Friedrich Spielhagen
Opfer
Friedrich Spielhagen

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Zunz hatte aus dem Büffett eine Flasche von Wilfrieds berühmtem Madeira nebst zwei Gläsern genommen, sie auf den Frühstückstisch gestellt und dann das Zimmer verlassen. Falko hatte den Moment kaum erwarten können. Er trat von einem Fuß auf den andern; seine Wangen brannten, seine Augen glitzerten. Nun lief er auf Wilfried zu, ergriff ihn an beiden Händen, die er krampfhaft preßte und rief in einer Aufregung, die ihm fast den Atem raubte:

Gratuliere mir, mein Junge! Ich bin verlobt! Mit – rate einmal! Aber Du rätst es doch nicht: mit Else!

Welcher Else? fragte Wilfried, dem der Vetter den Eindruck eines völlig Berauschten machte.

Als ob es noch andre gäbe! Else, meine Else – Else Bielefelder! Herr Gott, wenn sie doch nicht Bielefelder hieße, oder wenigstens ein Von vor dem Namen hätte! Na, das hilft nun nicht. Stoß an! Ausgetrunken bis auf den letzten Tropfen!

Er hatte eines der beiden Gläser genommen, das Zunz bereits gefüllt, und leerte es auf einen Zug. Zögernd that ihm Wilfried Bescheid.

Aus! aus! rief Falko lachend. Ich sehe, Du glaubst mir nicht, hältst mich für verrückt. Hier, alter Sohn, 321 hier! Lies diesen Brief und schäme Dich! Rohrpost, wie Du siehst. In aller Herrgottsfrühe von ihr geschrieben, mir von meinem Kerl in die Kaserne gebracht. Himmel, wenn ich Dir sage, daß Du ihn lesen darfst!

Wilfried nahm das Blatt.

»Geliebter Falko! Ich soll Dir heute morgen versichern, daß Du es nicht geträumt hast, sondern ich wahr und wahrhaftig so thöricht bin, Dich rasend zu lieben. Hier hast Du es schwarz auf weiß. Heute, morgen und alle Tage.

Deine Else.«

Jetzt bist Du überzeugt! rief Falko stolz, das Blatt wieder in das Couvert steckend und in den Aufschlag des linken Ärmels schiebend, aus dem er es genommen.

Ich muß wohl, erwiderte Wilfried. Aber wie ist es möglich?

Veni, vidi, vici, wie der römische Kamerad zu sagen pflegte. Wenn Du das Genauere wissen willst, so gieb mir erst eine Cigarre! Sie raucht auch, hat sie mir gesagt. Herr Gott, wenn wir uns so beide beim Morgenkaffee gegenübersitzen, ich mit der Cigarre, sie mit ihrer Cigarette – es wird ein Leben, wie Gott in Frankreich. Hurrah! Stoß an! Else soll leben! Geliebter Junge! Dein Madeira – allerhand Achtung! Aber! »Dein Wohl, mein Liebchen« – das muß entschieden – möchtest Du nicht eine Flasche Sekt –

Zunz wurde gerufen und hatte in kürzester Frist seinen Auftrag ausgeführt. Jetzt bei dem perlenden Weine, den Falko in vollen Zügen trank, erzählte er die Geschichte seiner Liebe, von der er schwur, daß sie ihresgleichen auf Erden nie gehabt habe, noch in alle Ewigkeit haben werde. Sich sehen und sich lieben, hinüber und herüber, das sei effektiv eines gewesen: der veritable coup de foudre – einfach phänomenal.

Und siehst Du, alter Junge, dies horrende Glück 322 danke ich doch schließlich Dir. Hättest Du mir nicht die Einladung zu gestern abend verschafft – na, wer weiß! Vielmehr, es ist sicher – irgend ein Bankierssohn – mir wird ganz schlecht, wenn ich bloß daran denke. Und siehst Du, darum bin ich auch zuerst zu Dir gekommen. Wir sind und bleiben doch nun mal die besten Freunde, wenn Du auch Ebba, oder Ebba Dir – ich kann aus der Geschichte noch immer nicht klug werden, je nachdem ich sie von Dir, oder von den Alten und Ebba höre. So viel hab ich freilich weg: zu reparieren ist die Sache nicht. Ihr müßt Euch beide trösten. Und alter Sohn, ich habe einen Trost für Dich. Weißt Du, daß Du nur die Hand auszustrecken brauchst und Du hast eine Frau, für die sich andere zehnmal die Hälse brechen würden? Und so was wie verschwägert würden wir bei der Gelegenheit auch noch. Mensch, hast Du denn gar nichts gemerkt?

Ich habe keine Ahnung, wovon Du sprichst, Falko.

Daß Chlotilde Bielefelder rasend in Dich verliebt ist?

Du träumst.

Hat sich was zu träumen! Pure, veritable Wahrheit. Auf mein Ehrenwort! Else ist zweimal oben bei ihr gewesen, nachdem sie schon nach dem Rheinländer weggelaufen war, um ihn nicht mit Rentlow tanzen zu müssen. Beim zweitenmal hat sie zu Else gesagt: sie müsse sterben und sie wolle sterben, wenn Du sie nicht wieder liebtest. Noch einmal: alles auf Ehrenwort! Mensch, stoße Dein Glück nicht von Dir! Wenn Tante Adele nicht wieder Vernunft annimmt, was sie nach Aussage der Wiepkenhagen entschieden nicht thun wird, und Du nicht zu Kreuze kriechst, wozu Du verdammt wenig Talent hast, so sitzst Du auf dem Trocknen, alter Sohn; und wie scheußlich sich das da sitzt – na! davon weiß ich einigermaßen mitzusprechen. Und Du, der keine blasse Ahnung davon hat, wie schauderhaft der Blick in ein leeres Portemonnaie ist! 323 Siehst Du, ich liebe Else so, ich würde sie heiraten, wenn sie keinen Pfennig – na, heiraten könnte ich sie dann nicht, und man soll den Teufel nicht an die Wand malen. Aber Chlotildes Vater, sagt Else, ist noch viel reicher als ihr Vater, und sie ist das einzige Kind! Sage und schreibe: das einzige Kind! Es handelt sich schlechterdings um, ich weiß nicht, wie viele Millionen, die Dir auf dem Präsentierteller angeboten werden! Und – nicht wahr, Du nimmst es mir nicht übel? – Dem Demokratismus, Socialismus, oder wie das Zeug heißt – das ist doch, mit Deiner Erlaubnis, nicht Dein Ernst; ist doch bloßer Sport – bißchen kurios, gebe ich zu, für einen von uns; aber Du warst immer ein Original. Mag ja wohl auch ein Spaß dabei sein, wie beim Opiumrauchen, obgleich ich nicht weiß, wo er steckt. Nur das wirst Du mir doch nicht einreden wollen, daß Du den Blak au sérieux nimmst. Ein Falkenburg und Socialdemokrat! Ist ja lachhaft; positiv lachhaft! Hab' das gestern abend auch den Kameraden gesagt, und daß ich mir dergleichen Ausfälle, wie –

Falko brach verlegen ab.

Wie »der Salonsocialist, Gedicht von Frau von Haida, vorgetragen von Herrn Hofschauspieler Sandner,« ergänzte Wilfried ruhig.

Aber woher weißt Du denn? Du warst doch –

Noch nicht fort, wie Du siehst. Übrigens war das Sonett allerliebst und Sandner hat es vortrefflich gesprochen.

Na, ich freue mich, daß Du es so nimmst.

Soll ich vielleicht Sandner fordern? oder mich mit Frau von Haida schlagen?

Dasselbe ungefähr, was ich Bronowski gestern abend sagte. Er meinte, Du dürftest es nicht auf Dir sitzen lassen.

Meinte das der Herr Major? Vielleicht war es darauf angelegt, Wie gern ich ihm auch gefällig wäre – ich 324 habe wirklich Besseres zu thun. Aber auf Deine Angelegenheit zurückzukommen: hast Du denn schon mit Herrn Bielefelder gesprochen?

Else wollte es nicht. Sie hatten gestern einen kolossalen Ärger im Geschäft gehabt. Denke Dir –

Ich weiß.

Na ja! Arthur Bielefelder sagte, Du kenntest die saubere Familie. Ist denn das wahr?

Wilfried wurde die Antwort erspart. An der Flurthür war abermals geschellt worden. Zunz kam mit einer Visitenkarte, die er Wilfried präsentierte, dazu murmelnd: der Herr bittet dringend.

Dr. jur. E. von Bösching, kgl. Polizei-Assessor, las Wilfried.

Führen Sie den Herrn in das Empfangszimmer und bitten Sie ihn, Platz zu nehmen! Ich käme sogleich.

Lästerhafte Störung! rief Falko ärgerlich. Wer hat es denn da so eilig, wenn man fragen darf?

Jemand, den ich nicht wohl abweisen kann. Du mußt mich entschuldigen. Über Deine Angelegenheit sprechen wir demnächst ausführlich. Jetzt nur noch: halte sobald als möglich um Fräulein Else an! Du weißt: Goldfische sind sehr begehrt.

Spaß! Als ob ich die Konkurrenz zu fürchten hätte! Else liebt mich. Fabelhaft, sage ich Dir. Du wirst den Besuch nicht schnell wieder los?

Ich glaube, nein.

Schade!

Falko warf einen bedauernden Blick auf die Flasche, in der sich noch ein ansehnlicher Rest befand, und schenkte sich schnell sein Glas noch einmal bis an den Rand voll.

Also: Schluß!

Meinen besten Glückwunsch für Fräulein Else!

Danke! danke! werde ausrichten. Morgen! Morgen!

325 Falko war davongeeilt; Wilfried begab sich in das Empfangszimmer.

* * *


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