Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Als Wilfried pünktlich zur festgesetzten Zeit in der Wohnung seiner zukünftigen Schwiegereltern sich einfand, traf er zu seinem Erstaunen die Gesellschaft bereits versammelt; wenigstens schienen die nicht eben großen Empfangsräume mehr Gäste nicht wohl fassen zu können. Ebba kam ihm sofort entgegen. Sie sah in einem knapp anliegenden Kleide von hellem Seidenstoff sehr reizend aus; aber die Freundlichkeit, mit der sie ihn empfing, schien Wilfried stark übertrieben und für eine Gruppe von Offizieren berechnet, aus der sie sich zu ihm gewandt hatte. Auch war ihr erstes Wort ein Vorwurf:

Wie spät Du kommst!

Um halb neun – auf die Minute; wie Du befohlen.

Ich hatte um acht gebeten. Und nicht im Frack!

Mein bevorzugter Gesellschaftsanzug, weißt Du. Und der mir doch hier sehr am Platz scheint.

Gott, es sind ein paar mehr geworden, als wir dachten. Hast Du Mama schon begrüßt?

Nicht wohl möglich. Du hast mich ja eben eintreten sehen.

Na, dann thue es jetzt!

Da die Generalin in diesem Zimmer nicht war, wandte sich Wilfried nach dem zweiten, dem eigentlichen Salon, wo er sie zu finden sicher sein durfte. Während er, sich langsam durch die plaudernden Gruppen schiebend, einen Überblick über die Gesellschaft zu gewinnen suchte, fiel es ihm nicht weiter auf, daß er der einzige Civilist zu sein schien. Daran war er in diesem Hause gewöhnt. Aber unter den Offizieren – fast alle jüngere und ganz junge 187 Männer – bemerkte er mehrere, die er hier zuvor nie gesehen; dann einige, die sich in letzter Zeit sehr selten hatten blicken lassen, wie Baron Rentlow, und zu seinem Erstaunen den Major von Bronowski, von dem er zu wissen glaubte, daß er seit der Breslauer Zeit mit der Familie durchaus zerfallen sei. Beide Herren begrüßten ihn, der Baron voll Dank für die Introduktion bei den Bielefelders, die ihn außerordentlich liebenswürdig aufgenommen hätten; der Major, mit polnischer Verbindlichkeit sich ausnehmend freuend, »dem Herrn Grafen so bald wieder zu begegnen und, Gott sei Dank, auf einem neutralen Boden!« Wilfried meinte, daß der Major sich diese Anspielung auf den gestrigen ominösen Abend hätte sparen können; doch antwortete er freundlich. Aber ein lebhafter Unwille überkam ihn, als er, bis zum Salon vorgedrungen, Ebbas Mutter in, wie es schien, höchst eifrigem Gespräch mit Graf Leßberg traf. Daß er dem ihm gründlich fatalen Menschen an dritten Orten, wie vorgestern im Palasthotel, gestern im Hippodrom begegnete, ließ sich nicht vermeiden; doch war er froh gewesen, als der Herr seine früher häufigen Besuche hier im Hause seit dem Tage seiner offiziellen Verlobung mit Ebba erst einschränkte, dann gänzlich einstellte, und er hatte Ebba und ihren Eltern gegenüber daraus kein Hehl gemacht. Wie zum Teufel erschien denn der Mann plötzlich wieder auf der Bildfläche?

Während er noch zögerte, an die beiden heranzutreten, die ihn augenscheinlich in der Lebhaftigkeit ihrer Unterhaltung nicht bemerkten, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Es war der General, auch er ausnahmsweise in Uniform, das Eiserne und das Johanniter-Kreuz auf der Brust.

Na, ich dachte schon, Du würdest gar nicht antreten.

Es klang nicht eben freundlich. Wilfried, dem die Stimmung ohnedies verdorben war, erwiderte kühl:

Mir will scheinen, als habe man das hier gehofft.

188 Wieso denn?

Ich finde heute abend Leute, von denen man bei Euch sehr wohl weiß, daß ich ihnen nicht gern begegne.

Und er machte eine deutende Bewegung nach Graf Leßberg hin.

Ja so! Na, da mußt Du Dich mit den Weibern auseinandersetzen. Die Einladungen sind ein für allemal ihr Ressort. Übrigens begreife ich Dich nicht: Leßberg ist ein höchst charmanter Mann, schneidiger Offizier, vollkommener Kavalier. Wenn Du erst Deinen eignen Haushalt hast, kannst Du Dir ja Deine Gesellschaft nach Deinem Gusto wählen.

Danke gehorsamst für gütige Belehrung.

Wilfried hatte es, sich verbeugend, mit offener Ironie gesagt; seine Geduld war zu Ende. Der General warf aus den zwinkernden, stark geröteten kleinen Augen einen bösen Blick auf ihn, erwiderte aber nichts und machte eine halbe Wendung zu einer Gruppe älterer Offiziere.

Als Wilfried sich nun ebenfalls wandte, war die Unterredung zwischen dem Grafen und der Generalin gerade zu Ende. Der Graf zeigte ein äußerst vergnügtes Gesicht, von dem aber das Lächeln plötzlich schwand, als er Wilfrieds, an dem er eilig vorüberwollte, ansichtig wurde. Doch hatte ihn seine weltmännische Sicherstelligkeit nur für einen Moment verlassen. Im nächsten war er auf ihn zugetreten, um ihm mit ausgesuchter Höflichkeit guten Abend zu sagen und sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Er habe vergebens gehofft, den Herrschaften heute wieder im Hippodrom zu begegnen. Es sei schauderhaft heiß gewesen. Verzeihen Sie, Graf! Ich sehe da den Major von Bronowski, dem ich eine interessante Mitteilung zu machen habe.

Die Generalin hatte sich inzwischen zu einer andern Dame auf das Sofa gesetzt, abermals in so intimer Konversation, daß sie Wilfrieds Verbeugung aus der Entfernung nur mit einem flüchtigen Wehen der Hand und dem obligaten, noch dazu sehr gezierten Lächeln erwidern konnte.

189 Der Teufel soll mich holen, wenn ich hier länger bleibe, murmelte Wilfried in sich hinein.

Als er, jedes Aufsehen vermeidend, sich vorsichtig nach der Ausgangsthür bewegte, kam ihm Falko entgegen.

Du willst doch nicht gar fort?

Es ist allerdings meine Absicht.

Aber warum denn?

Ich finde die Aufnahme, die mir hier zu teil wird, nicht nach meinem Geschmack.

Ach, das bildest Du Dir nur so ein. Ich weiß, daß Ebba sich riesig auf Dein Kommen gefreut hat. Sie hat sogar noch eine besondere Überraschung für Dich in petto. Da kommt sie mitsamt ihrer Überraschung! Na, ich will nicht das Wiedersehen trüben.

Hier bringe ich Dir jemand, den ich Dir nicht vorzustellen brauche, sagte Ebba, Wilfried die Dame, die sie an der Hand hielt, zuführend. Du siehst, mon cher: on revient toujours –

Sie sind abscheulich, rief Frau von Haida, Ebba mit dem Fächer schlagend. Machen Sie, daß Sie fortkommen.

Fällt mir ja gar nicht ein, die Herrschaften stören zu wollen! A propos: Wilfried: Du wirst die Ehre haben, die gnädige Frau zu Tisch zu führen. Es wird gleich so weit sein. Hernach soll noch ein wenig gehüpft werden.

Frau von Haida hatte Wilfried die schmale Hand gereicht und sagte mit der sanften Stimme und dem verträumten Augenaufschlag von ehemals:

Sie hat recht: on revient toujours, wenn auch die revenants und nun gar die revenantes nicht immer willkommen sind.

Sollte das wohl auf unsern Fall passen, gnädige Frau?

Sie waren immer der höflichste Mensch von der Welt. Schade nur, daß die Höflichkeit so billig ist.

Doch nur für den, der mit ihr geboren ist.

Wie Sie.

190 Wie jeder Gentleman. Oder er wäre keiner. Erlernen läßt sich die Höflichkeit, wenigstens die wahre, nicht.

Den alten Gordon hör' ich wieder sprechen. Will sagen: den Mann, dessen sinnvolle Rede mir immer klang wie eine Menschenstimme – die einzige unter schwatzenden Staaren.

Wenn wir so fortfahren, gnädige Frau, können wir – besonders in Anbetracht, daß wir Tischnachbarn sein werden – bis zum Schluß des Abends einen langen Faden extrafeiner Seide spinnen.

Ich habe noch viel auf der Spule. Bei Euch Männern pflegt der Faden allerdings früher zu reißen.

Das wird ja dann ein edler Wettstreit werden.

Auf den ich mich unendlich freue.

Seit wann sind Sie in Berlin, gnädige Frau?

Seit vierzehn Tagen; aber erst seit drei sichtbar: mein Kleiderkoffer war unterwegs verloren gegangen und hat sich erst jetzt wiedergefunden. Nun muß ich zu Ihrer Schwiegermama. Also, auf Wiedersehen!

Frau von Haida wandte sich nach der Sofaregion; Wilfried zog sich in die tiefe Fensternische zurück, wo er vor der Hand ungestört zu bleiben hoffen durfte.

Dies war wirklich ein Abend der Überraschungen. Ob er das plötzliche Auftauchen der reizenden Frau zu den angenehmen oder den unerfreulichen zählen sollte, wollte ihm nicht recht klar werden. Sie war womöglich noch anmutiger als vor vier Jahren in Breslau; und er mußte sich erinnern, welche Anziehungskraft das gefeierte Mädchen auf ihn geübt, wie gern er sich mit der Lebhaften, Geistvollen unterhalten, wie er einer ihrer eifrigsten Tänzer gewesen war. In diesem nur noch von dem Einen: Hauptmann von Bronowski übertroffen. Also darum war der heute abend hier! Nun die Nebenbuhlerschaft, die man ihnen beiden damals nachgesagt hatte, würde heute nicht wiederkehren. Und er für sein Teil hatte es ja dann auch recht ruhig ertragen, als Marie von Erlbach Frau von 191 Haida wurde. Bronowski hatte, nachdem sie so schnell Witwe geworden, jetzt wieder die schönsten Chancen. Da war es doch aber wunderlich, daß man ihr nicht den Major zum Tischnachbarn gegeben. Und wie war die Einladung an ihn, der hier nie verkehrt, möglich gewesen, wenn man gestern noch nicht gewußt hatte, daß man heute eine Gesellschaft haben würde? Hier ging entschieden Verschiedenes nicht mit rechten Dingen zu.

Er beschloß, sich darüber den Kopf nicht zu zerbrechen. Dies ganze Treiben erschien ihm so unsäglich hohl und nichtig. Nur für Frau von Haida empfand er doch eine Art von Interesse – Reminiscenz einer Zeit wohl, sprach er bei sich, wo Du so viel jünger warst und unbefangener in das Leben blicktest.

Johann schob die Flügelthür zum Speisezimmer auf, während Falko's laute Stimme nebenan und dann gleich auch im Salon die Herren ersuchte, ihre Damen zu Tisch zu führen.

* * *


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