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50. Antafuyu

Die Reise verlief ganz programmäßig, wie der alte Miguel sie beschrieben hatte; meist waren es ausgedörrte Llanos, die zu durchqueren waren, am Saum der Flüsse aber fand sich stets wildreicher Urwald.

Am 8. Januar wurde das Lager an den Quellen des Rio Atajuari aufgeschlagen, am 13. war der Rio Ambiyacu erreicht; am 19. gelangte man bis zum Rio Napo und am 30. zur Einmündung seines Nebenflusses, des Rio Aguarico; von dort aus ging die Reise stromaufwärts in einem herrlichen Walde am Aguarico hin.

An saftigen Braten litt jetzt Schulze keinen Mangel, und wenn nicht Friedrich seiner Jagdlust gewehrt hätte, so wäre manches Stück Wild verschiedenster Gattungen seiner nie fehlenden Büchse zum Opfer gefallen, nur, um hernach den Zamuro und Krokodilen zur Atzung zu dienen.

Vierzehn Tage darauf gelangte die Karawane an der Grenze von Ecuador und Colombia auf einen Weg im Urwald, der nicht nur gebahnt, sondern auch gepflastert war; das Pflaster bestand zum Teil aus Steinen, die mit dauerhaftem Mörtel fest verkittet waren, zum Teil aus ebenso harten Luftziegeln. Freilich war es mit einer Moosdecke überzogen, deren Grün dem Pfade Ähnlichkeit mit den Amazonenwegen verlieh, nur daß es einen weichen, äußerst angenehmen Teppich bildete, auf dem die Lama leicht einherschritten. Das Pflaster hätten unsere Freunde wohl kaum bemerkt, wenn nicht Unkas das Moos an einer Stelle entfernt hätte, wobei die Ticacuna, wie er die Luftziegel nannte, zutage traten.

Unkas war ganz begeistert; denn er hatte damit eine alte Heerstraße der Inka entdeckt, deren Ruf so weit verbreitet war, daß die Indianer am unteren Orinoko heute noch von diesem Weltwunder erzählen, von dem Unkas sich nie hätte träumen lassen, daß er es noch zu Gesicht bekäme; sprach man doch von diesen Schöpfungen der Inka wie von Mären aus grauer Vorzeit, und die Überreste davon waren so sehr in Vergessenheit geraten, selbst in den Gegenden, in denen sie sich befanden, daß nur eingeweihte Indianer sie kannten, und die hüteten ihre Kenntnis wie ein altheiliges Geheimnis. Die Grausamkeit der Spanier hatte ja die Eingeborenen überhaupt dazu gebracht, den Weißen alles zu verheimlichen, was diesen wissenswert gewesen wäre. Wie viele Eingeborene wissen noch aus uralter Überlieferung die Stellen, wo die reichen Silber- und Goldminen der Inka verschüttet liegen; aber heute noch bewahren sie darüber das strengste Stillschweigen, wie vor Jahrhunderten weder Lockungen noch Folterqualen ihren Vätern die Offenbarung solcher Geheimnisse zu erpressen vermochten.

Plötzlich stieß Unkas einen gellenden Freudenruf aus und gebärdete sich wahrhaft närrisch; er deutete nur über die Wipfel der hier lichter und niedriger stehenden Bäume, und unsere Freunde sahen alsbald, daß er einen gewaltigen Schneegipfel erblickt hatte, ohne daß sie sich erklären konnten, warum dieser allerdings sehr ungewohnte und herrliche Anblick das Herz des Indianers so sehr bewegte.

Ach! sie wußten nicht, wie der Eingeborene in den Tälern des Orinoko von Kind auf erzählen hört von den gewaltigen Bergzügen mit den eisigen Gipfeln, die das alte Reich der Inka durchziehen, von dessen Herrlichkeit ihre Sagen zu künden wissen als von einem längst entschwundenen goldenen Zeitalter.

Und der Wald hörte auf, und da lag sie vor ihnen, die himmelanstrebende Bergwand! Zuvörderst dunkle bewaldete Höhenzüge, dahinter Felsengebirge mit seltsam geformten, oft wildgezackten Gletscherhäuptern, zum Teil mit nadelscharfen Spitzen, zum Teil mit abgestumpftem Kegelgipfel; denn die meisten dieser Riesen waren furchtbare Vulkane, die mitten aus Eis und Schnee heraus verderbliche Gluten gen Himmel schleudern konnten, und deren Ausbrüche häufig Erdbeben verursachten, denen große, blühende Städte und Dörfer zum Opfer fielen: Tausende von Menschenleben wurden in solchen furchtbaren Augenblicken oft in wenigen Sekunden vernichtet.

Merkwürdig sah es aus, wenn da und dort gewaltige düstere Rauchsäulen aus dem leuchtenden Weiß der vulkanischen Schneegipfel emporstiegen.

Da sah man vor allem im Südwesten den vielzackigen Antisana bei Quito, dann den rauchenden Cotopaxi mit seiner regelmäßigen Kegelform; den merkwürdig gezackten Eiskrater des kuppelförmigen Cerro del Altar und den Rauchwolken emporschleudernden hochaufgeschossenen Gletscherturm des Sangay. Und in der Mitte zwischen diesen vier himmelanstrebenden Gipfeln schaute als Wahrzeichen der dahinter liegenden parallellaufenden Andenkette die gewaltige Masse des Chimborasso hervor, der lange Zeit als der höchste Berg der Erde gelten konnte.

Nicht weniger ehrfurchtgebietend erschien im Westen die näherliegende gipfelreiche Cordillera de los Pastos, über die vorgelagerte Bergkette emporragend.

»Antafuyu, Antafuyu!« rief Unkas immer und immer wieder, ganz außer sich vor Entzücken. Antafuyu, »die Heimat der Metalle«, ist nämlich der einheimische Name der Anden, aus dem die Spanier durch Verketzerung die Bezeichnung »Andes« gemacht haben.

Auch den folgenden Tag blieb die Andenkette in ihrer ganzen Pracht den Wanderern vor Augen, und sie konnten sich nicht satt sehen an der herrlichen, wahrhaft großartigen Aussicht auf eine Gebirgswelt, wie sie in solch überwältigender Majestät auch die üppigste menschliche Phantasie sich nicht ausmalen könnte. Nächst den Fällen des Orinoko und dem Smaragdberg der Amazonen haftete dieses Bild als das wunderbarste, das sie je geschaut, in ihrem Gedächtnis, bis späterhin noch ein viertes sich ihm anreihen sollte, das allerdings alle andern noch weit übertraf; doch davon konnten sie jetzt noch nichts ahnen.

Allmählich kamen sie dem Gebirge immer näher, und die Schneegipfel verschwanden einer nach dem andern hinter den vorgelagerten Bergzügen. Am Abend des 14. Februars langten unsere Freunde am Ufer der Andenausläufer an. Den Sonntag rasteten sie wieder und wanderten dann am 16. Februar, der Weisung des alten Miguel gemäß, nordwärts, bis sie den Rio San Miguel erreicht hatten. Dieser wurde in der Morgenfrühe des 18. Februars überschritten, und nun hatten sie das Gebiet betreten, in dem sie Friedung zu finden hofften.

Sie befanden sich hier am Fuße eines mächtigen Felsengebirges, dessen unersteigliche schroffe Wände von wilden Schluchten zerrissen waren; einige niedere, dichtbewaldete Hügel lagerten den Felsmassen vor, sonst war das Land gegen Osten flach, ein Teil der ausgedehnten Savannen, die sich vom Fuße der Anden bis fernhin zu den Llanos von Caracas erstrecken.


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