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21. Zum Tode verurteilt

Die Maultiere waren nun so gründlich wiederhergestellt und durch die Ruhe, die sie genossen hatten, so gekräftigt und frisch, daß sie wieder ohne Bedenken belastet und bestiegen werden konnten. Im Laufe des Tages wurden die beiden Canno Guapo und Rastro überschritten. Mit dem Namen »Canno« werden kleinere Nebenflüsse und Bäche bezeichnet. Gegen Abend langten die Reiter in Rastro de Arriba an, einem Städtchen, in dem sie zu übernachten beschlossen. Die Nachtruhe wurde sowohl durch die stechenden Zancudos als auch durch große Fledermäuse gestört, die im Umherflattern öfters mit den Flügeln das Gesicht der Ruhenden streiften.

In der Morgenfrühe des 18. Oktobers ritt ein hagerer Mann von gelblicher Gesichtsfarbe auf einem dürren, aber muskulösen Gaul durch die Straßen von El Rastro. An jeder Posada, an jeder Pulperia hielt er an und erkundigte sich, ob nicht hier drei Reisende abgestiegen seien. Aber überall wurde ihm der gleiche verneinende Bescheid. »Diego hat doch sonst scharfe Augen,« murmelte er unmutig vor sich hin. »Sollte er sich getäuscht haben? Er erklärte mit aller Bestimmtheit, in der Abenddämmerung drei Reiter nach Rastro hineinreiten gesehen zu haben und glaubte, in ihnen diese deutschen Schufte mit ihrem elenden Führer zu erkennen!«

Endlich, am letzten Hause des Orts, ward dem Mestizen der erwünschte Bescheid; zugleich wurde ihm auf seine Frage mitgeteilt, die beiden jungen Herren wollten mit ihrem Diener noch in der Frühe nach Calabozo reiten. Diese Auskunft schien den Spion befriedigt zu haben; denn er wandte alsbald sein Pferd und sprengte in die Savannah hinaus. »Recht so!« knirschte er draußen. »Nach Calabozo sollt ihr kommen, aber nicht wieder heraus. Für einen Finger Don Joses sind zwei Menschenleben nicht zu viel!« Und dabei betrachtete er seine Linke, der ein Finger mangelte.

Nach kurzem Ritte traf er auf zwei andere Reiter, die ihn offenbar erwartet hatten und ihm zuriefen: »Nun, Alvarez, habt Ihr sie gefunden?«

»Du hast recht gesehen, Diego: jeden Augenblick können sie kommen. Lopez, behalte du den Weg im Auge und gib uns Nachricht, sobald du die Schufte erblickst. Wir werden indessen das weitere vorbereiten.«

Alvarez und Diego ritten alsbald in scharfem Trabe voran bis in die Nähe der Stadt Calabozo, von der aus eine bewaffnete Reiterschar ihnen entgegenkam. »Sie sind richtig angekommen, die verdammten Regierungsspione!« rief Alvarez dem Anführer der Truppe zu. »Nun will ich euch an einen geeigneten Platz führen, ihnen aufzulauern. Wir müssen sehen, daß wir sie mit List kriegen, denn es sind vermaledeite Schützen.«

Unterdessen hatten unsere Freunde ahnungslos El Rastro verlassen und ritten geradeswegs Calabozo zu. Zunächst ging es über saftige Weiden, dann zwischen ausgedehnten Sümpfen hindurch, an denen viele Alligatoren unbeweglich lagen und sich sonnten. Oft hätten die Jünglinge diese schrecklichen Tiere gar nicht bemerkt, da sie faulenden Baumstämmen täuschend ähnlich sahen; aber die zitternde Angst Salvados und der Maultiere und hier und da ein gähnend aufgesperrter Rachen mit bedrohlichen scharfen Zähnen ließen sie die Feinde erkennen, denen leicht aus dem Wege zu gehen war, da sie sich in ihrer trägen Ruhe durch die Ankömmlinge nicht stören ließen.

Da bot sich ihnen ein widerliches und doch interessantes Bild: am Wege lag ein halb in Verwesung übergegangener Alligator. Die abschreckend häßlichen schwarzen Aasgeier, die Zamuro, stritten sich schreiend und krächzend um sein faulendes Fleisch. Plötzlich schoß ein größerer, weiß und schwarz gefiederter Geier herab, dessen nackter Hals und Kopf rot und gelb gefärbt erschienen.

»Das ist der Rey de Zamuros, der König der Geier!« erklärte Manuel.

Die durch den neuen Ankömmling gestörten Raubvögel wichen scheu vor ihm zurück und warteten in achtungsvoller Entfernung, bis er sich gesättigt hatte, und erst nachdem er fortgeflogen war, wagten sie wieder zu nahen.

Nach zweistündigem Ritt erreichten die Reisenden das steile Ufer des Rio de Guarico, dessen Gewässer bereits zu versiegen anfingen. Ein schöner Wald zog sich zu beiden Seiten des Flusses hin, und einzelne tiefere Wassertümpel im Flußbette luden zu einem erfrischenden Bade ein. Die Maultiere wurden an Bäume festgebunden und die Waffen neben sie auf den Waldboden niedergelegt. Dann stiegen unsere Freunde in die Tiefe hinab, entkleideten sich und kühlten die erhitzten Glieder in den Fluten.

Nach dem Bade zogen sie sich rasch an und erstiegen das Ufer; aber wer beschreibt ihren Schrecken, als sie entdecken mußten, daß sowohl ihre Tiere als auch ihre Waffen verschwunden waren! Im Augenblick dieser entmutigenden Entdeckung vernahmen sie drohende Rufe, und ringsum sprangen hinter den Bäumen Soldaten vor, die sich auf die Wehrlosen stürzten, sie zu Boden warfen und ihnen die Hände auf dem Rücken fesselten.

»An den Galgen mit den Verrätern!« schrie gleichzeitig eine widerliche, ihnen nur zu wohl bekannte Stimme. Mit höhnischem Lachen trat Don Jose de Alvarez vor sie hin, hielt ihnen seine verstümmelte Hand vor die Augen und raunte ihnen zu: »Nun, ihr Zirkusschützen, wollt ihr auch den Tanz am hohen Seil kennen lernen: das wird euer letztes Kunststücklein sein!«

Eine Viertelstunde später befanden sich die Gefangenen bereits im Kerker zu Calabozo; denn die Stadt war in den Händen der Rebellen, und auf das Zeugnis der drei Mestizen hin sollte den Unglücklichen tags darauf der Prozeß als Regierungsspionen gemacht werden.

Trübe Gedanken erfüllten die Herzen der Knaben, die so früh ihr Leben als Verbrecher enden sollten. Kaum, daß sie, durch den Hunger getrieben, etwas von der kargen Nahrung zu sich nahmen, die ihnen geboten wurde. Wenn sie daran dachten, wie die Lügen der Mestizen sie schon zweimal in die größte Lebensgefahr gebracht hatten, damals in Puerto Cabello und dann wieder auf dem Islote, so hatten sie wenig Hoffnung, gegen die Verleumdungen ihrer schändlichen Feinde aufkommen zu können oder gar Mitleid und Schonung bei ihren Richtern zu finden, die ja zu denen gehörten, die sich gegen Gesetz und Ordnung aufgelehnt hatten.

Manuel seinerseits schimpfte und fluchte gewaltig, namentlich darüber, daß er nur Wasser zu trinken hatte und nichts als Brot essen sollte; dennoch entwickelte er einen gewaltigen Appetit und Durst, und ans Sterben dachte er nicht ernstlich; dazu war noch Zeit, wenn ihm der Strick um den Hals gelegt wurde.

»Manuel,« sagte Friedrich ernst. »Das Fluchen mußt du dir in unserer Gesellschaft noch abgewöhnen.«

»Dazu werde ich keine Zeit mehr haben. Übrigens ist Caramba gar kein Fluch, sondern nur ein Ausruf wie ach! und o!« verteidigte sich der Spanier.

»Aber Carajo ist ein richtiger Fluch.«

»Alle Spanier fluchen, junger Herr!«

»Schlimm genug! Ich kann es einmal nicht hören, ohne daß mir ein Stich durchs Herz geht. In unserem Elternhause hörten wir nie den leisesten Fluch. Leider fluchen ja auch viele Deutsche, aber nur ungebildete oder schlecht erzogene Menschen.«

»Herr, ich will es versuchen, mir's abzugewöhnen,« erwiderte Manuel kleinlaut. »Aber es wird schwer halten, und wie die Sachen stehen, fürchte ich, bleibt mir nicht genug Frist dazu.«

So hatte es allerdings den Anschein, und diese Bemerkung erinnerte die Brüder wieder an ihr trauriges Geschick. Sie suchten einander zu trösten. Am schwersten bedrückte es sie, daß sie nun ihren Vater nicht wiederfinden sollten, und der Gedanke an seinen Schmerz, wenn er den Verlust aller seiner Lieben erfahren würde, wirkte am niederschlagendsten auf sie. Dennoch ließ das erhebende Bewußtsein ihrer Schuldlosigkeit sie mit Eintritt der Dunkelheit einen ruhigen Schlaf finden, und als sie frischgestärkt erwachten und heller Sonnenschein durch die Gitterfenster ihres Kerkers aus die Steinfliesen fiel, erwachte auch neue Lebenshoffnung in ihren jungen Herzen: konnte nicht der Gott, der sie aus den Wellen des Meeres und zweimal aus den Händen der Feinde errettet hatte, auch diesmal seine Macht an ihnen beweisen? Und wenn er das nicht wollte, nun, so wußten sie so manches Beispiel unschuldig Gemordeter, die getrost dem Tode entgegengesehen hatten, und wollten sich an den Spruch halten: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten.

Während sie mit solchen Gedanken beschäftigt waren und sie einander zu gegenseitiger Stärkung mitteilten, öffnete sich die Tür ihres Gefängnisses, und sie wurden vor das Kriegsgericht geführt.

Die finstern Rebellenoffiziere schienen von Anfang an wenig geneigt, den Ausländern Glauben zu schenken, wogegen sie alles, was Don Jose, unterstützt durch das beistimmende Zeugnis Diegos und Lopez', vorbrachte, für bare Münzen nahmen. Am schwerwiegendsten war offenbar der Umstand, daß die jungen Leute auf dem Islote die Rebellen bekämpft hatten und von den Regierungstruppen befreit worden waren. Das leugneten sie ja auch nicht, nur versicherten sie, in reiner Notwehr gehandelt zu haben.

Die Richter liebten offenbar keine langen Verhandlungen; besonders Manuels Schimpfen und Wettern brachte sie noch mehr auf, und sie waren im Begriff, kurzen Prozeß zu machen und im Zweifelsfalle das Todesurteil zu sprechen, als ein hochgewachsener Greis mit edlen Gesichtszügen sich nahte, dem alles mit scheuer Ehrfurcht Platz machte.

»Was wollt ihr, Don Guancho Rodriguez?« forschte der Vorsitzende des Gerichtes finster, aber doch mit unwillkürlichem Respekt.

»Ich möchte für die jungen Leute hier ein gutes Wort entlegen,« erwiderte der Alte. »Ich kenne sie zwar nicht; aber wirklich, man sieht es doch ihren Gesichtern an, daß sie keine Spitzbuben und Verräter sind! Es sind ja Ausländer – und noch so jung!«

»Ja, Deutsche sind es, Hunde von Deutschen,« knurrte der Richter, der einen persönlichen Haß auf die Deutschen hatte, »und ihre Verräterei ist erwiesen.«

Don Guancho wandte alle seine Beredsamkeit auf, die Angeklagten zu retten; denn er sah wohl, daß hier keine Beweise Vorlagen und nur das Zeugnis schurkischer Menschen, denen man den persönlichen Rachedurst anmerkte, den Ärmsten den Hals brechen sollte. Aber unglücklicherweise war der Rebellenoffizier diesem Don Guancho nichts weniger als gewogen: er war eifersüchtig auf den Ruhm des alten Generals und zürnte ihm, daß er nicht tätig mit den Rebellen gemeinsame Sache machte. So wurde des edlen Mannes Fürsprache den unschuldigen Jünglingen eher zum Schaden als zum Nutzen, und das Urteil lautete auf Erschießen, und zwar sollte es ohne Verzug vollzogen werden. Betrübt und finster zog sich Don Guancho zurück.


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