Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Wilfried erwachte nach kurzem, von wirren Träumen gequälten Schlaf. Unerquickt, verdrießlich, ohne sich zu regen, auf dem Rücken liegend, starrte er nach der Zimmerdecke, über die ein schmaler goldener Streifen lief, der sich durch einen Spalt der roten seidenen Vorhänge gestohlen hatte.

Waren die sonderbaren Dinge, die er da erlebt, nachdem er das Restaurant im Palasthotel verlassen, auch nur ein wirrer Traum? Das nun wohl nicht: er konnte die Einzelheiten, wenngleich mit Mühe, in einen Zusammenhang bringen, wie ihn Träume nicht haben. Und doch war alles so traumhaft, so bizarr, wie es wiederum die Wirklichkeit nicht kennt. Betrunken konnte er nach den paar Gläsern – oder waren es mehr gewesen? – mochte sein: eine Flasche oder anderthalb – er hatte auch an dem Tisch der Bielefelders mit den Damen anstoßen müssen – immerhin: betrunken – das war ausgeschlossen. Blieb also nur das eine Leidige: seine Phantasie war wieder mit ihm durchgegangen: er hatte sich in überschwänglichen Empfindungen übernommen, wie andere es in Worten thun. Nun war der Rückschlag da. Natürlich. Man kannte das.

Wilfried hatte sich eben auf die Seite gedreht, die verlorene Nacht in einer Stunde gesunden Morgenschlafes wett zu machen, als an die Thür gepocht wurde.

Was giebts?

Höchste Zeit, aufzustehen, Herr Graf! sagte Zunz hereintretend.

52 Wieso höchste Zeit?

Herr Graf haben mit dem gnädigen Fräulein um acht reiten wollen. Es ist sieben.

Warum haben Sie mich da nicht früher geweckt?

War schon einmal hier – Herr Gras schliefen so fest –

Das Bad fertig?

Befehl, Herr Graf.

Wilfried hatte keine Zeit zu verlieren. Seine Toilette fiel immer etwas umständlich aus, und sein, wie Ebbas Pferd standen bei Nonn in der Nürnbergerstraße. Ebba, die von der Königgrätzerstraße mit der Droschke zum Rendezvous fuhr, war die Pünktlichkeit selbst in Sportangelegenheiten und sehr ungnädig, war man es nicht ebenfalls. Der Morgenkaffee wollte doch auch getrunken und wenigstens eine Cigarette geraucht sein.

Zunz war heute noch besonders dienstbeflissen. Nicht, daß er unfreundliche Worte befürchtet hätte – die hatte der Herr Graf auch in der übelsten Laune nicht – er wollte ihm nur die Schelte von dem gnädigen Fräulein ersparen, die es ganz gewiß setzte, wenn er zu spät kam. Er hatte bei Excellenzens wiederholt mit servieren helfen; und was das gnädige Fräulein war – na, die kannte er – gründlich.

So durfte Wilfried noch sieben Minuten vor der bestimmten Zeit bei Nonn sein und Zaum und Sattelzeug der Pferde revidieren, die schon in dem breiten Gange zwischen den Ständen bereitgehalten wurden. Da hörte er auch Ebbas Droschke in dem Hofe und eilte, ihr herauszuhelfen, während die Stallknechte die Pferde vorführten.

Morgen! Morgen, Wilfried! Gut geschlafen?

Könnte es leider nicht behaupten.

Gekneipt natürlich!

Sehr mäßig.

Mit Falko?

53 Ja – im Palasthotel.

Da mußt Du mich auch mal hinbringen. Falko will nicht. Sagt, Gesellschaft sei zu schlecht.

Habe es nicht finden können. Unter anderen waren auch Graf Leßberg und Baron Rentlow da.

Mit?

Wie meinst Du?

Du bist und bleibst doch Unschuld Nummer eins!

Ach so!

Na ja! Träumer, Du!

Ebba lachte und berührte Wilfrieds Schulter neckend mit der Peitschenspitze. Sie war in jener Gebelaune, von der ihre Bewunderer behaupteten, daß ihrem Zauber kein Mann widerstehen könne, und die denn auch Wilfried seiner Zeit unwiderstehlich gefunden hatte. Die lustig-neckischen Worte sprühten nur so von ihren zierlichen Lippen; das graue knappe Reitkleid stand ihr so gut; der kleine Herrenhut saß so chic auf ihrem blondroten, schier überreichen Haar; sie steuerte den Wallach, der heute einmal wieder recht unartig war, mit so sicherer Nonchalance; hob sich beim Trab so graziös im Sattel, auf dem sie beim Galopp festgewachsen schien – es war ein bezauberndes Bild. Ein Maler, der es so auf die Leinwand gebracht, hätte Unsummen fordern können, meinte Wilfried.

Und der Morgen war so schön. In dem Tiergarten lag noch die Frische der Nacht; ein kurzer starker Regen, der in der Frühe gefallen sein mochte, hatte den Staub gebändigt. Aus den hohen Bäumen, in den Büschen sangen, zwitscherten die Vögel; die Wege waren von Reitern und Reiterinnen belebt; unter ihnen natürlich eine Menge Bekannte, mit denen man Grüße wechselte, auch im Vorübergaloppieren ein paar Worte von Sattel zu Sattel.

Für gewöhnlich pflegte der Grunewald ihr Ziel zu sein. Heute hatte Ebba so viel Zeit nicht. Sie wollte mit der Mama am Vormittag zu Gerson.

54 Der Rechnung wegen, weißt Du. Ich hatte gestern abend noch der Mama gründlich eingeheizt, und heute nacht hat sie dem Papa gebeichtet. Papa ist gegen alles Erwarten nicht nach seiner lieblichen Gewohnheit aus der Haut gefahren; ich glaube, in der süßen Gewißheit, mich nun bald los zu sein. Denn damit – mit unsrer gestrigen Abmachung – hat die kluge Mama natürlich angefangen. Es bleibt doch beim Herbst, Wilfried?

Selbstverständlich.

Und wohin machen wir die Hochzeitsreise?

Ich überlasse das ganz Dir.

Wie denkst Du über Paris?

Nicht schlecht, wenn ich es auch zur Genüge kenne.

Dann Rom! So ein Winter in Rom! Das denke ich mir famos. Ich habe kürzlich Cosmopolis von Bourget – glaube ich, heißt er – gelesen – in dem Buch von Gregorovius bin ich nicht bis zur zehnten Seite gekommen – ich begreife nicht, wie Du mir eine so langweilige Scharteke hast zumuten können – aber diese internationale Gesellschaft – das muß doch furchtbar interessant sein. So viel ich sehen kann, braucht man Italienisch gar nicht. Man kommt mit Französisch überall durch. Und wenn's auch damit mal hapern sollte – Du sprichst es ja so großartig – Du hilfst mir dann aus der Patsche.

Ich will gewiß mein möglichstes thun. Aber, liebes Kind, ich soll und will doch ein Gut kaufen. Seitdem der Plan auf dem Tapet ist, hat mir mein Bruder, der sich sehr für das Projekt interessiert, es sehr billigt, verschiedene vorgeschlagen – eines auf Rügen, das in nächster Zeit frei wird, und zu dessen Ankauf er besonders dringend rät – da werden wir doch wohl den Winter hübsch zu Hause bleiben müssen.

Wieso? zu Hause? Was sollen wir da?

Uns in die Sache hineinarbeiten versuchen. Es war von je mein heimlicher sehnsüchtiger Wunsch, Landmann zu sein. Aber wenn ich sagen sollte, daß ich mehr davon 55 – von der Landwirtschaft – verstehe, als man so auf flüchtigen Besuchen aufschnappt, müßte ich lügen.

Papa und Mama verstehen auch nichts davon.

Machen auch keine Ansprüche darauf. Euer Gut ist verpachtet, immer gewesen. Auch nachdem der Papa pensioniert ist, hat er wohl gelegentlich von Görlitz oder Erfurt gesprochen, weil er sich einredet, daß man da um die Hälfte billiger leben kann; aufs Land will er nicht.

Er würde auch bei Mama schön ankommen.

Wunderlich genug, da sie doch als Landfräulein geboren ist.

Gerade deshalb. Sie weiß am besten, daß das Landleben kein Spaß ist.

Das soll es auch nicht sein.

Was denn sonst?

Ernste, ehrliche Arbeit.

Ah bah!

Ja, aber Ebba, wenn Du so darüber denkst, weshalb soll ich da durchaus ein Gut kaufen? Weshalb habt Ihr mich da in meiner Carriere nicht gelassen?

Weil ich in Ohnmacht fallen würde, wollte mich eine Regierungs- oder Geheimratsfrau, so über die Achsel weg, als Frau Assessor, oder gar: liebe Frau Kollegin anreden. Weil man in unsern Kreisen auf die Frage: haben die Gnädigste schon Sommerpläne? muß antworten können: wir werden für ein paar Wochen auf unsre Güter gehen; später wahrscheinlich – na, irgendwohin. Warum siehst Du mich so sonderbar an?

Ich hatte mir in der That unser Landleben anders vorgestellt.

Na ja: Du in Stulpstiefeln, und, wenn Du ins Zimmer kommst, nach dem Kuhstall riechend; ich in einer Lodenjoppe mit Gamaschen über den rindsledernen Schuhen durch den Winterschnee nach einer Bauernspelunke stapfend, wo es von schmutzigen Kindern wimmelt, zu denen über 56 Nacht möglichst unpassenderweise noch eins gekommen ist. Wäre so was für mich! Übrigens, was ist die Uhr?

Fünf Minuten vor halb zehn.

Donnerwetter! Und um elf will Mama mit mir in die Stadt. Bitte, schlanken Trab!

Sie trabten die große Hippodromallee zurück. Das rasche Tempo begünstigte die Fortsetzung der Unterhaltung nicht. Zu Wilfrieds Erleichterung. Waren das Ebbas wirkliche Ansichten, was sollte daraus werden? Was aus den Entschlüssen, die er gestern abend, heute nacht gefaßt, und die, mochten sie noch so phantastisch, noch so übertrieben gewesen sein, ihre tiefe Quelle doch in jenem Unbehagen, jener wühlenden Unzufriedenheit mit seinem bisherigen Leben hatten. Wenn er Ebba sagte, was ihm heute nacht begegnet war? Es würde keinen Sinn haben; sie würde das gar nicht verstehen; ihn auslachen wegen seiner dummen Sentimentalität.

Wohin war plötzlich die ambrosische Schönheit des Morgens geschwunden? Da standen noch die uralten Linden in dem glänzenden Sonnenlicht; da blitzten hier und da aus den Büschen reinste Diamanten, welche die Sonne von dem Regen der Nacht bis zur Stunde nicht aufgesogen; da blaute von oben der helle Junihimmel herab und von unten quoll der kaum gebändigte Staub unter den Hufen der Pferde – dennoch war Wilfried, als habe sich über das alles ein grauer Schleier gesenkt. Mit scheuem Blick streifte er die reizende Gestalt, die sich da neben ihm so graziös im Sattel hob und sinken ließ. Und er dachte an das arme Mädchen heute nacht, wie es da, einen Schritt von ihm, über das Trottoir huschte. An ihr fürchterliches letztes Wort ›uns kann niemand helfen‹ und den traurigen Blick, mit dem sie dabei die wundervollen Augen zu ihm aufgehoben –

Sie waren bis zum Stadtbahnübergang gelangt; ein externer Zug donnerte eben darüber weg; Ebbas Robin prallte seitwärts, stellte sich auf die Hinterbeine in der 57 entschiedenen Absicht, Kehrt zu machen und durchzugehen. Bei der Wendung streifte sein Kopf beinahe Wilfrieds Schulter; er griff rasch in den Zügel; auf Ebbas Wangen flammte eine Zornesröte auf. Sie drückte das Pferd herab, hieb es wiederholt heftig über Hals und Brust, bissig rufend:

Danke gehorsamst! Für Dich scheine ich nicht die beste Reiterin in Berlin zu sein.

Verzeihung! Es geschah ganz unwillkürlich! Vielleicht nur in Erinnerung an Falko: ich solle Dich bitten, den Robin nicht so scharf auf Kandare zu reiten.

Sagte er das etwa in Gegenwart der andern Herren?

Weiß ich wirklich nicht mehr.

Ihr seid beide Hasenfüße.

Doch nur aus Liebe zu Dir.

Liebe? pah! Großthuerei – Eitelkeit – weiter nichts. Was wißt Ihr von Liebe? Was Ihr Liebe nennt –

Schnell sich nähernder Hufschlag, der, als sie jetzt den Wasserturm passierten, hinter ihnen sich vernehmen ließ, machte Ebba ihre Phrase abbrechen und über die Schulter rückwärts blicken.

Ah!

Erst ihr Ausruf, der nun ganz lustig geklungen hatte, riß Wilfried aus dem bösen Geträume, in das er bereits wieder versinken wollte. Da waren auch schon die Reiter hinter ihnen an ihrer Seite: Graf Leßberg, Baron Rentlow.

Morgen! morgen! Komtesse! Morgen, Graf!

Morgen! morgen! rief Ebba vergnügt zurück, während Wilfried einen Gruß mit dem Hut für ausreichend hielt. Haben die Herren es so eilig?

Die beiden Offiziere, die, nach Reiterbrauch, in nur etwas schnellerem Tempo an dem Paar, das sie eingeholt hatten, bereits ein paar Schritte vorüber waren, hielten auf den Zuruf sofort die Pferde an, so eine ausführlichere Begrüßung mit Händereichen von Sattel zu Sattel möglich machend.

58 Ja, aber wo kommt Ihr Herren denn hierher? rief Ebba. Falko sagte doch gestern, Ihr hättet heut' Regimentsexerzieren vor Majestät?

Majestät hat noch in der Nacht absagen lassen. Glaube, Bundesratssitzung, oder so was. Der Mann ohne Halm und Ar läßt Majestät ja nicht zur Ruhe kommen. Bismarck war schon schlimm, der ist noch schlimmer.

Graf Leßberg hatte die letzten Worte für Ebba allein gesprochen, an deren Seite er sich genestelt hatte, während Rentlow sich zu Wilfried gesellte.

Warum lassen Sie sich denn gar nicht mehr bei uns sehen? sagte Ebba, unter den halbgeschlossenen Lidern ihren Begleiter anblinzelnd.

Ich bin nicht gern de trop, Komtesse.

Wieso de trop?

Brautleute pflegen einen dritten zum Teufel zu wünschen.

Nicht immer. Es wird da wesentlich auf den dritten ankommen. Was riskiert er am Ende?

Vielleicht eine Beschämung.

Gott, Graf, ich habe Sie nicht für so zimperlich gehalten.

Also Komtesse verstatten, daß ich 'mal wieder antrete?

Sie werden mich so liebenswürdig finden, wie immer.

Zweifle nicht daran. Und –

Der Graf machte mit dem Daumen der rechten Hand eine kaum merkliche Bewegung nach rückwärts.

In Verhältnissen, die ich eingehe, pflege ich zu bestimmen, was zu geschehen hat.

Verhältnissen – die Sie eingehen – großer Gott, Komtesse! wer Sie so reden hörte!

Was können wir armen Mädchen dafür, daß Ihr unter unsern unschuldigsten Worten gleich was Abscheuliches denkt!

Pardon! ich denke mir bei einem Verhältnis mit Ihnen gar nichts Abscheuliches. Im Gegenteil!

59 Nun werden Sie aber unverschämt, Graf!

Es wäre der erste Fall in meiner Familie, die wegen ihrer Verschämtheit geradezu sprichwörtlich ist.

Sie sind unverbesserlich!

Pflegte mein verstorbener Vater zu sagen: Junge, Du bist unverbesserlich. Er mußte es wissen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.

Ihnen ist nichts heilig?

Doch! Sie!

Er drückte sein Pferd noch näher an ihren Robin und sagte in leidenschaftlichem Flüsterton:

Ja, Ebba, Sie! Sie sind meine Heilige! Meine süße, angebetete Heilige!

Sie sind einfach verrückt, Graf.

Ja, ich bin's – durch Sie.

Schade nur, daß die Verrücktheit so spät kommt!

Vielleicht doch nicht zu spät.

Und wenn ich das alles nun meinem Verlobten wieder erzähle?

So muß er mich fordern; wir schlagen uns; ich schieße ihn tot und heirate Sie erst recht.

Ebba lachte ein kurzes, halbunterdrücktes Lachen.

Nun halten Sie gefälligst den Mund! Sie sind dicht hinter uns.

Wilfried und Baron Rentlow hatten sich in der That ihnen erst jetzt wieder genähert, nachdem vorher eine größere Distanz dadurch entstanden, daß der Baron, um Entschuldigung bittend, abgesprungen war, die Kinnkette seines Pferdes zu lockern.

Ich wußte gar nicht, was das mit dem Gaul heute war, sagte er, wieder aufsteigend. Den Kerl habe ich nun schon zwei Jahre als Burschen. Aber Verlaß ist nicht.

Wilfried hatte keine Ahnung, daß das Ganze ein Manöver des Barons war, dem Kameraden mit Ebba an seiner Seite einen Vorsprung zu verschaffen.

Sieh, wie Du's deichselst! hatte Leßberg gesagt.

60 Rentlow meinte, er habe es famos gedeichselt. Nun galt es aber auch, die Aufmerksamkeit des Grafen von dem Paar vor ihnen möglichst abzulenken. Also Konversation machen, liebenswürdig sein!

Schade, Graf, daß Sie uns vom Re'ment so kolossal schneiden. Hätte Sie gestern abend liebend gern gebeten, mit zu Schulenberg zu kommen. War ganz famos.

Verbindlichsten Dank! Wäre doch nur das fünfte Rad am Wagen gewesen. Es wurde jedenfalls gespielt, und ich spiele schon seit Jahren nicht mehr.

Große Sache. Wäre gut, wenn andre Leute es auch von sich sagen könnten. Zum Beispiel – ehem!

Sie meinen meinen Vetter?

Wenn Sie mich direkt fragen, Graf. Geht in der That bißchen scharf ins Zeug. Würde, bei Gott, nicht darüber sprechen; zu niemandem, außer zu Ihnen. Hält so große Stücke von Ihnen. Wenn Sie ihn mal ein bißchen ins Gebet nähmen!

Würde nach meiner Erfahrung wenig nützen.

Schade! Ist ein so famoser Kamerad. Wir alle im Re'ment haben ihn gern. Selbst der Oberst. Hab's von der Chefeuse selber. Sollte sich wirklich rangieren.

Sie meinen?

Eine reiche Heirat machen. Wie kann sich unser einer sonst rangieren? So was läßt sich doch deichseln.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die beiden, ganz auffallend schönen jungen Damen, an deren Tisch Sie gestern abend ein paar Minuten saßen. Falkenburg erzählte hernach, sie seien enorm reich. Ich meine – und hab's ihm auch gesagt – er sollte eine davon heiraten.

Vorläufig ist er den Damen noch nicht einmal vorgestellt.

Dazu könnten Sie ihm doch verhelfen, Graf!

Werde ich sogar. Ich habe eine Einladung für ihn in dem Hause auf Donnerstag.

61 Großartig! Möchte bei Gott von der Partie sein.

Wenn das Ihr Ernst ist – man hat mich mit dem Auftrag betraut, noch ein paar Herren Offiziere heranzuziehen. Wollen Sie also –

Ob ich will! Schneide noch heute die betreffende Visite.

Ich werde meinen Vetter erst morgen sehen.

Na, dann morgen, oder übermorgen. Jedenfalls verbindlichsten Dank, Graf!

Wirklich keine Ursach. Wollen wir etwas antraben?

Bitte! Haben wahrhaftig beinahe Fühlung mit den Herrschaften verloren. Das kommt so, wenn man in ein interessantes Gespräch gerät. Interessant für mich, Graf! Nur für mich!

Sie hatten schnell das vorausreitende Paar eingeholt. Hier, am Eingang des Zoologischen Gartens mußte man sich trennen. Der nächste Weg für die Offiziere war durch den Tiergarten, der Ebbas und Wilfrieds führte am Kanal entlang. Leßbergs stechender Blick fragte bei Ebba an, ob man es wagen dürfe, seine Begleitung weiter anzubieten; Ebbas Augen winkten ab. So denn reichte man einander die Hände, nachdem Ebba, unbefangen lachend, die Herren aufgefordert hatte, »sich doch mal wieder in der Königgrätzer Straße sehen zu lassen«.

Meine Einladung paßt Dir nicht, sagte Ebba, als sie ein paar Minuten nebeneinander geritten waren.

Ich habe mir nie erlaubt, an dem Verkehr in Eurem Hause Kritik zu üben.

Als ob ich nicht wüßte, daß Du Leßberg nicht leiden kannst!

Wenigstens ist er mir nicht sympathisch.

Mit Deinen ewigen Sympathieen und Antipathieen! Ich habe auch welche. Aber lasse ich sie mir jemals merken?

Wilfried, der ihr intimes Geplauder mit Leßberg aus der immerhin geringen Entfernung sehr wohl beobachtet hatte, schwebte eine bittere Erwiderung auf der Zunge, 62 die sein Stolz nicht aussprechen ließ. Übrigens hatte Ebba in ihrer Gewohnheit, das letzte Wort zu behalten, gar nicht beachtet, daß er die Antwort schuldig blieb. Die unerwartete Begegnung mit dem, der ihr im vergangenen Winter so auffallend den Hof gemacht, hatte sie die Insinuation der Mama von gestern abend: er heiratete Dich vom Fleck weg, wenn Du Dich frei machen könntest oder wolltest, in einem sehr anziehenden Licht erscheinen lassen. War er doch notorisch einer der reichsten Gardeoffiziere. Daß er ebenso auf der Liste rücksichtslosester Lebemänner obenan stand, genierte sie nicht im mindesten, machte ihn ihr nur interessanter, begehrenswerter. Sie war empört gewesen, als er nicht spätestens am Schlusse der Saison um sie anhielt, trotzdem sie es doch, weiß Gott, an Avancen nicht hatte fehlen lassen. Und wenn sie dann durch verdoppelte und verdreifachte Liebenswürdigkeit Wilfried, der sie jetzt schon beinahe ohne Schmerz aufgeben zu können schien, zu sich zurück und so weit brachte, daß er wohl nicht anders als das entscheidende Wort sprechen konnte, so war ein gut Teil verletzte Eitelkeit und die Hoffnung, es werde den Treulosen doch bitter kränken, dabei im Spiel gewesen.

Das ging durch Ebbas Kopf, während sie den Reitweg des inneren Kurfürstendamms hinaufkanterten, ohne nur einmal den Mund zu öffnen. Erst, als sie in dem Reitinstitut von den Pferden gestiegen waren und Wilfried ihr in die bereits auf sie wartende Droschke half, fragte sie ihn, ob er heute abend kommen werde? Wilfried verneinte: es sei Tante Adeles Abend, und er habe noch speciell mit der Tante zu sprechen.

Ist ja auch wahr! rief Ebba, bereits im Wagen. Nun thue mir die einzige Liebe und spiele nicht nach alter Gewohnheit den Bescheidenen! Gut, daß ich Dir heute morgen mein Programm noch einmal auseinandergesetzt habe. Ich bitte Dich, Wilfried, laß Dir die Butter nicht vom Brot nehmen!

63 Sie war heute geradezu entsetzlich, dachte Wilfried, während er den nicht langen Weg nach seiner Wohnung ging. Wie soll dies werden?

* * *


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