Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Wilfried war von einer Leidenschaft für die Landwirtschaft ergriffen. Fast den ganzen Tag brachte er, mehrere Pferde müde reitend, in Feld und Forst zu. Auch die Güter, die höher am Harz hinauf und thalwärts, weiter entfernt, in der Goldnen Aue lagen, besuchte er. So blieb er einigemale den ganzen Tag aus. Erschien er dann wieder bei den Mahlzeiten, oder im Salon, der am Abend die Familie vereinigte, hatte er lange Gespräche mit der Schwägerin über die Bewirtschaftung der Güter: anzulegende Drainage hier, Aufforstung da. Bis er sich plötzlich aus einer solchen Diskussion zu Friederike wandte: Möchtest Du mir die Liebe erweisen und die Sonate pathétique spielen, oder etwas von Chopin. Ich muß Musik hören.

Die Freundinnen beobachteten dies Treiben still, voll teilnehmender Sorge.

Die Wunde schmerzt zu sehr; er muß sich betäuben; sagte die Fürstin. Das sieht bänglich aus und ist doch ein gutes Zeichen. Als ein braver Mensch, der er ist, will er sich nicht zu Boden drücken lassen. Er wird es überwinden und dann gesunder sein, als er jemals vorher gewesen.

Friederike blickte trübe darein.

Wenn ich ihn doch nicht schon so lange kennte! Er hat die weichste, liebevollste Seele. Was fängt man mit 462 der an in dieser rauhen Welt? Man hat sie nur, um unglücklich zu sein.

Du solltest es freilich wissen, sagte die Fürstin, hast Du doch selber eine solche Seele. Aber ich habe nie gehört, daß Du Dich unglücklich nanntest. Und ich glaube bestimmt: Du bist es nicht.

Nein, erwiderte Friederike, ich bin es nicht. Aber nur deshalb, weil das Leben mich so früh in seine harte Schule genommen hat. Was ich da etwa nicht verstand, das deutete mir die herrliche Tante Antoinette. Sie kannte die große Lehre der Entsagung tiefer als irgend einer.

Ich wundere mich, daß Wilfried nicht zu ihrer Beerdigung nach Berlin gefahren ist; er stand ihr doch so nahe.

Und ich habe mich gefreut, daß er es nicht that. Er hätte da dieser und jener Begegnung nicht ausweichen können, die ihm gerade jetzt peinlich sein mußte. So wäre er sicher mit Bronowski und der Haida zusammengetroffen, die seit dem letzten großen Gartenfest bei Bielefelders aus und ein gehen. Und die Haida verfolgt Wilfried noch immer mit ihrer Liebe. Sie hat ihm erst vor ein paar Tagen ein Billet geschrieben, worin sie ihm, wie sie sich ausdrückt, zum letztenmale fragt, ob er Krieg oder Frieden mit ihr haben wollte? Er hat ihr nicht geantwortet, trotzdem ich ihn bat, er möge ein paar höflich ausweichende Worte an die tolle Person schreiben, der ich leider jede Schändlichkeit zutrauen muß. Ich weiß von der Wiepkenhagen: sie hält Bronowski nur so fest an ihrer Schleppe, um an ihm ein williges Werkzeug ihrer Rache an Wilfried zu haben, wenn Wilfried sie weiter so verschmähen sollte.

Weißt Du, sagte die Fürstin, nächstens werde ich glauben, Du selbst liebst Wilfried.

Wenn ich hübscher und zehn bis zwölf Jahre jünger wäre – wer weiß! erwiderte Friederike lächelnd.

* * *


 << zurück weiter >>