Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

43. Die Eldoradosucher

San Joaquim de Omagua! Dieser Name hatte mit einem Male alle Erinnerungen an die alten Sagen vom Dorado in Friedrichs Phantasie wachgerufen. War nicht das Land der Omagua das fabelhafte Goldland gewesen, das Ursua zu suchen auszog, und an dem er achtlos vorüberfuhr?

Als er mit Ulrich und dem Professor abends auf der Veranda ihrer Wohnung zusammensaß, fing er davon an.

»Mumpitz!« lachte Schulze. »Weiß doch alle Welt, daß jenes El Dorado ein Märchenland ist wie die Seligen Inseln und anderes mehr.«

»Unser spanischer Führer, der uns bis zum Apure geleitete,« sagte Ulrich, »schwur darauf, daß es eine Goldstadt Manoa gäbe. El Dorado sei übrigens kein Land, sondern ein Kazike gewesen, der sich mit Goldstaub am ganzen Leibe vergoldete und daher von den Spaniern als El Dorado, das heißt ›der Vergoldete‹, bezeichnet wurde.«

»Na! wenn Sie mehr von der Geschichte wissen, so legen Sie nur man los, unterhaltend ist so etwas immer, und ich höre gern solchen Geschichten zu, wenn ich auch kein Wort davon glaube.«

»Leider weiß ich gar nichts weiter, als was eben dieser Manuel uns erzählt hat,« erwiderte Ulrich. »Mir waren seine Berichte ganz neu, und seine Erzählung hatte überdies mit dem fabelhaften Goldlande wenig zu tun; sie berichtete nur eingehender über den Aufstand der Marannonen unter Aguirre, von denen der Amazonenstrom seinen zweiten Namen Marannon hat.«

»Manuels Erzählungen waren auch mir größtenteils neu,« begann nun Friedrich wieder, »dagegen erinnere ich mich, öfters von anderen Fahrten zur Aufsuchung des Dorado gelesen zu haben, nämlich von den Goldfahrten der Deutschen.«

»Heda! Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß unsere vernünftigen Landsleute wie die Spanier diesem Hirngespinste nachjagten? Wie wären überhaupt die Deutschen dazu gekommen? Das war doch alles vor Jahrhunderten, als Südamerika den Spaniern allein gehörte und eine deutsche Auswanderung nach der Neuen Welt überhaupt noch nicht stattfand.«

»Es liegt freilich weit zurück,« erwiderte Friedrich, »und dennoch haben Deutsche die abenteuerlichsten Fahrten nach dem Goldland der Omagua unternommen. Wenn Sie Lust haben, zu hören, was mir davon erinnerlich ist – – –«

»Na, denn man zu! Ich bin wirklich begierig, ordentlich gespannt. Wie zum Kuckuck sind denn die Deutschen dazu gekommen?«

»Das ging so zu: Die Eroberungen der Spanier gehörten zum Reiche Karls V., der bekanntlich deutscher Kaiser wurde. Dieser verbriefte dem Handelsherrn Welser in Augsburg, dem er viel Geld schuldig war, seine neuen Besitzungen im Norden Südamerikas, nämlich das Gebiet von Venezuela, das im Jahre 1499 von Ojeda entdeckt worden war, und wo Rodrigo de las Bastidas 1525, wenn ich mich recht entsinne, die Niederlassung Santa Marta gegründet hatte.

»Die Welser erhielten das Recht, einen Statthalter mit dem Titel Adelantado für die Provinz zu ernennen, die das Land zwischen Cabo de la Vela und Maracapana, dem heutigen Cumana, ohne bestimmte Grenze gegen Süden, umfassen sollte. Ebenso durften sie alle Widerstand leistenden Indianer zu Sklaven machen und durch ordnungsmäßige Vermittelung der Geistlichen auch Sklaven von den Eingeborenen kaufen. Zu solcher Vermittelung wurden ihnen zwei Mönche beigegeben, die den heuchlerischen Titel ›Beschützer der Indianer‹ erhielten.

»Der erste Statthalter der Welser war Ambros Dalfinger aus Ulm. Dieser begab sich mit vierhundert Mann und fünfzig Reitern nach Coro und gründete dort an Stelle der alten Stadt eine neue auf Felsen und Pfählen im Meer und nannte sie Venezuela, das heißt »Klein Venedig«, daher der spätere Name des ganzen Landes.

»Dalfinger, der schon von dem Goldland mit seinen unermeßlichen Schätzen gehört hatte, verließ bald die wenig einladende Sandküste und drang in das Innere vor. Er hatte etwa zweihundert Mann bei sich, dazu mehrere Hundert Indianersklaven, die gleich Lasttieren mit Gepäck und Lebensmitteln beladen waren und an kein Entlaufen denken konnten, da sie mittels Halsringen allesamt an einer langen Kette befestigt wurden. Brach einer zusammen, so schlug man ihm den Kopf ab, um sich die Mühe zu sparen, den Ring von der Kette zu lösen.

»Der Ruf von Dalfingers Unmenschlichkeit ging ihm voran, so daß die Einwohner des Landes vor ihm flüchteten; aber der Glanz ihres Goldgeschmeides verriet sie. Sie wurden teils niedergemetzelt, teils zu Sklaven gemacht und all ihrer Kostbarkeiten beraubt.

»Am Rio Lebrija, einem Nebenfluß des Magdalena, mußten sich die Abenteurer von Früchten und Insekten nähren, da ihnen die Lebensmittel ausgegangen waren. Von den Moskito gequält und vom Fieber verzehrt, von den giftigen Pfeilen der Indianer umschwirrt, starben viele dahin. Auf den Höhen des Gebirges, wo sie Nahrung und Gesundheit zu finden hofften, trafen sie kalte und kahle Gründe; dort mußten sie mit Schnecken ihr Leben fristen, und manch einer erfror über Nacht. ›Valle de Miseria‹ nannte Dalfinger die Gegend, aus der er fieberkrank mit den Resten seines Unternehmens zurückkehrte.

»Auf weiteren Zügen erbeutete Dalfinger viel Gold, Geschmeide, ja, ganze goldene Rüstungen. Er drang bis ins Tal von Chicanota in der Provinz Merida vor, das seither nach ihm ›Valle de Ambrosio‹ heißt; denn dort starb er, durch einen Pfeilschuß am Halse verwundet.

»Er war tapfer und trotzte allen Beschwerden, aber seine Habgier und Grausamkeit machten den Namen der Spanier, denn aus solchen bestanden seine Truppen, zum Entsetzen und Abscheu der Indianer.

»Georg Hohemut aus Speier, den die Spanier kurz Jorge de Espira nannten, wurde sein Nachfolger als Statthalter von Venezuela. Auch er beschloß, das Goldland zu erobern. Mit dreihundert Mann Fußvolk und hundert Reitern erreichte er 1536 den Orinoko, wo er Philipp von Hutten aus Birkenfeld traf, einen Verwandten der Welser und Vetter des Hans von Hutten, der durch die Hand des Herzogs Ulrich von Württemberg fiel. Dieser Hutten, den die Spanier Felipe de Ultre oder Urre nennen, war lediglich aus Reiselust nach Südamerika gekommen, um die Wunder des Landes Indien zu sehen. Er war ein ritterlicher, biederer und menschenfreundlicher Charakter und als Statthalter von Venezuela später der mildeste Herr, den die Provinz je gehabt hat. Bei ihm befand sich Franz Lebzelter aus Ulm.

»Hohemut drang, allen Hindernissen und Beschwerden zum Trotz, in Gegenden vor, die seit ihm kein Weißer mehr betrat, und immer weiter trieb ihn sein hoher Mut, er überschritt unwegsame Gebirge und durchschwamm reißende Ströme; weder Hunger noch Fieber hielten ihn auf. Die Jaguare der Llanos griffen bei lichtem Tage Pferde und Menschen an; aber die Hoffnung, das Goldland zu finden, trieb ihn bis zu den Waupesindianern und über den Äquator hinaus; allein als er am Rio Caqueta anlangte, wurde er durch den hartnäckigen Widerstand, den er fand, zur Umkehr gezwungen. Die Indianer hatten ihm allzugroße Verluste, namentlich an Offizieren, beigebracht. Das Goldland erreichte er nie; denn bald darauf ward er ermordet.

»Während Hohemut noch unterwegs war, brach sein Corregidor Nikolaus Federmann der Jüngere aus Ulm auf, um dem Statthalter Verstärkungen und Vorräte zu bringen. Von den Spaniern wurde er ›Capitan Barba Roxa‹ genannt, wegen seines langwallenden roten Bartes. Er war ein tapferer Held, von seinen Soldaten geliebt, obgleich er sie strenge davon abhielt, irgendwelche Grausamkeit an den Indianern zu verüben. Doch trieb ihn sein Ehrgeiz, absichtlich ein Zusammentreffen mit Hohemut zu vermeiden, um auf eigene Faust Entdeckungen zu machen.

»Er zog südwärts an den Anden hin und kam durch die Ruinen einer großen Stadt, von der gesagt wurde, sie sei vorzeiten von einer vielköpfigen Schlange zerstört worden, die sämtliche Einwohner aufgefressen habe.«

»Na! da haben wir wieder so ein Fabeltier,« lachte Schulze.

»Drei Jahre war Federmann unterwegs,« fuhr Friedrich fort, »als er endlich noch einen der schwierigsten Übergänge des viertausend Meter hohen Paramo de la Suma Paz überstieg und südlich von Santa Fe de Bogota auf der Hochebene von Neu-Granada anlangte. Hier erlebte er eine der merkwürdigsten Überraschungen, die je einem Menschen vorgekommen sein mögen. Der Zufall, wie man sagt, führte ein Ereignis herbei, wie es einzigartig in der Geschichte der Entdeckungsreisen dasteht.

»Auf der Hochebene von Neu-Granada, mitten in der unbekannten Wildnis, trafen nämlich drei europäische Heerhaufen zusammen, die, ohne etwas voneinander zu ahnen, von drei verschiedenen Punkten ausgezogen waren, das Goldland zu entdecken. Dies geschah im April 1539.

»Das eine dieser drei Heere war den Magdalena heraufgekommen und wurde geführt von Gonzalo Ximenes de Queseda, dem berühmten Konquistador, das heißt Eroberer, Neu-Granadas und von seinem Freunde Adelantado Pedro Fernandez Lugo; diese hatten das Land der Chibcha entdeckt, das eine noch höhere Kultur besaß als das so hochkultivierte Land der Azteken, und waren durch die Plünderung der Städte zu unschätzbarer Beute gelangt. Aus der einzigen Stadt Tunja brachten sie Gold und Silber im Werte von über einer Million Mark und beinahe zweitausend große Smaragden mit! Aber sie suchten noch reichere Goldländer, denn ihre Gier war unersättlich.

»Das andere Heer war unter Sebastian de Belalcazar von Quito ausgezogen, auf Befehl Franz Pizarros. Die Berichte eines Indianers namens Luis Daça aus Tacunda von den großen Schätzen des Zague oder Königs von Cundirumarca hatten Belalcazar schon früher veranlaßt, zwei Hauptleute, Annasco und Ampudia, auszusenden, um das Valle del Dorado zu suchen, das zwölf Tagereisen von Guallabamba liegen sollte.«

»Nein!« unterbrach hier Schulze den Erzähler. »Hören Sie einmal, ich verwundere mich schon lange im stillen, wie Sie so viele Daten und nun vollends alle die vertrackten Namen so auswendig behalten haben: die Schipkas, das erinnert ja wohl an den Schipkapaß und Belasazar an den König von Babylon, Konduiramurca, das ist so etwas wie Parsivals Gemahlin; aber nun gar die Stadt Tunica und Guallibaba! Das ist ja nicht menschenmöglich! Gestehen Sie nur, daß Sie die Namen sich so selber nach Bedarf geschwind zusammenstoppeln.«

Friedrich lachte über die Verketzerung, die die schönen Namen in Schulzes Gedächtnis erlitten, Ulrich aber antwortete: »Herr Professor, auf die Richtigkeit der Namen, die mein Bruder anführt, dürfen Sie sich verlassen; er hat stets ein ganz besonders zuverlässiges Gedächtnis für die absonderlichsten Namen gezeigt, und wir staunten ihn schon als sechsjährigen Knaben an, wenn er die ganze assyrische Königsreihe auswendig hersagte.«

»Das wäre!« meinte Schulze. »Na, lassen Sie sich einmal auf die Probe stellen! Wie heißen denn wohl die Neuseeländischen Inseln, he! junger Freund?«

»Te Wahi Punamu und Te Ika a Maui,« erwiderte Friedrich, ohne sich zu besinnen.

»Fabelhaft! Ich brauchte drei Wochen, um mir diese Namen dauernd einzuprägen; nun aber glaube ich an alle Namen, die ich von Ihnen hören werde. Also! was war weiter mit diesem Belsazar?«

»Die ausgesandten Hauptleute gelangten nicht zum Dorado, doch erhielten sie bestätigende Nachrichten aus dem Munde von Eingeborenen, und Diaz de Pineda, der in die Nähe des Rio Napo gelangte, brachte die Kunde, daß östlich von den Nevado von Tunguragua, Cayanbe und Popayan weite Ebenen lägen, reich an edlen Metallen; daselbst trügen die Eingeborenen Rüstungen aus gediegenem Gold.

»Belalcazar hatte auch von der Casa del Sol gehört, dem goldenen Sonnentempel, den Jorges de Espira, das heißt Hohemut, im volkreichen Dorfe Fragua gesehen hatte, woselbst er auch ein Jungfrauenkloster fand. Dazu kamen die Berichte von den Schätzen der Omagua, Guaype und Manoa, von den Goldlagunen und der Stadt des vergoldeten Königs, den man den großen Patiti, den großen Moxo, den großen Paru oder den großen Enim nannte, mit Vorliebe aber einfach El Dorado, den Vergoldeten.

»Von seiner Hauptstadt Manoa, am See gleichen Namens, wußte man Wunder zu erzählen: da spiegelten sich die Paläste aus lauterem Golde, mit gediegenen goldenen Platten gedeckt, im Spiegel des Sees, dessen Grund aus Gold und Edelsteinen bestand. Rubine, Smaragde, Saphire, Amethyste, Topase, Diamanten von fabelhafter Größe sollten die schweren goldenen und silbernen Götzenbilder in der Casa d'oro del Sol, dem Sonnentempel des Dorado, schmücken.

»Das alles berichtete Belalcazar dem Nikolaus Federmann; andere wußten noch hinzuzufügen, was Diego de Ordaz von den Indianern am Rio Meta erfahren hatte, von einem bekleideten Volke, das auf Lama reite und von einem mächtigen einäugigen Könige beherrscht werde, der fabelhafte Reichtümer an Gold und Edelsteinen besitze. Ordaz selber sah in den Händen der Eingeborenen faustgroße Smaragde, und sie erzählten ihm von einem Smaragdberge, der im Westen liege; das heißt von einem großen Felsen aus grünem Gestein. Ein Schiffbruch hatte aber der Expedition des Ordaz ein Ende bereitet, ehe er den Smaragdberg aufsuchen konnte.

»Diese Berichte entflammten die Lust der Conquistadoren, das Goldland zu entdecken; aber zwischen Queseda und Belalcazar erhob sich ein Streit, da jeder der Entdecker von Nueva-Granada sein wollte, während der eigentliche Entdecker Dalfinger war. Sie suchten beide durch große Angebote aus ihren erbeuteten Schätzen Federmann für sich zu gewinnen, und alle drei zogen schließlich in Gemeinschaft mit Lugo nach Spanien, um die Entscheidung des Königs anzurufen. Lugo starb unterwegs, und Federmann, den die Welser nicht in der Statthalterschaft von Venezuela bestätigen wollten, erlag in Europa dem Gram über diese Enttäuschung, nachdem er seine ›Indianische Historia‹ geschrieben hatte.

»Hermann Fernandez Queseda, der Bruder des Konquistadors, war von diesem als sein Stellvertreter in Bogota zurückgeblieben. Die Habgier aber ließ ihm keine Ruhe, und auch er zog alsbald aus, das Goldland zu suchen. Um aber das Land unbesorgt und in Sicherheit zurücklassen zu können, ließ er zuvor den ihm stets freundlich gesinnten jungen Kaziken der Chibcha nebst vielen anderen Häuptlingen grausam ermorden!

»Er gelangte in das Land der hochzivilisierten Muzoindianer; in den Llanos aber überfiel ihn eine fürchterliche Hungersnot: alle Pferde mußten aufgezehrt werden, und Queseda sah sich genötigt, unverrichteter Sache umzukehren, nachdem er den größten Teil seiner Mannschaft auf diesem unheilvollen Zuge eingebüßt hatte.

»Der zum Statthalter von Venezuela ernannte Bischof Don Rodrigo de las Bastidas rüstete inzwischen einen neuen Zug zur Aufsuchung El Dorados aus und stellte ihn unter den Befehl Philipps von Hutten.

»Hutten erfuhr unterwegs von Quesedas Unternehmen und wollte mit diesem zusammentreffen. Vergeblich warnten ihn die Indianer am Rio Papamene, er werde in wüste Gegenden kommen, wo er unter Krankheit und Hunger zu leiden haben würde. Dagegen erboten sie sich, ihn in ein reiches Goldland zu führen, dessen Hauptstadt Macotoa am Rio Guaviare liege. Sie wiesen ihm Äpfel aus gediegenem Gold und Silber, die von dort stammten. Hutten aber traute den Indianern nicht und folgte Quesedas Spuren.

»Bald mußte er zu seinem Schaden erfahren, daß die Indianer die Wahrheit gesagt hatten: Hunger und Krankheit wüteten unter seinen Leuten; man fand nichts als Früchte, die man nicht genießen konnte, ohne daß einem darauf die Haare ausfielen; die Pferde verendeten überdies an den seltsamen Giftfrüchten. Schließlich mußte man sich von Ameisen nähren.

»Ein volles Jahr irrte er in den Steppen, die seither kein Europäer mehr betreten hat, im Kreise umher, und gelangte endlich wieder an den Rio Papamene.

»Doch sein Mut und seine Unternehmungslust waren nicht gebrochen. Nun wollte er die Goldstadt Macotoa aufsuchen. Nach einem langen, beschwerlichen Marsch erreichte er den Rio Guaviare; dort traf er Indianer, die versicherten, Macotoa sei nicht mehr fern. Er sandte sie als Boten zum Kaziken, dessen eigener Sohn nach einigen Tagen erschien und die Spanier auf fünf Piroguen über den Fluß setzte, um sie in eine Stadt mit wohlgebauten Häusern, breiten, geraden Straßen und großen offenen Plätzen zu führen.

»Der Kazike nahm sie gastfreundlich auf und versorgte sie aufs reichlichste mit Kassave, Wildbret, Fischen, Mais und Früchten.

»Die Stadt Macotoa zählte etwa achthundert Einwohner, und der Häuptling der dort seßhaften Waupesindianer war ein vierzigjähriger, freundlicher und wohlwollender Mann von schönen Gesichtszügen, mit einer mächtigen Adlernase. Er belehrte Hutten, das eigentliche Goldland liege weiter gegen Mittag und sei von den kriegerischen Omagua bewohnt, die unermeßliche Schätze an Gold und Silber besäßen. Zugleich warnte er ihn ernstlich, sich dorthin zu begeben, wo er mit seiner kleinen Schar sicherlich aufgerieben würde.

»Hutten ließ sich aber sein Vorhaben nicht ausreden; und der gutmütige Kazike versah ihn mit Führern und reichlichen Mundvorräten.

»So zog denn Hutten weiter in das Land zwischen dem Rio Guaviare und dem Rio Japura; mit dem Guaviare ist übrigens, wie ich vermute, der Rio Ucayari gemeint, der auch Rio de los Waupes heißt. Nach fünf Tagen langte die kleine Schar auf einer Anhöhe an, von der aus ganz in der Nähe eine Stadt zu erblicken war, so groß, daß ihre Grenzen nicht abzusehen waren. Ihre Straßen waren lang und breit, die Häuser in Zeilen aneinandergereiht, und in der Mitte erhob sich ein mächtiges Gebäude, das nach Aussagen der Waupesführer der Palast des Omaguakaziken Guarica war, zugleich auch der Haupttempel, der eine Menge gediegen goldener Götterbilder von großer Kunst enthalte. Weiter im Lande seien noch viel größere und reichere Städte als diese hier zu finden.

»Obgleich er nur neununddreißig Mann bei sich hatte, stürmte Hutten in die Riesenstadt hinab; doch die Omagua rückten, nach Huttens Angaben etwa fünfzehntausend Mann hoch, mit Trommelschlag und Kriegsgeschrei ihnen entgegen, so daß sie weichen mußten und Hutten schwerverwundet nur mit Mühe in einer Hängematte in den nahen Wald gerettet werden konnte.

»Der Lagerkommandant Limpias sammelte hier seine Leute und schlug die Verfolger zurück, und die Spanier erreichten wieder Macotoa, wo der freundliche Kazike Huttens Wunde heilte.

»Hutten kehrte nach Coro zurück, wo er und sein Begleiter auf Befehl des rohen Soldaten Juan de Caravajal, der sich inzwischen der Regierung Venezuelas bemächtigt hatte, ermordet wurden. Die Grausamkeiten dieses Verräters veranlaßten Kaiser Karl V., einen Untersuchungskommissar nach Venezuela zu senden, der Caravajal hängen ließ.

»Den Welsern oder Belzares, wie die Spanier sie nannten, wurde acht Jahre darauf, 1554, ihre Vollmacht entzogen. Unter der deutschen Herrschaft, die allerdings meist von Spaniern ausgeübt wurde, war Venezuela eine der unseligsten Provinzen der Neuen Welt.«

»Das kommt vom Tropenkoller,« meinte Schulze, »der die meisten Europäer überfällt, wo sie eine unbeschränkte Macht über wehrlose Geschöpfe ausüben können und keine Aufsicht in der Nähe haben, so daß sie nicht befürchten, zur Rechenschaft gezogen zu werden. – Aber was ist's mit dem Dorado? Seither hat man nichts mehr von ihm gewollt?«

»O doch! In die Gegend, wo Hutten die große Stadt der Omagua sah, ist freilich niemals mehr ein Europäer gekommen: merkwürdigerweise wurde plötzlich das Goldland in einer ganz andern Richtung gesucht, nämlich in Guayana, während man doch bisher so bestimmte Nachrichten über seine Lage gehabt hatte und ihm allem nach ziemlich nahe gekommen war!

»Man suchte jetzt einen See Cassipa und eine Lagune Parime: das sollte ein weißes Meer sein, das den Orinoko, den Rio Branco und den Rio Essequebo speise. Dort sollte sich ein ganzer Goldberg befinden. Sir Walter Raleigh ist besonders dieser Fährte nachgegangen.

»Auch in Mexiko suchte man ein Goldland, die Königreiche Cibola und Quivira, von denen der Mönch Marco de Nizza berichtete, der auch von ferne die goldenen Dächer einer großen Stadt gesehen haben wollte. Dort sollten die Einwohner ungeheure Hunde haben, die sie als Lasttiere benutzten, und an den Küsten sehe man reiche Schiffe landen, beladen mit Waren aus Catayo, das heißt China.«

»Sie sehen wohl,« sagte Schulze lachend, »das Gespenst des Dorado irrlichtert überall umher; die Berichte der Reisenden erinnern an die Märchen und Sagen von Sindbad, dem Seefahrer, und von Herzog Ernst: denken Sie an das Diamantental und den Vogel Roch, an den Magnetberg, an Atlantis und die Hesperischen Inseln, endlich an Ophir und die übertriebenen Sagen von den Reichtümern Indiens.«

»Nun,« entgegnete Friedrich, »an den meisten dieser vermeintlichen Sagen ist doch viel Wahres: Indiens Schätze, die England reich gemacht haben, waren keine Fabel, Ophir hat bestanden und wäre wohl heute noch zu finden; Atlantis kann nicht als Märchen nachgewiesen werden, Diamantenfelder gibt es heute noch in Südafrika, und der Vogel Roch, wenn er nicht in den Wäldern Madagaskars noch lebt, kann doch erst im vergangenen Jahrhundert ausgestorben sein, nach den Funden von nicht gar alten und wohlerhaltenen Rieseneiern zu schließen.

»Ebenso sind die reichen Goldschätze der Inka und Azteken geschichtliche Tatsachen: alle westlichen Zuflüsse des Orinoko führen Gold von den Kordilleren her; es muß reiche Goldländer in diesen Gegenden geben. Überdies versichern die ersten Doradosucher, die Eingeborenen hätten ihnen eine Provinz ›Caricuri‹ als das Goldland bezeichnet: nun hat man entdeckt, daß dieses Wort im Tamanakischen wirklich ›Gold‹ bedeutet, im Karaibischen heißt es Carucuru. Das ist doch wieder ein Beweis für die Zuverlässigkeit der Angaben jener Abenteurer, die ja die Bedeutung des Wortes Caricuri nicht kannten.

»Die Nachrichten über ein ganz besonders reiches Goldland der Omagua und über die Stadt Manoa lauteten bei den entferntestliegenden Indianerstämmen so bestimmt und übereinstimmend, alle verlegten das Land in die gleiche Gegend – das ist doch auch wieder ein gewichtiges Zeugnis. Was Hutten gesehen haben will, läßt sich nicht abstreiten, ehe die Gegend zwischen dem Japura und dem Waupes erforscht ist. Philipp von Hutten war übrigens ein edler, durchaus nüchterner und glaubwürdiger Mann. Der Padre Fritz in der Mission Yurimaguas erhielt noch im siebzehnten Jahrhundert Goldbleche von den Manoa, den Nachbarn der Omagua; – kurz und gut, ehe nicht das ganze Gebiet bekannt ist, um das es sich hier handeln kann, wird es als eine unbegründete Voreiligkeit gelten müssen, die ganze Geschichte als Fabel anzusehen.«

»O, Sie idealer Träumer!« lachte Schulze. »Am Ende keilen Sie uns auch noch zu einer El-Dorado-Fahrt! Indessen danke ich Ihnen für Ihren ausführlichen Vortrag: er war mir interessant und hat mich über vieles belehrt, das mir völlig neu war – man lernt eben nie aus!«

»So geht es mir auch,« bestätigte Ulrich, »aber so schön der Aufenthalt auf der Veranda hier ist, so gedenke ich mich doch jetzt zur Ruhe zu begeben: morgen ist auch noch ein Tag.«

»Da haben Sie recht. Aber der Abend war wirklich angenehm: ich hätte nicht geglaubt, daß wir hier, unmittelbar unter dem Äquator, eine so wohltuende Frische finden könnten.«

Damit zogen sich alle zurück, um ihre Schlafstätten aufzusuchen. Friedrich aber träumte von der Goldstadt Manoa und ihrem geheimnisvollen See, von dem vergoldeten Priesterkönig El Dorado und den Wundern des Landes der Omagua.


 << zurück weiter >>