Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Zwischen dem Major und Frau von Haida war die Unterhaltung wiederholt arg ins Stocken geraten. Sie hatten sich dann ihren Nachbarn gewidmet, Frau von Haida immer mit derselben Liebenswürdigkeit, während Bronowski entschieden einsilbiger wurde und sich zwischen den dunklen Brauen über der feingeschnittenen Adlernase eine scharfe, senkrechte Falte merklich vertiefte.

Die auch keineswegs schwand, als sie sich wieder jetzt einmal zu einander gewandt hatten und er in ironischem Ton sagte:

Sie wollten die Güte haben, mir anzuvertrauen, welches Interesse Sie hatten, gerade diese Gesellschaft mitzumachen.

Mein Gott, das ist doch sehr einfach. Ich bin ein inquisitive traveller; ich wollte auch einmal solche Kreise kennen lernen.

Weil Sie wußten, daß in ihnen ein gewisser Herr verkehrt, der sich seit dem Skandal von gestern abend in unsern Cirkeln unmöglich gemacht hat?

Kann sein.

Ich wußte es nicht, hatte keine Ahnung davon. Hätte ich sie gehabt, würde ich in der üblen Lage gewesen sein, Ihre gütige Aufforderung, Sie hierher zu begleiten, 293 ablehnen zu müssen. Diese Aufforderung hatte ich, offen gesagt, anders verstanden, anders ausgelegt.

Wie denn?

Etwas schmeichelhafter für mich.

Gehen Sie nicht in einer etwas zu scharfen Pace vor, mein Bester? Ich habe Sie immer für einen Frauenkenner gehalten. Jetzt muß ich daran zweifeln.

Ich bin für Belehrung empfänglich.

Lassen Sie sehen! Daß Liebe sich in Haß verwandeln kann, ist Ihnen nicht unbekannt.

Durchaus nicht!

Auch, daß der Übergang sich nicht so ohne weiteres macht? daß der Haß vorher einen Zoll fordert, der durchaus erst entrichtet sein muß? Wissen Sie, wie der Zoll heißt?

Rache!

Bronowskis dunkle Augen funkelten; Frau von Haidas hellblaue Augen unter den herabgesenkten Lidern hatten ihren gleichmütigen Ausdruck nicht verändert.

Wie schnell Sie lernen! Es ist eine Freude. Da brauche ich ja wohl kaum zu sagen, daß die Rache ein Geschäft ist, zu welchem eine Frau sich gern die liebenswürdige Hilfe eines Freundes erbittet.

Die Lider hoben sich; sie sah ihm für einen Moment gerade in die Augen.

Es versteht sich, daß sie die Hilfe nicht umsonst haben will; sie den Preis zahlen will. Sie haben mich verstanden?

Noch nicht ganz. Es wäre erst noch die Höhe des Preises festzustellen.

Der sich offenbar nach der des geleisteten Dienstes richten wird.

Sie gehen aufs Ganze?

Im Spiel, in der Liebe, im Haß – immer.

Bronowskis Falten zwischen den Brauen zeichneten sich wieder scharf ab. Sein düstrer Blick richtete sich nach der 294 Stelle an dem entfernten Tisch, an welchem er, erst seit kurzem, Wilfrieds Kopf ein und das andre Mal zwischen den Köpfen und Schultern der andren Gäste hatte auftauchen sehen.

Es wird nicht leicht sein, sagte er nachdenklich. Seine Formen sind so verd–, sind so rigoros korrekt. Er wird sich schwerlich eine Blöße geben.

Ohne Provokation kaum. Ich hätte wohl zu einer das Rezept.

Dann bitte ich darum.

Von Rentlow habe ich das Programm des Abends. Nach der Tafel sollen ein paar Tänze getanzt werden, als letzter ein Blumenwalzer. Die Dame, welche die meisten Bouquets aufzuweisen hat, wird als Königin des Festes proklamiert, im Garten auf einen Thron gesetzt; die Gesellschaft defiliert, ihr huldigend. Dann löst sich die Sache in ein allgemeines Gartenfest auf. Unter andren Ergötzlichkeiten sollen von einem Podium herab Gesangs- und deklamatorische Leistungen geboten werden. Eine Sängerin und ein Schauspieler sind zu dem Zweck eingeladen. Letzterer übrigens ein alter Bekannter von Breslau her: Sandner. Haben Sie ihn nicht gesehen? Gleichviel. Es wird aber gewünscht und gehofft, daß sich auch Damen und Herren aus der Gesellschaft dabei beteiligen. In diesen Kreisen dichtet und schriftstellert so ziemlich jeder, sagte Rentlow. Wie Sie wissen, mache ich auch manchmal Verse. Sie sprechen Verse so schön. Würden Sie mir den Gefallen thun, diese hier vorzutragen?

Auf dem ausgebreiteten Fächer, mit dem sie, während sie sprach, gespielt hatte, sah Bronowski – er wußte nicht, wie es dahin gekommen war – ein beschriebenes Quartblättchen. Dann wurde der Fächer so gehalten, daß er, was auf dem Blatt stand, bequem lesen konnte.

Wie finden Sie es?

Ganz famos. Aber, verzeihen Sie, welche Wirkung versprechen Sie sich davon?

295 Eine kolossale. Alle Welt wird wissen, auf wen es geht. Vorhin wurde, wohin ich hörte, nur von zwei Dingen gesprochen: dem Millionendiebstahl und seinem Auftreten in der Versammlung. Man fand es ridikül. Aber es muß ihm ins Gesicht gesagt werden. Die Sache muß ein cachet haben; ich will es ihm geben. Er muß einen Spottnamen davontragen, den er nicht wieder los wird – ich will ihn damit ausstatten. Verstehen Sie mich nun?

Ihre Miene war, während sie das sagte, dieselbe geblieben; ihre leise Stimme hatte sich nicht gehoben, nur, daß für das feine Ohr des Polen ein Vibrieren durchzitterte, wie von einer schwingenden Saite.

Wie sie den Menschen liebt! dachte er wütend. Ich könnte ihn morden und sie.

Ich verstehe Sie vollkommen, sagte er, während das Blatt vom Fächer in ihren Schoß, von dem Schoß, er wußte nicht wohin verschwand. Aber ich kann in diesem Kreise – er ließ einen verächtlichen Blick über die Gesellschaft gleiten – nicht als Recitator auftreten. Es ist unmöglich.

Sie sann einen Augenblick nach.

Ich sehe es ein: es geht nicht. So muß es Sandner sein; er thut mir jeden Gefallen.

Werden Sie sich ihm als Verfasserin nennen?

Als ob er es sonst thäte!

Und auf wen es geht?

Als ob das nötig wäre! Er wird es so gut wissen, wie tout le monde.

Wir müssen abbrechen. Man wird aufmerksam auf uns.

Bronowski reckte sich und hob sein Glas gegen Falko, dessen Blick zufällig dem seinen begegnet war.

Eine Minute darauf rauschten die rotseidenen Vorhänge nach dem Ballsaal auseinander. Der Kommerzienrat hatte die Tafel aufgehoben und schritt mit seiner Dame, der 296 Gesandtin, dorthin voran. Die anderen Paare folgten. Hinter ihnen rauschten die Vorhänge wieder zusammen.

* * *


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