Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Der deutsche Sekt mußte den jungen Herren und Damen trefflich gemundet haben. In den Vorderräumen, die sich alsbald gefüllt hatten, war ein lärmendes Durcheinander von krähenden, schnarrenden, lachenden Stimmen, daß es schien, als könne keiner mehr das eigene Wort verstehen. Ebba war, sobald sie Leßbergs Arm losgelassen, sogleich auf ihn zugestürzt: Hast Du Dich gut amüsiert? War es an Eurem Tisch auch so nett? Was sagst Du zu meiner Überraschung? Ist sie nicht ein charmer? Du wirst doch hernach auch tanzen? Bist Du zum ersten Walzer schon engagiert?

Da sie, während ihre Augen bei diesen gedankenlos hervorgesprudelten Phrasen überall hin, nur nicht auf ihn gerichtet waren, offenbar keine Antwort erwartete, hatte er sie sich erspart. Als man zu Tisch ging, hatte er seinen Claquehut auf einen der beiden hohen vergoldeten Ständer gelegt, die, Lampen tragend, rechts und links vom Sofa standen. Sich dorthin wendend, entschlossen zu gehen, sobald er wieder im Besitz seines Hutes war, sah er die Generalin sich nach dem Sofa hinbewegen und Platz nehmen. Er schwankte einen Moment, schämte sich der Feigheit, trat an den Ständer heran, nahm seinen Hut und wollte mit einer Verbeugung nach der Generalin hin zurücktreten, als sie ihn mit einem: Lieber Wilfried, bitte! zu sich heranrief.

199 Ich habe – bitte, nehmen Sie neben mir Platz – die liebe Treuenfels spricht da in der Thür noch mit Major Bronowski – doch ein charmanter Mensch. Ist mir eine wahre Satisfaktion, daß er sich nun an uns wieder attachieren zu wollen scheint – was ich sagen wollte: ich habe ja heute abend noch gar nicht das Vergnügen gehabt. Nun ja, vor Tisch – ging alles ein wenig schnell – freue mich um so mehr, jetzt einen ruhigen Moment mit Ihnen zu haben. Natürlich hat Ebba Ihnen schon gesagt – oder nicht?

Daß getanzt werden soll? Ich wollte eben um die Erlaubnis bitten, mich davon dispensieren zu dürfen.

Ihr jungen Leute von heute seid schrecklich. Keiner will mehr tanzen. Aber auf unser Thema zurückzukommen: Ebba hat Ihnen nicht gesagt, daß wir uns hinsichtlich Eurer Hochzeit doch eines andern besonnen haben?

Seit vorgestern abend?

Guter Rat kommt über Nacht. Sehen Sie, lieber Wilfried, es wäre doch eigentlich nur in der Ordnung, daß man dem armen Kinde noch eine zweite Saison gönnte. Von der ersten hat sie, so wie so, nicht viel gehabt, da die Hoftrauer dazwischen kam, und die höchsten Herrschaften sich gesellschaftlich auf das schlechterdings Unvermeidliche beschränken mußten. So ist es denn des Kindes dringender Wunsch.

Dann ist die Sache ja entschieden.

Allerdings auch der meinige und des Onkels.

Dann ist sie es doppelt und dreifach.

Die Kühle des Tons, in welchem Wilfried es gesagt, war der Generalin nun doch stark aufgefallen. Daß er es so ruhig über sich ergehen lassen werde, hatte sie nicht zu hoffen gewagt. Ihre runden Augen streiften sein Gesicht mit einem schnellen prüfenden Blick. Aber es war wohl das klügste, ihn ohne weitere Erörterungen einfach beim Wort zu nehmen.

Haben Sie besten Dank für Ihre Bereitwilligkeit, lieber 200 Wilfried. Ich sagte freilich gleich zu Ebba: verlaß Dich darauf: er wird nichts dagegen haben. Und nun, lieber Wilfried, ich sehe da die gute Treuenfels –

Excellenz Treuenfels wird mir wohl den Platz noch für eine Minute verstatten. Ich wollte mir nur die Frage erlauben: steht der einstimmige Wunsch der Herrschaften, die Hochzeit hinauszuschieben, vielleicht in Verbindung mit einer Unterredung, die Sie heute nachmittag mit Frau von Wiepkenhagen gehabt haben?

Es war kein freundlicher Ausdruck, den die Eulenaugen bei seiner Frage plötzlich angenommen hatten. Was bedeutete ihm jetzt noch Gnade oder Ungnade, die ihm in diesem Hause wurden! Ohne Miene und Haltung zu verändern, fuhr er in ruhigem Tone fort:

Die Dame wird Ihnen gesagt haben, daß meine Aktien bei Tante Adele seit gestern abend stark gesunken sind. Da wäre es wohl sehr naiv, zu erwarten, daß sie hier über pari stehen.

Ich habe nicht das Vergnügen, den Sinn Ihrer Worte zu fassen, sagte die Generalin, sich straff emporrichtend.

Desto besser fasse ich den Sinn der Ihren. In einem Falle, wie der unsere, genügt es übrigens, wenn das Verständnis für die Situation vorläufig auch nur auf einer Seite ist. Auf der andern pflegt es dann nicht lange auszubleiben.

Er hatte, vom Sofa sich erhebend, der Generalin eine Verbeugung gemacht und sich gewandt, als der Onkel auf ihn zukam.

Du willst doch nicht etwa schon fort?

Ich habe in der That die Absicht.

Ei was! In meinem Arbeitszimmer darf mit Deiner Tante gnädiger Erlaubnis heute geraucht werden. Zu so feinen Marken, wie Ihr jungen Herren sie goutiert, langt es freilich bei einem armen alten A. D. nicht. Na, Du nimmst mal vorlieb. Überdies: ich habe notwendig mit Dir zu sprechen.

201 Aus dem Blick, den Du eben mit der Tante wechselst, glaube ich schließen zu dürfen, es handelt sich um dieselbe Angelegenheit, die zwischen ihr und mir bereits durchgesprochen, und, wie ich wohl annehmen darf, gründlich erledigt ist. Ich möchte deshalb Deine kostbare Zeit nicht unnütz in Anspruch nehmen.

Der General machte ein sehr verblüfftes Gesicht; Wilfried empfand kein Bedauern. War die Bedeutung des alten Herrn in diesem Hause gleich Null, um so schlimmer für ihn – er konnte ihm nicht helfen. Mit einer abermaligen Verbeugung schritt er auf die Ausgangsthür zu, vorbei an der zum Speisezimmer.

Die war bereits vor Beginn seiner Unterredung mit der Tante weit geöffnet, und die Tanzlustigen waren eiligst in den Raum geströmt, aus dem man die Tische und die überflüssigen Stühle weggeräumt hatte. Alsbald waren auch mit taktvoller Kraft, die auf professionelle Finger schließen ließ, die Töne eines Flügels, zu einer Quadrille à la cour auffordernd, angeschlagen worden. Ein paar Carrés waren noch nicht in Ordnung; eines, der Thür zunächst, stand schon formiert: Ebba, mit Leßberg als ihrem Herrn; ihre vis-à-vis: Frau von Haida mit Major Bronowski. Die Gespräche hinüber und herüber waren so eifrig; keiner bemerkte den Davongehenden.

Er war bereits auf dem ersten Treppenabsatz, als er die Flurthür aufreißen und jemand, immer ein paar Stufen auf einmal nehmend, hinter sich herkommen hörte: Falko.

Um Gotteswillen, Wilfried! Was heißt das?

Daß ich gehe und nicht wiederzukommen gedenke.

Du wirst uns das nicht anthun!

Ich spiele nur das Prävenire.

So was zieht sich doch wieder zurecht!

Dies nicht.

Herr Gott, die Weiber! Aber, Wilfried, wir bleiben Freunde!

Mit dem Ausdruck peinlichster Verlegenheit auf dem 202 hübschen Gesicht hatte er ihm die Hand in dem weißen Glacé hingehalten.

Es wird ganz auf Dich ankommen, erwiderte Wilfried. Hier meine Hand darauf! Und nun laß Deine Quadrille nicht länger warten!

Er schritt die Treppe hinab, die Falko in großen Sprüngen hinaufeilte.

Auf die Straße gelangt, atmete er tief auf in der kühlen Nachtluft:

Gott sei Dank! Das wäre vorbei!

In seiner Wohnung empfing ihn Zunz, höchlichst verwundert, daß der Herr Graf so früh nach Hause kam. Der Bursche von dem Herrn Lieutenant, dem er auf der Straße begegnet sei, habe doch gesagt: es sei heute abend Ball bei Excellenzens.

Gegen seine Gewohnheit erwiderte der Herr Graf darauf nichts, sondern hieß ihn nur, die Lampe über dem Arbeitstisch anzuzünden. Er habe noch einen Brief zu schreiben, der sofort in den Kasten müsse. Hernach könne er zu Bett gehen.

Zunz that, wie ihm geheißen. Bereits nach zehn Minuten klingelte der Herr Graf und gab ihm den Brief, dessen Adresse Zunz bei dem Licht der Lampe las, mit der er sich auf der Treppe leuchten wollte: An Seine Excellenz, den Generallieutenant a. D. Graf von Falkenburg.

Zunz traute seinen Augen nicht und mußte das, während er die Treppe langsam hinabstieg, noch ein paarmal lesen, und zum letztenmal, bevor er die Hausthür aufschloß.

Eben war der Herr Graf von Excellenzens nach Hause gekommen und jetzt schrieb er schon wieder an Excellenz! Und ihn hatte man nicht, wie immer, wenn es eine größere Fête gab, zur Aushilfe geholt! Und der Herr Graf hatte kein Wort sonst für ihn gehabt und solche tiefe Falte zwischen den Augen!

* * *


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