Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

54. Der bekehrte Naturforscher

Friedrich war am Nachmittage des 6. März mit Schulze jagen gegangen. In der Nähe war die Jagd nicht besonders ergiebig, da die Savanne dürr lag und keine größeren, zusammenhängenden Wälder, sondern nur verhältnismäßig wenig umfangreiche Büsche am Fuße des Gebirges die Ebene unterbrachen.

So zogen denn die beiden längere Zeit vergebens an den Bergen hin, wobei sich das Gespräch, wie häufig in der letzten Zeit, um das Fabeltier drehte. Die Napo wußten nämlich viel von dem Lindwurm zu erzählen; mehrere von ihnen wollten ihm schon begegnet sein und berichteten haarsträubende Geschichten über seine Größe und seine Kraft; mit seinem ungeheuren Rachen verschlinge er ein halbes Dutzend Krieger auf einmal, und zu überwinden sei er überhaupt nicht, da man ihm tausend Wunden beibringen könne, ohne daß er irgend etwas zu spüren scheine.

Schulze freute sich königlich, daß doch das Jägerlatein eine Allerweltssprache und an den Lagerfeuern der Rothäute genau so zu Hause sei wie an den Stammtischen Deutschlands.

Friedrich meinte immer, es müsse doch etwas an der Sache sein; aber der Professor verlachte ihn im Namen der Wissenschaft und erklärte, wenn man einmal so etwas glaube, dann sei überhaupt keine Autorität der Wissenschaft mehr anzuerkennen, sondern man müsse sagen, die Wissenschaft habe stillzuschweigen, sie könne nur noch über erwiesene Tatsachen bescheiden Bericht erstatten, nicht aber sich anmaßen, über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten irgend ein maßgebendes Urteil abzugeben.

Friedrich erwiderte, es wäre gar kein Schade, wenn die Männer der Wissenschaft einmal zu dieser demütigen, aber allein richtigen Erkenntnis kämen; dann würde die Wissenschaft den Mund nicht mehr so voll nehmen und wie vom Himmel herab urteilen und aburteilen, wodurch sie manchen Fortschritt im Keime ersticke, oder wenn er sich ihr zum Trotz entwickle, hinterher jämmerlich blamiert sei.

Von solchen laienhaften Angriffen auf die erhabene Wissenschaft wollte jedoch der Gelehrte nichts wissen; natürlich war auch sein bißchen Eitelkeit mit im Spiele. Denn wenn die Wissenschaft ihren strahlenden Heiligenschein verlor, dann wurden selbstverständlich auch ihre Priester nicht mehr mit der gehörigen Ehrfurcht angestaunt. Der Weihrauch, den man den Götzen streut, steigt doch in die Nase der Priester; diese haben den Genuß davon, die toten Bilder bedürfen seiner nicht.

Also Schulze hatte auch sein bescheidenes Weihrauchsbedürfnis und trat daher rücksichtslos für die Unantastbarkeit seiner Göttin, der Wissenschaft, ein. »Sehen Sie, lieber Freund, was Sie da reden, das ist sozusagen Mumpitz, genau so wie der Lindwurm der Napo, der eine Fabel ist, ein Schemen, ein Hirngespinst, eine Ausgeburt ...«

»Da ist er!« rief Friedrich.

Der Professor fuhr erschrocken zurück; er war todesblaß. »Wie? ... Was? ... Wo? ...« stammelte er. »Nein, Sie schnöder Kamerad, einen so zu erschrecken!«

Friedrich lachte: »Wie kann man nur vor etwas erschrecken, an das man durchaus nicht glaubt, das wissenschaftlich einfach unmöglich ist, eine Fabel, ein Schemen, ein Hirngespinst, eine Ausgeburt ...«

»Na, na! Ich bitte Sie, hören Sie auf, Sie Spötter; aber kein Wunder, daß ich erschrak: wenn man von solchen Dingen spricht, und die Phantasie ist vollständig damit beschäftigt, und plötzlich erfolgt ein derartiger Ausruf! Das klang so bestimmt, so tatsächlich; eine solche Verstellung hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

»Es war auch gar keine Verstellung. Ich selber wäre durchaus nicht überrascht, wenn wir im nächsten Augenblick das Tier erblickten; denn – hören Sie nur! Haben Sie je so etwas gehört, dieses dumpfe Schnauben – allerdings noch in ziemlicher Ferne, aber nun doch schon deutlicher als vorhin? Diese Töne waren es, die unwillkürlich meinen Ausruf veranlaßten; es war gewiß keine beabsichtigte Bosheit dabei.«

Schulze horchte. »Das ist in der Tat ein merkwürdiges Blasen; aber es läßt sich wissenschaftlich leicht erklären: sehen Sie, diese Felsenberge sind voller tief eingeschnittener Schluchten, und dort drüben ist gerade wieder der Eingang in eine solche. Von dorther kommt auch deutlich das Geräusch. Verfängt sich der Wind in diesen schmalen Felsritzen, so muß er nach den Gesetzen der Akustik derartige eigentümliche Laute notwendig erzeugen; die Schallwellen können sich nach rechts und links nicht ausdehnen, es entstehen Reibungen, Häufungen, Verstärkungen, Rückschläge, Verdichtungen, und das alles ist wohl geeignet, Töne hervorzubringen, die den Eindruck des eben vernommenen Niegehörten machen. Erinnern Sie sich nur der Felsenorgel bei Carichana.«

»Das alles ist freilich unleugbar und wissenschaftlich wohl begründet; nur habe ich zwei Bedenken gegen Ihre überzeugende Erklärung, Herr Professor; erstens geht kein Wind, sondern die Luft ist so still wie das Grab; zweitens handelt es sich hier nicht um eine enge Felsenritze, sondern, wie Sie sehen, um eine ziemlich weite Schlucht, deren Eingang ich auf fünfzig Meter Breite schätze.«

Sie waren inzwischen an den allerdings im Vergleich zu vielen andern Einschnitten dieses Gebirges weit zu nennenden Eingang des berufenen Tales gelangt, und das Schnauben, das ihnen daraus entgegenscholl, begann einen unheimlichen Charakter anzunehmen.

Friedrich bog unbekümmert in die Schlucht ein.

»Ums Himmels willen, was fällt Ihnen ein!« rief Schulze erschrocken. »Begeben Sie sich doch nicht mutwillig in eine unbekannte Gefahr.«

»Im Interesse der Wissenschaft müssen wir doch diesem Rätsel auf den Grund gehen, Herr Professor; ich meine, hier haben Sie die günstigste Gelegenheit, Ihren gewünschten Nachweis zu liefern, daß jenes Ungeheuer in Wirklichkeit nicht vorhanden sei, wenn Sie sich durch den Augenschein überzeugen, daß man ein fabelhaftes Geschnaube hören kann, das dennoch von keinem Fabeltiere herrührt.«

Wo es das Interesse der Wissenschaft galt, konnte der Professor, ohne sich bloßzustellen, nicht weniger Mut zeigen als sein junger Gefährte, den die Wissenschaft nichts weiter anging. Er folgte denn, wenn auch in einigem Abstand.

Das Tal zog sich in mehreren Schlangenwindungen in das Felsengebirge hinein. Bei einer Biegung hielt Friedrich plötzlich inne mit seinem kühnen Vormarsch und erwartete Schulzes Nachkommen.

»Und da ist es doch, Herr Professor! Nun, sind Sie bekehrt?« rief er ihm zu.

Der Mann der Wissenschaft war tatsächlich bekehrt, überzeugt, überwunden: das bewiesen seine weitgeöffneten Lippen und sein zu Berge stehendes Haar. Jetzt wäre er geflohen, auf die Gefahr hin ausgelacht zu werden, hätten ihm nicht die zitternden Füße den Dienst versagt.

Etwa hundert Schritte vor ihnen wand sich ein Reptil durch die Schlucht, die es mit seinem dicken Leibe fast ausfüllte: die Felswände standen nämlich hier kaum noch drei Meter voneinander, und der Körper des Riesenwurmes maß mindestens zwei Meter im Durchmesser. Man hätte glauben können, die berühmte Seeschlange vor sich zu sehen, so krümmte sich der ungeheure Leib in zahllosen Windungen; die Länge des Scheusals mochte an die dreißig Meter betragen, und entsetzlich war es anzusehen, wie der Vorderleib im langsamen Vorwärtskriechen bald rechts, bald links an den Felswänden bis zu einer Höhe von fünf Metern emporglitt, um dann schwerfällig wieder hinabzusinken; dabei zeigten sich zwei mächtige Tatzen mit armdicken Fingern, zwischen denen das widerliche Geschöpf wohl einen Jaguar ersticken mochte. Der Kopf, der sich bei den emporschlängelnden Bewegungen oft nach hinten zurückwendete, sah wahrhaft grauenerregend aus; die kürbisgroßen, blöden Augen quollen weit hervor, und der gähnende Rachen konnte gewiß, wie die Napo berichtet hatten, sechs Männer mit einem Schnapper verschlingen. Die harten, gezackten Kiefer ersetzten ohne Zweifel die Zähne so vortrefflich, daß sie dem stärksten Stier mit einem Bisse alle Knochen im Leibe zermalmen konnten. Am entsetzlichsten aber erschien das boshafte Grinsen des Maules, das, ähnlich wie beim Krokodil, bis weit unter die Augen geschlitzt und am Ende seines Spaltes nach oben gekrümmt war, so daß es beständig den Eindruck des Lachens hervorrief – ein wahrhaft gräßliches Lachen, das dem mutigsten Manne das Blut in den Adern erstarren lassen konnte, im Verein mit dem boshaften Blick der tückischen matt und langsam rollenden Augen.

Friedrich war im Begriff, sich mit Schulze möglichst rasch und geräuschlos zu entfernen, als er im Hintergrunde der kesselförmig abgeschlossenen Schlucht einen hochgewachsenen jugendlichen Indianer gewahrte, der, nur mit einem Speer bewaffnet, dem Nahen des Ungetüms entgegensah. Einen Ausweg hatte der Unglückliche nicht: den einzigen Ausweg aus dieser Sackgasse verschloß ihm der auf ihn zu kriechende Drache.

Es war offenbar, daß dieser den Bejammernswerten als seine sichere und willkommene Beute betrachtete, als ein kleines Insekt, das er mehr zum Leckerbissen als zur Stillung seines Hungers wegzuschnappen gedachte.

Immerfort schielte das Untier nach dem in starrer Ruhe ihm entgegensehenden Jüngling, der doch seines Loses gewiß schien. Wohl hielt er seine Lanze gezückt, eine mächtige Waffe, die einem Kaiman oder Bison hätte lebensgefährlich sein mögen – aber was sollte dieses Holzsplitterchen mit der eisernen Spitze solch einem Lindwurm gegenüber, der sich schon lüstern mit der plumpen Zunge die wulstigen Lippen leckte, unbekümmert darum, daß das zu verschluckende Insekt einen harmlosen Stachel besaß?

Schulze hatte sich inzwischen aus seiner Betäubung aufgerafft. »Kommen Sie, eilen Sie! Fliehen wir, ehe es zu spät ist!« flüsterte er Friedrich zu.

Dieser blickte währenddessen unverwandt nach dem Indianer, der erst jetzt die beiden bemerkte und den teilnahmsvollen Blick mit einem trüben Lächeln erwiderte.

»Ich kann den unseligen Menschen nicht feige in seiner Todesnot ohne Beistand lassen,« erwiderte Friedrich auf Schulzes Drängen.

»Aber sind Sie wahnsinnig? Was wollten wir gegen ein solches Gewürm ausrichten? Soll es zwei oder drei Opfer haben statt eines einzigen? Auf das kommt doch jeder Versuch der Hilfeleistung hinaus! Nehmen Sie Vernunft an und begeben Sie sich nicht aus falschem Edelmut in den sicheren Rachen des Todes.«

»Herr Professor, Sie meinen es gut – aber ich kann Ihnen nicht folgen. Leben Sie wohl und grüßen Sie Ulrich; aber beeilen Sie sich, daß Sie hinwegkommen.«

»Nein!« sagte Schulze mit festem Entschluß. »Werde, was da wolle, allein mache ich mich keinesfalls aus dem Staube; ich werde immerhin auch ein paar Kugeln in den Leib des Ungetüms senden; vielleicht wird es dann doch bewogen, umzuwenden, und bei seinen trägen Bewegungen ist eine Flucht in solchem Falle nicht aussichtslos.«

Er glaubte wohl selber nicht, was er da sagte; denn die Indianer hatten oft von den ungeheuren Strecken erzählt, die der Lindwurm in kurzer Zeit zurücklege, so daß der beste Reiter ihm kaum entrinnen könne. War das Tier auch anscheinend von Natur träge, so mußte es bei seinen riesigen Körperverhältnissen doch mühelos mit einem einzigen Ruck seine zehn Meter zurücklegen können – und alle paar Sekunden so einen Ruck, da ließen sich ziemliche Leistungen herausrechnen!

Jetzt eilte es ihm anscheinend nicht; es spielte mit seinem Opfer wie die Katze mit der Maus; das zeigten die vielen Wendungen nach rechts und links an den Felswänden hinauf. Offenbar war es sich bewußt, daß es für seine Beute kein Entrinnen gab.

Doch Friedrich gab sich keinen solchen Betrachtungen hin, sondern er handelte, und zwar rasch. Er sah mit einem Blicke, daß die Felswand zur Linken, wenn sie auch größtenteils senkrecht emporstieg wie die gegenüberliegende, doch bis zu einer Höhe von zehn oder zwölf Metern für einen gewandten Kletterer Anhaltspunkte genug bot: da waren Rinnen und Vorsprünge, und an einigen Stellen erhoben sich von der Talsohle aus ganze Mauern aufeinandergetürmter Felsblöcke von verschiedener Größe, die sich an die Hauptwand anlehnten. Sie mochten früher von oben herabgestürzt oder durch gewaltige Wasserfälle losgerissen und herabgespült worden sein.

So begann denn Friedrich eine Kletterpartie, um in die Nähe des Indianers zu gelangen; ohne sich unmittelbar neben dem Drachen durchdrücken zu müssen, der ihn gewiß bei einer seiner Bewegungen an der Felswand zerquetscht oder erstickt hätte.

Kaum erkannte der junge Indianer Friedrichs Absicht, als er, höchlichst erstaunt und voller Bewunderung eines solchen Todesmutes und Edelsinns, mit lebhaft abwinkenden Gebärden bedeutete, der tapfere Jüngling möchte von seinem Vorhaben ablassen und schleunigst fliehen.

Friedrich aber ließ sich nicht beirren. Schon war er so weit vorgedrungen, daß er unmittelbar über dem Kopfe des Ungetüms auf einem Turm von Felsblöcken stand, etwa acht Meter über dem Erdboden, als das Reptil seinem Opfer so nahe gekommen war, daß der Indianer von seiner Lanze Gebrauch machen konnte. Blitzschnell führte er Stoß auf Stoß gegen die Lippen des Ungeheuers, das durch diesen wütenden Angriff nicht wenig verblüfft zu sein schien. Es leckte sich die geritzte Haut; doch war diese so dick, daß keiner der Stiche auch nur die geringste Blutung verursachte. Zuletzt stieß der Indianer seine Lanze mit aller Wucht in das rechte Auge des Lindwurms, der sich etwas beunruhigt schüttelte. Der Fremdkörper im Auge mochte ihm unbequem sein, es quoll auch dickes Blut neben dem Schaft der Lanze hervor; im übrigen schien bei der Größe des Auges und bei der Nachgiebigkeit seiner Hornhaut der eingedrungene »Splitter« nicht einmal die Sehkraft merklich zu beeinträchtigen.

Inzwischen hatte Friedrich das linke Auge des Scheusals aufs Korn genommen. Er hielt mit Recht die Augen für die empfindlichsten Teile eines Riesentieres, in dessen Fleischmassen ganze Mengen von Kugeln spurlos und wirkungslos hätten verschwinden müssen. Die erste Kugel beachtete das Tier nicht; als sich aber eine Kugel um die andere in sein Auge bohrte, fing es an, den winzigen Gegner ernst zu nehmen. Es wandte sein Haupt Friedrich zu, hob es empor und sperrte den Rachen weit auf: es gedachte sicherlich, im nächsten Augenblick den verwegenen Schützen in seinem Schlunde verschwinden zu lassen.

Friedrich schien verloren und wußte sich selbst keine Rettung mehr; da fühlte er den mächtigen Felsblock unter seinen Füßen schwanken. Um ein Haar wäre der Jüngling heruntergefallen und hätte dem Tiere eine geringe Mühe erspart, indem er von selbst in den offenen Rachen gestürzt wäre; aber behende sprang er vom Block herab zur Seite auf einen niedriger gelegenen; und da kam ihm ein verzweifelter Gedanke: er stemmte sich aus aller Kraft gegen das schwankende Felsstück, auf dem er zuvor gestanden hatte, und siehe da, der umfangreiche Block kam vollends aus dem Gleichgewicht und stürzte mit furchtbarer Wucht in den gähnenden Schlund des Ungeheuers.

Solch einen Brocken mochte der gefräßige Geselle noch nie geschluckt haben, er brachte es auch jetzt nicht fertig. Die Schwere des Steines riß seinen Kopf zu Boden und preßte seinen halb zerschmetterten Unterkiefer so fest auf den Grund, daß er vorerst wie festgenagelt liegen blieb. Um so heftiger arbeitete der Riesenleib, und es war fraglos, mit der Zeit mußten diese krampfhaften Bewegungen das Gewicht des Blockes überwinden, und das Tier würde den Kopf wieder freibekommen. Friedrich beeilte sich mittlerweile, das Ungetüm womöglich völlig zu blenden, indem er beide Augen unaufhörlich mit seinen Kugeln durchlöcherte.

An eine Flucht war nicht zu denken, da der Leib des Reptils in seinen gewaltigen Zuckungen die Felswände zu beiden Seiten geradezu abfegte und jeden zerschmettert haben würde, der es versucht hätte, durchzukommen.

Schulze schoß von hinten fortwährend in die sich aufbäumenden Fleischmassen, wenn da überhaupt Fleisch vorhanden war und nicht bloß Fett; seine Kugeln hatten aber nicht die geringste Wirkung.

Allein nun sprang der Indianer zu Friedrich hinüber und begann einen Felsblock um den andern auf das machtlose Haupt des Scheusals hinabzurollen. Der Mann besaß Riesenkräfte, und Friedrich, der ihm alsbald beistand, hatte den Eindruck, als seien seine eigenen Anstrengungen völlig überflüssig.

In Zeit von einer Viertelstunde war von dem widerlichen Kopfe nichts mehr zu sehen, er war unter einem Berg von Felsblöcken begraben, die Augen waren jedenfalls völlig vernichtet, und eine Befreiung des Drachen war nicht mehr zu befürchten, er hätte sie denn mit Hinterlassung seines Hauptes bewerkstelligen können. Dieses schien aber doch einen wesentlichen Bestandteil seines Daseins auszumachen; denn die Zuckungen des Leibes wurden immer schwächer und hörten zuletzt ganz auf.

Da tat der Indianer zum ersten Male seinen Mund auf, um zu reden, und zwar sprach er zu Friedrichs größter Verwunderung Deutsch und merkwürdigerweise in ganz altertümlichen Redewendungen. »Niemalen zît Jahrhunderten, als Menschen gedencken, ist solch Gewürm von eines Menschen Hand erlegt worden: Ihr seid ein teutscher Held, als jemalen gewest seind und habet ein fremd und welsch Blut aus Todes Noth befreiet mit kühnlichem und treuem Muth, deß ich Euch meines Lebens Zît zu gedancken schuldig bin, als ich auch mit Freuden zu thun gelobe. Deß nehmet hie ein Wahrzeichen.«

Und damit streifte er von seiner Hand einen kostbaren Ring in Form einer gewundenen Schlange, mit blitzenden Edelsteinen besetzt, und steckte ihn Friedrich an. Dann nickte er ihm freundlich zu und sprang über den Leib des toten Reptils wie über eine Brücke weg am verblüfften Schulze vorbei und war alsbald hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden.

Friedrich mochte nicht über den Körper des Ungetüms turnen; er benutzte den schmalen Raum, den dieser frei ließ, und drückte sich zwischen der weichen, unförmlichen Masse und der Felswand durch; dann begab er sich mit dem erschöpften Gelehrten, den der Kampf viel mehr angegriffen hatte als den mutigen Jüngling, ins Lager zurück, wo sie bei sinkender Nacht eintrafen.

Nachdem sie so recht erlebt hatten, welche unerhörten Gefahren einem Menschen in diesen abgelegenen Erdenwinkeln begegnen konnten, war es ihnen eine doppelt große Sorge, daß sie Ulrich nicht antrafen und niemand ihnen über seinen Verbleib Auskunft zu geben vermochte. Friedrichs Angst wuchs von Stunde zu Stunde; trotz der Anstrengungen des Tages konnte er vor Sorge um den Bruder die Nacht keinen Schlaf finden, und in aller Frühe zog er aus, ihn zu suchen, nachdem auch Tompaipo ihm versprochen hatte, sein Möglichstes zu tun, um über das Schicksal des Vermißten sichere Kunde zu erhalten.

Schulze hatte schon am Abend Friedrichs Heldentat überall ausposaunt: diesmal wollte aber ihm niemand glauben, und alle hielten seine Erzählung für das großartigste Jägerlatein, da der Lindwurm einfach für unbesiegbar galt. Man lachte und sagte, es werde sich um ein Krokodil oder um eine Riesenschlange handeln, die seine Phantasie mit Hilfe der Gelehrtenbrille vergrößert habe.

Als aber am andern Morgen einige Männer nach dem Schauplatz des Kampfes zogen und außer sich vor Staunen in wilder Freude zurückgerannt kamen, um die Wahrheit von Schulzes Angaben zu bestätigen, pilgerte das ganze Lager hinaus, und von nun an betrachteten die Napo Friedrich mit Ehrfurcht als den größten Helden aller Zeiten.


 << zurück weiter >>