Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Seitdem der Justizrat ihr an einem frühen Vormittag die Schreckenskunde von Wilfrieds Verlobung mitgeteilt hatte – in einer Erregung, die sie dem »Cyniker« niemals zugetraut – war für Tante Adele »die schöne Welt zerstört«; und während sie stundenlang, die Hände auf dem schlanken Rücken, durch ihre prächtigen Zimmer promenierte, wurde sie nicht müde, im Vorübergehen an den hohen Trumeaux ihrem Spiegelbilde zu versichern, daß ihre Ruhe hin und ihr Herz schwer sei. Die Goetheabende hatte sie endgültig aufgegeben; vor den Besuchen ließ sie sich verleugnen: sie wollte einsam, allein sein; wollte, daß man sie in ihrer Pein ließ. Sie haßte alle Menschen um den einen, den sie geliebt, und der ihr das hatte anthun können. Zumeist die, die ihr im Ohr gelegen, ihn von sich zu stoßen: die Generalin, die Wiepkenhagen, Major Bronowski, Professor Jarnowitz und die andern falschen Goethefreunde, die an jenem verhängnisvollen Abend – für sie der Urquell alles folgenden Unheils – gegen ihn Partei ergriffen hatten. Aber auch sie, die ihm das Wort geredet: die Baronin Ülbach, Friederike, waren in Ungnade gefallen. Sie hätten eifriger, inniger für ihn plaidieren sollen. Mein Gott! sie war doch nicht von Erz oder Stein! sie trug doch ein bewegliches Herz im Busen! sie wollte ja doch nur überredet sein!

Aber am meisten haßte sie jetzt den Justizrat. Er 445 hatte eingestanden, Wilfried en canaille behandelt zu haben, »um ihn zur Raison zu bringen«, und daß seine Methode »sich verteufelt schlecht bewährt habe.«

Natürlich! was sollte der arme Junge thun, wenn man ihn von allen Seiten zur Verzweiflung brachte! Er hatte Egmonts gedacht: »Von meiner Stirn die sinnenden Runzeln wegzubaden, giebt es ja wohl noch ein freundlich Mittel,« und war, wie jener, zu seinem Bürgermädchen geschlichen.

Aber verlobt hatte sich Egmont mit seinem Clärchen nicht. Hier mündete die Poesie in Prosa, in schaudervolle Prosa. Mochte Wilfried schöne Liebchen haben, so viel er wollte; das machte ihn in ihren Augen nicht schlechter; das konnte ein Goethe besingen. Aber: meine Verlobung mit Fräulein Lotte Schulz, – auf dem grauen Zeitungspapier – Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen!

Wer da eingreifen, den prosaischen Strom rückwärts dämmen könnte! Er würde nicht hören wollen; aber das Mädchen! Solche Mädchen ließen doch mit sich sprechen! Und – »Nach Golde drängt, am Golde hängt« –

Wenn sie das Mädchen rufen ließe? Aber sie würde nicht kommen! Wenn sie selbst ginge? Eine heroische That, würdig der Schülerin des Meisters, und nur leider unausführbar! War doch die erste Bedingung, daß sie das Mädchen allein fand. Wie das fertig bringen?

Und jetzt schien die Möglichkeit gegeben.

Sie hatte aus Schloß Falkenburg die Nachricht von dem Tode des Fürsten erhalten und ein kurzes Billet Margaretes, daß Wilfried bei ihr sei und ihr brüderlich den unsäglichen Schmerz tragen helfe. So konnte er ihr nicht in den Weg treten, wenn sie das Mädchen aufsuchte.

Seit acht Tagen trug sie sich mit dem Entschluß, und immer war die Sommersonne untergegangen, wie sie eben heute wieder unterging, ohne daß die heroische That geschehen war. Wie lange wollte sie noch warten? Wie oft sich noch zurufen: Frisch gewagt, ist halb gewonnen!

446 Sie stand im Salon an einem der geöffneten Fenster und blickte auf die stille Straße, in der noch der letzte Abendschein träumte. Die schwarzgekleidete schlanke Gestalt eines offenbar jungen Mädchens ging auf der entgegengesetzten Seite an dem Hause vorüber; kehrte um, blieb stehen – einen Moment – dann kam sie langsam über die Straße, gerade auf die Hausthür zu.

Ein Schrecken durchrieselte Tante Adele. Konnte die schwarze Gestalt das Mädchen – sein Mädchen sein?

Wie von einer magischen Gewalt gedrängt, eilte sie nach der elektrischen Klingel, Mathis, oder wer auf den Ruf kam, zu befehlen, daß das schwarze Mädchen, wenn es zu ihr wolle, sofort heraufgeführt werde.

Da kam Mathis bereits durch den vorderen Salon. Sie rief es ihm mit einer Heftigkeit zu, daß der Alte ordentlich zurückprallte. Er nahm sich aber sofort wieder zusammen und sagte mit Betonung:

Es ist die Lotte Schulz, Frau Geheimrat.

Thuen Sie, was ich Ihnen befohlen habe! rief Tante Adele.

Mathis verschwand, eine Verwünschung durch die mangelhaften Zähne murmelnd. Tante Adele eilte nach dem Trumeau, nestelte mit zitternden Händen in dem, wie immer, griechisch frisierten Haar und strich an ihrem langen weißen Gewande eine Falte zurecht, die des klassischen Wurfes zu ermangeln schien.

* * *


 << zurück weiter >>