Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Da wollte denn doch ein Schatten auf sein helles Gemüt fallen, als der erste Blick, den er über die im Salon Versammelten schweifen ließ, Frau von Haida traf, die in lebhafter Unterhaltung mit Bronowski mitten in dem Gewühl unter dem großen Kronleuchter stand. Alle möglichen, ihm fremden, gleichgültigen Gesichter in diesem Hause zu treffen, daran war er gewöhnt. Wie kamen sie hierher, die er nur zu gut kannte, und denen zu begegnen er wahrlich nicht wünschen konnte!

288 Aber darüber zu grübeln blieb ihm keine Zeit: Else hatte sich seiner bemächtigt und zu seiner Dame geführt: der Tochter des chilenischen Gesandten, einem älteren unschönen Mädchen, die das wenige, was sie vorzubringen pflegte, nur französisch sagen konnte, und der man ihn hier mit Vorliebe zuteilte, weil er in dem Ruf stand, ein leidliches Französisch zu sprechen. Dann ging es zu Tisch in dem von dem Licht hunderter elektrischer Birnen fast überhellen Speisesaal, für Wilfried der liebste der prachtvollen Räume, weil er zugleich eine Galerie ausgesucht schöner Bilder der neuen und neuesten Schulen war, bei deren Ankauf man wiederholt an sein Urteil appelliert hatte. Dazu die vier, im Schmuck der Blumen, des funkelnden Tafelgerätes prangenden Tafeln, umgeben von lachenden, schwatzenden Damen und Herren in geschmackvollem Putz und sorgfältigen Toiletten; die vielen Diener in kleidsamen Livréefracks, Strümpfen und Schnallenschuhen, geräuschlos die Speisen auf silbernen Platten herumreichend, die Weine in die Krystallgläser füllend – hier, sagte sich Wilfried, wäre ein Vorwurf für einen Menzel, nur daß selbst seine Meisterhand an der Wiedergabe eines so reichen, aus tausend interessanten Einzelheiten komponierten Bildes erlahmen würde.

Während er nun flüchtig die Gesellschaft musterte, war es ihm lieb, daß er Frau von Haida und den Major nicht entdecken konnte, die irgendwo an einem entfernteren Tische – vermutlich zusammen – sitzen mochten. Dafür sah er sehr deutlich an dem oberen Ende des nächsten Else und Falko: Else, augenscheinlich in ihrer übermütigsten Laune, lebhaft gestikulierend, manchmal so laut lachend, daß er es durch das Geschwirr der Stimmen hören konnte; Falko auf sie mit seiner gewohnten liebenswürdigen Zwanglosigkeit einsprechend. Hier war denn wirklich eine Chance, die Wilfried dem ewig mit Schulden behafteten, leichtsinnigen, im Grunde gutherzigen Vetter von Herzen gönnte. Wie es mit der Güte von Elses Herzen stand, war ihm 289 fraglich, jedenfalls kannte er sie als ein schlagfertiges, witziges, manchmal geistreiches Mädchen, voll drolligen Humors und naiver Lebenslust, das sich wohl zu des lebenslustigen Offiziers Gefährtin eignen mochte.

Um so unerfreulicher war ihm die Kombination des Paares unmittelbar zu seiner Linken: der schönen Chlotilde und Rentlows. Seitdem er von Falko wußte, daß auch der Baron tief in Schulden stecke, war ihm klar geworden, weshalb er die Einladung in das Bielefeldersche Haus mit solcher Begierde angenommen. So weit war sein und Falkos Fall derselbe. Aber alle die guten Eigenschaften, die er Falko zubilligte, glaubte er seinem Kameraden und Freunde absprechen zu müssen. Hier war für ihn der Typ des skrupellosen Glückjägers, der kein leisestes Erbarmen mit seiner Beute kennt.

Und da freute es ihn doch, zu sehen, daß die schöne Beute dem Jäger keineswegs ohne weiteres in das Garn lief. Sie war bereits im Anfang der Mahlzeit auf Rentlows Bemühungen, sie in eine Unterhaltung zu verwickeln, kaum eingegangen, um dann bald vollends zu verstummen; dafür aber jedes Wort, das er selbst an sie richtete, mit augenscheinlicher lebhafter Befriedigung aufzunehmen und zu erwidern. Er hatte durchaus die Empfindung, daß sie bei ihm vor den stechenden Augen und dem sicher nicht immer für Mädchenohren berechneten Reden ihres Nachbars zur Linken Schutz suche, und war bereit, ihn ihr zu gewähren, wie er sich noch stets des Schwachen gegen den Starken angenommen. Wobei er sich ehrlich gestand, daß ihre ganz ungewöhnliche Schönheit ihm die Schützerrolle freundlich erleichtere. Daß sie entschieden das Gegenteil von geistreich war, genierte ihn nicht: sie brachte ihre Gemeinplätze mit so naiver Harmlosigkeit vor! Ein im Schoße des Reichtums aufgewachsenes, verwöhntes Kind, urteilte er, das doch im Grunde des Herzens gut geblieben war. Und dem er offenbar durch seine Unterhaltung, die er ihrem Verständnis anzupassen suchte, die größte Freude 290 machte. Ein stereotypes, müdes Lächeln, das ihm anfangs ihren Mund mit den vollen, schön geschnittenen Lippen verleidet hatte, war verschwunden: die Lippen lagen fest und ernsthaft aufeinander. Ihre großen Gazellenaugen hingen unverwandt an seinem Munde; und, wenn sie etwas nicht verstand – was nicht selten vorkam – klang ihr: Bitte, sagen Sie das noch einmal! so ehrlich beschränkt, daß er gern nach einer Wendung suchte, die ihr die Sache begreiflich machte. Wenn das gute Kind wüßte, dachte er, daß es von den Brosamen lebt, die von dem Mahle meiner Liebe gern für sie abfallen!

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