Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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In ihrem großen Salon ging Tante Adele auf und nieder, wartend, daß Mathis die Außenjalousieen aufgezogen und die Stores zurückgeschoben haben würde, um 253 sich dann an ihren Schreibtisch zu setzen, der in der vertieften Nische des mittleren der drei Fenster stand. Das sollte geschlossen bleiben, die beiden andern geöffnet werden. »Frühling, geliebter,« der sonnig draußen lag, sollte hereinziehen.

Mathis hatte es besorgt und wollte sich, trotz der dicken Teppiche, die den Schritt unhörbar machten, leise auftretend, entfernen.

Kein Brief da, Mathis? fragte Tante Adele.

Außer denen, die ich der Gnädigen durch Frau Wenzel heute morgen hineingeschickt habe – nein.

Ich meine: mit der zweiten Post?

Nein, Frau Geheimrat.

Es ist unmöglich. Bitte, sehen Sie noch einmal nach!

Mathis wußte, daß kein Brief da sein konnte. Das half nun nicht. So zuckte er nur diskret die Achseln und ging.

Es ist unmöglich, murmelte Tante Adele, indem sie ihre Zimmerwanderung wieder aufnahm. Er muß heute geschrieben haben.

Mathis erschien abermals in der Thür.

Nichts, Frau Geheimrat.

Aber Mathis!

Der Kammerdiener lächelte.

Sie sollten nicht lachen, Mathis, wenn Sie mich bekümmert sehen, sagte Tante Adele verweisend.

Ich lache nicht, Frau Geheimrat, erwiderte Mathis, sein glattrasiertes Gesicht in bedeutende Falten legend. Ich bin meiner Sache nur gewiß: der Herr Graf schreibt nicht zum zweitenmal.

Aber was will er denn, Mathis?

Daß die Gnädige bei ihm vorfährt und ihn persönlich bittet, wiederzukommen.

Mathis – ich hätte bald gesagt: Sie sind ein Narr.

Kinder und Narren sprechen die Wahrheit, Gnädige.

Mathis, der das für einen guten Abgang hielt – er 254 hatte in den Theegesprächen der Herrschaften so oft gehört, daß ein guter Abgang eine große Sache sei – verbeugte sich und ließ die Portiere, die er mit der einen Hand gehalten, hinter sich zufallen.

Tante Adele trat an eines der offenen Fenster und blickte über die Straße hinüber nach dem großen Garten auf der andern Seite. Auf der Straße war es in dieser Vormittagsstunde so still – sie konnte drüben in den von einer milden Sonne überglänzten Bäumen und Büschen die Vögel singen hören.

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur –

kam ihr in den Sinn, und dabei wäre sie fast in Weinen ausgebrochen. Wie sollte es werden, wenn der wilde Knabe so weiter trotzte! In der sichern Voraussetzung, daß er nach ihrem Brief sofort einlenken werde, hatte sie jedem einzelnen Mitgliede des Montagskränzchens geschrieben: ihr Wilfried bereue seine Übereilung und werde das am nächsten Montag – dem man ja nicht fern bleiben möge! – den Werten, Lieben mit schönem Freimut bekennen. Und nun seine Absage! in Tassos Worten freilich – aber eine Absage! Und heute, am vierten Tage, noch immer kein Widerruf!

Wie sollte es werden?

Ihm zum zweitenmale schreiben? Selbst widerrufen? thun, was Mathis eben spöttischerweise angeraten? – das konnte sie nicht; das hieß das Verhältnis der Schützerin zum Beschützten, der Erzieherin zum Zögling, der Mutter zum Sohn umkehren. Hatte sie ihn doch geliebt, wie eine Mutter ihren Sohn! liebte sie ihn doch noch so! Ihr erster Zorn war ja längst verraucht. Und selbst, was sie in diesem ersten Zorn auf Zureden der Wiepkenhagen gesagt und gethan – es war ja nicht ihr Ernst gewesen! Sie hatte nicht daran gedacht, ihn wirklich zu enterben! Es hatte nur ein heilsamer Schrecken sein sollen, der bewirkte, 255 daß er in sich ging, zur Einsicht und Vernunft kam, »sich ins Rechte dachte«, »schön und groß«, wie sonst.

Und that er es nun nicht – wie sollte es werden?

O, wie recht hatte Werther, daß es Stunden giebt, wo die Natur vor den Augen des Betrübten liegt, »wie ein lackiertes Bild!«

Seufzend wandte sich Tante Adele vom Fenster in das Zimmer. Sie hatte sich den Vormittag nach einer bis in die späte Morgenstunde sanft durchschlafenen Nacht so freundlich ausgemalt. Der erwartete Brief von ihm: Vergieb mir, geliebte Mutter! – Zurück ein Billet von ihr: Geliebter Sohn, ich habe Dir längst vergeben. Speise heute um vier Uhr bei mir. Nur Du und ich! Es soll ein Freudenmahl für uns beide werden! – Inzwischen wollte sie zu Schulte fahren und ihm eines jener schrecklichen Bilder kaufen, für die er nun einmal sonderbarerweise schwärmte, und nun – alles zerstoben: »Luft im Laub und Wind im Rohr.«

O Goethe, wenn ich Dich nicht – Was giebt es, Mathis?

Excellenz von Falkenburg, meldete Mathis, indem er zugleich eine Karte auf der silbernen Schale präsentierte.

Er, oder sie?

Excellenz, die Frau Generalin.

Mathis, Sie wissen –

Weiß, Frau Geheimrat. Aber Excellenz sagen: Sie kämen in einer bedeutenden Angelegenheit – einer auch für Frau Geheimrat sehr wichtigen Angelegenheit.

Glauben Sie, Mathis, daß es sich –

Ich weiß nicht, Frau Geheimrat; glaube es schon.

Dann – aber sagen Sie: nur für wenige Minuten: ich hätte Migräne.

Zu Befehl, Frau Geheimrat.

Tante Adele schlug das Herz. Es handelte sich gewiß um Wilfried. Was würde sie hören? Etwas Erfreuliches 256 sicher nicht. Der so seltene Besuch der ihr im Grunde der Seele widerwärtigen Dame konnte nichts Gutes bedeuten.

Verehrteste! Trauteste!

Und sie ging der eintretenden mit ausgestreckten Händen entgegen.

* * *


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