand der Dinge erfaßt, der zunächst auch seine Heiterkeit erregte, und schickte sich sofort an, unter die grunzende Herde hineinzuschießen.

»Halt, halt!« rief Friedrich. »Steige nur erst auf einen Baum, sonst geht dir's an die Waden wie dem Herrn Professor.«

Ulrich sah die Vernünftigkeit dieser Warnung ein und bestieg einen Baum, der so ziemlich in der Mitte zwischen den beiden andern stand. Von hier aus konnten seine Kugeln beiden Teilen Luft verschaffen.

Aber auch den dritten Schützen hatten die Pekari bald bemerkt, als seine Schüsse unter ihnen aufzuräumen begannen, und wie auf Kommando lösten sich von beiden Herden einige Eber ab und begannen die Belagerung von Ulrichs Zufluchtstätte.

Es mochten im ganzen noch etwa achtzig Tiere sein, von denen Schulze und Friedrich je annähernd dreißig, Ulrich etwa zwanzig zu Füßen hatten.

»Fortgeschossen wird!« gab Friedrich die Losung aus. »Fortgeschossen bis zur Munitionserschöpfung. Hätte ich einen solchen Strauß geahnt, wahrlich, ich hätte mich besser versehen.«

»Bei mir wird's auch nicht ganz reichen,« meinte Ulrich, »und der Herr Professor – wahrhaftig, mir scheint, er will aus dem Waldboden ein Sieb machen!«

In der Tat, seit die Reihen seiner Belagerer sich so bedeutend gelichtet hatten, schoß Schulze beharrlich daneben; das Sitzen auf dem harten Aste begann auch unbequem zu werden, und seine Jagdlust ermattete bedeutend.

Nichtsdestoweniger erwiderte er: »Oho! sehen Sie nicht, daß bereits fünfzehn Stück da unten alle Viere von sich strecken? Wenn mir die Füße nicht eingeschlafen wären, könnte ich bald Ihnen zu Hilfe kommen, denn ich habe wohl noch zwanzig Patronen, die freilich für ganz anderes Wild bestimmt waren.«

Inzwischen taten Ulrich und Friedrich keinen einzigen Fehlschuß. »Das ist wieder genau so wie auf dem Islote,« meinte ersterer.

»Ja, so ähnlich,« bestätigte Friedrich, »aber doch etwas harmloser. Haben wir uns verschossen, so steigen wir herab und werfen uns unter die Feinde; dann werden wir wohl mit Kolben und Jagdmessern ihrer Herr werden, wenn auch mit Verlust einiger Kleidungsstücke und Hautfetzen.«

Ulrich war zuerst mit seiner Munition zu Ende. Allerdings tobten auch nur noch fünf Wildschweine um seinen Baum herum, während siebzehn Stück tot darunter lagen.

»Halt, Herr Schulze,« rief er, »Sie treiben wahrhaftig Munitionsverschwendung! Sparen Sie mir auf, was Sie noch übrig haben. Ich sehe, daß ich gut zu Ihnen gelangen kann, die Äste unserer Bäume berühren sich ja vielfach.«

Als gewandter Turner hatte Ulrich denn auch bald den nicht ungefährlichen Weg zurückgelegt und verwertete jetzt des Naturforschers letzte Patronen mit tödlicher Sicherheit.

»Sehen Sie, das gibt aus!« rief er. »Jetzt sind wir doch alle los bis auf drei!«

Aus den dreien wurden aber wieder acht, denn die Pekari am mittleren Baume hatten Ulrichs Entweichen bemerkt und wandten sich sofort dem ersten Baume zu.

Indessen hatte Friedrich auch die Zahl seiner Belagerer auf zehn vermindert, als er den letzten Schuß tat; er besann sich aber noch, ob er sich vom Baume herabwagen solle.

Da erschien Unkas, den das unaufhörliche Schießen stutzig gemacht hatte, und der daher der Fährte seiner Herren gefolgt war. Mit der Vorsicht eines Indianers schlich er sich heran. Als er die Lage der Dinge sah, überlegte er nur kurz und entschloß sich, den Baum zu ersteigen, den Ulrich soeben verlassen hatte. Von dort aus wollte er seinerseits auf die Tiere zur Rechten und Linken schießen.

»Laß lieber mich machen,« rief ihm Ulrich zu, der Unkas' mangelhafte Schießkunst kannte, und turnte alsbald zu Unkas hinüber.

»Zum Kuckuck! Hat der Tölpel von einer Rothaut nur fünfzehn Patronen mit sich genommen, wo doch noch achtzehn Pekari vorhanden sind,« schalt er lachend. »Kann Unkas nicht auf achtzehn zählen?«

»Junger Herr!« erwiderte der Indianer, den Tadel für ernst nehmend, »Unkas sah die Pekari nicht vom Lager aus und konnte ihre Zahl nicht wissen.«

Ulrich schoß nun vollends ab, was er erreichen konnte; er mußte dann noch einmal zu Schulze hinüber, weil einige der Pekari auf der andern Seite des Baumes wühlten, die er von seinem Standpunkte aus nicht bestreichen konnte. Dann aber blieben auch nur noch drei Tiere am Leben, sämtlich auf Friedrichs Seite.

Jetzt kletterte Unkas hinab und machte kurzen Prozeß. Einige wuchtig geführte Stöße mit seinem langen Jagdmesser befreiten auch den letzten der belagerten Jäger von seinen Bedrängern.

»Fabelhaft!« sagte Schulze, als er vom Baum herabgerutscht war und die Strecke besichtigte und hundertundzwei Leichen zählte. »Sollte man solche Zähigkeit für möglich halten?«

»Wenn man die Nachzügler der Herde schießt,« erklärte Unkas, »so kehren die Pekari nicht um; greift man aber die Vordersten an, so daß alle es sehen, so sind sie gereizt, und dann weichen sie nicht, bis entweder ihr Gegner erliegt oder sie alle bis auf das letzte die Walstatt bedecken.«

»Schade, daß wir nicht all das gute Fleisch mitnehmen können,« seufzte Schulze. »Immerhin wird es uns so bald nicht an Schweinebraten mangeln.«

Den Abend wurde noch viel von den besten Stücken gedörrt, geräuchert und gebraten, da frisches Fleisch sich in den Tropen nicht lange hält. Von den zehn Lama waren nur fünf bepackt; so ließen sich einem sechsten die Fleischvorräte aufladen, es blieb dann immer noch für jeden der Reisenden je ein Reittier; denn die Lama, so klein sie waren, hatten doch Kraft und Ausdauer genug, um sich vorzüglich zum Reiten benutzen zu lassen, auch waren sie von den Amazonen tüchtig zugeritten worden.


 << zurück weiter >>