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59. Die Wunder der Unterwelt

Friedrich stand noch unbeweglich da, immer und immer nur den wunderbaren Greis anstarrend. Da schien dieser zu erwachen; er hob das Haupt und sah mit Adlerblicken den Jüngling an.

Der Blick, der zuerst etwas hatte wie eine verzehrende Feuerflamme, wurde bald milder, fast freundlich, als der Alte in spanischer Sprache mit klangvoller Stimme zu reden begann:

»Wie kommt der weiße Knabe in die Höhle des Inka?«

»Ein Verräter führte mich in eine unbekannte Grotte, in der ich meinen Vater finden sollte, und verschloß mich auf unerklärliche Weise im Stein.«

»Und den Eingang zu meinem Saal, wer öffnete ihn dir?«

»Ein Lichtfunke hat ihn mir verraten, da ich schon zu sterben vermeinte, und eine Fügung des Großen Geistes ließ mich die Stelle finden, an der das Tor sich öffnen läßt.«

»Wer war der Verräter, der dich in den Felsen schloß?«

»Ein Napoindianer.«

»Gewiß einer der Häuptlinge? Jedenfalls Narakatangetu selber; denn er allein kennt das Geheimnis der Tore von allen Kindern der Sonne, die noch draußen wohnen in den Tälern des Ungemachs. Aber du darfst ihn keinen Verräter nennen, gewiß hast du Schweres verschuldet, daß er dich so hart strafte; und doch durfte er es nicht! In diese Höhle durfte er dich nicht führen! Ich verstehe es nicht; er wäre seit Jahrhunderten der erste der großen Morekuate der Omagua, der seinen heiligen Eid gebrochen hätte.«

»Ehrwürdiger Vater, Narakatangetu war es nicht, der mich hierherführte, es war ein Indianer ohne Würden, und einer Verschuldung bin ich mir nicht bewußt!«

»Ha!« rief der Greis, und seine Augen flammten. »Weiß jeder Knecht der Napo schon um das heilige Geheimnis? Ich werde von Narakatangetu Rechenschaft fordern über die Wahrung des Stillschweigens. Aber du sprichst wahr, eine Schuld hast du nicht. Die Jahrhunderte haben meinen Blick geschärft, zu lesen in der Seele der Menschenkinder. Du tust mir leid, Jüngling, aber wenn es Wesen gibt, die du liebst dort draußen in der Welt des Unrechts, so laß deine Seele auf ewig Abschied von ihnen nehmen, denn nimmermehr wirst du sie schauen. Du kennst das Geheimnis der Höhle des Inka; kein Mensch soll es aus deinem Munde erfahren. Aber blicke nicht so traurig? Was ist das Leben dort draußen? Siehe, ich wohne Jahr um Jahr in dieser Höhle, meist in völliger Einsamkeit, und es reizt mich nicht mehr, hinaufzusteigen, wenn ich es nicht täte von Zeit zu Zeit um meines Volkes willen.

»Auch du wirst dich gewöhnen an das Leben unter der Erde, und hast du dich bewährt, so will ich dir den Zugang gestatten zu den Gefilden des Friedens: da wirst du Freunde finden ohne Falsch, besser als alle, die du dort draußen zurückläßt.«

Aber Friedrich hörte des Greises Stimme nur noch wie aus weiter Ferne. Plötzlich übermannte ihn eine völlige Schwäche, es wurde ihm schwarz vor den Augen, und er vermochte nur noch unwillkürlich zu sagen: »Vater, ich habe Hunger!« Dann fiel er besinnungslos zu Boden.

Als er wieder zu sich kam, empfand er nichts von der Mattigkeit, die eine Ohnmacht zu hinterlassen pflegt, vielmehr spürte er eine Frische und Kraft, wie er sie nie besessen zu haben glaubte. Er sprang auf die Füße und reckte sich, während der Greis, der neben ihm stand, lächelnd auf ein kleines Kristallfläschchen wies: »Mein Sohn hat nie die Kraft des Lebenswassers erfahren?«

»Nein! Aber mir ist wahrhaftig, als hätte ich von dem kostbaren Elixir geschlürft, von dem alte Märchen und Sagen berichten.«

»So folge mir, es steht Speise für dich bereit.« Damit führte ihn der Greis in eine Nebenkammer, in der sich ein steinerner Tisch mit verschiedenen unbekannten Gerichten befand, daneben eine Menge der erfrischenden saftigen Früchte der Tropen, die Friedrich wohl bekannt waren.

Der Jüngling ließ sich denn das herrliche Mahl schmecken, und der Alte sah ihm wohlwollend zu, griff auch selber nach einigen Früchten, anscheinend, um ihm Gesellschaft zu leisten oder den Zuspruch zu unterstützen, an dem er es nicht fehlen ließ.

Dann mußte Friedrich ausführlich seine Schicksale berichten, die der Greis schweigend mit anhörte. Der Jüngling erzählte alles in schlichter Weise, und seine natürliche Bescheidenheit brachte es mit sich, daß er die Umstände, bei denen er selber eine glänzende Rolle gespielt hatte, wie namentlich den Kampf mit dem »Fabeltier«, gar nicht erwähnte.

Dann erbot sich der Alte, auch seinerseits einige Auskunft zu geben; doch erklärte er von vornherein, daß er viele große Geheimnisse vorerst noch nicht enthüllen könne. Was seine eigene Person betreffe, so möge sein Gast sich damit begnügen, in ihm einen alten königlichen Inka von Tahuantinsuyu, das heißt Peru, zu erblicken.

Friedrich befleißigte sich denn auch bescheidener Fragen über Dinge mehr äußerlicher Art, die hier unten sein Interesse erregten.

Er erkundigte sich nach der Kraft, die auf einen Druck des Fingers hin die gewaltigen Steintore zu bewegen vermöge, und erfuhr, daß es Wasserkraft sei. Dann wünschte er zu wissen, wie es möglich sei, die Räume hier unten taghell zu beleuchten?

»Was mein Sohn für künstliche Beleuchtung hält, ist das lautere Sonnenlicht.«

»Aber ich sehe doch nirgends Fenster oder große Kanäle, durch die das Licht eindringen könnte?«

»Es dringt auch durch keine Öffnung ein, sondern wird durch feste Stoffe geleitet.«

»Wie!? Die Sonne erleuchtet doch bloß durch Strahlung!«

»Was nennt ihr Strahlung?«

»Bei der Wärme unterscheiden wir zwei Arten der Vermittlung: die Leitung und die Strahlung. Die Leitung geschieht in der Weise, daß die Wärmequelle einem Körper Wärme mitteilt, die sich in ihm von Teil zu Teil fortpflanzt, indem die erwärmten Molekel die erhaltene Wärme nach und nach den benachbarten Molekeln abgeben. Bei der Strahlung wird ein Körper von der Wärmequelle aus unmittelbar aus der Ferne erwärmt, ohne daß die dazwischenliegenden Schichten des Raums, der Luft und so weiter durch eigene Erwärmung die Wärmeabgabe vermitteln.«

»Ihr seid in einer großen Täuschung befangen: eine Erwärmung durch Strahlung gibt es nicht. Die Wärme wird durch den Raum und die Luft stufenweise fortgepflanzt, wie in den festen Körpern. Nur daß die durchlässigen Körper sie viel rascher abgeben und weniger in sich selber aufspeichern als die undurchlässigen. Die von der Luft schnell und reichlich abgegebene Wärme speichert sich dann in den festen Körpern rasch auf, so daß ihre Erwärmung viel größer ist als die der Luft; und doch wird die Wärme ihnen durch diese mitgeteilt. Aber auch im Raum ist es der Stoff, der von Teil zu Teil die Wärme weitergibt, nur noch viel schneller als die Luft, so daß er fast gar nichts in sich zurückhält. Siehe, der Regen bildet in der Luft nur Tropfen, aber auf der Erde und in den Höhlungen der Erde sammeln sie sich zu Seen an. So sammelt sich die Wärme in den Körpern, die sie besser festhalten als die flüchtigen Stoffe der Luft und des Raumes. Auch bei festen Körpern ist ein großer Unterschied: verschiedene Körper, die der gleichen Wärmequelle in der gleichen Weise ausgesetzt sind, erwärmen sich sehr ungleichmäßig, die einen mehr, die andern weniger; es kommt ganz auf ihre Art an, in welcher Weise und mit welcher Geschwindigkeit sie die Wärme, die ihnen durch die sie berührenden Wärmeleiter vermittelt wird, annehmen, aufspeichern, weiterleiten und wieder abgeben.«

»Und das Licht?«

»Mit diesem ist es ganz gleich: es gibt keine Strahlung, sondern nur eine Leitung des Lichts durch den Stoff.«

»Aber das Licht pflanzt sich doch nur geradlinig fort!«

»Das scheint nur ein Ausdruck zu sein für eine Erscheinung, die ihr nicht versteht. Wenn ihr die Stoffe kennen würdet, die das Licht fortpflanzen, sobald sie nicht durch fremde Stoffe unterbrochen werden, ihr würdet das Licht wie das Wasser in Windungen fortleiten, ihr würdet es ansammeln, daß es euch Tag und Nacht leuchtete wie uns.

»Es gibt Stoffe, die geben das Sonnenlicht, das sie aufgespeichert haben, monate- und jahrelang ab, ohne daß sie in dieser Zeit wieder Sonnenlicht aufnähmen. Siehe, so leiten wir das Sonnenlicht auf krummen Wegen hier herab und speichern es in Steinen der Gewölbe auf, die es uns Tag und Nacht abgeben. Hier unten ist ewiger Sonnenschein! Aber euer Leben ist zu kurz, als daß ihr solchen Geheimnissen des Schöpfers auf den Grund kämet.«


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