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47. Die Amazonen

Wie schwarze Schatten, wie Röntgenbilder, wenn dieser Vergleich erlaubt ist, sah man in dem grünen Wachtturm zwei weibliche Gestalten von dem durchsichtigen Gestein sich abheben. Sie standen jede an einem kleinen runden Guckloch, durch das sie die Ankömmlinge offenbar scharf beobachteten.

»Aikeambenano!« flüsterte Unkas in merklicher Angst, und gleich darauf riß er Schulze und nach ihm Ulrich und Friedrich zu Boden. »Sie wollen uns mit ihren Blaserohren das Lebenslicht ausblasen,« rief er entsetzt.

So schien es allerdings, denn die eine der Gestalten hatte ein langes Rohr gegen die Öffnung gelegt, durch die sie zuerst geschaut hatte.

Da aber die Bodenbeschaffenheit nicht derart war, daß sich unsere Freunde vor dem hohen Turme hätten decken können, sahen sie auch, als sie am Boden lagen, die Bewegungen der Amazonen und bemerkten, wie die zweite sogleich ihre Gefährtin am Arm ergriff und diese das Rohr wieder sinken ließ.

Inzwischen krochen die Bedrohten hinter ihre Maultiere, die sie auch zu Boden zogen, und befanden sich hinter diesen vorläufig in Deckung.

»Glauben Sie jetzt an die Amazonen?« flüsterte Friedrich dem Professor zu.

»Mehr noch!« seufzte Schulze ganz kleinlaut. »Ich fürchte mich sogar vor ihnen. Mein Gott! wer solche Burgen anlegt, der muß ein gefährlicher Gegner sein, und wenn diese tollen Weiber einfach jeden Mann abmurksen, der ihr Gebiet betritt, so sehe ich keinen Ausweg, außer sie ließen uns bis zur Nacht ungeschoren; denn bei Tag können wir die hundert Schritt bis zum Waldsaum nicht lebendig zurücklegen, wenn die Hexen gut schießen. Und haben sie böse Absichten, so werden sie uns nicht bis zum Eintritt der Dunkelheit unbehelligt lassen.«

»Nun! vorerst eilt es ihnen scheint's nicht, nach dem, was wir sahen,« beruhigte Ulrich. »Aber was sind das eigentlich, die ›Blaserohre‹, die Unkas erwähnte?«

»Ach!« jammerte Schulze. »Das ist in der Hand des Geübten eine der gefährlichsten Waffen, die es gibt. Es ist sehr leicht damit zu zielen. Sie stecken einen vergifteten Pfeil in das Rohr und blasen ihn hindurch. Mit großer Gewalt und Schnelligkeit fliegt er durch die Luft, und verloren ist, wen er trifft.«

»Ich denke, wir sehen, wie wir beizeiten der Gefahr entrinnen,« riet Friedrich. »Ich schlage vor, wir hängen die Marimasäcke über den Rücken der Maultiere so weit herunter, daß sie bis zum Boden herabhängen und uns so kein Pfeil unter dem Bauch der Tiere hindurch in die Beine gejagt werden kann; dann führen wir die Maultiere langsam gegen den Waldsaum, uns stets hinter ihnen deckend.«

Dieser Rat fand allgemeine Zustimmung, auch Unkas wußte nichts Besseres; so wurden denn die Säcke in der angegebenen Weise befestigt, wobei sich alle sorgfältig hüteten, sich eine Blöße zu geben. Dann wurden die Maultiere emporgerissen und langsam, Schritt für Schritt, dem Waldsaum zugeführt, den eine hohe Hecke einfaßte, nur den Weg freilassend, auf dem unsere Freunde auf die Ebene hinausgelangt waren.

Da es sich darum handelte, möglichst rasch das schützende Gebüsch zu erreichen, ohne doch durch eine auffallende Hast die Absicht zu verraten, strebten die Flüchtigen in gerader Linie dem Walde zu und suchten nicht etwa den Pfad zu erreichen, auf dem sie gekommen waren.

»Wenn wir nur auch in das Gebüsch eindringen können!« meinte Ulrich bedenklich. »Es scheint so dicht zu sein wie eine Mauer.«

»Na, eine Lücke wird sich schon darin finden!« tröstete Schulze.

Sie hatten aber noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als drei Pfeile aus der Umfassungsmauer der Nephritburg schwirrten und die drei Maultiere trafen. Nur mühsam konnten die Tiere noch einige Schritte weiter gezerrt werden, dann brachen sie zusammen. Rasch duckten sich die Bedrohten hinter die verendenden Tiere.

Aufs neue wurde Kriegsrat gehalten und diesmal Ulrichs Vorschlag angenommen, der dahin lautete, von nun an regungslos hinter den Maultierleichen zu verharren, bis es ganz dunkel sei, dabei die Schießwaffen stets in Bereitschaft zu halten, um einem etwaigen Angriffe von der Burg her tatkräftig zu begegnen.

Ein solcher erfolgte jedoch nicht.

Kaum war die völlige Finsternis eingetreten, als unsere Freunde, am Boden hinkriechend, sich dem Gebüsche näherten; plötzlich leuchteten aber auf dem Smaragdberg hundert Lichter auf, und der ganze Platz erschien in grünem Glanze taghell erleuchtet.

Die Flüchtlinge sprangen auf und hatten mit ein paar Sätzen das Gebüsch erreicht, das sich aber als völlig unzugänglich erwies. Sie wußten nicht, sollten sie sich mit ihren Beilen einen Weg bahnen oder den Pfad zu gewinnen suchen, auf dem sie gekommen waren – als auf einmal auch hinter dem Buschwerk grüne Lichter aufblitzten. Gleichzeitig erscholl ein Rufen, Schwatzen und Kichern, und soviel durch das Laub zu sehen war, befanden sich am Waldsaum, in der Hecke verborgen, zahlreiche kleine Wachttürmchen aus halb durchsichtigem Nephritgestein, die alle von einigen Amazonen besetzt schienen.

»O weh! Wir sind in einer Mausefalle!« stöhnte der Professor. »Nun gnade uns Gott!«

Da bewegte sich ein Zug rotleuchtender Fackeln den Berg herunter, geradeswegs auf sie zu.

Unkas und Schulze waren der Meinung, man müsse die Nahenden sofort aufs Korn nehmen und niederschießen, um der nächsten Gefahr zu entgehen und den kriegerischen Weibern Achtung einzuflößen. Ulrich neigte sich auch zu dieser Ansicht.

Friedrich aber bat: »Laßt doch das Schießen sein! Einen wirklichen Wert kann es nicht haben; an dem Schicksal unserer Maultiere haben wir erkannt, daß uns tödliche und sichertreffende Pfeile drohen. Bei der hellen Beleuchtung sind wir den Geschossen schutzlos preisgegeben. Decken können wir uns nirgends, da auch in unserem Rücken in nächster Nähe Feinde sind. Glaubt mir, der erste Schuß, den wir abgeben, wird die Folge haben, daß wir alle vier einen Pfeil in den Rücken bekommen – vielleicht auch einen ganzen Hagel von allen Seiten, was übrigens bei der Giftigkeit der Geschosse aufs gleiche herauskommt.«

Keiner konnte sich der Richtigkeit von Friedrichs Bemerkung verschließen, und so senkten sie die Büchsen und erwarteten die Ankunft der Amazonen.

Es waren sechs hochgewachsene, wohlgebildete Frauengestalten, die sich näherten, alle mit Blaserohren bewaffnet. Sie zeigten zwar unverkennbar den Indianertypus, doch war ihre Haut zart und von fast europäischer Weiße, ein Umstand, der übrigens bei mehreren Indianerstämmen Südamerikas gefunden wird, deren Lebens- und Bekleidungsweise – oder vielmehr Nichtbekleidungsweise – in gar nichts von derjenigen ihrer rothäutigen und dunkelbraunen Brüder abweicht.

Die Führerin der kleinen Schar trat vor, als sie von den Fremden nur noch wenige Schritte entfernt war und redete sie in der Sprache der Amazonen an. » Karáipi hémiri ui; natu Aikeambenano; Cougnantainsecouima ahitsa erináu.«

Ja, wer das verstanden hätte! Die Sprecherin meinte damit: »Die weißen Karaiben sind Schlangen, ich bin eine Aikeambenano; die allein lebenden Weiber wollen nichts von den Männern.« Mit »Karaiben« bezeichnen die nichtkaraibischen Indianerstämme alle Fremden.

Aber selbst Unkas verstand nichts von der Rede, als die beiden Amazonennamen Aikeambenano und Cougnantainsecouima; dennoch machte er einen Versuch, sich ihnen verständlich zu machen, indem er alle Indianermundarten, die ihm zu Gebote standen, hervorholte.

Die Amazonen aber sahen einander nur verwundert an, und dann lachten sie, daß ihre weißen Zähne blinkten.

Dieses Lachen belebte Schulzes tiefgesunkenen Mut wieder. »Die Weiber können doch wenigstens herzlich lachen, was man sonst bei den Indianern nie findet; sie scheinen sich in ihrem Emanzipiertenstande wohler zu fühlen als die Eingeborenen des ganzen übrigen amerikanischen Weltteils,« bemerkte er zu seinen Gefährten.

Die Sprecherin der Amazonen aber machte ihnen ein Zeichen, ihr zu folgen, indem sie nur kurz und befehlend sagte: »Amunao!« Hätten unsere Freunde etwas von ihrer Sprache verstanden, so wäre ihnen klar geworden, daß sie zum »Häuptling«, das heißt in diesem Fall: zur Königin geführt werden sollten.

Die Sprecherin ging voran mit einer Gefährtin zur Seite; zwei der Amazonen bewachten die Fremdlinge zur Rechten und Linken, und zwei schlossen den Zug. So ging es um den Smaragdberg herum gegen dessen Südseite, und nun zeigte es sich, daß im Süden ein ähnlicher Weg wie der nördliche Zugangspfad in den Wald führte. Die Amazonen bogen mit ihren Gefangenen in diesen Weg ein. Auch er war mit Amazonensteinen gepflastert; zu beiden Seiten säumten ihn hohe Hecken; hier und da mündete ein anderer Waldweg in ihn ein oder kreuzte ihn. Dann lichtete sich schließlich der Wald, und im Glanze des Vollmonds, der nun über den Horizont emporstieg, breitete sich ein weites offenes Land aus, rings von Wald umschlossen, eine Ebene, aus der einzelne Hügel sich erhoben, und die von mehreren Bachtälern durchfurcht war. Diese ausgedehnte Lichtung war von einer einzigen großen Stadt bedeckt, deren eigentümliche aber geschmackvoll gebaute Holzhäuser in großen Abständen voneinander standen.

Auf dem größten der Hügel, inmitten dieser weitläufigen Stadt, zeigte sich ein hellerleuchtetes zierliches Schloß aus Nephritgestein, durchsichtig schimmernd wie die Burg auf dem Smaragdberg, so daß man fast wie durch Glas die leuchtende Pracht im Innern schauen konnte.

Hierhin wurden unsere Freunde geführt. In einem von Gold und Edelsteinen flimmernden Saale saß die Amazonenkönigin auf einem Schemel, der mit einem Jaguarfell bedeckt war und ihren Thron vorstellte. Sie war umgeben von einer Schar lustig kichernder Mädchen. Auf dem mit Palmbastmatten belegten Fußboden ringelten sich Schlangen aller Arten und Größen, in bunten Farben schillernd; an den Wänden standen silberne Näpfe, aus denen die Tiere Milch schlürften.

Schulze wagte sich kaum in diese unheimliche Gesellschaft, doch sagte er sich alsbald, die Schlangen seien jedenfalls gezähmt und der Giftzähne beraubt.

Beim Eintritt der Fremdlinge erhob sich die Königin und ging ihnen entgegen. In ihrem malerischen Schmuck machte sie einen wirklich achtunggebietenden Eindruck, auch hatte sie etwas wahrhaft Königliches in ihrem Wesen und ihren edlen Gesichtszügen. Ihr Kalu oder Arara, das heißt ihre Federkrone, war aus bunten Federn von blendendem Glanze kunstvoll zusammengesetzt, ebenso ihr Napakalu oder Lendenschurz; außer farbenprächtigen Federn der Arara und Kolibri befanden sich darunter einige besonders lange und leuchtende Federn, die Schulze hernach auf Friedrichs Frage für das Gefieder des Quezal, des mexikanischen Paradiesvogels, erklärte.

In etwas eigentümlichem, doch wohlverständlichem Spanisch redete die Amunao ihre Gäste – oder Gefangenen – an: »Die weißen Fremden,« sagte sie mit wohlklingender, freundlicher Stimme, »sind dem Tode verfallen.«

Der Professor schaute bestürzt auf. Diese kaltblütige Äußerung stand in seltsamem Gegensatz zu dem liebenswürdigen Klange der Stimme.

»Nur im Monat April,« fuhr die Königin fort, »gestatten wir Männern den Zutritt in unser Land; allein auch dann nur denjenigen, die wir selber einladen, und wir empfangen sie in einem Garten an der äußersten Grenze unseres Reiches. Niemals dürfen sie bis zur Smaragdburg oder gar bis in meine Hauptstadt dringen. Wer es wagt, unsere wohlbewachten Grenzen eigenmächtig zu überschreiten, dem ist der Tod sicher. Wäret ihr nicht die ersten weißen Karáipi, die dem Smaragdberg sich nahten, so hätte Yutaténeru nicht Befehl gegeben, euch zu schonen; nun aber war sie neugierig, euch zu sehen.«

»Herrin, wir sind nicht im Übermute in dies Reich eingedrungen; wir hatten keine feindlichen Absichten und kamen ahnungslos in dein Gebiet, dessen strenge Gesetze uns unbekannt waren.«

Also redete Ulrich, und Friedrich fügte, die großen blauen Augen voll zu der anmutigen Königin aufschlagend, hinzu: »Sei milde, wie dein Antlitz erscheint, laß uns frei ziehen. Was kann unser Tod dir nützen? Wir zogen aus, unseren Vater zu suchen, nachdem wir unsere Mutter verloren hatten. Beraube nicht einen edlen Mann seiner Kinder. Dein Reich wollen wir verlassen auf dem Wege, den du uns heißest, und dir schwören, es nie wieder zu betreten.«

Wohlwollend blickte die Königin auf den schönen Jüngling. Schulze aber hub alsbald an: »Edle Königin, Herrin des herrlichsten Reiches der Welt, Fürstin der Smaragdberge und Beherrscherin aller emanzipierten Frauenzimmer! Mondlicht schimmert aus deinem reizenden Angesicht, und die Rosen von Schiras blühen auf deinen Wangen; in deinen dunkeln Augen leuchtet die Mitternachtsonne, und um den Schmuck deines Hauptes beneidet dich Quezal, der König unter den Vögeln. Draußen in der Welt weiß man wenig von deiner Macht und strahlenden Schönheit. Laß uns hinziehen in alle Lande, deinen Ruhm zu verkündigen deinen staunenden Sklaven, und die Welt wird geblendet werden von deinem Glanze. Laß uns verkündigen, daß du ein Herz hast, so weich wie Kokosbutter, und durch deine Milde dich beweisest als die echte Tochter des hochgepriesenen Quezalcoatls.«

Yutaténeru, »das Jungfräuliche Reh«, verstand zwar nicht die Hälfte des spanischen Redeschwalls unseres schlauen Professors, aber mit sichtlichem Entzücken lauschte sie den Schmeichelworten, die ihr Ohr noch nie in dem Maße vernommen hatte, und man sah ihrem Gesichte den günstigen Eindruck an, den die bombastischen Phrasen auf ihr weibliches Herz machten.

Als aber der Professor geendet hatte, erwiderte sie: »Wir haben unerbittliche und unabänderliche Gesetze, ihnen gehorcht auch die große Amunao. Wenn wir sie ein einziges Mal verachteten, so wäre die Kraft unserer Herrschaft gebrochen. Ihr müßt sterben!«

Zugleich winkte sie einem Mädchen. Dieses tauchte die Spitze eines Dolches in eine Schale, die offenbar Gift enthielt, und reichte die haarscharfe Waffe der Königin, die sie ihrerseits einem andern Mädchen aus ihrer Umgebung übergab, einige feierliche Worte redend.

Die Jungfrau schritt mit gezücktem Dolche auf unsere Freunde zu, die wohl merkten, was ihnen drohte, und nach einer Gelegenheit zur Flucht ausspähten. Eine solche erschien jedoch unmöglich, denn überall blitzten plötzlich in den Händen der Amazonen Dolche auf, die sie aus ihren Gürteln zogen.

In diesem Augenblick erscholl ein allgemeiner Ausruf des Staunens und großer Erregung von den Lippen sämtlicher Mädchen. Eine prächtig gezeichnete Korallenschlange, auf deren Haupt eine zierlich gearbeitete Miniaturkrone aus Nephrit in kunstvoller Weise befestigt war, wand sich an Friedrich empor, bis ihr Kopf sich über dem seinen wiegte, während ihr Leib sich ihm um Hals und Brust schlang.

Friedrich hatte so viel Geistesgegenwart, sich regungslos zu verhalten, was, wie er wußte, in solch einem Fall das beste Mittel ist, einem Bisse zu entgehen. Er war überzeugt, daß die gefährliche Schlange keine Giftzähne mehr haben werde; aber gewiß konnte er es doch nicht wissen.

Seine mutige Standhaftigkeit erregte ein allgemeines Beifallsgemurmel; zugleich sahen alle Amazonen mit einer gewissen scheuen Ehrfurcht zu Friedrich empor.

Die Königin aber sprach: »Wer bist du, Karáipi, daß die Götter dich lieben und dir solche Ehre antun? Mein Reich steht dir offen, du bist frei, darin umherzugehen, wie dir's beliebt.«

»Und diese?« fragte Friedrich, auf die Genossen blickend, deren Rettung ihm mehr am Herzen lag als die eigene.

»Gehören sie zu dir?«

»Gewiß! Und ihr Schicksal will ich teilen!«

»Wenn du so redest, so können wir ihnen nichts anhaben. Mächtig ist die Amunao der Aikeambenano, und alle Häuptlinge der Welt wagen nichts gegen sie zu unternehmen; aber hoch über ihr steht der Wille der ewigen Götter, auf deren Gunst allein ihr Glück und ihre Macht beruht. Die heilige Schlange hat euer Leben verschont, sie hat dein Haupt berührt und geweiht. Der Zorn des Höchsten der Götter würde uns zermalmen, wollten wir seine Wunderzeichen gering achten und seinen Lieblingen Schaden tun.«

Nun glitt die Schlange wieder an Friedrichs Leib hinab zu Boden, blieb aber in seiner Nähe.

»Siehst du!« fuhr die Königin fort, »sie hat meine Worte gehört und weiß, daß euch keine Gefahr mehr droht, darum konnte sie dich wieder verlassen, sonst hätte sie dich gegen jeden Angriff geschützt; ihre Bisse sind tödlich, und selten vergeht ein Tag, da sie nicht auf heimlichen Befehl des Gottes ein Menschenleben aus unserer Mitte fordert. Ich selber aber wurde zur Königin meiner Schwestern ausgewählt durch das gleiche göttliche Zeichen, das heute dein Leben gerettet hat.«

Die Amazonen ringsum hatten sich so lange still verhalten, offenbar eingeschüchtert durch das außerordentliche Wunder, unter dessen Banne sie noch standen. Das Schweigen war ihnen jedoch sichtlich schwer gefallen, und nun entschädigten sie sich durch um so lautere Jubelrufe. Sie schwenkten ihre Dolche in der Luft, als seien es nur harmlose Spielzeuge, und steckten sie dann wieder in die Gürtel.

Yutaténeru aber gebot ihnen Stillschweigen, und so groß war die Macht der Königin, daß augenblickliche Stille eintrat und auf ihren Wink sich die Mädchen alle mit untergeschlagenen Füßen niedersetzten.

Während des allgemeinen Freudenlärms hatte Schulze Friedrich zugeflüstert: »Seien Sie kühn, greifen Sie zu; nie und nirgends war die Gelegenheit zu einem Staatsstreiche günstiger, als sie sich heute hier Ihnen darbietet. Yutaténeru selber sagte ja, das Wunder mit der Korallenschlange sei als ihre göttliche Bestimmung zur Königin angesehen worden. Was ist einfacher, als daß Sie sagen, der Gott habe Sie zum Könige der Amazonen bestimmt, deren Gesetze Sie im übrigen hochhalten würden? Uns machen Sie zu Ministern, sonst halten Sie die Abgeschlossenheit aufrecht. Ich sage Ihnen, es geht prächtig. Sehen Sie nur die scheu bewundernden Blicke, die Ihnen die Königin zuwirft! Die besinnt sich keinen Augenblick. Greifen Sie zu, greifen Sie zu! Eine Königskrone findet man nicht alle Tage!«

Friedrich lächelte über des Professors abenteuerliche Pläne, die übrigens leicht in die Wirklichkeit hätten umgesetzt werden können. Inzwischen redete Yutaténeru ihn wieder an: »Wohin befiehlt mein Gebieter, daß meine Töchter ihn und seine Gefährten führen sollen? Doch es ist Nacht, und eure Tiere sind tot. Tut mir die Ehre an, meine Gäste zu bleiben, so wird morgen unser Ohr euren weiteren Befehlen geneigt sein.«

»Hören Sie, wie untertänig das klingt!« flüsterte Schulze.

Friedrich nahm das Anerbieten dankend an, und eine Amazone geleitete die Fremden aus dem Schlosse in ein benachbartes Gebäude. Dort wurde ihnen ein köstliches Mahl aufgetragen und eine weiche Lagerstatt bereitet. Dann entfernten sich die dienstfertigen Mädchen mit der Versicherung, jedes Rufes gewärtig zu sein.

In der Freude über ihre wunderbare Rettung unterhielten sich unsere Freunde noch lange über die seltsamen Erlebnisse dieses ereignisreichen Tages, bis endlich der Schlaf sie übermannte.

In aller Frühe wurden sie durch ein helles Klingen geweckt; als sie sich rasch erhoben und vor das Haus traten, sahen sie zehn zierliche Lama, von zwei Amazonen geführt, ihrer harren. Um den Hals hatte jedes der Tiere eine Schnur mit Nephritscheiben, die, aneinanderschlagend, den melodischen Klang erzeugten. Fünf der Lamas trugen teils das sämtliche Gepäck, das den toten Maultieren abgenommen worden war, teils Geschenke der Königin, namentlich viele reizende Tierbilder und Früchte, aus Amazonensteinen gebildet.

Yutaténeru erschien dann persönlich in all der Pracht ihres königlichen Schmuckes vor den Toren ihres herrlichen Palastes.

»Eure Magd,« begann sie, »darf euch nicht länger bitten, in ihrer Nähe zu verweilen; ihr Herz hat gesprochen, und sie fürchtet die Überschreitung jahrhundertealter Gesetze. Dem Glück des Herzens könnte der Fluch des Volkes folgen; auch ist die Gunst der Götter wandelbar und möchte sich wieder von euch kehren. Das Jungfräuliche Reh fleht euch aber an, diesen geringen Ersatz für euren Verlust anzunehmen, und gibt euch sicheres Geleite mit bis zu den Grenzen seines Reiches. Weit dehnen sich der Amazonen Wälder und Ebenen, ihre Berge und Täler mit Städten und Dörfern gegen Sonnenuntergang. Lüstet's euch, noch mehr von der Macht und Größe meines Reiches zu sehen – ihr sollt geführt werden, wohin ihr wollt, bis zu sieben Tagen; dann aber müßt ihr die Grenzen überschreiten und nicht wiederkehren, es sei denn im Monat der Erináu.«

»Große Königin,« erwiderte Friedrich, der von der Amazonenfürstin angeredet worden war, »nimm unsern tiefgefühlten Dank entgegen für deine königlichen Gaben – mehr aber noch für deine hochherzige Milde. So sehr uns jedoch verlangte, dein wunderbares Reich noch weiter anstaunen zu dürfen, so drängt doch unsere Reise, und wir bitten, du mögest uns den Weg gegen Mittag weisen lassen.«

Schulze, dem Friedrichs Rede nicht überschwenglich genug erschien, nahm nun auch das Wort:

»Sonne der Erde, unser Verlangen geht danach, die Pracht deines paradiesischen Reiches in durstigen Zügen zu genießen; doch deine Knechte sagen sich, daß sie nichts mehr schauen werden, was dem Glanze deines Palastes und der Holdseligkeit deiner Gestalt gleichkommen könnte. Da sie nun nicht länger im Sonnenscheine deines Angesichtes verweilen dürfen, so wollen sie die Augen schließen und sich nicht aufhalten, nicht rechts noch links schauen, damit das Bild deiner Herrlichkeit sich unauslöschlich ihrem Gedächtnis einpräge!«

Yutaténeru strahlte vor Vergnügen. Der Professor verstand es, ihr zu schmeicheln. » Karáipi hémiri!« rief sie. »Kehret wieder im Monde der Erináu, und ihr werdet Yutaténerus Seele mit Sonnenschein erfüllen; ihr aber sollt festliche Tage erleben, die euer Gedächtnis festhalten wird bis ans Ende eurer Jahre.« Mit diesen Worten entließ die Amazonenkönigin ihre Gäste, ihnen huldvollen Abschied zuwinkend.


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