Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Sieh' da, unser lieber Major, sagte Tante Adele, dem, der über den dicken Teppich ungehört zu der Gruppe getreten war, gütig die Hand reichend, die dieser ehrfurchtsvoll küßte, um dann die beiden andern Damen mit größerer Vertraulichkeit zu begrüßen.

Sie meinen –

Man kann hier ja nur einen meinen, verehrte Frau, rief der Major, der nun ebenfalls an dem Tische Platz genommen hatte – Fräulein Friederike, wenn Sie noch ein Stück Zucker extra in den Thee thun und Mathis bedeuten wollten, daß er das Cognacfläschchen mit auf den Präsentierteller stellt! – den einen, einzigen, der sich aus dieser Schar von dramatischen Epigonen wie ein Vogel Phönix aufhebt.

Kein Verständiger wird sein enormes Talent bestreiten, sagte Tante Adele. Sie sehen, lieber Major, ich bin konziliant, wie der Meister.

Er wäre der erste gewesen, meinen Freund zu loben und zu preisen. Denn hier hätte er gefunden, was ihm alle Wege das Erste war: eine Natur.

Die ihre Mostperiode nur vielleicht noch nicht ganz überwunden hat.

Da möchte ich gehorsamst widersprechen. Wer, der die Dramen seiner ersten Periode mit den gewaltigen 121 Produktionen seiner jetzigen vergleicht, möchte den ungeheuren Fortschritt verkennen? nicht willig einräumen, daß sich der gärende Most zum klarsten Wein entwickelt hat? Und gerade dieses nimmermüde strebend sich Bemühen, dies rastlose Fortschreiten ist in meinen Augen seine Anwartschaft auf die volle Meisterschaft in seiner Kunst. Nehmen Sie seine Konkurrenten, wenn man das Wort überall auf Leute anwenden darf, die im Wettlauf nicht über das erste Stadium hinausgekommen sind und nie hinauskommen werden. Echteste Epigonen, nur nicht Goethes und Schillers, sondern Ifflands und Kotzebues: immer dieselbe Alltagsmisere auf den Brettern, die doch die Welt bedeuten sollen; immer dieselben Konterfeis von Menschen, denen man schon im Leben aus dem Wege geht.

Die Gesichter der beiden älteren Damen waren, während der Major von Bronowski mit großer Zungenfertigkeit, bei der sein polnisches R immer deutlicher zu schnarren begann, und augenscheinlichem Enthusiasmus so sprach, sichtbar länger geworden, während Friederike auf ihrem Platz hinter dem Theetisch verlegen dreinblickte. Hier regte sich etwas, das einer Revolte, ja einer Revolution unheimlich ähnlich sah. Und derselbe Mann war, als er, damals ein blutjunger Lieutenant auf der Kriegsakademie, in diesen Kreis trat, dem er dann freilich auf Jahre wieder in einem wechselvollen Garnisonleben entschwand, der glühendste Goetheschwärmer gewesen. Ein tief schmerzlicher Gedanke, daß er jetzt zu andern Göttern beten sollte!

Es war Tante Adeles Obliegenheit, in diesem kritischen Moment ein bedeutendes Wort zu sprechen.

Hier nun, sagte sie, die eingetretene ängstliche Pause mit sanfter Stimme abbrechend, erinnern wir uns an des Meisters: »Allein hat nie ein Mensch die Kunst besessen.« Daß in des Vaters Hause viele Wohnungen sind, wer wußte es besser, als er! Dennoch will mir bedenklich erscheinen, sich in diesem Falle so vertrauensvoll auf ihn zu berufen. Oder wüßten wir etwa nicht, wie wenig 122 erfreulich, ja, wie antipathisch ihm Kleists Dramen waren, die jetzt, wie die Ihres wiedererstandenen Shakespeare, lieber Freund, – ich muß es zugeben – das Ohr der Menge haben?

Bis dahin hat es gute Wege, verehrte Frau, erwiderte der Major lächelnd. Mein Dichter kocht eben, wie der Meister auch, »keine breiten Bettelsuppen« und hat infolgedessen auch noch keineswegs »ein groß Publikum«, das er entschieden einmal haben wird. Und was Goethe Kleists Dichtungen ungenießbar machte, das ist für uns doch kein Geheimnis. Konnte er, der in Napoleon nicht die Geißel des Jahrhunderts, sondern dessen größten Genius sah, an dem Dichter Geschmack finden, dessen Muse der glühendste Haß gegen den übermütigen Korsen war?

Hier ist einer, der, anstatt mit Versen, fast noch mit der Waffe in der Hand gegen ihn hätte fechten können, sagte Tante Adele, sich erhebend und dem Greise die Hand reichend, welcher bereits seit einer Minute hinter dem Major gestanden und Tante Adele mit einer Handbewegung gebeten hatte, von seiner Gegenwart vorläufig keine Notiz zu nehmen.

Auch die andern hatten sich erhoben, Excellenz von Frötstedt, den hochverehrten Veteran des Kreises, zu begrüßen. Der muntere alte Herr hatte für jeden ein freundliches Wort, das freundlichste für Friederike von Ülbach, seinen erklärten Liebling. Nun hatte er sich auf dem Sessel zur Rechten Adeles, der immer für ihn frei blieb, niedergelassen und wandte sich zu dieser, schalkhaft mit dem Finger drohend:

Ei, ei, meine verehrte Freundin, ist es nicht ein wenig grausam von Ihnen, der schon mehr als biblischen Länge meines Lebens noch eine so beträchtliche Elle zusetzen zu wollen? O ja, wäre ich damals nur zehn, nur fünf Jahre älter gewesen, mitgelaufen wäre ich schon! Von einem sechsjährigen Knirps kann man das billigerweise nicht verlangen.

123 Excellenz haben ja dann doch noch Gelegenheit gehabt, sich gegen den Erbfeind ruhmreich zu schlagen; sagte der Major mit schmeichlerisch-höflicher Verbeugung.

Danke, danke! erwiderte der alte Herr; es ging noch so eben – mit fünfundsechzig Jahren! Na, unser Moltke und gar unsre hochselige Majestät waren noch ein bißchen älter. Das hielt uns andre stramm.

Tante Adele mußte der Unterhaltung, die in Kriegsgeschichten überzugehen drohte, durchaus eine schickliche Wendung auf das Thema geben, dem diese Abende ausschließlich geweiht sein sollten:

Wie hochbeglückt darf man Sie nennen, verehrter Mann, daß Sie, ein anderer Lynkeus, von so hoher Warte das menschliche Treiben überschauen, den kleinen Ring, der uns andern das Leben begrenzt, unendlich erweiternd. Und nicht wahr, der Türmer spricht es Ihnen aus der Seele:

Ihr glücklichen Augen
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön.

Der alte Herr nickte zustimmend. Friederike, da ihre Dienste eben nicht bedurft wurden, hatte sich ihm gegenüber an den Tisch gesetzt und, die großen blauen Augen schwärmerisch auf ihn heftend, sagte sie mit ihrer leisen weichen Stimme:

Dennoch beneide ich Excellenz nur um eines: daß Sie Goethe gesehen haben.

Eine feierliche Pause entstand. War doch das allen wohlbekannte Faktum der Stolz des ganzen Kreises; fühlten sich doch alle, wenn auch nur indirekt, Teilhaber eines so bedeutenden, fast einzig zu nennenden Glücks. Frau von Wiepkenhagen, Professor Jarnowitz und Doktor Cramer, die eben in den Salon getreten waren, wußten nicht, wie sie es deuten sollten, daß sie von den Freunden nur mit stummen Händedrücken begrüßt wurden. Tante Adele glaubte ihnen eine Erklärung schuldig zu sein:

124 Wundern Sie sich nicht, meine Lieben! Sie kennen das liebliche Wort: es schwebt ein Engel durch das Gemach. Wir sahen soeben durch die Augen unsres Meisters.

Die Hinzugekommenen wußten sofort, wovon die Rede gewesen sein mußte.

Und das fast Wunderbare daran ist, sagte der Professor, Mathis eine Tasse von dem Präsentierbrett nehmend, daß unserm würdigen Nestor die Flucht der Jahre die klarste Erinnerung an den herrlichen Moment nicht hat verwischen können.

Der Tausend, sagte der alte Herr eifrig; das wäre auch schlimm. Mit achtzehn Jahren hat man scharfe Augen. Und eine volle halbe Stunde, bedenken Sie, was das heißen will, während er im Gespräch mit den höchsten Herrschaften sich nicht vom Fleck rührte und ich, der ihn aus dem Nebenzimmer, nicht zehn Schritte von ihm entfernt, beobachten durfte, mich wahrhaftig auch nicht. Stand doch mein elterliches Haus in Gotha ganz unter seinem Zeichen! War ich doch in der Verehrung für ihn erzogen, groß geworden! Und hatte ihn, trotz der nahen Entfernung – das Reisen war damals, meine Verehrtesten, keine so bequeme Sache, wie heute – nie gesehen, bis ich nun endlich, als Kammerjunker, in Begleitung meines Prinzen das hohe Glück hatte.

Daß Sie kein Wort mit ihm austauschen durften! sagte Frau von Wiepkenhagen im Tone innigsten Bedauerns.

Es war beim besten Willen nicht möglich, erwiderte der alte Herr achselzuckend, auch bezweifle ich sehr, daß ich den Mut dazu gehabt hätte, wäre die Gelegenheit günstiger gewesen. Dafür habe ich denn heute nacht das damals Versäumte gründlich nachgeholt.

Man blickte einander verwundert, fast betroffen an. Der alte Herr hatte es so ernsthaft gesagt; in dem verwitterten Gesicht sich keine Falte verzogen. Ein Scherz konnte es mithin nicht gewesen sein, der sich bei einem solchen Gegenstand wenig geziemt hätte; und für Ernst war es doch unmöglich zu nehmen.

125 Sie sprechen ein großes Wort so gelassen aus, mein würdiger Freund, sagte Tante Adele. Erwartungsvoll hängen wir an Ihrem Munde.

In den kleinen, noch immer hellen Augen zwinkerte ein humoristisches Lächeln.

* * *


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