Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Als Wilfried in dem Hotelwagen, den er bestellt hatte, nach der Behrenstraße kam, war vor dem Sterbehause die militärische Parade bereits aufgezogen: zwei Compagnien des Infanterie-Garderegiments, bei dem der General bis zuletzt à la suite gestanden; eine Eskadron der Pasewalk-Kürassiere, zu denen er, als junger Offizier, ein paar Jahre abkommandiert gewesen; eine Batterie zu Fuß. Was von der Straße frei blieb, hatte eine schaulustige Menge eingenommen; nur mit Mühe konnte sein Wagen bis ans Haus, er ins Haus gelangen.

Wo dann wieder bereits die Treppe kaum noch zu passieren war. Wilfried hätte nicht zu sagen gewußt, wie er sich schließlich dann doch in der Ecke des Studierzimmers fand, nicht allzuweit von dem aufgebahrten Sarge.

Wie oft war er in diesem Zimmer gewesen! hatte mit dem Greise fast immer heitere, niemals unbedeutende Gespräche geführt! Während die von dem Staube der Jahrzehnte fast schwarz gewordenen Gypsbüsten Blüchers und Scharnhorsts, Goethes und Schillers auf sie herabblickten.

473 Die nun die Rede des Garnisons-Predigers zu hören bekamen: eines sehr beredten, sehr eifrigen Herrn, der die Glaubensstärke des Dahingeschiedenen, seine Verdienste um das Vaterland, seine nie wankende Treue und Liebe zu den vier Königen, denen er gedient, mit schönen Worten pries, die ihm auch hier und da von Herzen zu kommen schienen.

Und doch Wilfried, wäre ihm nicht so unsäglich traurig zu Mute gewesen, manchmal fast zum Lachen gebracht hätten, dann wieder seinen Grimm erweckten. Dieser Voltaireaner, der noch in seinen letzten Jahren Darwin und Haeckel mit dem Feuereifer des Jünglings studiert; von sich gesagt hatte: ich würde mich einen Atheisten nennen, wäre mir der Atheismus nicht verdächtig, wie jeder Ismus; von sich gesagt hatte: ich bin theoretisch Republikaner und würde es praktisch sein, könnte ich mich überzeugen, es käme dabei etwas für das Volk heraus – dieser freie, große Mensch der steifleinene, militärvorgesetzlich-civilobrigkeitlich approbierte Betbruder, den der Prediger aus ihm machte!

Wohl auch machen mußte, sollte es diesem Auditorium ein Gefallen sein: mit Orden behängten Offizieren aller Grade; hohen Staatsdienern, die sich amtlich oder freiwillig eingefunden, in goldstrotzender Uniform mit breiten Bändern und Sternen auf der Brust; ein paar wenigen Herren, wie er, in einfachem Frack, unter ihnen Professor Jarnowitz und Doktor Cramer, die, ob auch grollend, nicht fehlen durften, wenn einer beerdigt wurde, den man schon so lange Jahre als einen der geistreichsten Köpfe Berlins gepriesen hatte.

Ah! Hätte er, der da im Sarge schlief, dieser Gesellschaft das Maß zu nehmen gehabt, wie lang wohl die braunen martialischen, die grauen Aktengesichter geworden wären!

Wilfried konnte es kaum noch ertragen. Endlich ertönte das Amen, und der von Unteroffizieren getragene Sarg verschwand in der hohen Eingangsthür.

474 Es war ursprünglich seine Absicht gewesen, dem Freunde bis auf den Invalidenkirchhof das Geleit zu geben; aber er fühlte, seine Nerven würden das nicht mehr aushalten. So ließ er das Gedränge sich so weit verlaufen, daß er ohne Anstoß durch die Zimmer, die Treppe hinab, aus dem Hause auf die Straße gelangen konnte.

Dort rückten eben die letzten der militärischen Trauereskorte ab; die Wagen, ein kaiserlicher voran, folgten. Um den seinen zu erreichen, weit hinten in der langen Reihe, suchte er langsam durch die Menge zu kommen, die das Trottoir noch immer besetzt hielt. Wenige Schritte nur hatte er gemacht, als er sah, daß er unmittelbar an einer kleinen Gruppe Offiziere vorüber müsse, unter ihnen Bronowski, den er im Trauerhause nicht bemerkt. Beim Erblicken des Mannes, der ihn an so widerwärtige Momente seiner letzten Zeit erinnerte, stutzte er und wäre lieber umgekehrt. Es war nicht mehr möglich, ohne daß es Bronowski und einem und dem anderen der Herren, die er fast sämtlich persönlich kannte, aufgefallen wäre. Das wollte er nicht. So schritt er, höflich grüßend, vorüber, und hatte die Gruppe eben im Rücken, als er hinter sich in höhnischem Tone: Salonsocialist! sehr vernehmlich sagen hörte.

Wie wenn ein Peitschenhieb ihn getroffen, zuckte Wilfried zusammen. Im nächsten Moment stand er vor Bronowski.

Darf ich fragen, Herr Major, ob das Wort, das Sie eben gesagt, sich auf mich beziehen sollte?

Bronowski blickte ihm starr in die Augen:

Ich wüßte in der That nicht, auf wen es sich sonst beziehen könnte.

Ihr Benehmen, Herr Major, verdient eine Züchtigung, die ich Ihnen nur erspare, Sie in Ihrer Carrière nicht zu schädigen.

Ein halb unterdrückter Wutschrei, und Bronowskis Hand 475 fuhr nach seinem Säbelgriff; einer der Herren packte seinen Arm:

Nicht doch, Herr Major!

Und sich zu Wilfried wendend, ihn zugleich ein wenig auf die Seite führend:

Obrist von Hösting, im Falle Sie sich meiner nicht erinnern sollten.

Wilfried verbeugte sich.

Natürlich muß die Sache ausgetragen werden. Ich bitte, vorläufig Ihre Zeugen zu mir schicken zu wollen. Werde mich den Nachmittag über zu Hause halten.

Verbindlichen Dank, Herr Obrist.

Abermalige gegenseitige Verbeugung. Der Obrist wandte sich wieder zu der Gruppe, die ihn schweigend erwartet hatte; Wilfried schritt an der Wagenreihe weiter, bis er zu dem seinen kam.

Zunz öffnete ihm den Schlag.

Zu meinem Vetter, Zunz!

Sehr wohl, Herr Graf.

Falko war nicht zu Hause. Bei dem Herrn Kommerzienrat zum Frühstück, berichtete der Bursche. Wilfried ließ nach der Tiergartenstraße fahren.

Die Herrschaften sind im Garten, meldete der Portier; vor dem Theehause. Wenn sich der Herr Graf dahin bemühen wollten?

Schicken Sie, bitte, einen Diener! Ich lasse den Grafen für ein paar Minuten ersuchen – in den Salon. Da ist doch niemand?

Augenblicklich keine Seele, Herr Graf.

Falko kam nach wenigen Minuten. Seine Wangen waren gerötet; ein paar Knöpfe an seinem Uniformrock geöffnet.

Ist das famos! Recta von Falkenburg? Schneidiger Einfall! Konntest nicht gelegener kommen! Wir sind im Garten unter der großen Buche! Keine Gesellschaft – natürlich! Trauer wegen! Kleine Frühstücksbowle. Leider 476 Chlotilde nicht dabei, die nach Dortmund zurückgegondelt. Sonst lauter Bekannte: meine Else, noch ein paar nette Käfer – aber Du siehst ja so verteufelt ernst aus – na ja! der alte Frötstedt! Ihr wart sehr liiert –

Ja. Und da ist noch etwas anderes. Es thut mir leid: ich werde Dich Deiner Gesellschaft entziehen müssen. Es steht mir hier niemand näher, als Du; da mußt Du schon ein übriges für mich thun.

Er teilte ihm sein Rencontre mit Bronowski in allen Einzelheiten mit, und daß Oberst von Hösting gegnerischerseits die Sache in die Hand genommen habe.

Falkos Miene war sofort ernst geworden; er hatte, während Wilfried sprach, unwillkürlich die beiden Knöpfe an seiner Uniform geschlossen.

Verteufelte Geschichte, sagte er. Ahnte übrigens so was. Bronowski soll schon wiederholt in der Gesellschaft höchst anzüglich über Dich gesprochen haben. In meiner Gegenwart natürlich nicht, sonst – Ich glaube – Ebba meint es auch: Frau von Haida steckt dahinter.

Möglich. Du siehst: es war nur eine Frage der Zeit.

Allerdings. Nur: Bronowski ist notorisch einer unsrer besten Pistolenschützen.

Das hilft nun nichts.

Freilich. Und daß Du Dich vorher etwas einschießen könntest –

Kein Gedanke: die Sache muß heute noch, spätestens morgen früh erledigt werden.

Wird wohl nicht anders gehen. An wen hast Du sonst noch gedacht?

Vielleicht Signor Miltiades Vicentio von der chilenischen Gesandtschaft?

Ausgezeichnet! schneidiges kleines Kerlchen! Glücklicherweise hier, da Gesandter in Karlsbad. Sag' mal: warum bist Du eigentlich nicht nach Karlsbad – aber darüber können wir ja später – was ich sagen wollte; wir, als die unzweifelhaft beleidigte Partei, haben in der Aufstellung 477 der Bedingungen entschieden die Vorhand. Wenn Du also specielle Wünsche –

Gar keine. Nur daß die Sache nicht verzögert wird. Wir werden an einen Arzt denken müssen. Ich schlage Doktor Brandt, Keithstraße 25, vor.

Wohl der Herr, dem mal bei Dir in der Thür begegnete?

Wahrscheinlich.

Falko notierte sich die Adresse in seinem Taschenbuch: Elfenbeindeckel mit feinen Initialen und dem Falkenburger Wappen, Geschenk von Else, wie er, während er schrieb, mitteilte.

Die Sache wird Dir möglicherweise dienstliche Ungelegenheiten bereiten, sagte Wilfried.

Das kann dabei keine Rolle spielen, erklärte Falko, das Geschenk seiner Else in die Brusttasche zurücksteckend und den Rock darüber knöpfend. Übrigens, seitdem sie mich in die Provinz schicken wollen, ist mir die ganze Geschichte passabel schnuppe. Schwiegerpapa spricht von einem Gut – in der Nähe von Berlin – daß man einander bequem erreichen kann, weißt Du –

Sehr verständig. Ich werde natürlich in meiner Wohnung sein: Hotel Bristol –

Famoses Quartier. Habe vom alten Justizrat, den gestern auf der Straße traf, gehört, daß mit Tante Adele wieder d'accord. Immer zu Mama und Ebba gesagt: Bloß Bügel verloren – kann jedem passieren – darum noch lange nicht unten – sitzt viel zu fest im Sattel –

Also auf Wiedersehen, Falko! Und schönen Dank!

Spaß! Unter uns beiden! Na, also, adieu, alter Sohn! Werden die Geschichte schon deichseln.

* * *


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