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68. Das Glück des Inkareiches

Alle Völker, die dem Reiche der Inka unterworfen waren, mußten bekleidet gehen, und je nach Rang und Reichtum gingen die Leute in kostbarem Schmuck; die strenge Aufsicht, die sich bis in die Häuser hinein erstreckte, verbannte aus diesen Schmutz und Liederlichkeit, aber auch Üppigkeit: zweimal täglich fanden die einfachen Mahlzeiten statt. Dafür herrschten auch so sichere Zustände im Lande, daß keine Türe verschlossen wurde.

»Die Untertanen gehorchten freudig und willig dem Inka als dem Sonnensohne, denn sie wußten, daß er nur ihr Bestes suchte. Der Kaiser hielt sich in strengster Gerechtigkeit an die unumstößlichen Gesetze. Und die Gesetze waren so vollkommen, daß auch die Spanier voller Bewunderung waren für ein Staatswesen, dem sich nichts Ähnliches in ihrer Heimat an die Seite stellen ließ. Unübertrefflich war die Ordnung, die Weisheit der Regierung und der Gehorsam des glücklichen Volkes. Hunderte und Tausende an den entferntesten Grenzen des Reiches führten die Befehle des Inkas, die rasch an sie gelangten, mit einer Genauigkeit aus, als handelten sie nach Geboten der unabänderlichen Notwendigkeit.

»Dieses Reich hatte Verbrüderungsgesetze, nach denen alle einander beistehen mußten, ja, füreinander arbeiteten. Es hatte Wohlfahrtseinrichtungen und öffentliche Vorratshäuser, daraus empfingen Greise, Sieche und Schwache, Fremde, Pilger und Reisende Nahrung und Kleidung, wie sie's bedurften, und bei Mißernten und in Kriegszeiten konnte kein Mangel eintreten; eine Hungersnot kam nie vor; überall herrschte Wohlstand, ja, Überfluß.

»Die Hausgesetze verboten den Müßiggang und regelten die Arbeit; öffentliche Arbeiten wurden gemeinsam und unentgeltlich ausgeführt; am Feld- und Gartenbau nahm jeder teil, vom Herrscher bis zum geringsten Untertan. Durch Feldgesetze wurde der Grundbesitz aufs genaueste verteilt, nachdem durch Feldmesser alles abgemessen worden war.

»Diebstahl und Habsucht waren unbekannt, Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit selbstverständlich, Mäßigkeit strenges Gesetz. Mord oder Unsittlichkeit wurde mit dem Tode bestraft. Den jungen Ehepaaren mußte die Gemeinde ein Haus bauen; für die Witwen mußte sie sorgen bis zu ihrer Wiederverheiratung. Eine Frau sah man nie ohne Beschäftigung, auch während der Unterhaltung und auf Besuch spann sie oder strickte oder betrieb sonst eine Handarbeit.

»Auf Anstand und gute Sitte wurde streng gehalten; nie hätte man ein Weib tanzen sehen, und der Tanz der Männer war ernst und würdevoll, kein ausgelassenes oder widerliches Umherhüpfen und Gedrehe.

»Die Inka und alle Mitglieder des Kaiserhauses legten ihre Ehre darein, durch fleckenlosen Wandel dem Volke voranzuleuchten.

»Und ein ausgezeichneter Post- und Nachrichtendienst war eingeführt, alle sechstausend Schritte standen Posthäuser; dort harrten die Schnelläufer der Botschaften oder Briefe, die ihnen von einem Posten überbracht wurden, um sie mit Windeseile dem nächsten Amte zu übermitteln. Unverbrüchlich wahrten sie die Amtsgeheimnisse. Feindliche Einfälle und dergleichen wurden von diesen Stationen aus in kürzester Frist durch Feuerzeichen dem ganzen Reiche bekanntgegeben.

»Das Wild, das die Weißen später ausgerottet haben, war durch Jagdgesetze geschützt: nur alle vier Jahre durfte in der gleichen Gegend gejagt werden. Die Vögel, die den Dung lieferten, waren gesetzlich geschont. Steinwälle umgaben jedes Feld, und mächtige Terrassenmauern ermöglichten es, selbst die steilsten Abhänge anzubauen; dem Meere sogar wurde Ackerland abgerungen und mit hohen Mauern aus Luftziegeln eingedämmt: das alles ist nun wieder zur Wildnis geworden!

»Der Inka begann eigenhändig die Bestellung der Felder, die Aussaat und die Ernte; zuerst wurden die Äcker der Armen bebaut und abgeerntet, dann kamen die der Vornehmen und zu allerletzt die der Inka, weil das Wohl der Untertanen dem Herzen des Herrschers näher lag als sein eigenes.

»Singend wurde alle Arbeit getan als ein Werk der Freude und nicht als eine Last, und keiner arbeitete für sich allein – alle halfen einander; wie das alle Mühe erleichterte und erheiterte, wie das den Wetteifer anspornte! Nur dem Faulen bot keiner hilfreiche Hand, damit er gezwungen sei, zu arbeiten, um nicht Hunger zu leiden.

»Um den Feldern Wasser zuzuführen, wurden gewaltige Wasserleitungen angelegt; an unersteiglichen Felswänden führte man die Kanäle entlang, Berge wurden durchbohrt, Täler überbrückt, Sümpfe ausgetrocknet – und alle diese Werke haben unsere Väter vollbracht, da sie geschmiedetes Eisen doch nicht kannten!

»Persönlich überwachte der Inka diese wichtigen Arbeiten, und immer wieder kam er, ihren Fortschritt zu sehen und die Arbeiter zu ermuntern.

»Hoch oben in den Bergen wurden die Lama und Alpaka in Herden zu Tausenden und aber Tausenden gezüchtet.

»Alle Handwerke standen in unserem glücklichen Lande in höchster Blüte, nach Neigung und Anlagen wurde den Kindern der Beruf bestimmt; die Weber verwoben die Wolle der Lama und das Seidenhaar der Fledermäuse zu den feinsten Stoffen, die Teppichweber stellten Matten, Decken und Teppiche mit kunstvollen Mustern her, die Töpfer, Polierer, Steinmetzen, Gold- und Silberarbeiter waren an Geschicklichkeit und Kunst der Entwürfe den höchsten Schwierigkeiten gewachsen, und ihre Werke zeichneten sich teils durch entzückende Zierlichkeit, teils durch erstaunliche Großartigkeit aus.

»Gold und Silber häuften sich in den Tempeln und in den Königstädten an, und die Spanier glaubten in Kuzko die Goldstadt Manoa gefunden zu haben, obgleich die Schätze, die sie fanden und für unermeßlich hielten, nur noch ein spärlicher Rest waren und für 1200 Millionen Gold, Silber und Edelsteine schon hierhergebracht und im heiligen See versenkt worden waren.

»Die Edelsteine schnitten unsere Künstler mit einer Feinheit, als seien die Steine weiches Wachs, und schon in Tumpez waren die Weißen geblendet von der Pracht der goldenen und silbernen Menschen- und Tierbilder. Da staunten sie in den Gärten des kaiserlichen Palastes mitten unter den Gewächsen der Natur Bäume und Gesträuche aus jenen Sonnen- und Mondglanzmetallen an, die bis auf das feinste Blattgefieder künstlich nachgebildet waren. In den Sälen des Schlosses standen aus lauterem Edelmetall und bunten Edelsteinen gefertigte Männer, Frauen und Kinder, Tiere und Vögel; aus den goldenen Fußböden wuchsen gleichsam erzene Kräuter und Blumen, aus den goldenen Wänden Zweige und Pflanzen aller Art, auf denen sich künstliche Schmetterlinge und Kolibri wiegten; Schnecken und Eidechsen, Käfer und schillernde Schlangen schienen umherzukriechen, und jedes dieser Stücke war einzeln angefertigt, daß man es loslösen und genau betrachten konnte; ja, da schien alles zu blühen und zu leben, zu flattern und zu kriechen, zu zwitschern und zu singen – und doch, was war das gegen die Wunder der Kaiserpaläste von Kuzko oder Quito? Dort thronte der Sohn der Sonne in Pracht und Herrlichkeit, und auch seine geringsten Geräte waren aus Silber und Gold, mit Edelsteinen geziert. Aber nichts ist mehr vorhanden von all dieser Kunst: die Eroberer schmelzten es ein und prägten Münzen daraus!«

»Erhabener Inka,« bemerkte Friedrich, des Greises begeisterte Schilderung unterbrechend, »findet sich diese herrliche Kunst nicht wieder in deinem unterirdischen Palaste und hier in Manoa?«

»Ach!« erwiderte der Alte, wehmütig lächelnd. »Es finden sich hier nur noch Überreste oder schwache Abbilder der einstigen Herrlichkeiten; doch das war ja auch nur Tand, das Auge zu ergötzen. Größer dünkt mich die Kunst der Baumeister, die gewaltige Steine aufeinander türmten, Steine, die so genau behauen waren, daß man die Fugen zwischen ihnen nicht sehen kann und nur, weil die Kanten der Blöcke zur Zierde schräg abgeschnitten sind, zu erraten vermag, wo sich die Stelle befindet, an der sich zwei Steine scheiden.

»Und erst die gewaltigen Straßenbauten, diese breiten gepflasterten Wege, die, mit Seitenmauern versehen, auf hohen Dämmen die Ebenen durchzogen und im Gebirge, in den Felsen gehauen, mit breiten Stufen die steilsten Wände erklommen, die durch den Schnee der Hochgipfel und durch die Urwälder führten, Hunderte von Tagereisen weit! Sie hatten ihre Meilenzeiger, ihre Paläste und Herbergen, Schutz Hütten und Vorratshäuser und wurden so rein gehalten, daß kein Steinchen noch Grashalm auf ihnen gefunden werden konnte. Solche Straßen durchzogen in Menge das ganze Reich – nun aber sind sie zerstört und zerfallen!

»Wir besahen erhabene Karten des Landes, aus Ton gebildet, Stadtpläne – so genau, daß jedes Haus, jede Straßenbreite, jeder Flußlauf daraus ersichtlich waren und die Weißen sich nicht genug über solche Kunstwerke verwundern konnten.

»In die Kippu-Kamayoke, die farbigen Schnurbündel, konnten wir mittels einfacher Knoten Rechnungen, Geschichten, Gedichte, Gesetze und Verordnungen eintragen wie in Handschriften, und nur durch peinlichste Rechnungsführung mit Hilfe dieser Schnüre vermochten unsere Beamten lange Zeit den Untergang aufzuhalten, den die blutsaugerischen Erpressungen der Spanier sonst alsbald über einzelne Provinzen gebracht hätten; so aber rechneten sie miteinander ab und verteilten die Last des Schadens auf die Einwohner des ganzen Reiches.

»Wir waren bewandert in der Sternkunde und in der Heilkunde, wir hatten Maler, Dichter, Musiker und Schauspieler.

»Die Inka liebten den Frieden und suchten ihn zum Heile des Volkes zu erhalten; aber sie hatten auch ein Heerwesen, dem kein feindliches Volk auf die Dauer zu widerstehen vermochte. Überall waren die mächtigsten Festungen angelegt, in die sich das Heer, wenn es je eine Niederlage erlitt, werfen konnte. Kranke und Verwundete schickte man sofort nach der Heimat und zog Ersatz für sie heran. Die Inka hielten auf strengste Mannszucht. Plünderung wurde unnachsichtlich mit dem Tode bestraft, sowohl beim gemeinen Soldaten als beim höheren Offizier. Niemals wurde es unterlassen, dem Gegner zu dreien Malen Frieden anzubieten, ehe man zum Angriff überging; wo es nur möglich war, wurde Blutvergießen vermieden. Nach dem Sieg gab man die Gefangenen frei und erstattete ihnen all ihr Eigentum zurück, für das eroberte Land wurde väterlich gesorgt, und durch Güte und Milde gewann man in kürzester Frist die früheren Gegner zu treuen Landeskindern, die bald einsahen, wie viel besser sie es unter der neuen Herrschaft hatten, unter der sie ihre barbarischen Sitten ablegen mußten. Zuweilen wurden freilich die Besiegten im Innern des Reiches angesiedelt und das eroberte Gebiet zur Sicherung der Grenzen mit treuen, zuverlässigen Bewohnern der alten Provinzen besetzt.

»Auch unsern Glauben nahmen die Besiegten stets bald an. Wir glauben an einen unsichtbaren Gott von Ewigkeit, Illja Tekze; seine Namen sind Huirakotscha, Patschayatschik und Patschakamak, doch nur der Inka darf seine Namen nennen, darum nennt ihn das Volk Cachimana wie den guten Geist der Omagua. Weil er der Unsichtbare ist, hatte er keinen Tempel, nur erst spät wurde ihm ein Heiligtum im Tale von Irma errichtet.

»Sein Sohn Inti, der Sonnengott, hatte goldene Tempel, und sein Diener ist Illjapa, der Donnergott; seine Gemahlin und Schwester Kilja oder Copa ist die Mondgöttin, die Himmelskönigin, ihr dienen die Sternenjungfrauen.

»Der Feind aller Menschen aber, bei euch Satan genannt, ist Cupay, den das Volk hier auch, wie die Omagua, Jolokiamo heißt.

»Hier leben wir in der mittleren Welt, Hurin Patscha; die Seele aber ist unsterblich und kommt, wenn sie gut war, nach dem Tode zur ewigen, seligen Ruhe in die obere Welt, das Reich des Friedens, Hanan Patscha. Später wird dann auch ihr Leib auferstehen, um mit ihr vereinigt zu werden. Die Gottlosen aber kommen in die qualvolle Wohnung des bösen Geistes, nach Uku Patscha oder Cupappahuacin.

»Aber wenige fürchteten den Bösen, denn das Volk war gut, und weil es so gut war, war es glücklich, fröhlich in seiner Arbeit, jubelnd bei seinen Festen mit ihrem Schaugepränge, Musik und Schauspielen. Ja! es war eine goldene Zeit, und heute noch sehnen sich unsere roten Brüder dort unten zurück nach der segensreichen Herrschaft der Inka und halten fest an der Sprache, die im ganzen Reiche gesprochen werden muhte, der Kitschuasprache, der vollkommensten und wohllautendsten aller Sprachen, die auch wir hier oben reden.

»Aber dieses Volk, dem Rachgier und Grausamkeit fremd waren, das stets nachgiebig war und bereit zu verzeihen, friedfertig und liebenswürdig, mitleidig und barmherzig gegen alle Notleidenden, geneigt auch den unverschämtesten Forderungen sich willfährig zu zeigen, ehrerbietig gegen alle, die es für vornehmer oder gelehrter hielt, gehorsam, demütig und lernbegierig, treu und dankbar in allen Dingen, versöhnlich, gutmütig und sanftmütig, fleißig und genügsam, zufrieden und voller Geduld – dieses glückliche, hochherzige Volk sollte Cupays ganze Bosheit schmecken lernen!«


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