Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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281 Als Else aus dem Speisesaal und die beiden Brüder von oben wieder in den Salon kamen, trafen auch bereits die ersten Gäste ein: zwei junge Offiziere von der Kriegsakademie, ebenfalls durch Rentlow und Falko eingeführt, dieselben, welche Wilfried am Abend im Hause seines Onkels und am nächsten Morgen in Ebbas Kavalkade gesehen hatte. Da die Herren den Brüdern persönlich völlig unbekannt waren und ebenso den Damen, die, als jene gestern ihren Besuch abstatten wollten, eine Fahrt in die Stadt gemacht hatten, gestaltete sich die Scene etwas steif und unbehaglich, um so mehr, als keiner die undeutlich geschnarrten Namen recht verstanden und infolgedessen wußte, wer von den beiden Herr von Möllenhoff und wer Herr von Mühlenberg war. Else atmete auf, als jetzt neue Gäste erschienen: der Maler Erl, der Bildhauer Küfner, der Schriftsteller Doktor Schlieder, der Schauspieler Sandner – alles alte Freunde der Familie; die Herren sich selber einander vorstellten und etwas wie eine allgemeine Unterhaltung zu stande kam. Und war vollends aller Sorge überhoben, da nun jede Minute andere Eingeladene brachte: einige ältere und – in größerer Zahl – jüngere Matadore der Finance mit ihren Damen; ein paar Attachés von Gesandtschaften, zu denen der Kommerzienrat als rumänischer Konsul in Beziehung stand; seine Excellenz, der chilenische Gesandte nebst Frau und Tochter; noch unterschiedliche Schriftsteller und Künstler, an denen in diesem Hause niemals Mangel war. Dann, von Else nicht ohne einiges Herzklopfen erwartet, Falko mit dem Major von Bronowski: Falko, das hübsche Gesicht voller Lustigkeit und Schelmerei; der Major ernster, verbindlich, redegewandt – durchaus eine Acquisition, wie Else nach den ersten fünf Minuten Falko erklärte, für die Herr von Rentlow königlich dadurch belohnt werden würde, daß er die schönste Dame der Gesellschaft zu Tische führen dürfe.

Pardon! sagte Falko mit einem glänzenden Blick seiner 282 braunen Augen; nach Ausweis der mir zugeteilten Karte ist mir der Vorzug geworden, zur Tischdame Fräulein Else Bielefelder zu haben.

Bescheidenheit ist eine Zier, erwiderte Else lachend. Aber Sie verstatten mir wohl die Bemerkung, daß Sie keine Augen im Kopfe haben.

Doch, mein gnädiges Fräulein; aber nur für Sie.

Zu wie vielen Damen haben Sie das schon gesagt?

Gesagt zu unzähligen; daran geglaubt habe ich nie – bis heute; bis zu diesem Moment.

Else hätte jetzt des soupçon de rouge auf ihren Wangen entraten können. Sie fühlte zu ihrem Ärger, daß sie feuerrot geworden sein mußte, und war glücklich, das verfängliche Gespräch mit dem reizenden Menschen abbrechen zu können, einer Dame entgegenzugehen, die eben am Arm von Rentlows den Saal betrat.

Ich habe die Ehre und das Vergnügen, mein gnädiges Fräulein, Ihnen Frau von Haida vorzustellen, sagte Rentlow, während Frau von Haida ihren Arm aus dem seinen zog, Elses beide ausgestreckte Hände mit anmutiger Neigung der schlanken Gestalt und dem verbindlichsten Lächeln um die feinen Lippen zu ergreifen.

Wie lieb von Ihnen, die Fremde so zu empfangen!

Wie lieb von Ihnen, mir diese Freude gewährt zu haben! Erlauben Sie, gnädige Frau, Sie mit meiner Cousine bekannt zu machen: Fräulein Chlotilde Bielefelder; meine beiden Brüder: Arthur und Leo.

Rentlow hatte sich, sobald es die Schicklichkeit zuließ, aus dem mit jedem Moment dichter werdenden Kreise der Herren weggestohlen, die sämtlich der reizenden Frau vorgestellt zu sein wünschten, und war an eine kleinere Gruppe herangetreten, deren Mittelpunkt Chlotilde war. Chlotilde hatte sofort das große Aufsehen bemerkt, welches die neue Erscheinung in der Gesellschaft hervorrief, und war infolgedessen sehr ungnädig. Die Herren, die sie umgaben, 283 bekamen es zu fühlen und erschwerten Rentlow in keiner Weise die Annäherung an die mißgelaunte Schöne.

Meine Gnädigste, sagte Rentlow, während die andern unauffällig zurückwichen; ich bin positiv starr! Da giebt man mir im Vestibül eine Karte: Herr von Rentlow wird gebeten . . . Fräulein Chlotilde Bielefelder . . . das ist ja ein unerhörtes Glück!

Chlotilde hatte auf der Zunge: ich habe es so gewünscht; aber, wollte sie auch Baronin von Rentlow werden, daß doch einige Reserve geboten sei, dämmerte ihr auf. So schien ihr ein stummes gnädiges Nicken ausreichend.

Gnädiges Fräulein haben gewiß schon reizende Tage in Berlin verlebt? versuchte Rentlow die angefangene Konversation fortzusetzen.

Es war ja ganz amüsant.

Nur in den Theatern merkt man doch, daß die Saison zu Ende geht.

O, ja.

Gnädiges Fräulein schwärmen natürlich auch für Wagner?

O, ja, gewiß.

Sie ist zum Anbrennen dumm, dachte Rentlow.

Chlotilde ihrerseits fand ihren zukünftigen Gemahl, wie er da so vor ihr stand und die Spitzen seines ungeheuren Schnurrbarts drehte, eigentlich gar nicht nach ihrem Geschmack. Große Schnurrbärte kamen ihr unteroffiziermäßig vor. Auch sonst war er lange nicht so hübsch, wie Graf Falko, und mit Graf Wilfried nicht zu vergleichen.

So drohte eine unbehagliche Pause, die Chlotilde mit der Frage unterbrach:

Warum ist Graf Falkenburg noch immer nicht hier?

Aber, Gnädigste, da steht er ja neben Ihrem Fräulein Cousine!

Ach, ich meine den andern: seinen Vetter.

Hol ihn der Teufel! dachte Rentlow.

284 Keine Ahnung, Gnädigste! habe ihn seit drei Tagen nicht gesehen.

Merkwürdig! Ich dachte, Sie sähen sich jeden Tag. Kennen Sie seine Braut?

Gewesene, wollen gnädiges Fräulein sagen.

Wieso? gewesene?

Aber haben gnädiges Fräulein denn nicht gehört, daß die Verlobung zurückgegangen ist? Tout Berlin spricht davon.

Unmöglich!

Auf mein Wort.

Rentlow bemerkte die plötzliche Veränderung, die mit der Dame vorgegangen war. Das schöne Gesicht hatte sich belebt, der Ausdruck müder Gleichgültigkeit dem des gespannten Interesses Platz gemacht; in die großen, dunkeln, fast stumpfen Gazellenaugen war Licht und Glanz gekommen.

Also läuft der Hase, dachte Rentlow: da wollen wir doch gleich einmal ein bißchen vorbauen.

Der gute Graf, fuhr er im Tone des Bedauerns fort, hat in den letzten Tagen überhaupt viel Malheur gehabt. Man spricht von einem argen Zerwürfnis mit seiner Tante, der Geheimrat Dürieu, einer sehr reichen Dame, von der er ganz und gar abhängt. Wenn es da mit der Erbschaft hapern sollte – das wäre sehr schlimm für ihn. Er persönlich hat keinen Pfennig Vermögen. Und von dem, was ihm gestern abend in der socialdemokratischen Versammlung passiert ist, haben gnädiges Fräulein gewiß gehört?

Doch nicht.

Er hat da eine Rede gehalten von einer so haarsträubenden Extravaganz, daß die Polizei einschreiten und die Versammlung schließen mußte. Die Sache kommt jedenfalls an den Staatsanwalt. Sie können sich denken, wie seine Verwandten; wie wir, seine Standesgenossen, alle außer uns sind.

285 Die kleine, zuletzt mit verräterischer Lebhaftigkeit gehaltene Rede machte auf Chlotilde genau den entgegengesetzten Eindruck, den Rentlow beabsichtigt hatte. Daß der Betreffende – Baron, oder Graf, gleichviel – nicht reich sein, dafür aber die nötigen Schulden haben würde, das hatte sie nicht anders erwartet. Von Rentlow selbst hatte Arthur gesagt, er habe Schulden wie ein Major. Und daß Wilfried freisinnige Reden hielt – sie schwärmte ja zum größten Ergötzen ihrer Verwandten für Lassalle und erklärte Helene von Dönniges, die ihren Helden in den Tod getrieben, für die schlechteste Person, die je gelebt habe. Graf, arm, vom Staatsanwalt verfolgter berühmter Redner, socialdemokratischer Märtyrer – das war denn doch eine wirklich große Nummer.

Wie danke ich Ihnen! rief sie mit einer Wärme, die Rentlow der schönen phlegmatischen Natur nicht zugetraut hätte.

Er verbeugte sich, innerlich wütend. Es war kein Zweifel: in ein Feuer, das so schon ganz nett brannte, hatte er höchst willkommenes Öl geschüttet. Aber die Person war zu schön. Als einziges Kind ihrer Eltern sollte sie Millionen erben. Ob er die brauchen konnte!

In dem Moment kam Else eilends heran.

Du hast es gut; unterhältst Dich hier prachtvoll, während ich armes Huhn mich halb tot ängstige. Endlich war Papa gekommen – da vorn steht er mit dem chilenischen Gesandten. Nun fehlt wieder Graf Falkenburg, ohne den wir doch nicht zu Tisch gehen können. Na, endlich!

Else war wieder davongeeilt, Wilfried entgegen, der eben in den Salon getreten war.

Darf ich die Herren bitten! ertönte Arthurs krähende Stimme.

Mein gnädiges Fräulein –

Chlotilde legte ihre Hand mechanisch auf Rentlows dargebotenen Arm. Er sah an der Richtung ihrer Augen, 286 daß sie Wilfrieds Bewegungen verfolgten, den Else durch das Gewühl seiner Dame zuführte.

Den kaufe ich mir doch noch mal, sagte Rentlow tonlos durch die Zähne.

* * *


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