Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Ich komme Dir ungelegen?

Wieso?

Oder bist doch nicht gar krank? Du siehst verzweifelt schlecht aus; und der vierschrötige blonde Herr, der da eben von Dir ging, war doch sicher ein Doktor.

Allerdings. Aber es handelt sich nicht um mich. Bitte, nimm Platz!

Die Vettern waren in Wilfrieds Arbeitszimmer getreten.

Donnerwetter, sagte Falko. Die ganze Wohnung riecht nach Karbol. Du erlaubst, daß ich –

82 Und Falko trat an ein Nebentischchen, auf dem die Rauchutensilien standen, zündete sich eine Zigarre an; warf sich in einen Fauteuil; blickte, den Kopf zurückbiegend, der Wolkensäule nach, die er kunstgerecht nach oben geblasen, dann auf seine Stiefelspitzen, die er ein paarmal leise zusammenklappte, schließlich auf Wilfried, der, sich an den großen Schreibtisch lehnend, einige Schritte von ihm stand.

Prachtvolles Wetter heute.

Wilfried hob die Augen von dem Teppich, zerstreut lächelnd.

Kamst Du, mir diese interessante Mitteilung zu machen?

Eigentlich nein. Aber da es so famoses Wetter ist und man unser Exerzieren in aller Frühe abgesagt hat –

So hörte ich von Leßberg.

Wo zum Tausend hast Du denn den getroffen?

Im Hippodrom mit Rentlow.

Ach ja! Du wolltest heute mit Ebba reiten. Und da habt Ihr die beiden getroffen. Merkwürdig.

Ich sehe nichts besonderes Merkwürdiges darin. Wundere mich nur, daß Du nicht von der Partie warst.

Ließen es mich durch den Burschen wissen. Ehrlich gestanden, hatte mich, als Absage kam, wieder zu Bett gelegt. War ein bißchen kaput von heute nacht. Die Sitzung hatte bis halb vier gedauert.

Du solltest wirklich nicht so auf Deine Gesundheit einstürmen.

Ah bah! Die andern machen es nicht besser.

Womit mir nicht gesagt scheint, daß Du es ebenso machen mußt. Um so weniger, als Du offenbar nicht so viel prästieren kannst, wie sie. Sie waren schon wieder zwei Stunden im Sattel gewesen und sahen keineswegs erschöpft aus.

Na ja!

Und, nimm es mir nicht übel, Falko: mir war es gar 83 nicht recht, daß Du gestern abend mit ihnen gingst. Du kannst es auch in anderer Beziehung ihnen nicht gleich thun.

Du meinst?

Du weißt, was ich meine.

Na, dann kann ich ja nur wieder gehen, sagte Falko, die Asche von seiner Zigarre klopfend und eine Bewegung zum Aufstehen machend.

Weil ich Dich – doch wahrlich nicht zum ersten Mal – bitte, an Dich, an Deine Eltern, an Ebba, uns alle zu denken?

Sehr freundlich. Nur von Dir hätte ich dergleichen liebenswürdige Vorhaltungen in diesem Augenblick nicht erwartet.

In diesem Augenblick?

Du erinnerst Dich vielleicht unserer Verabredung für morgen mittag?

Gewiß thue ich das.

Dann hättest Du, deucht mir, Deine moralische Vorlesung sparen sollen; sie zum wenigsten erst hinterher halten.

Du hast recht; und ich bitte Dich um Verzeihung.

So tragisch brauchst Du es auch nicht zu nehmen. Aber, alter Kerl, ich versichere Dich, es wird mir von allen Seiten so viel Moral eingepumpt, daß ich die Sache gründlich satt habe.

Sprechen wir also von etwas anderem! Die Bielefelder haben mich gestern abend gebeten, ihnen zu einem Ballfest oder dergleichen am Donnerstag noch ein paar Offiziere zuzuführen, und reflektieren in erster Linie auf Dich. Ich habe es vorhin auch Baron Rentlow gesagt, der nebenbei mit beiden Händen zugegriffen hat. Er wollte auch noch mit Dir sprechen. Wenn es Dir ebenfalls recht ist, macht Ihr vielleicht morgen die obligate Visite.

Werden wir. Übrigens merkwürdig! würde Dich gestern abend gebeten haben, mich den Herrschaften vorzustellen. Nur daß die Beiden mich verschleppten und mir keine Zeit dazu ließen. Der Alte – anerkannte Finanzgröße; die beiden Mädels – allerhand Achtung! Die Herren Brüder – na, die nimmt man eben mit in den Kauf.

Sie sind mein Genre auch nicht. Übrigens ist der eine Reserveoffizier.

Weiß ich – irgendwo in einem Provinzregiment. Macht die Sache in meinen Augen nicht besser, eher das Gegenteil. Begreife übrigens sehr, daß Rentlow gleich mit eingesprungen ist. So ein Goldfisch könnte ihm passen! Bei dem Hunger!

Rentlow? Ich denke, er ist ein reicher Mann?

Gewesen, mon cher! Mehr Schulden, als Haare auf den Zähnen, obgleich das bei seinem dicken Schnurrbart etwas sagen will. Wenn da nicht bald Sukkurs kommt, fliegt er so gewiß, wie ich hier sitze. Übrigens nicht der einzige. Kann Dir sagen: bis auf fünf oder sechs alle ausgepumpt.

Auch Leßberg?

Der kanns aushalten. Hinter dem steht, wenn sein alter kinderloser Onkel stirbt, das kolossale Majorat. Und ob er trotzdem zu rechnen weiß! Keiner hat so viele Verhältnisse, und keinem kosten sie so wenig. Ein Finanzgenie, sage ich Dir. Dabei einen Turkel – als ob die Karten verhext wären, wenn er die Bank hält – jede schlägt für ihn. Jede! Es ist rein zum –

Falko brach kurz ab, warf die ausgegangene Zigarre in den Aschbecher, schweigsam vor sich hinbrütend, hin und wieder zu Wilfried hinüberblinzelnd, der angefangen hatte, die Hände hinter dem Rücken, in dem Zimmer langsam auf und abzugehen. Was half das? Um zwölf sollten die Leute mit der dritten Garnitur auf dem Kasernenhof antreten. Ohne Droschke ging es schon nicht mehr, und platzen mußte die Bombe doch.

Du, Wilfried –

Wilfried war stehen geblieben und blickte ihn fragend an.

85 Du hast mir zu morgen mittag zweitausend Mark zugesagt –

Und Du möchtest sie heute schon haben?

Gar nicht. Nur wenn – na, alter Kerl, hast mich ja schon so oft aus der Patsche gezogen, wirst mich diesmal nicht drin sitzen lassen. Die Sache ist: komme mit den zweitausend nicht aus; habe heute nacht wieder siebenhundert verloren – an Leßberg. Wenn's ein anderer wäre! Aber gerade er! Nicht daß er mich drängte – gar nicht! Im Gegenteil! Berappen Sie, Falkenburg, ganz à votre aise! Redensart! Und dann, Wilfried, er ist mein Premier. Da kommt man dann leicht in eine schiefe Stellung, wenn in den außerdienstlichen Verhältnissen nicht alles klipp und klar ist. Übrigens auch Ebbas wegen.

Ebbas?

Sie sagte mir einmal: sei aller Welt etwas schuldig, nur nicht Leßberg.

Was kann sie damit gemeint haben?

Es war, als Eure Verlobung publiziert war und Leßberg die Taktlosigkeit hatte, plötzlich nicht mehr zu uns zu kommen.

Wilfried hatte wieder sein Hin- und Hergehen begonnen; seine Miene, die während der ganzen Unterredung nichts von ihrem gewöhnlichen freundlich-höflichen Wohlwollen gezeigt, schien noch düsterer geworden. Falko gab die Sache verloren. Er war empört. Lumpige siebenhundert Mark! Und wenn einer so in der Patsche und der andere so in der Wolle saß!

Also denn nicht, sagte er aufstehend, seinen Säbel, den er nicht abgelegt hatte, zurechtrückend und nach der Mütze vor ihm auf dem Tisch greifend.

Du kannst für morgen auf das Geld rechnen.

Bitte! ich nehme nur von Leuten, die keine saure Miene dazu machen.

Kehre Dich nicht an meine Miene! Die hat andere Ursachen.

86 Na, weil Du es bist! Also morgen um zwölf. Und mit den Bielefelders bleibt es bei der Verabredung. Apropos, wirst Du auch antreten?

Ich hatte die Absicht.

Desto besser. Noch eins: muß man sich bei der Frau Kommerzienrat vorstellen?

Laß dich nur bei den Damen melden. Sie werden Dir dann schon sagen, daß die Mutter niemand empfängt.

Aber doch Dich?

Das ist etwas anderes.

Na, also: Adieu! Ich muß machen, daß ich in die Kaserne komme. Sehen wir uns heute abend?

Nein. Ich muß zu Tante Adele.

Bitte um meine gehorsamste Empfehlung. Auf morgen au revoir. Adieu! adieu!

Falko war eilends zum Zimmer hinaus. Wilfried klingelte nach Zunz und hieß ihn, einen Promenadenanzug zurechtzulegen. Wenn nach ihm gefragt werde: er sei in der Stadt.

Wann darf ich den Herrn Grafen zurückerwarten?

Ich weiß es nicht. Vor abend schwerlich.

* * *


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