Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Wieder empfing ihn die Einsamkeit, aber sie hatte für ihn ihren Zauber verloren; die ambrosische Schönheit des Morgens war dahin. Die Welt, vor der er floh, hatte sie ihn doch nach ein paar Stunden wieder eingeholt, ihn mit krähenden Stimmen aus seinem holden Traum geschreckt, ihm eine höhnisch widerwärtige Fratze geschnitten! Ein Gutes war dabei: sie hatte den Handschuh, den er ihr hingeworfen, schleunigst und mit Begierde aufgenommen. Wie die Gesellschaft gestern abend nicht improvisiert gewesen war, sondern zweifellos bereits seit Tagen vorbereitet, so hatte man diesen gemeinschaftlichen Ausflug gestern abend, nachdem er fort war, verabredet und die frühe Stunde gewählt, ihm zuvorgekommen zu sein, wenn er zur gewohnten Stunde sich in dem Reitinstitut einfand. Er wunderte sich, wie sich die Sache wohl gestaltet hätte, wäre er ein paar Minuten später – es konnte sich nur um Minuten gehandelt haben – mit den Herrschaften dort zusammengetroffen. Und wie trefflich man die Partie arrangiert hatte: Ebba mit dem alt-neuen Liebhaber, Frau von Haida 207 mit ihrem neu-alten Anbeter; dazu zwei junge Leute sans conséquence als Gefolge! Zwei Freundinnen, zwei Freunde einander würdig! Die schlangenkluge, um vier oder fünf Jahre ältere Dame, welche Lehrmeisterin für einen so gelehrigen Zögling! Der Halbpole, der alle Sprachen sprach, alles kannte: Philosophie, Litteratur, Kriegswissenschaft – was man nur immer von ihm verlangte – welch' buon camerado des Roué, von dem man sich in gewissen intimen Kreisen lachend erzählte: wenn ihm an den sieben Todsünden noch eine und die andre fehlen sollte, so sei er jeden Augenblick bereit, das Versäumte nachzuholen!

Und diese wurmstichige Gesellschaft war die seine gewesen bis in die letzten Tage, bis zu dem, der sein Tag von Damaskus war!

Würde er ein streitbarer Kämpfer für seinen neuen Glauben sein?

Denn Streit und Kampf würde es geben – das war gewiß. Der zweite Akt der Komödie würde nicht ganz lustig ausfallen, hatte gestern abend Frau von Haida gesagt. Was sie dazu thun konnte, würde sicherlich geschehen; der vergiftete Pfeil des Hohngedichtes auf »die Komtesse« war gewiß nicht der letzte in ihrem Köcher. Und den Polen würde sie zu ihren Diensten zu verpflichten wissen! Er, nicht der Einzige! Auf der ganzen geschlossenen Linie würde der Kampf gegen ihn entbrennen –

Und gegen eine Welt in Waffen will ich's durchsetzen!

Wotan hatte heute den Aufruhr in der Seele seines Herrn zu büßen. Auch seine still gehegte Hoffnung, es werde an dem ihm wohlbekannten Wirtshaus am See Station gemacht werden, und er sich auf dem Hofe verschnaufen dürfen unter den andern ruhebedürftigen Kameraden, erwies sich als hinfällig. Sein Reiter trieb ihn an dem Hause, nach dem er sehnsuchtsvolle Blicke warf, vorüber und ließ ihm keine Ruhe, bis der willkommene Stall erreicht war.

Wilfried entging nochmaligen unbequemen Fragen des 208 Stallmeisters, der seine Frühstückspause hatte. Er bat den Reitknecht, für den heute etwas strapazierten Gaul die nötige Sorge zu tragen, und fuhr in einer Droschke nach seiner Wohnung.

* * *

Eben hatte er sich umgekleidet und war in sein Arbeitszimmer gegangen, als Zunz Falko meldete. Wie unerfreulich der Besuch für Wilfried war, er hatte ihn erwartet.

Und auch die Miene erwartet, mit der sein Vetter nun eintrat: eine, in der bittere Verlegenheit durch die zur Schau getragene alte sorglose Jovialität peinlich hindurchblickte.

Was er nun, die ihm angebotene Cigarre dampfend, unruhig sich in dem Fauteuil hin- und herbewegend, den Säbel bald auf diese, bald auf jene Seite rückend, in sich überhastender, verworrener Rede vorbrachte, entsprach völlig jenem Ausdruck, der sein hübsches Gesicht förmlich entstellte.

Wie denn Wilfried so schrecklich Beleidigendes an dem gestrigen Abend habe finden können? Er habe auf Ehre von der ganzen Bescherung keine blasse Ahnung gehabt, obgleich er nachträglich zugeben müsse, daß die Einladungen, wenigstens zum Teil, vorher ergangen seien. Einige, zum Beispiel Leßberg, seien erst im letzten Augenblick nachgeladen worden – das wisse er sicher. Es habe sich anfangs nur darum gehandelt, Bronowski eine Zusammenkunft mit Frau von Haida zu verschaffen, um welche er oder sie, oder beide Ebba in den Ohren gelegen hätten. Daß Wilfried Leßberg vorfinden mußte, sei ihm selbst äußerst fatal gewesen, und er habe Ebba und der Mama daraus kein Hehl gemacht. Von dem abermaligen Hinausschieben der Hochzeit habe er nicht ein Sterbenswort gewußt; erst gestern abend, als die andern schon fort waren, davon erfahren. Ebenso von der Visite, die Frau von 209 Wiepkenhagen der Mama am Nachmittage gemacht; und daß die alte Drachin über Wilfrieds plötzliches Zerwürfnis mit Tante Adele allerhand ominöse Klatschereien zum besten gegeben. Und wenn zwischen diesem Cancan und der neuesten Schwenkung der Mama und des Papa in der Hochzeitsfrage ein Zusammenhang bestehe – den er für sein Teil in Abrede stelle – na! das müsse Wilfried doch zugeben: ein Schreckschuß sei es immerhin gewesen; die Möglichkeit, daß Tante Adeles Ungnade für Wilfried auch materielle Folgen habe, müsse doch in Betracht gezogen werden, zumal von der Mama, die ihr Leben lang unter der ewigen Geldklemme und Papas unaufhörlichem Gestöhne über die »Finanzen« genug gelitten. Ebba ihrerseits – lieber Himmel, sie könne doch, wie sie nun einmal sei, nur einen sehr reichen Mann heiraten. Das gebe Wilfried selbst ja zu – müsse er zugeben. Deshalb nun, wie er vorhin erfahren, als er bei den Eltern einen Augenblick vorgesprochen, stante pede einen Brief zu schreiben – er wisse nicht, was Wilfried geschrieben – man habe ihm den Brief nicht zeigen wollen, aber die beiden Alten hätten rote Köpfe gehabt – was denn in dem Briefe gestanden habe?

Wilfried hatte gestern abend von den wenigen Zeilen eine Abschrift genommen, die er jetzt aus seinem Portefeuille nahm und Falko schweigend hinreichte.

Falko las, und die Hand, in der er das Blatt hielt, bebte sichtbar.

Das ist stark, murmelte er, ohne aufzublicken; Du läßt Ebba effektiv schießen?

Der Ausdruck ist wohl nicht völlig sachgemäß, sagte Wilfried, ihm das Blatt aus der Hand nehmend und in das Portefeuille zurücklegend; ich habe Ebba nicht, sie hat mich aufgegeben, in einer Weise, die nicht mißzuverstehen war; die nur ein Mann ohne Ehre nicht zu verstehen sich die Miene geben kann.

Er trat wieder an Falko heran, der jetzt zur 210 Abwechslung den Säbel zwischen die Kniee genommen hatte und an dem Portepee nestelte.

Falko!

Falko hob für einen Moment die unsichern Augen.

Sieh, lieber Junge, wie es auch in Deinem Kopf wühlen mag, im Herzen mußt Du mir recht geben. Wäre es nicht so, Du wärst, anstatt sitzen zu bleiben, aufgefahren, hättest mir ein wildes Wort zugeschleudert, und mir in einer Stunde Deine Zeugen geschickt. Ist es anders?

Na ja, na ja! murmelte Falko. Kann's nicht leugnen, daß gestern abend – Leßberg, den Du nun mal nicht ausstehen kannst – mit ihm zu Tisch zu gehen – Dir die Haida zu geben, die mir nachher erklärte: Ebba sei wohl nicht recht gescheit: zwischen Euch bestände schon seit Breslau Todfeindschaft – hernach Mama mit der unmotiviert hinausgeschobenen Hochzeit, nachdem Ebba noch am Sonntag that, als ob sie nicht früh genug unter die Haube kommen könne – na ja, na ja! – Und, wenn man ehrlich sein will, – das heißt: früher dacht ich anders – war da noch ein bißchen sehr jung – jetzt – Ihr paßt eigentlich wirklich nicht zusammen. Habe Euch ja beide lieb – auf Ehre: sehr lieb, aber passen – nein, passen thut Ihr nicht zusammen.

Jetzt sagst Du es selbst.

Na ja, na ja! Aber die arme Ebba! Sie war ja schon fort, als Dein Brief an den Papa gekommen ist – man hatte sich gestern abend verabredet – Ebba und Frau von Haida und –

Ich weiß: für den Grunewald. Ich habe die Gesellschaft gesehen –

Auch gesprochen?

Ich konnte es vermeiden.

War auch am Ende besser. Eine heillose Affaire! Du wirst nun wohl gar nicht mehr zu uns kommen?

Ich dächte, das verböte sich unter diesen Umständen von selbst.

211 Na ja, na ja! Aber wir beide – was soll denn aus uns werden?

Es wird ganz bei Dir stehen.

Mein Gott, ich bin Dir in diesen drei letzten Jahren so viel schuldig geworden, alles à conto – das heißt: als Ebbas zukünftigem Mann, als meinem Schwager – aber jetzt, jetzt – und wenn nun gar die alte Unke von Wiepkenhagen recht hat, daß Tante Adele Dich enterben will –

Ich denke, ganz so schlimm wird es nicht kommen. Keinesfalls laß das Deine Sorge sein.

Das sagst Du so. Teufel auch! Bei seinem reichen Schwager, da wagt man schon einen Finanzcoup. Aber wenn Du einmal selber nichts hättest – und ich, der ich nie was habe –

Falko brach jäh ab. Offenbar überwältigt von der Trostlosigkeit einer solchen Perspektive, blickte er, den Säbel unbewegt zwischen den Knieen haltend, starr vor sich hin. Wilfried mußte lächeln, den flotten Lieutenant so geknickt zu sehen: das war nun das moralische Rückgrat dieser Leute, die sich einredeten, die unzerbrechliche Stütze von Thron und Altar zu sein!

In dem Augenblick kam Zunz herein, Wilfried eine Visitenkarte überbringend und ein paar Worte dazu flüsternd, auf welche dieser leise etwas erwiderte und sich dann zu Falko wandte:

Entschuldige, es läßt sich da eben ein Besuch melden, den ich annehmen muß.

Bitte um Verzeihung! Verdufte sofort! rief Falko aufspringend. Was ich noch fragen wollte: wir sehen uns doch morgen bei Bielefelders?

Es ist gut, daß Du mich daran erinnerst. Ich habe, so wie so, sträflich lange Frau Bielefelder nicht gesehen.

Denke, die kommt nicht in die Gesellschaft?

Nein. Aber wenn ich dort zur Gesellschaft bin, pflege ich sie in ihren Gemächern aufzusuchen.

212 Na ja! alte Freundin von Tante Adele – ich weiß! Freifräulein von Kesselbrook – jetzige Frau Kommerzienrat Bielefelder – schnurrige Kombination das! Also auf Wiedersehen morgen! Bin ungeheuer neugierig, wie wir vom Re'ment da abschneiden. Großartiger Spaß!

Von der melancholischen Stimmung, die ihn eben noch so arg bedrückt hatte, keine Spur auf seinem lachenden Gesichte, als er nun, nachdem er Wilfried in kordialster Weise die Hand geschüttelt, zum Zimmer hinauseilte.

Einen Tropfen seiner Leichtlebigkeit! murmelte Wilfried, sich in das Empfangszimmer begebend, wo ihn Frau Doktor Brandt erwartete.

* * *


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