Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Wilfried und Falko standen vor dem Hause auf dem Trottoir der Königgrätzer-Straße.

Wohin nun? sagte Falko.

Nach Hause, denke ich.

Paßt mir wenig. Habe einen formidablen Hunger und entsprechenden Durst. Palasthotel – wie? Ist eigentlich nicht mein Fall. Aber weil wir es so nah haben –

Meinetwegen.

Sie gingen das nur noch kurze Ende der Straße hinab, an dem Potsdamer Bahnhof vorüber, wanden sich durch die Droschken und Pferdebahnwagen, die den Platz nach allen Richtungen durchquerten, und das Gewimmel der Fußgänger, welche in dieser Sonntagabendstunde von ihren Spaziergängen und Ausflügen zurückkehrten.

Ein vierschrötiger Bürger, der seine korpulente Ehehälfte am Arm schleppte, rannte Falko derb an.

9 Pardon! rief Falko, während das Paar, ohne davon Notiz zu nehmen, seinen Weg fortsetzte.

Wie findest Du das? rief Falko. Der Kerl rempelt mich; ich sage: Pardon! und der Lümmel thut, als wäre ich Luft! Eine reizende Gesellschaft!

Durch Höflichkeit haben sich die Berliner nie ausgezeichnet. Nimm Dich in acht!

Eine Droschke hätte Falko, der dem unhöflichen Biedermann wütend nachblickte, beinah überfahren.

Esel! zischte er durch die Zähne. Man ist bei Gott seines Lebens nicht sicher vor der verdammten Krapüle.

So laß uns machen, daß wir in Sicherheit kommen!

Sie betraten das Hotel; dienstfertige Piccoli in braunen Jacken mit vergoldeten Knöpfen bekomplimentierten sie nach dem Speisesaal, der ungewöhnlich stark besucht war. Nur daß sie eben noch in der äußersten Ecke einen leeren Tisch fanden.

Laß mich das Menu machen! sagte Falko.

Gern. Aber bitte, für mich nur eine Kleinigkeit.

Fehlt Dir etwas?

Daß ich nicht wüßte.

Da bist Du besser dran als ich. Mir fehlen rund zweitausend M. Kannst Du sie mir geben?

Bis wann?

Sagen wir bis übermorgen mittag. Auf Ehre, Wilfried, es ist das letzte Mal, daß ich Dich anpumpe.

Damit hat es nichts auf sich. Es ist nur –

Wilfried brach ab und starrte vor sich hin. Es kam ihm mehr als ungelegen. Er hatte von dem Kredit, den ihm Tante Adele bei Bielefelder offen hielt, gerade in letzter Zeit ungewöhnlich starken Gebrauch gemacht. Der Kassierer würde keinen Augenblick Anstand nehmen, gewiß nicht. Aber der schweigsame junge Mann hatte einen so durchdringenden Blick in den schwarzen Augen unter den immer gesenkten Wimpern, und erst vorgestern hatte er diesen Blick auszuhalten gehabt –

10 Paßt Dir nicht, sagte Falko. Na, dann muß eben ein anderer bluten.

So ist es nicht gemeint, Falko. Ich kann Dir die zweitausend geben. Willst Du sie von mir abholen?

Übermorgen zwölf Uhr?

Ja.

Na, ich danke Dir, alter Kerl. Das war Hilfe in der Not. Und darauf wollen wir eine Pulle trinken. Auf Dein Wohl!

Falko schenkte aus der Flasche, die der Kellner eben neben ihm in ihrem Eiskübel aufgestellt hatte, die Gläser voll; leerte, Wilfried zunickend, das seine in einem Zuge und füllte es sofort wieder. Die üble Laune, die er aus dem Elternhause mitgebracht und die ihn bis zu diesem Moment sichtlich geplagt hatte, war urplötzlich verschwunden. Sein hübsches Gesicht lachte, seine braunen Augen blitzten. Er richtete sich straff in den Hüften auf, zog die kurzen Schöße seines Ulanenrocks mit einem gleichmäßigen Ruck herunter und spitzte mit einer humoristischen Grimasse, die ihm allerliebst stand, die Lippen, als wollte er sagen: Jetzt pfeife ich wieder auf die ganze Welt.

Der Kellner hatte den Fisch serviert: Steinbutt mit holländischer Sauce, die Falko großartig fand.

Überhaupt ein famoser Abend, sagte er – aber so nimm doch noch ein Stückchen – ich bekomme hernach noch filets mignons – setzt kann ich es ja sagen: ich war in einer niederträchtigen Klemme. Der verdammte Manichäer – nomina sunt odiosa, heißt es ja wohl? – hatte schon zweimal prolongiert. Drohte, es dem Oberst zu melden, der mich so wie so etwas auf dem Strich hat; überhaupt, seitdem die Brigade auf sich warten läßt, ganz untraitabel ist – wir klagen alle über ihn. ›Ich will keine Schuldenmacher im Re'ment.‹ Lächerlich, als ob er nie in seinem Leben Wechsel geritten hätte! Er hätte es, weiß der Deibel, diesmal zum Eklat gebracht. Und was dann? Stallmeister in einer Manège? oder Versicherungsagent? Aber sprechen 11 wir nicht mehr davon! Wollte auch eigentlich von ganz was anderm reden. Das ist ja prachtvoll, daß ihr nun endlich Ernst machen wollt. Hätt's in Deiner Stelle längst gethan. Sie ist ein zu entzückendes Mädel. Wäre ich nicht ihr Bruder, ich heiratete sie vom Fleck weg – bei Gott! Ebba for ever!

Er trank Wilfried zu, der ihm Bescheid that. Über Falkos Gesicht huschte, während er die Gläser wieder füllte, der Schatten einer Unmutswolke. Wilfrieds Erwiderung war ihm so kühl erschienen, daß er im Grunde Lust hatte, sich beleidigt zu fühlen. Aber in Anbetracht – und überhaupt –

Er that einen tüchtigen Schluck, den Ärger hinunterzuspülen. Es gelang ihm nicht ganz; er mußte ihn sich wegreden.

Weißt Du, Wilfried, ich war Dir eben ein wenig böse: Du machtest eine so verzweifelt ernsthafte Miene, machst sie sogar noch. Na, wenn ich es mir recht überlege: nach allen Seiten spaßhaft ist der Gedanke, Ebba zur Frau zu haben, gerade nicht. Sie ist das schneidigste Mädel, das wir zur Zeit in Berlin haben. Darüber kann gar keine Frage sein: alle Welt ist darüber einig. Nur sie macht verdammt große Ansprüche. Bitte mich nicht mißzuverstehen! Als Mann – na, da stehst Du Deinen Mann – nettes Wortspiel, was? – aber sie ist so verwöhnt! Wir haben sie so verwöhnt – Papa, Mama, ich, – jeder, der zu uns ins Haus kommt. Und der vergangene Winter – die Leute waren ja rein aus dem Häuschen. Auf den Hofbällen – Du hast Dich immer drum herumgedrückt – hättest das nur sehen sollen – rein lachhaft, sage ich Dir. Wenn ihr das ein bißchen in den hübschen Kopf gestiegen ist – ein Wunder wär's nicht. Meinst Du nicht?

Gewiß wär's kein Wunder. Indessen –

Weiß, was Du sagen willst: so was giebt sich; aber der Übergang –

Ich hoffe, ihn Ebba nicht allzuschwer zu machen.

12 Nun kommen wir zusammen – bis an die Gurten – Du sagtest – oder war es Ebba? – gleichviel – Du habest mit der Tante gesprochen. Na, Wilfried, ich möchte nicht indiskret sein – es ist nur in Euerm beiderseitigen Interesse – Deinem und Ebbas, meine ich – wird sie denn gehörig –

Und Falko rieb, den linken Mundwinkel etwas herabziehend, Daumen und Zeigefinger der rechten Hand ein paarmal übereinander.

Ich kann darüber beim besten Willen etwas Bestimmtes nicht sagen, erwiderte Wilfried. So viel ist sicher: sie ist damit einverstanden, daß ich mir ein Gut kaufe. Richtiger: daß sie mir eins kauft.

Wird dem Verkäufer gleichgiltig sein. Mir auch. Totalement. Na, alter Sohn, was willst Du mehr? Können die Alten, kann Ebba mehr wollen? Im Sommer auf dem Lande – irgend wo es schön ist – Herrenhaus, stattlich natürlich, mit ein paar Communs – was sich immer besonders feudal macht – englischer Park – famose Jagd – auf die ich mich schon teufelsmäßig freue. Und dann den Winter hier in Berlin – natürlich. Für Reisen bin ich nicht – finde diese Natursimpelei lächerlich. Paris – London – freilich – dazu gebe ich meinen Segen.

Wie ernst Wilfried auch zu Sinnen war, die so naiv überschäumende Lebenslust Falkos machte ihn lächeln.

Ich wollte, ich könnte Ebba ein Leben bieten, wie Du es für sie planst, sagte er; und mit einigen wenigen Amendements würde ich es auch für mich acceptieren. Aber ›Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raume stoßen sich die Sachen‹, sagt ein gewisser Schiller. Ich fürchte, von Deiner prächtigen Zukunftsmusik werden nur ein paar bescheidene Takte stehen bleiben.

Gar nicht daran zu denken! rief Falko. Weshalb denn? Tante Adele ist notorisch mehrfache Millionärin, Deiner Mutter Schwester, hat nicht Kind noch Kegel; Du bist ihr nächster einziger Verwandter und von jeher ihr enfant gâté. 13 Ob Du die Bescherung nach ihrem Tode auf einmal hast, oder sie jetzt schon mit einem anständigen Teil herausrückt – das ist doch schließlich Hose wie Jacke!

Ich denke, wir zerbrechen uns nicht weiter den Kopf darüber, sagte Wilfried, sich eine frische Cigarre anzündend.

Hast Du noch eine? Danke! Hm! Die kann man unter Brüdern rauchen.

Falko hatte sich in den Stuhl zurückgelehnt; beide rauchten eine Minute schweigend. Wilfrieds letzte Worte und der Ton, in welchem er sie gesprochen, hatten Falko gegen seine Gewohnheit nachdenklich gestimmt. Seine Schwester, seine Ebba, die ihm die Krone aller Mädchen und Weiber war, in einer Situation, die ihrer unwürdig – einer mesquinen, beinahe bürgerlichen – ihm wurde trotz des trefflichen Sekts und der famosen Cigarre ganz weh ums Herz.

Na ja! brummte er vor sich hin; na ja!

Wie meinst Du?

Falko richtete sich wieder auf und sagte, leiser und eindringlicher als zuvor sprechend: Sieh, Wilfried, Du bist ein guter, ein famoser Kerl – das steht bombenfest für mich, für uns alle. Und Du bist ein Philosoph und so weiter, und um Dich bin ich nicht besorgt. Ebba! Gott ja, sie ist auch gut in ihrer Weise; aber mit ihr auszukommen – als Mann, meine ich – das denke ich mir nicht so leicht. Denn siehst Du: bei uns zu Hause – Du kennst das ja: die Mama, na, das geht noch, obgleich sie manchmal eine Art hat, die auch anders als schön ist. Aber der Alte – Gott, er kann einem ja leid thun. Wenn man einen Fürsten zum Vater und anfangs eine so brillante Karriere gemacht hat; und vom Oberst, eigentlich schon vom Major, fängt es an zu hapern, und man kriegt als Generalmajor den blauen Brief, aus dem noch mit Hängen und Würgen die Excellenz herausspringt – na, das ist so 'ne Sache. Und dann nichts hinter sich als die lumpige Pension und die Sandklitsche da bei 14 Treuenbrietzen, von der zwei Drittel immer vor dem Winde unterwegs sind – was ich sagen wollte: das ist denn doch, bei Gott, keine Existenz für ein Mädchen, wie Ebba. Von mir will ich gar nicht sprechen. Na, Wilfried, ich weiß, was Du sagen willst: wenn ich das Jeuen lassen könnte! Aber, nimm's mir nicht übel, das verstehst Du nicht; kannst es nicht verstehen. Ein halbes Jahr Freiwilliger – Sturz mit dem Pferde – rechten Arm verknaxt – Ganzinvalide – Du kannst ja nur einen schwachen Schimmer davon haben. Wie's im Re'ment zugeht – unter uns Offizieren, meine ich. Hab' Dich ja ein und das andere Mal in das Kasino verschleppt – fandest keinen Geschmack daran, trotzdem doch, bei Gott, unter uns Kameraden – ah! sieh da: Leßberg – Rentlow – brauche die Herren nicht miteinander bekannt zu machen – wollt Ihr Euch –

Fürchte zu derangieren, sagte Graf Leßberg.

Finden schon einen andern Platz, meinte Baron Rentlow, sich im Saale umblickend.

Dürfte heute Abend schwer fallen, sagte Falko. Wir rücken ein bißchen zusammen –

Es ist Raum genug, sagte Wilfried höflich.

Sehr gütig, Graf! näselte Graf Leßberg.

Dann man 'rin! schnarrte Baron Rentlow.

* * *


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